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Sorge und Hoffnung im Blick auf Puebla

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Die 3. Vollversammlung der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla (Mexiko) vom 27. Jänner bis 12. Februar mit ihrem blaß und harmlos klingenden Thema „Die Evangelisierung in Gegenwart und Zukunft Lateinamerikas“ wird sicher keine durchschnittliche Kirchenversammlung werden. Zu brisant sind die Probleme, die das Leben dieser 370 Millionen überwiegend katholischer Einwohner bestimmen; zu verschieden die Strömungen unter den Bischöfen, die nicht ganz die Hälfte der Katholiken auf der Welt vertreten; zu deutlich das Unbehagen, welches das Vorbereitungsdokument und die Art der Auswahl der Teilnehmer in denjenigen Kreisen ausgelöst hat, die sich der progressiven Richtung verpflichtet wissen oder doch wenigstens ihr wohlwollend gegenüberstehen.'

Die Vermutung ist allerdings übertrieben, der Papst könnte sich genötigt sehen, in Puebla die Rolle eines Schiedsrichters zwischen unversöhnlichen Parteien zu übernehmen.

Unverkennbar war Papst Paul VI. in seinem letzten Pontifikatsjahr be-

Medellin: Magna Charta eines kirchlichen Grundverständnisses

sorgt, die Konferenz, die ursprünglich vom 12. bis 28. Oktober 1978 hätte stattfinden sollen, könnte einen unerwünschten Verlauf nehmen. An eine persönliche Teilnahme des Papstes dachte niemand. Anders Johan--nes Paul IL: Kurz vor Weihnachten kündigte er seine Teilnahme an, um den Bischöfen Lateinamerikas, ihren Priestern und Gläubigen „die Achtung, das Vertrauen und die Hoffnung der Gesamtkirche zu bezeugen und ihr den Mut zum gemeinsamen seelsorglichen Einsatz zu stärken“.

Sorge und Hoffnung im Vatikan im Blick auf Puebla: welcher Art sind sie?

Werfen wir zuerst einen Blick auf die kirchliche Situation. Kein Lateinamerikaner hört gerne, wenn man in Europa von „lateinamerikani-

schen Problemen“ spricht. Was hat der stolze europäisch geprägte Argentinier mit dem armen, indianischen Bolivianer, was der Chilene im Süden mit dem Mexikaner im Norden gemeinsam?

Dennoch gibt es eine tiefgreifende kulturelle und geschichtliche Gemeinsamkeit sowie wirtschaftlich ähnlich gelagerte Probleme. Es gibt einen lateinamerikanischen Bischofsrat (CELAM), eine lateinamerikanische Konferenz der Ordensleute (CLAR) und in Rom eine „Päpstliche Kommission für Lateinamerika“. Schließlich gibt es eine „Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe“, die sich zum ersten Mal 1955 in Rio de Janeiro (Brasilien) und zum zweiten Mal 1968 in Medellin (Kolumbien) traf.

Während die Versammlung von 1955 in Vergessenheit geriet, können die in Medellin verabschiedeten Dokumente als Magna Charta eines neuen kirchlichen Grundverständnisses angesehen werden. In diesen 16 Dokumenten, von denen nicht recht klar ist, wer die einzelnen Entwürfe vorbereitet hat, versteht sich die lateinamerikanische Kirche nicht mehr als Partner des Staates mit der Aufgabe, das Volk zu guten Staatsbürgern zu erziehen und ein kirchliches Leben zu fördern, das im Wesentlichen aus Brauchtum, Gelübden, Pilgerfahrten und allerlei frommen Übungen bestand. Die Kirche nach Medellin will für die Probleme der lateinamerikanischen Kultur und der lateinamerikanischen Völker Lösungen anbieten, die vom Geist des Evangeliums getragen sind. Ganz ausdrücklich werden dazu auch Probleme politischer, sozialer und wirtschaftlicher Art gezählt.

Daß die Beschlüsse von Medellin „von Anfang an vom Vatikan sabotiert“ worden wären, stimmt sicher nicht. Es stimmt allerdings, daß diese Beschlüsse in den folgenden Jahren zunehmend kritisch beurteilt wurden, zumal, als sie weit über Lateinamerika hinaus Verbreitung fanden.

Wir kommen zu den Hoffnungen und Sorgen des Vatikans hinsichtlich Puebla. Sieht man von konservativen Kreisen ab, die die Texte von Medel-

lin von Anfang an als „Ergebnis eines Überrumpelungsmanövers einer progressiven Minderheit“ ablehnten, genießen sie eine breite Zustimmung. Sie vermochten im Verlauf der letzten Jahre, die lateinamerikanische Kirche für die sozialen Probleme empfindlicher zu machen und ihr stärkere Eigenständigkeit zu geben.

Dennoch wird man heute, nach elf Jahren, manche Kritik anbringen können:

1. In dieser redaktionell nicht durchgearbeiteten Sammlung recht verschiedener Texte stoßen wir immer wieder auf eine Denkstruktur, die einem optimistischen Evolutionismus entlehnt ist. Mit staunenerweckender Uberzeugung wird eine Entwicklung aus einer schlechten Vergangenheit in eine fraglos vorausgesetzte bessere Zukunft angenommen.

