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Zurückfinden zum Mysterium Kirche

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Hart auf hart werde es in einigen strittigen Fragen auf der römischen Bischofssynode zugehen, erwarteten manche vorher. Von „Restauration“ war die Rede. Aber es kam anders.

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Hart auf hart werde es in einigen strittigen Fragen auf der römischen Bischofssynode zugehen, erwarteten manche vorher. Von „Restauration“ war die Rede. Aber es kam anders.

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Jener Schweizer Professor, der ohne kirchliches Plazet in Tübingen lehrt, rief in einem Pamphlet nach einem Dritten Vatikanischen Konzil. Ein Schweizer Theologe antwortete. Dazwischen stand der Präfekt der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre mit seiner etwas unglücklichen, von einem Teil der Medien gezielt hochgespielten Äußerung von der „Restauration“, die jedoch kein Zurückgehen bedeute. - Theologisches Vorgeplänkel im Blick auf die

Außerordentliche Römische Bischofssynode, die der Papst kurzfristig zur Verifizierung der Lage der Kirche und der Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils zwanzig Jahre nach dessen Abschluß einberufen hatte.

Es kam alles ganz anders. Die Römische Kurie war wie die gesamte katholische Weltkirche von diesem Spontanentschluß des Papstes, den er am 25. Januar bekanntgegeben hatte, überrascht und ein bißchen überfordert. Doch der Zeitdruck hat nicht geschadet. Die Synode, die am vergangen Sonntag nach zweiwöchiger Beratung zu Ende ging, war mehr als ein neues Konzil. Sie hat das „alte“ wieder zur Geltung gebracht. Gleichzeitig erwies sie“ sich als inzwischen wirksames Instrument jener Kollegialität, jenes weltkirchlichen Miteinanders der Vielfalt in grundlegender Einheit, das nach dem Zweiten Vati-kanum echte Katholizität ist.

Die Vielfalt in der Einheit - Johannes Paul II., als Petrusnachfolger sichtbarer Ausdruck dessen, betonte es selbst in seiner Schlußansprache — fand ihren Ausdruck in der großen Freiheit der Meinungsäußerung. Wer von den 165 Synodenteilnehmern reden wollte, konnte es in voller Freiheit. Und das hat der grundlegenden Einheit keinerlei Abbruch getan. Auch dies ist ein Wort des Papstes, der ja auch selbst hinaus geht, uni in allen Kontinenten und in verschiedenen Kulturbereichen die jeweilige Ortskirche zu erleben.

In der Römischen Synode sollen die gewählten und damit berufenen Vertreter der katholischen Weltkirche zunächst ihre Erfahrung einbringen. Als Vorsitzende der jeweiligen Bischofskonferenzen. So begann man naturgemäß mit den jeweiligen Lageberichten, auf das gestellte Thema bezogen: zwanzig Jahre Konzil. Was dieses Jahrhundertereignis angeht, war man sich einig, es sei die „Magna Charta“ der Kirche in Gegenwart und Zukunft.

Bisher hat es nach jedem Konzil Kirchenspaltungen gegeben. Nach dem letzten nicht. In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es viele Mißbräuche, mit bisweilen schmerzlichen Folgen. Die jetzige Synode nannte das Fehlinterpretationen. Weil die weitschauenden Aussagen des Konzils viel zu wenig umgesetzt, gelesen, erlebt oder einseitig interpretiert wurden. Nicht zu reden vom „Beitrag“ einer gewissen Presse, die ständig publikumwirksame Themen propagiert und Erwartungshaltungen geschürt hatte.

Die Krise fand nicht statt. Kein Synodale hat ein negatives Wort über das Konzil gesagt. Dabei ist zu bedenken, daß nur eine Minderheit der Teilnehmer dieser

Synode im Konzil selbst saß, dessen Geist erlebt, dessen Beschlüsse mit überlegt und unterzeichnet hat. Die neue Generation der Ortsoberhirten stellt sich also hinter die weitschauenden Aussagen derer, die vorausgedacht haben - auch für sie, betrachtet das Zweite Vatikanum, schon zwanzig Jahre „alt“, als „Magna Charta“ nicht nur für ihre Generation, sondern auch für die Jahrtausendwende.

Folgt man der politischen Einteilung des vermeintlich unüberwindlichen Konflikts zwischen zwei Weltmächten, kommt man nicht weiter. Da gibt es jene ande-, re: Nord-Süd; und schließlich jene Einteilung des Globus, die von drei Welten spricht.

In der ersten Welt, der westlichen Wohlstandsgesellschaft, braucht der Mensch anscheinend keinen Glauben. Er hat ja alles, was er hat, selbst erarbeitet. Ohne Gott. Der läßt zwar die Sonne scheinen, den Rest macht der Mensch, der meint, alles sei „machbar“. Da meint ein deutscher Kurienkardinal, der selbst nicht mehr im Wohlstand lebt und keinen überzogenen Apparat um sich hat: „Wir müssen zum Mysterium der Kirche zurückfinden.“ Was soll das heißen?

