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„Was in Puebla unter den Nägeln brannte...“

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Die Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla ist geschlossen. Nun müssen die Ergebnisse in die Tat umgesetzt werden — und sie dürften wohl nicht nur für Lateinamerika Auswirkungen haben. In Wien versuchte die Katholische Medienakademie eine erste Analyse, in München konnte FURCHE-Mitarbeiter Gerhard Ruis den Präsidenten der Brasilianischen Bischofskonferenz und der Gesamtlateinischen Bischofskonferenz in Puebla, Kardinal Aloisio Lorscheider, interviewen.

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Die Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla ist geschlossen. Nun müssen die Ergebnisse in die Tat umgesetzt werden — und sie dürften wohl nicht nur für Lateinamerika Auswirkungen haben. In Wien versuchte die Katholische Medienakademie eine erste Analyse, in München konnte FURCHE-Mitarbeiter Gerhard Ruis den Präsidenten der Brasilianischen Bischofskonferenz und der Gesamtlateinischen Bischofskonferenz in Puebla, Kardinal Aloisio Lorscheider, interviewen.

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FURCHE: Papst Johannes Paul II. hat während seiner Reise nach Mexiko Lateinamerika einen „Hoffnung skontinent“ der Kirche genannt. Tatsächlich muß man von einer Dynamisierung der lateinamerikanischen Kirche sprechen, die ihren deutlichen Ausdruck in Medellin 1968 und vor allem jetzt in Puebla 1979 gefunden hat. Ist Puebla ein Versuch eines neuen Anfangs oder eine Aktualisierung von Medellin?

KARD. LORSCHEIDER: es ist sicher in Blickrichtung Medellin kein Abbruch und kein Anfang. Es ist in der Tat zwischen Medellin und Puebla ein kontinuierlicher Prozeß. In Puebla hat man noch gewichtiger als in Medellin einhellig als lateinamerikanischer Episkopat auf die materiell äußerst besorgniserregende Situation des Kontinents hingewiesen. Die Situation in Lateinamerika ist so ärgerniserregend, weil es sich ja um ei-nen„christlichen“ Kontinent handelt.

Was uns in Puebla besonders unter den Nägeln brannte, war das Problem der Inkulturation des Evangeliums. Vor zehn Jahren sprach man in Medellin noch nicht so ausdrücklich über die Kultur der südamerikanischen Völker. In Puebla ist uns Bischöfen zum Bewußtsein gekommen, daß die bodenständige Kultur in ihrer Unverfälschtheit und Ursprünglichkeit eine besondere Bedeutung hat und daß sie auch uns Christen in besonderem Maße am Herzen hegen muß. Ein weiteres Problem, das in Medellin noch nicht diskutiert wurde, war das Verhältnis von Glaube und Wohlstand.

FURCHE: Die Delegierten haben sich in Puebla beinahe wie in ein „Konklave“ zurückgezogen und hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. War das notwendig? Wollte man befürchtete Auseinandersetzungen untereinander austragen? Sollte die Außenwelt vom Zusammenprall divergierender Meinungen nichts erfahren, sollte der Eindruck der Harmonie erweckt werden? Fühlten Sie sich in Ihren Beratungen wirklich frei und nicht etwa bevormundet durch die Anwesenheit römischer Prälaten?

KARD. LORSCHEIDER: Natürlich gab es unter so vielen Bischöfen und Teilnehmern eine Palette von Meinungen. Man rechnete mit Auseinandersetzungen. Aber wer wird solche Diskussionen fürchten, wenn die Diskutanten vom leidenschaftlichen Willen getragen sind, einen gemeinsamen Weg zu suchen und zu finden? Ich meine sogar, daß Meinungsverschiedenheiten die Sache beleben und für die Wahrheitsfindung notwendig und gesund sind.

Unser „Konklave“ war Selbstschutz. Wir waren 400 Personen, hatten eine sehr begrenzte Arbeitszeit von knapp zwei Wochen und wollten ungestört hart arbeiten und viel erreichen. Wir fühlten uns wirklich sehr frei. Der Besuch Johannes Pauls II. war von allen Bischöfen sehr gewünscht. Der Papst hat in diesen wenigen Tagen einen hervorragenden Einfluß auf uns ausgeübt, vor allem durch seinen vorbildlichen Einsatz als Evangelisator unseres Landes. Aber auch die übrigen Prälaten aus dem Vatikan haben uns nicht gestört.

