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Der Pluralismus hat seine Grenze in der Einheit aller Glaubenden

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Der Sekretär der Internationalen Theologenkommission, Msgr. Philippe Delhaye, schrieb im „Osserva-tore Romano“ schon 1976, mehr als ein Jahr, bevor im August 1977 das. Dokument der Kommission „Menschliches Wohl und christliches Heil“ verabschiedet werden konnte, zu deren Entstehungsgeschichte: Schon in den ersten Tagen des Bestehens der Kommission, 1969, wäre ein Thema vorgeschlagen worden, das dann aber erst 1976 behandelt werden sollte und in seiner Formulierung lautete: „Die christliche Erlösung und der Aufstieg des Menschen.“ Hatte man ursprünglich das Thema ganz aus der Sicht des Konzilsdokuments „Gaudium et spes“ betrachtet, wonach der Christ auch das Recht und die Pflicht habe, sich um die Erforschung und Förderung der menschlichen Werte zu bemühen, nahm das Problem bald andere Dimensionen an.

„Es wurde notwendig“, berichtete Msgr. Delhaye, „der Versuchung zahlreicher Priester entgegenzutreten, sich ganz in die Arbeits- und Lebenssituation der Laien zu stellen. In diese Richtung lassen sich übrigens auch die .Kompromisse' mit dem Marxismus einordnen, die, seit damals von einigen Christen vertreten werden.“ Delhaye zitiert ein polemisches Wort: Manche Christen hätten sich nicht nur für die Welt geöffnet, sie sind vielmehr zur Welt übergegangen. Er fährt fort: „In manchen Teilen der Kirche trieb man die Verwirrung bis an die Grenze des Möglichen, als man von Evangelisation zu politischer Tätigkeit oder gar zu revolutionärem Einsatz für die Befreiung überging.“ Hier hätte sich die Kirche und die Mehrheit der Christen gegen die „Exzesse gewisser .Theologen der Befreiung' wenden“ müssen. Es war nun Aufgabe der Theologenkommission, „solche Tendenzen kritisch zu untersuchen und auf der Ebene des .intellectus fidei' und im Lichte des Lehramtes eine zusammenfassende Darstellung über die zweifache Hoffnung der heutigen Christen zu geben. Es geht darum, daß sie wahrhaftig Kinder Gottes sind, ohne aufzuhören, wirklich Menschen zu sein.“

Eine der letzten „Horizonte“-Sen-dungen im ORF hatte die Angriffe einiger „progressiver“ Theologen auf Bischof Hengsbach (Essen) und die Aktion Adveniat in der Bundesrepublik Deutschland aufgegriffen und völlig einseitig informiert, so, als gäbe es im fortschrittlichen Denken der Theologie in Europa und in Lateinamerika (auch auf Seiten der Bischöfe dort) keinen Unterschied mehr zwischen Politik und Pastoral, besser gesagt zwischen der Politik der revolutionären Veränderung und dem Engagement der Kirche für soziale Gerechtigkeit, die wieder mit Befreiung identifiziert wurde.

Bischof Hengsbach wurde als Exponent einer naiven apolitischen Gangart der Kirche in die unmittelbare Nähe von Diktatoren gerückt Theologisch wurde so getan, als ob die Theologie der Befreiung eine geschlossene Bewegung wäre und nicht schon einer ihrer europäischen Ahnväter, Prof. Johann B. Metz, mit seiner „Politischen Theologie“ in vielem korrigiert worden wäre oder sein berechtigtes Anliegen gegen eine extrem am Diesseits uninteressierte Theologie nicht Anerkennung gefunden hätte.

Dabei sind manche dieser theologischen Vorwürfe nur zu verstehen aus einer professoralen Unkenntnis der aktuellen katholischen Sozialarbeit und der Bemühungen der Katholischen Soziallehre, die seit langem auch die „Soziale Frage“ der Zeit jeweils studiert, bis zur Frage des Widerstandsrechtes im Falle schweren sozialen Unrechts. Dazu kommt das immer wieder diskutierte Kapitel der Beziehungen von Staat und Kirche.

Die vielen Strömungen der Befreiungstheologie, die sehr disparat sein können, lassen sich etwa in drei Typen zusammenfassen:

• Mit Schwerpunkt auf der sozialen und politischen Ebene; hier ist die Annäherung an die marxistische Sozialanalyse - Ausbeutung durch den Klassengegner und Aufruf folglich zum Klassenkampf-am weitesten gegeben und auch die theologische Argumentation wird von politischen Parolen bis auf Biblizismen aufgesogen. Der Franzose G. Girardi hat für diese Richtung unmittelbar Pate gestanden. Selbst der Südamerikaner G. Gutierrez, wohl der bekannteste Befreiungstheologe, steht zwar dieser harten Linie nahe, kann aber zumindest von der erklärten Intention her nicht einfach auf diese „Klassen-Theologie“ festgelegt werden.

