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Herzstück ist die Soziallehre

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Es ist ein großer Trost für den obersten Hirten, feststellen zu können, daß ihr hier nicht versammelt seid wie ein Symposion von Experten, nicht wie ein Parlament von Politikern, nicht wie ein Kongreß von Wissenschaftlern oder Technikern, so bedeutend solche Zusammenkünfte auch sein mögen, sondern in der brüderlichen Begegnung von Hirten der Kirche!... Von euch, den Hirten, erwarten und verlangen die Gläubigen vor allem eine sorgfältige und behutsame Uberlieferung der Wahrheit über Jesus Christus.

Ich selbst werde in Erfüllung meiner Pflicht als Verkünder der Frohen Botschaft nicht aufhören, der ganzen Menschheit dieselben Worte zu wiederholen (wie zur Eröffnung des Pon-tifikats am 22. Oktober 1978): Fürchtet euch nicht! öffnet weit, ganz weit die Türen für Christus! Tut sie auf für seine Erlösermacht! öffnet ihm die Grenzen der Staaten, der politischen und wirtschaftlichen Systeme! öffnet ihm die weiten Räume der Kultur, der Zivilisation und der gesamten Entwicklung!

*

Es gibt heute, und dieses Phänomen ist nicht neu, an vielen Orten gewisse „Neuinterpretationen“ des Evangeliums ... In einigen Fällen verschweigt man die Gottheit Christi oder bedient sich tatsächlich gewisser Interpretationsweisen, die zum Glauben der Kirche im Widerspruch stehen: Christus sei nur ein „Prophet“ ... In anderen Fällen bemüht man sich, nachzuweisen, daß Jesus politisch engagiert gewesen sei, gegen die römische Herrschaft und die Mächtigen gekämpft habe und sogar in einen Klassenkampf verwickelt gewesen sei. Dieses Verständnis von Christus als Politiker, Revolutionär und Umstürzler läßt sich mit der Katechese der Kirche nicht in Einklang bringen... Die Zuflucht zur Gewalt lehnt er unmißverständlich ab.

Angesichts vieler anderer Humanismen, die häufig ihre Sicht des Menschen auf den wirtschaftlichen, biologischen oder psychischen Bereich beschränken, hat die Kirche das Recht und die Pflicht, die Wahrheit vom Menschen zu verkünden, die sie von ihrem Meister Jesus Christus erhalten hat... Diese vollständige Wahrheit vom Menschen macht das Fundament der Soziallehre der Kirche aus. Sie ist gleichzeitig die Grundlage der wahrhaften Befreiung. Im Lichte dieser Wahrheit ist der Mensch nicht ein den wirtschaftlichen und politischen Prozessen unterworfenes Wesen, sondern diese Prozesse sind auf den Menschen hingeordnet und ihm unterworfen. *

Wenn die Kirche in der Verteidigung und Förderung der Menschenwürde gegenwärtig wird, so tut sie dies im Rahmen ihrer Sendung, die immer einen religiösen Charakter und nicht einen sozialen oder politischen hat... (Aber) die Kirche hat (aus der Heiligen Schrift heraus) begriffen, daß ihr Auftrag der Evangelisation als unentbehrliche Ergänzung auch den Einsatz für die Gerechtigkeit und die Förderung des Menschen einschließt und daß zwischen Evangelisation und Förderung des Menschseins sehr starke Beziehungen in anthropologischer, theologischer und karitativer Hinsicht bestehen ...

Sie hat es folglich nicht nötig, zu Systemen und Ideologien Zuflucht zu nehmen,. um die Befreiung des Menschen zu verteidigen und mitzu-verwirklichen. Im Zentrum der Botschaft, deren Hüterin und Verkün-derin die Kirche ist, findet sie die Motivierung, um einzutreten für Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden

und aufzutreten gegen alle Beherrschungssysteme, Versklavungen, Diskriminierungen, Gewalttaten und Anschläge auf die Religionsfreiheit.