FURCHE: Die Kirche Lateinamerikas hat ja nicht nur eine neue kirchliche Praxis hervorgebracht, sondern auch eine neue originäre Theologie, die sogenannte Befreiungstheologie. Freilich geben ihre Theologen zu, daß sie dabei viel von manchem europäischen Theologen gelernt haben. Nun hat sich der Papst dieser Theologie gegenüber kritisch geäußert. Wie war die Reaktion Ihrer führenden Befreiungstheologen und jene der Bischöfe?

KARD. LORSCHEIDER: Wir Bischöfe sind hier weitgehend eines Sinnes mit dem Papst. Wir können eine Theologie der Befreiung nicht als authentisch ansehen und bejahen, die in Gewalt endet. Eine Befreiungstheologie, die uns als Instrument der Veränderung unseres Kontinentes die Gewalt empfiehlt, werden wir nie akzeptieren.

FURCHE: Obwohl Papst Paul VI. in seiner Enzyklika „Populorum pro-gressio“ die Gewaltanwendung als einen möglichen letzten Ausweg offen gelassen hat?

KARD. LORSCHEIDER: Ja, offen gelassen als letzten Weg. Aber er sagt doch, daß Gewalt nicht evangelisch ist. Ich glaube, Paul VI. richtig zu interpretieren, wenn ich sage, daß auch er trotz dieses vorhandenen Wortes die Gewalt zutiefst verabscheute.

FURCHE: Wie stehen sie zu Camilla Torres?

KARD. LORSCHEIDER: Niemand in Südamerika hat von Camillo Torres ein klares Bild. Wir müssen eindeutig sagen, daß ein Priester, wenn er unter dieGueriUeros geht, in die Jrre geht. Es kann sein, daß Camillo Torres subjektiv von seinem richtigen Weg überzeugt war. Mitte der sechziger Jahre konnte man ihn sicherlich bei gutem Willen und aller Nachsicht begreifen. Aber heute muß man feststellen, daß sein Weg ein Irrtum war.

Die Befreiungstheologie darf nicht in der Immanenz enden, sondern muß transzendent in ihrer letzten Konsequenz sein. Johannes Paul II. hat die Befreiungstheologie als solche nicht verurteilt. Die Befreiungstheologen sind durch ihn angespornt worden, ihre Theologie weiterzutreiben, und er hat auch ausdrücklich anerkannt, daß von ihr viele notwendige und brauchbare Impulse für die Praxis ausgelöst wurden. Auch wir Bischöfe von Südamerika haben die Befreiungstheologen aufgefordert, weiter zu forschen, sie aber auch gebeten, es in redlicher Communio mit den Bischöfen zu tun.

FURCHE: Die Befreiungstheologen haben also keine Sanktionen zu erwarten?

KARD. LORSCHEIDER: Nein, ich denke gar nicht daran. Wir sind nur am Dialog mit ihnen interessiert, und wir hoffen, auch mit ihnen gemeinsam das Entscheidende für die Kirche Südamerikas tun zu können.

FURCHE: Puebla wird in die Geschichte der Kirche Südamerikas eingehen als der Ort, an dem von den Bischöfen ausdrücklich für die Armen optiert wurde. Wovon wollen Sie die Armen befreien?

KARD. LORSCHEIDER: Unsere Option in Puebla für die Armen war eine grundsätzliche. Wir haben eingesehen, daß die Kirche Jesu Christi eine Kirche der Armen sein muß. Vor allem der Armen. Eine Kirche von den Armen aufgebaut, mit den Mitteln der Armen und geführt von den Armen. Und da meint die Kirche Lateinamerikas, daß die „Basisgemeinden“ ein guter Weg seien. Sie wachsen von Tag zu Tag. Das Markante an ihnen ist ihr Geist, der vom Geist Jesu ist. Dieser Geist ist charakterisiert durch eine militante Öffnung für die anderen. Von ihnen geht auch der Kampf für die Menschenrechte in Lateinamerika aus.

FURCHE: Wie stehen Sie zum Marxismus? Sehen Sie in ihm für Ihren Kontinent eine Gefahr? Ist Kuba als benachbartes Land hier attraktiv oder eher abschreckend?

KARD. LORSCHEIDER: Die Gefahr besteht, aber ich halte sie nicht für so groß. Kuba ist sicher kein attraktives Beispiel. Wir wissen, daß in Kuba keine „paradiesischen Verhältnisse“ herrschen. Südamerika sucht auch politisch, so hoffen wir es zumindest, seine eigenen Wege, und die Kirche wird dabei eine entscheidende Rolle spielen, denn sie hat die schönste und attraktivste Vision vom Menschen. Ich selbst fürchte den

Marxismus nicht. Ich sehe in ihm nicht die eigentliche Gefahr Südamerikas. Ich fürchte nur, daß die Geduld unserer Völker ein Ende finden könnte.

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