Prophet der Armen Lateinamerikas

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Die Stimme des Propheten Dom Helder Camara war schon lange leise. Jetzt ist sie verstummt.

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Die Stimme des Propheten Dom Helder Camara war schon lange leise. Jetzt ist sie verstummt.

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Bereits am Abend des 28. August, dem Todestag des 90jährigen, wurde der Alterzbischof der brasilianischen Erzdiözese Olinda und Recife, Helder Pessoa Camara, in seiner Kathedrale beigesetzt. Der Nuntius zelebrierte den Gottesdienst im Beisein von 40 Erzbischöfen und Bischöfen, der brasilianische Vizepräsident Marco Maciel nahm mit 10.000 Gläubigen am Begräbnis teil. Staatspräsident Cardoso und Papst Johannes Paul II. unterstrichen in Beileidstelegrammen die Bedeutung des Verstorbenen, im Bundesstaat Pernambuco wurde eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.

Wie der von vielen als Prophet Bezeichnete die posthumen Respektbezeugungen gesehen hätte? Die für die Armen bittere Wirtschaftspolitik der Regierung Cardoso, aber auch der konservative Kurs der Kirchenleitung haben den Lebensabend "Dom Helders" überschattet. Die "Neue Zürcher Zeitung" stellte ihn mit Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer, Martin Luther King und Mutter Teresa in eine Reihe.

Der 1909 in eine vielköpfige Familie in Fortaleza Geborene wurde er 1931 zum Priester, 1952 zum Bischof geweiht. 1954 ernannte ihn Pius XII. zum Koadjutor des Erzbischofs von Rio de Janeiro. Schon damals engagierte sich Dom Helder für die Armen und für soziale Gerechtigkeit - Jahre bevor andere die "Theologie der Befreiung" formulierten. In diesen Jahren war er auch an der Gründung der brasilianischen Bischofskonferenz und des lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM maßgeblich beteiligt. 1964, nach dem Militärputsch, wurde er als Erzbischof von Olinda und Recife in die "Armenregion" Brasiliens versetzt.

Beim II. Vatikanum zählte Dom Helder - obwohl er sich nie zu Wort meldete - im Hintergrund zu den Weichenstellern; zu Ende des Konzils titulierte ihn eine Zeitung gar als "den einflußreichsten Konzilsvater". Mit Paul VI. war er befreundet, die Sozialaussagen dieses Papstes gelten als von Dom Helder beeinflußt. In seiner Diözese startete er soziale Projekte und verteilte kirchliche Ländereien an landlose Bauern. Während der Militärdiktatur (1964-85) war er das moralische Gewissen Brasiliens.

Obwohl Dom Helder alles andere als ein Wissenschaftler war, erhielt er mehr als 30 Ehrendoktorate in Theologie, Sozial-, Wirtschaftswissenschaften und Literatur (er verfaßte auch einfache, aber in ihrer Schlichtheit ergreifende Gedichte). Die deutschen Bischöfe schlugen ihn für den Friedensnobelpreis vor, vermutlich aus Rücksicht auf das brasilianische Militär, zu dessen schärfsten Kritikern er zählte, blieb ihm die Auszeichnung verwehrt.

Doch auch in der Kirche wehte zunehmend ein anderer Wind. Dom Helder wurde als "roter Erzbischof" denunziert, der rote Kardinalshut wurde ihm weder von Paul VI., schon gar nicht von Johannes Paul II., der ihn wohl als "Bruder der Armen und mein Bruder" titulierte, überreicht. 1985, nach seiner Emeritierung, setzte Rom einen betont konservativen Nachfolger ein, der die meisten Sozialinitiativen Dom Helders wieder auflöste und die Armen aus dem Bischofspalais, welches dieser für Obdachlose geöffnet hatte, wieder ausquartierte. Dom Helder quittierte alle Fragen zu seinem Nachfolger mit Schweigen.

"Wenn ich einem Hungernden Brot gebe, nennt man mich einen Heiligen; aber wenn ich frage, warum der Hungernde kein Brot habe, nennen sie mich einen Kommunisten": Der Ausspruch Dom Helders hat - auch im Licht der gegenwärtigen sozialen Probleme Brasiliens - nichts von seiner Aktualität verloren. Der Prophet, dessen Stimme schon leise war, ist jetzt verstummt.

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