Aus der Zweiten Welt kommen erstaunliche Glaubenszeugnisse und verzweifelte Hilferufe. Von Polen abgesehen, wo dank des Papstes die Dinge anders liegen und der (noch immer staatlich behinderte) Andrang zu geistlichen Berufen steigt, hat sich die Lage in den kommunistisch beherrschten Ländern kaum gebessert. Die Möglichkeit sakramentalen kirchlichen Lebens wird immer geringer, obwohl die Kirchlichkeit der Gläubigen wächst. „Beten und leiden“ faßt Kardinal Franti-sek Tomasek, 86j ähriger Erzbi-schof von Prag, seine eigenen Erfahrungen zusammen und verweist auf die Mitte kirchlichen Lebens, eben die Liturgie. Und ihre Erneuerung durch das Konzil. Nur: Dort gibt es keine religiösen Bücher. Während, wie andere Synodalen aus Asien und Lateinamerika berichten, in ihren Ländern mit dem steigenden Sektenunwesen gleichzeitig, eine „Bibelschwemme“ verbunden sei.

Die Dritte Welt hat sich auf dieser Synode so differenziert dargestellt, wie sie ist: das tiefgläubige Afrika, Asiens große religiöse Tradition, Lateinamerika mit der Hälfte aller Katholiken. Kollegialität wird einem . plötzlich bewußt, wenn man den Hilferuf aus Angola hört: „... dann kam der Marxismus-Leninismus, der uns im Dezember 1977 die Arbeiterpartei brachte, mit aller damit verbundenen Radikalisierung und Ideologisierung in allen Lebensbereichen... Dennoch hat die angolanische Kirche Geist und Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils verbreitet und vertieft, als Geschenk Gottes in ihrer schwierigen Situation betrachtet. Die Konzilsaussagen sind so klar, daß unsere Gläubigen dadurch vor einem Gesellschaftssystem marxistischer Prägung gewarnt sind“.

Die Kollegialität. Hauptthema des Konzils. Zeichen des „End-lich-Mitreden-Können“ hat als Kehrseite auch den Aufschrei jenes Bischofs aus Kambodscha: „Seit neun Jahren hatten wir keinen Priester mehr; wie soll ich den Gläubigen die Eucharistiefeier sichern?“ Und jenes anderen aus Ruanda: „Wir verlassen eine Sicht der Kirche, die alles passiv sah, wie sollen wir aktiv werden?“

Die nicht gerade rosige Sicht kirchlich-religiöser Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, kürzlich durch eine Allensbachumfrage dargestellt, fand sich in den Folgerungen des

„Das heißt nicht, die Synode sei an brennenden Zeitproblemen vorbeigegangen.“ deutschsprachigen Zirkels mit folgenden Worten: „Äußere und innere Gründe für das oft festzu-: stellende Unbehagen an der Amtskirche wurden eingehend untersucht. Man versuchte, eine Gewissenserforschung anzustellen: wurde nicht zuviel von der Kirche, zu wenig von Christus gesprochen? Wurden in der seelsorglichen Zuwendung zur Welt zu unkritisch weltliche Kategorien und Maßstäbe übernommen? Wurde in der Liturgie der Ehrfurcht vor dem Heiligen und der Stille genügend Beachtung geschenkt? Wurden die nachkonzi-liaren Verlautbarungen des päpstlichen Lehramts, beispielsweise zur Katechese, zur Arbeit, zur Familie genügend ausgeschöpft? Wurde das Konzil wirklich verwirklicht?“ Gerade der deutschsprachige

Arbeitskreis der Synode hat dann für das Schlußdokument konkrete Hinweise gegeben. Vor allem was Predigt, Katechese, Seelsorge und Menschenführung in heiklen Fragen angeht. Allerdings mit dem Hinweis, die Seelsorger sollten sich „nicht durch die jeweils in der Tagespolitik vorherrrschen-den Themen“ leiten lassen; die Darstellung des Tagesgeschehens in den Medien erfasse oft nicht das Wesentliche.

Aus Lateinamerika sollte nach Hoffnung derer, die den Fall Boff angeheizt haben, einiger Protest kommen. Doch von Theologie der Befreiung war in der Synode kaum die Rede. Die brasilianischen Vertreter dieses Phänomens haben es mit schriftlichen Eingaben erläutert und erklärt — und dennoch ausdrücklich in den römisch-katholischen Kontext eingeordnet.

Auch innerhalb der brasilianischen Bischofskonferenz selbst gibt es da Differenzen. Nicht alle i brasilianischen Bischöfe lassen sich von Schlagworten der Medien mitreißen.

Das heißt nicht, die Synode sei an brennenden Zeitproblemen vorbeigegangen. So hat Erzbi-schof Karl Berg von Salzburg als derzeitiger Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz erneut auf die Problematik katholischer Sexualethik und die Pastoral Wiederverheirateter Geschiedener hingewiesen und gefordert, Rom möge die derzeit geltenden Bestimmungen überdenken.

Die vielfach erwartete Auseinandersetzung zwischen „Glaubenschef“ Joseph Ratzinger und seinen in den Medien aufgebauten „Gegnern“ fand nicht statt. Der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre hat in seiner einzigen Intervention während der Synode das so mediengängige Wort „Restauration“ nicht in den Mund genommen. Von ihm kommt die dann vom Papst aufgenommene Formulierung, wichtigstes Ergebnis dieser Synode müsse das „Mysterium der Kirche“ sein.

Was heißt das? Es geht um die Rückbesinnung auf das Wesen der Kirche. Das war schließlich Zentralthema des Konzils. Von daher leiten sich alle anderen Konzilsaussagen ab. Von Kollegialität bis Ökumenismus, von Liturgie bis Religionsfreiheit.

Also zurückfinden zur Kirche, zum „Mysterium Kirche“.

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