Der Kardinal der Armen und Entrechteten

Werbung
Werbung
Werbung

Die Armen haben mich bekehrt": So resümierte Kardinal Aloísio Lorscheider seinen Werdegang vom stromlinienförmigen Bischof zu einem der Befreiungstheologie "Verdächtigen". Denn erst als Erzbischof der Hafenstadt Fortaleza lernte der 1924 geborene, deutschstämmige Franziskaner, das Elend und die große spirituell-politische Kraft der nordostbrasilianischen Armen sehen: Er machte diese zur Quelle seiner eigenen Spiritualität. 1962 war der erst 38-Jährige Bischof von Santo Ângelo in Südbrasilien geworden, 1973 folgte sein Transfer nach Fortaleza. Auch als in Paul VI. 1976 ins Kardinalskollegium berief, war Aloísio Lorscheider einer der jüngsten Purpurträger. Bei den beiden Konklaven des Jahres 1978 galt er als Papabile, die vatikanische Gerüchteküche will wissen, dass er zu den Papstmachern von Johannes Paul II. gehörte.

In Brasilien wurde Lorscheider zusammen mit dem legendären Dom Hélder Câmara und Kardinal Paulo Evaristo Arns zu einem scharfen Kritiker der Militärdiktatur und zu einem Kämpfer für Gerechtigkeit und Menschenrechte. 1971-79 stand er der brasilianischen Bischofskonferenz vor, 1973-79 leitete er auch den lateinamerikanischen Bischofsrat CELAM.

Auch wenn Lorscheider tatsächlich einer der "Papstmacher" von Johannes Paul II. war: Das Verhältnis zum polnischen Pontifex und seinem Glaubenshüter Joseph Ratzinger kühlte sich wegen Lorscheiders Option für eine Kirche der Armen stark ab: 1988 schickte ihm der Papst einen "Mahnbrief". Schon 1984 hatte die Instruktion der von Ratzinger geleiteten Glaubenskongregation gegen die Befreiungstheologie sich auch gegen das theologische Programm von Lorscheider gerichtet. Man habe den Unterdrückten die Stimme geraubt und sie zu Nicht-Menschen erniedrigt, so begründete Lorscheider sein Eintreten für diese Theologie. 1988 begleitete er gemeinsam mit Amtsbruder Arns dem Befreiungstheologen Leonardo Boff zu seinen Vorladungen nach Rom, die zu dessen Maßregelung und in Folge davon zu dessen Austritt aus dem Franziskanerorden führten.

1995 wurde Lorscheider zum Erzbischof des Aparecida bei São Paulo ernannt, sein Weggang aus Fortaleza, einem der Zentren der kirchlichen Bewegung der Basisgemeinden, in den großen, aber "politisch unbedeutenden" Marien- wallfahrtsort wurde von vielen als weitere Maßregelung des "Armenkardinals" interpretiert. Auch nach seiner Emeritierung schwieg Lorscheider keineswegs, 2005 kritisierte er im Vorfeld der Papstwahl die eurozentrische Ausrichtung des Kardinalskollegiums scharf.

Schon seit Jahrzehnten schwer herzkrank erlag der 83-Jährige am 23. Dezember in der südbrasilianischen Heimat seinem Leiden. Mit Aloísio Lorscheider wurde einer der letzten bischöflichen Befreiungstheologen zu Grabe getragen. ofri

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung