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Keine Flucht hinter die Kirchenmauern!

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Die Päpste des frühen 20. Jahrhunderts unterschieden streng zwei Gruppen in der Kirche: die Hirten und die Herde. Wo stehen wir heute - 20 Jahre nach dem Konzil?

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Die Päpste des frühen 20. Jahrhunderts unterschieden streng zwei Gruppen in der Kirche: die Hirten und die Herde. Wo stehen wir heute - 20 Jahre nach dem Konzil?

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Das Zweite Vatikanum hat finden Laien und sein apostolisches Engagement in der Welt weitreichende theologische Impulse gebracht. Statt vieler Einzelformulierungen sei nur die Tatsache erwähnt, daß die Kirchenkonstitution im Kapitel 2 das Volk Gottes als Ganzes darstellt, bevor sie sich in den folgenden Kapiteln den einzelnen Gliederungen dieses Volkes (Hierarchie, Laien, Ordensleuten) zuwendet...

Die theologische Neuorientierung — oder besser die theologische Wiederentdeckung biblischer Wahrheiten, etwa die von der gemeinsamen Priesterschaft aller Gläubigen oder die Lehre des Hl. Paulus von den Charismen - hatte einen weltweiten Aufbruch des Laienapostolates zur Folge, der nicht erst belegt werden muß...

Im Dezember 1983 kamen auf dem Montmartre in Paris (Collo-que d'Ephrem) 200 General- und Bischofsvikare zusammen. Sie hatten sich eine Auswertung jener Vollversammlung der französischen Bischofskonferenz vorgenommen, die 1973 im Anschluß an P. Congar die Kirche als „umfassend im Dienst stehend” genannt und ihre Akten unter dem Stichwort „Alle verantwortlich in der Kirche?” veröffentlicht hatte. Ein Zitat aus dem zusammenfassenden Bericht:

„Es zeigt sich eine Furcht: Läuft der nicht Gefahr, die Laien von ihrer .eigentlichen Berufung' abzulenken, der das Laienengagement in diesen innerkirchlichen Aufgaben unterschiedslos fördert? Es könnte dann wirklich der Mangel an Zeit entstehen, an Offenheit und auch an Interesse für eine bedachte Anwesenheit in Leben und Gesellschaft, und so könnten die Fragen, die das Milieu stellt, unbedacht bleiben.”

In der Tat ist bei einer Bilanz zwanzig Jahre nach Konzilsende weltweit ein wachsendes Interesse mancher Laien an innerkirchlichen Aufgaben und Tätigkeiten festzustellen. Gleichzeitig hat es den Anschein, das Engagement für die Durchdringung des weltlichen Bereiches — so eindrucksvoll dargelegt in der Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute” (bes. Kap. 40-44) - locke entschieden weniger...

Doch innerhalb der gemeinsamen Verantwortung aller Christen für Kirche und Welt gibt es die spezifische Berufung: Der eine stellt sich dem unmittelbaren Dienst an der Kirche selbst zur Verfügung, hört aber darum nicht auf, in der Welt zu leben; der andere hat seinen Auftrag in und an der Welt und erfüllt darin seinen Dienst vor Gott.

Bei der Verteilung der Aufgaben läßt das Konzil keinen Zweifel: Es sind die Laien, die den „heißen Draht” zur Welt haben...

Wer in der Teilhabe an den Aufgaben des kirchlichen Amtes das herausragende Kriterium für die Qualifikation der Laien sieht — gleichsam das Siegel seiner Identität als Glied der Kirche -, der hat das Konzil mißverstanden... Das formuliert ausdrücklich ein wichtiges nachkonziliares Dokument: „Uber die Evangelisierung der Völker”. Dort heißt es: „Ihre (der Laien) erste und unmittelbare Aufgabe ist nicht der Aufbau und die Entwicklung der kirchlichen Gemeinschaft — hier liegt die besondere Aufgabe der Hirten —, sondern sie sollen alle christlichen, vom Evangelium her gegebenen Möglichkeiten, die zwar verborgen, aber dennoch in den Dingen der Welt schon vorhanden sind und aktiv sich auswirken, verwirklichen. Das eigentliche

Feld ihrer evangelisierenden Tätigkeit ist die weite und schwierige Welt der Politik, des Sozialen und der Wirtschaft, aber auch der Kultur, der Wissenschaften und Künste, des internationalen Lebens und der Massenmedien...” (Nr. 70).

Geht man von einer Auf gabenteilung der gläubigen Glieder in der Sendung der Kirche aus, so kommt dem Laien vorrangig der Weltdienst zu. Der Seridungsauf-trag der Kirche leidet demnach Einbuße, wenn viele Laien den schützenden Raum hinter den kirchlichen Mauern aufsuchen — auch aus dem Bedürfnis heraus, ihren eigenen Glauben zu sichern...

Synode kommt recht

Angesichts dieses Befundes erscheint eine Synode über die Sendung der Laien in Kirche und Gesellschaft alles andere als überflüssig. Sie kommt sozusagen gerade recht. Wir vom „Rat für die Laien” sind dankbar, daß der Heilige Vater sich für dieses Thema entschied — nicht nur weil wir als relativ junges Dikasterium der Kurie eine stärkere Profilierung suchen, sondern weil wir den Eindruck haben, daß die Sache es fordert.

Es geht darum, in der gemeinsamen Sendung aller Glieder der Kirche und in der Teilnahme aller an der Verantwortung für das Evangelium die Schwerpunkte neu bewußt zu machen. Das betrifft die Bischöfe nicht weniger als die Laien. Denn auch manche Bischöfe haben sich mit den Konzilsaussagen noch zurechtzufinden. So las ich kürzlich von einem führenden Mitglied der US-Bischofskonferenz grundlegende Ausführungen über die Rolle der Bischöfe in der Politik (New York Times vom 15. Nov. 1984). In ihnen suchte man jedoch das Wort „Laien” vergeblich, und man fand schon gar nicht einen Hinweis auf deren spezifische Kompetenz oder Verantwortung.

Im Kongreß der Vereinigten Staaten gaben 1983 142 Mitglieder als Konfession „katholisch” an. Vor zwanzig Jahren waren es noch 99 Katholiken, dagegen 102 Methodisten und 82 Presbyteria-ner. Gewiß können Katholiken stolz diese wachsende Verantwortung für Staat und Gesellschaft in ihrem Land ansehen. Doch welches Bewußtsein haben die katholischen Abgeordneten von ihrer Katholizität? N. Hanna, Professor für politische Wissenschaften an der New Yorker Universität Binghamton, fertigte dazu eine Studie an. Sie hat eine Zahl von diesen Abgeordneten interviewt und kommt zu dem Ergebnis: „Nichts zeigte sich klarer und dramatischer in den Interviews als das Nicht-Wissen über den hohen Prozentsatz der Katholiken im Kongreß und der Mangel an Zusammenhalt. Niemand der 26 Befragten war sich bewußt, daß die Katholiken die zahlreichste religiöse Gruppe im Kongreß bilden. Einer von ihnen sagte: ,Ich bin 14 Jahre hier, habe aber nie vermutet, daß die Anzahl der Katholiken gestiegen sei. Ich bin gut bekannt mit einer großen Zahl von Kongreßmitgliedern, aber ich habe nie gewußt, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören.' ” (.Trenta Giorni' vom Mai 1983, 40).

Erzbischof Paul J. Cordes ist Vizepräsident des Päpstlichen Rates für die Laien. Auszug aus einem Referat beim UCIP-Symposium „Weltkirche im Blickpunkt” Ende März in Rom.

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