*

Die Stimme der Kirche, die ein Echo der Stimme des menschlichen Gewissens ist,... verdient es, auch in unserer Zeit gehört' zu werden. Dies vor allem auch dann, wenn der wachsende Reichtum einiger weniger einhergeht mit dem wachsenden Elend der Massen. In diesem Fall erhält jene Lehre der Kirche einen dringlichen Charakter, nach der auf allem Privateigentum eine soziale Verpflichtung lastet. b x

Diejenigen, die Verantwortung für das öffentliche Leben tragen, werden begreifen müssen, daß der innere und der internationale Frieden nur gesichert werden können, wenn ein soziales und wirtschaftliches System verwirklicht wird, das auf der Gerechtigkeit aufbaut.

Gestattet mir, daß ich eurer pasto-ralen Sorge besonders die Aufgabe anempfehle, eure Gläubigen für die Soziallehre der Kirche zu interessieren und empfänglich zu machen. Es ist notwendig, sich dafür einzusetzen, daß auf allen Ebenen und in allen Bereichen ein soziales Bewußtsein herangebildet werde. Wenn die Ungerechtigkeiten zunehmen und der Abstand zwischen Armen und Reichen leider noch immer größer wird, so muß die Soziallehje in schöpferischer Weise ... ein wertvolles Instrument für die Unterweisung und auch für konkrete Initiativen werden. Das gilt besonders im Hinblick auf die Laien, die „eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten zuständig sind“ („Gaudium et spes“, 43)... Gerade die Laien sind auf Grund ihrer Berufung in der Kirche dazu aufgerufen, ihren spezifischen Beitrag im politischen und wirtschaftlichen Bereich zu leisten und wirksam am Schutz und an der Förderung der Menschenrechte mitzuarbeiten.

(Aus der Ansprache Johannes' Paul II. vor der III. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla am 28. Jänner 1979, zitiert nach Kathpress.)

Puebla in Mexiko wird noch bis 12. Februar die über 350 Teilnehmer an der III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) beherbergen. Die 170 Bischöfe und 18 Kardinäle haben sich überraschend einmütig auf eine komplizierte Geschäftsordnung für die Vollsitzungen und die Arbeiten in den 21 Kommissionen geeinigt.

Mit beratender Stimme nehmen an den Sitzungen auch 51 Priester, Ordensleute und Diakone sowie 31 Laien (davon sechs Frauen), außerdem auch 30 Bischöfe aus anderen Kontinenten und rund 50 persönlich geladene Gäste teil. Die Sitzungen sind nicht öffentlich, doch findet täglich eine Pressekonferenz statt.

Schon am ersten Tag unterstrich der Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz, Bischof Jose Ivo Lorscheiter, das Recht der Kirche zur Unterstützung „legitimer

Puebla: 1. Woche

Bestrebungen zur Veränderung ungerechter Systeme“ - aber ohne Gewalt.

Für eine „gerechte Verteilung der Güter“ fand auch der Präsident der Versammlung von Puebla, Kardinal Aloisio Lorscheider (der oft mit Lorscheiter verwechselt wird!) klare Worte. Bischof Enrico Bertolucci von Esmeralda (Ekuador) plädierte für ein aktives Engagement der Kirche bei der Erarbeitung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung, und Bischof Leonidas Proano von Riobamba (Ekuador) erklärte: Um eine umfassende Besserstellung für die Menschen zu erreichen, „muß man kämpfen - auch mit den Mitteln eines gewaltlosen Druckes“.

Gegen den „kulturellen Kolonialismus“ massivster Konsumgüterwerbung in Radio und Fernsehen, die eine Provokation vor allem für die Armen sei, fand Bischof Lucien Methinger, Generalsekretär der peruanischen Bischofskonferenz, starke Worte. Die exzessive Werbung sei einender Hauptursachen für das Wachsen der Kriminalität, weil viele zu Dieben und Räubern würden, um sich zu verschaffen, was ihnen angepriesen wird.

Papst Johannes Paul II., der am 2. Februar nach Rom zurückkehrte, hat in Mexiko 2500 km per Flugzeug und weitere 400 km im Auto zurückgelegt, ist 30 Millionen Menschen begegnet und hat 30 Ansprachen auf Spanisch gehalten, über die 4000 Journalisten berichteten.

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