• Die „Populistische Theologie“ will sich auf die unter der einfachen Bevölkerung verborgen lebendigen sozialen und religiösen Grundwerte rückbesinnen. Daraus sollen aus Basisgruppen oder lebendigen Pfarrgemeinden und darüber hinaus einfach aus dem Volk heilende Strukturen institutionell erwachsen, um die Not zu wenden. Die Befreiung des ganzen Menschen wird betont und so gesucht, die politische Eindimensionalität der Aktion zu vermeiden.

• Die „Theologie der Gefangenschaft“ im Rückgriff auf ein neues Exilbewußtsein versucht im Kampf um ein Minimum an Menschenrecht und Freiheit, Leid und Verfolgung, historisch und biblisch zu interpretieren. Sie setzt auf eine Theologie der Hoffnung und sucht den pastoralen Weg der kleinen Schritte.

Seit der Funke neuer theologischer Ideen von den ersten Vertretern einer „Politischen Theologie“ aus Europa nach Lateinamerika Ende der sechziger Jahre übersprang, ist jedenfalls in die dortige Theologie ein neues Leben eingekehrt. Früher hatte man einfach die europäisch-römische Schultheologie übernommen. In das geistige Unabhängigkeitsstreben dieses Halbkontinents kamen nun auch theologische Kräfte hinzu, die den Banden der Schultheologie entsprungen, um so mehr mit lateinamerikanischem Temperament schöpferisch tätig sein wollten. Pathos trat an Stelle von Präzision, das Wollen nahm wenig Rücksicht auf Wortgeschichten und defini-torische Zweideutigkeiten, die Praxis lief der Theorie davon.

Hier sucht nun das Dokument der Internationalen Theologenkommis-siort behutsam lenkend und korrigierend einzugreifen. Sie will in ihrem Beitrag „Chancen und Gefahren der Theologie der Befreiung“ aufzeigen. Auch Theologie kann die Wurzeln für Armut und Ungerechtigkeit in dieser Welt suchen, sich auf die Seite der Unterdrückten engagiert stellen. Die Grenze liegt aber in einer verkürzten Politisierung von Theologie und Kirche. •

Theologie ist eben mehr als nur Einsatz für die Not der Armen. Heilsgeschichte darf nicht in Profangeschichte verkürzt werden. Politische Konfrontation darf nicht dazu führen, daß Frieden und Versöhnung nicht mehr das oberste Ziel christlichen Handelns bleiben. Politik ist für den Christen Dienst und Mittel und nie Endzweck. Mag Theologie zurecht auf Praxis hingeordnet sein, in erster Linie geht es ihr um ein tieferes Verständnis des Wortes Gottes. Da sich aus theologischen Prinzipien keine konkreten politischen Maximen ableiten ließen, käme es ja zu einer oft unre-flektierten Übernahme von sozial wissenschaftlichen Hypothesen und Analysen in der Theologie der Befreiung. Ausdrücklich nennt die Kommission hier ablehnend die marxistisch-leninistische Gesellschaftsanalyse!

Die Kommission entwickelt dann hermeneutische Grundätze bei der Berufung für politisch-theologische Gedanken auf die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments und der Aussagekraft der biblischen Stellen für das Verhältnis von Wohl und Heil. Im abschließenden systematisch-theologischen Teil wird Gott als der Befreier und das befreiende Tun des Menschen sowie die konkrete Verhältnisbestimmung zwischen menschlichem Wohl und göttlichem Heil untersucht, schließlich der Auftrag der Kirche beim Verhältnis von Wohl und Heil.

Die Kirche darf weder mit einem gesellschaftlich-politischen System verwechselt oder identifiziert werden, noch sich in einen völlig apolitischen Bereich zurückziehen! Für den Aufbau und die Gestaltung der politischen Ordnung sind die Laien besonders aufgerufen, doch hat der politische Pluralismus seine Grenze in der Einheit aller Glaubenden. Die ganze Kirche aber ist aufgerufen, wo es um die elementaren Menschenrechte und die Menschenwürde geht, ihre Stimme zu erheben zum gemeinsamen Zeugnis. Eine exklusive politische Option namens der Kirche würde aber gegen das Wesen der Kirche sein.

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