In diese werden dann bestimmte sozial-ethische Forderungen eingebaut - und das alles in den weiten Rahmen der göttlichen Heilsgeschichte gestellt. Ein Beispiel: „Wir können nicht umhin, in diesem von Tag zu Tag unbändigeren und mehr zur Eile drängenden Wandlungswillen die Spuren des Bildes Gottes im Menschen als eine mächtige Dynamik zu entdecken. Schritt für Schritt führt diese Dynamik den Menschen zu einer immer größeren Beherrschung der Natur, zu einer tieferen

Puebla: Evangelisation und Bewußtseinsbildung

Personalisierung und einem brüderlichen Zusammenhalt, und auch zu einem Zusammentreffen mit IHM, der die Werte - erreicht durch die menschliche Kraft - bestätigt, läutert und vertieft...“

Wer solche Texte liest, fragt sich, ob die zugrundeliegende Denkstruktur realistisch, ob sie christlich ist; oder ob hier nicht ein Geschichtsdenken nach Karl Marx oder/und ein - allzu unkritischer-Heilsoptimismus nach Teilhard de Chardin Ideengeber waren.

2. In den Texten von Medellin distanzieren sich die lateinamerikanischen Bischöfe nachdrücklich vom imperialistischen Kapitalismus, den sie für die ungerechte soziale Lage verantwortlich machen, wie auch vom Marxismus, der keinen Ausweg biete, wie Kuba, Peru und Chile zeigten.

Wer aber nach diesen beiden negativen Abgrenzungen eine positive Alternative sucht, wird nur auf allgemein gehaltene moralische Appelle und auf ungenaue Formulierungen stoßen. Nirgends findet man überzeugende Ansätze einer'eigenständigen kirchlichen oder wenigstens christlichen Soziallehre für Lateinamerika.

Die Texte von Medellin müßten hier zumindestens eine Ergänzung finden. Bedauerlicherweise fehlen aber gerade der Kirche Lateinamerikas überragende, fachlich gut ausgebildete Wirtschaftsexperten und Sozialwissenschaftler. Im Zuge dieses neuen kirchlichen Grundverständnisses mit ihrer hoffnungsvollen Öffnung zur sozialen Dimension der Botschaft Christi entwickelte sich eine große Anzahl von Varianten einer „Theologie der Befreiung“, von denen einige sich klarer und stärker vom marxistischen Gedankengut absetzen müßten als bisher.

3. Die Texte von Medellin sprechen mit Stolz und Nachdruck vom „lateinamerikanischen Menschen“, von einer „geographischen Realität“, von einer „Gemeinschaft von Völkern mit eigener Geschichte, mit spezifischen Werten und ähnlich gelagerten Problemen“. Daraus leiten sie

die Forderung ab, die „Eigenart der lateinamerikanischen Völker“ zu achten.

Man hat im Vatikan verstanden, daß der Satz „Die Auferlegung fremder Werte und Kriterien wird eine neue und schwere Verwirrung schaffen“ auch an seine Adresse gerichtet ist. Hier zeigt sich im Spannungsfeld „Ortskirche und kirchlicher Zentrale“ eine Option zugunsten der Ortskirche.

1 Diese Option ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil und Vom Rundschreiben Papst Paul VI. „Evangelii Nuntiandi“ her gerechtfertigt. Zudem bekannte sich erst kürzlich Papst Johannes Paul II. vor Vertretern des „Rates der europäischen Bischofskonferenz“ zur Pflicht des Papstes und des Heiligen Stuhles, „jene Organisationen auf den verschiedenen Stufen der kollegialen Zusammenarbeit zu fördern.“

In dieser nicht spannungsfreien Diskussion steht aber nicht das Prinzip, sondern das Ausmaß in Frage. Dieses sprach der Papst auch an, wenn er zugleich mit der offiziellen Ankündigung seiner Reise nach Puebla bemerkte, daß das Motto, die Zukunft der Kirche werde sich in Lateinamerika entscheiden, eine Wahrheit enthalte, weil es zeige, „wie das Schicksal der Kirche dort mit dem der einzigen und ungeteilten Kirche Christi vereint ist.“

Wie wird die Konferenz von Puebla verlaufen? Für genaue Prognosen ist

es zu früh. Immerhin kann man sagen, daß nur wenige hinter die Beschlüsse von Medellin zurückgehen wollen. Diese Kirche ist seither selbstbewußter, eigenständiger, sozialer und^ engagierter geworden.

Möglicherweise wird das inzwischen überarbeitete Vorbereitungsdokument mit seinen 140 Seiten Gegenstand von Kontroversen werden. Wahrscheinlich werden die Hauptbemühungen dem Versuch gelten, das Ziel einer Evangelisation mit den Anliegen der „conscientizaciön“ in Verbindung zu bringen. Unter „conscientizaciön“, das auf den linksorientierten katholischen Pädagogen Paolo Freire zurückgeht, versteht man einen erzieherischen Prozeß des Bewußtwerdens von Rechten, Pflichten und Chancen im Volk, vor allem unter den Campesinos, den einfachen Landarbeitern.

Es ist wirklich kein nur theoretischer Unterschied, ob dieser Prozeß nach den Regeln marxistischer Revolutionspraxis oder im Geist des Evangeliums, begleitet von Bemühungen um Alphabetisierung und um ethische, berufliche sowie politische Schulung, vor sich geht. Vor Jahren sagte Kardinal Aloisio Lorscheider, Präsident des lateinamerikanischen 'Bischofsrates CELAM, daß die Grundsorge der lateinamerikanischen Kirche „die Heranbildung eines neuen Menschen für eine neue Gesellschaft mit mehr Gerechtigkeit sein muß.“

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