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Chiles Kirche im Dilemma

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Auf totale Distanz zum Regime General Augusto Pinochets ist Chiles Kirchenführung gegangen. Sie fürchtet eine Aufwertung des Diktators durch den geplanten Papstbesuch.

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Auf totale Distanz zum Regime General Augusto Pinochets ist Chiles Kirchenführung gegangen. Sie fürchtet eine Aufwertung des Diktators durch den geplanten Papstbesuch.

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Anläßlich einer Pressekonferenz in Wien schilderte kürzlich ein chilenischer Vertreter von SERPAJ (sein Name ist der Redaktion bekannt) die gegenwärtige Lage des Landes, wie er sie sieht (SERPAJ ist eine Bürgerrechtsbewegung für gewaltlose Veränderung der Strukturen).

Die allgemeine Not in Chile ist selbst für europäische Notstandsgebiete unvorstellbar. Fabriken gehen in Konkurs, ganze Industrien sperren ihre Tore. Die In-flations- und Arbeitslosenraten steigen steil an. Woher soll das Geld fürs Brot zum reinen Uberleben kommen? Mütter haben keine Milch für ihre Kinder. Die Mißwirtschaft der Militärs feiert Orgien, und das breite Volk hungert.

Die Kirchen bilden Selbsthilfegruppen, um etwas zu produzieren, wie etwa Bäckereien, die für die nähere Umgebung Brot bak-ken, Kleingartenbetriebe, die die Nachbarschaft mit Gemüse versorgen, aber auch Wollwebereien und Kunstgewerbegruppen versuchen mit ihrem Erlös Lebensmittel zu erstehen. In Hunderten Basisgemeinden wird so ganz konkret geholfen. Einer ist für den anderen da und fühlt sich für ihn verantwortlich. Ein ganz neues Verständnis von gelebtem Christentum, das die Bibel jetzt und hier in die Tat umsetzt, breitet sich aus.

Das war nicht immer so. Die ersten Schritte wurden nach der lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Medellin 1968 getan, als man begann, überhaupt einmal das Evangelium zu verkünden und auch die Armen in die Pfarrgemeinden einzubeziehen.

Die nächste große Entwicklungsphase wurde in Puebla 1979 eingeleitet. Basisgemeinden wurden in den „barrios“, den Elendsvierteln, gebildet, erstmals wurden diese Ärmsten der Armen nicht zu gelegentlichen Almosenempfängern, sondern zu mittätigen Subjekten von Gemeinschaften; und immer neue Gruppen schließen sich zu Selbsthilfe und brüderlicher Liebe zusammen.

Die Kirche, seien es Laien aller Gesellschaftsschichten und ein großer Teil des Klerus, unterliegt derzeit, einerseits durch wirtschaftliche Not, andererseits durch die Gedanken der Befreiungstheologie inspiriert, einem tiefen Bewußtseinswandel.

Es ist nur eine natürliche Folge, daß sich auch gewaltfreie Selbst-hüfegruppen gegen Polizeiübergriffe und Staatsterrorismus bilden. Wird ein vermeintlicher Regimekritiker oder Gewerkschafter verhaftet, wird sofort die Nachbarschaft verständigt, und alle Erwachsenen folgen auf die Polizeistation, Nacht- und Nebelaktionen, geheime Terroranschläge und Folterungen werden durch sofortiges lautes Anprangern publik gemacht.

Im vergangenen August lud Kardinal Francisco Fresno Lar-r ain, Erzbischof von Santiago, die verschiedenen Oppositionsführer zu einem Gespräch ein, das zu einer gemeinsamen Erklärung (acuerdo) über die Wiedereinführung der Demokratie in Chile führte. Am 14. November distanzierten sich dann die Bischöfe offiziell von Pinochets Regime.

Doch General Pinochet will nicht auf seine Imagepflege durch die katholische Kirche verzichten. Seit seinem Staatsvertrag mit Argentinien, bei dem der Vatikan zwischen den beiden Parteien vermittelte, hat er einen heißen Draht nach Rom. Wie gut würde dem General ein publicityträchtiger Papstbesuch zu Gesichte stehen.

Die Einladung an den reisefreudigen Papst wurde bereits ausgesprochen. Um seine enge Verbundenheit mit der Kirche Roms zu demonstrieren, hatte Pinochet im Sommer ein Theologentreffen in dem kleinen Ort Los Andes vermittelt, an dem hauptsächlich Europäer, aber auch Amerikaner und Lateinamerikaner teilnahmen, die sich ausdrücklich gegen die Theologie der Befreiung wandten. Eine Grußbotschaft von Kardinal Ratzinger war an diese Zusammenkunft gerichtet.

Weder die Ortskirche noch der Kardinal von Santiago waren von diesem Treffen vorher informiert worden. Ja, die chilenischen Kirchenvertreter distanzierten sich von dieser Konferenz.

In dieser höchst brisanten politischen Lage kann ein Papstbesuch bei Pinochet die Kirche Chiles in eine höchst peinliche und unerwünschte Lage bringen.

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