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Revolution in Frieden?

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Die Zeichen der Zeit erforschen und sie im laicht des Evangeliums deuten ist eine sehr schwierige Aufgabe, insbesondere für die Christen Lateinamerikas. Die Schwierigkeit liegt paradoxerweise nicht so sehr bei der soziologischen Analyse als bei der theologischen Antwort. Wie ist 'die soziale Revolution im Lichte der Theologie zu beurteilen? Wie soll die Neubesinnung der lateinamerikanischen Kirche im Lichte des Zweiten Vatikanums und der konziliaren Theologie vor sich gehen? Diese Fragen drängen sich nach dem Abschluß des 39. Eucharistischen Weltkongresses in Bogotä und der Eröffnung der zweiten Plenarsitzung des lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) geradezu auf. Es gibt nicht wenige Beobachter, die der Meinung sind, der Papst habe die Beratungen der CELAM-Konfe- renz durch seine Eröffnungsrede in eine bestimmte Richtung weisen wollen. Nicht zuletzt zwängten zahlreiche Reden des Papstes während seines dreitägigen Aufenthaltes in der kolumbianischen Hauptstadt die revolutionären Kleriker in ein geistiges Korsett. Welchen Weg werden sie nun einschlagen? Haben die Worte des Papstes ihre Wirkung verfehlt?

Priester als Revolutionäre

Tradition in der bewegten Geschichte Lateinamerikas. Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß die große Nation der Geschichte vielfach aus Revolutionen entstanden, sei es nun die Französische oder die Russische Revolution. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) sind aus einer blutigen Revolution hervorgegangen, wenn diese auch andere gesellschaftliche Merkmale aufwies als die beiden obengenannten. Wie wir aus der Geschichte wissen, wurden die Länder Latein- amęrjkąis (. seit den , Aijf.ärigen;

19. Jahrhunderts von Unabhängigkeitskriegen erschüttert Zahlreiche Priester fühlten sich berufen, aktiv an diesen Kämpfen teilzunehmen und sich die Gefühle des unterdrückten Volkes zu eigen zu machen, und dies selbst auf die Gefahr hin, sich kirchlich zu kompromittieren, was sie um der Sache der Gerechtigkeit willen auf sich nahmen. In Kolumbien beispielsweise nahmen ungefähr 400 Priester als aktive Führer an den Unabhängigkeitskriegen teil. Pater Ingnacio Marino OP., der kam, um Generalkaplan des Befreiungsheeres zu sein, vereinigte sich 1812 mit den Kriegern, die in den Ebenen von Casanare für die Unabhängigkeit Kolumbiens kämpften. Sein Betragen gab zu Kontroversen Anlaß, da man der Ansicht war, er schulde dem von ihm sehr geliebten Souverän Fernando VII. Gehorsam. Trotzdem folgte er seinem Gewissen, das ihn zum Kampf für die Unabhängigkeit verpflichtete. Nachdem die Befreiungstat vollbracht war, kehrte er zurück, um seine Seelsorgeaufgaben wiederaufzunehmen, und starb als Pfarrseelsorger. Heute betrachten nicht wenige Menschen

Marino als einen großen Unabhängigkeitshelden wie auch die Priester Hidalgo und Morelos, Väter der Unabhängigkeit Mexikos, die um ihrer Taten willen der Exkommunikation verfielen. Pater Tisnes meinte kürzlich dazu: „Heute, mehr als 100 Jahre

später, und im Liohte der Geschichtskritik haben solche Strafen keine Grundlage mehr, da sie deswegen verhängt wurden, weil man für die Unabhängigkeit Jei®s 1 įkandės

kämpfte und die Waffen ergriffen hatte, um sein Ziel zu erreichen. Was das erste anbelangt, so liegt darin kein Verbrechen und keine strafbare, sondern eine ruhmreiche Handlung. Und was das zweite betrifft, gelangen die Moralisten dazu, es als erlaubt zu erklären, selbst wenn es sich um Kleriker handelt.“

Die Franziskaner wurden aus Uruguay ausgewiesen, weil sie den Befreiungskampf von Artigas unterstützten. P. Martin Delgado aus San Salvator war der Führer der Befreiungskämpfe in Mittelamerika. Er und viele andere bis in unsere Tage herein — Camilo Torres zum Beispiel — nahmen es auf sich, vor das Dilemma gestellt zu sein, entweder den kirchlichen Normen zu gehorchen oder aber der Sache der Freiheit zu dienen. Was muß die Antwort des heutigen Christen in Lateinamerika sein angesichts der revolutionären Bewegung, die die Befreiungstat zu einem krönenden Abschluß bringen will, nicht mehr auf rein politischem Felde, sondern im gesellschaftlichen und kulturellen

Bereich, der die Grundlage zu wahrer Freiheit und Gerechtigkeit ist?

Nein zur Gewalt

Die Antwort des Papstes ist jedenfalls ein. klares Nein zu jeder Gewaltanwendung. Dies geht aus

dem Studium seiner Reden in Bogotä eindeutig hervor. Mit dieser Hgįgįigggy stellt sic g uLMKI im Gegensatz zu seiner am 26. März des V #Jäftt®sr! vetrö ff®tehted'-''-Sözial-

enzyklika „Populorum progressio“. Denn dort sieht er die Revolution ausdrücklich als nicht unberechtigt an „im Fall der eindeutigen und lange dauernden Gewaltherrschaft, die die Grundgesetze der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl des Landes gefährlich schadet“ (Nr. 31). Dem Wort „progressio“ entgegengesetzt, tat der Inhaber des obersten kirchlichen Lehramtes einen Schritt zurück. Unbeschadet der Ansicht vieler Experten, die der Meinung, daß für Lateinamerika eine „Revolution in Frieden“ einer „Revolution der Gewalt“ vorzuziehen sei. Alle jene Kritiker des

Papstes, die meinten, nicht zuletzt im Bezug auf seine Sozialenzyklika, er höre nur noch mit dem linken Ohr, mögen beruhigt sein. Paul VI. hört — was übrigens unschwer zu belegen ist — fast ausschließlich nur noch mit dem rechten Ohr. Diese Entwicklung begann spätestens mit dem von ihm zum Abschluß des „Jahres des Glaubens“ gesprochenen „Credo des Gottesvolkes“ und setzt sich über die Enzyklika „Humanae vitae“ bis zur Eröffnungsrede der CELAM-Konferenz fort. Diese Rede geht aber noch weiter, denn sie läßt jeden konziliaren Geist in der Pluralität philosophischer und theologischer Schulen vermissen. Sie spricht vielmehr einer Restaurationstheologie der Neoscholastik das Wort. Wie sollen sich aber die Kleriker mit der modernen Welt und ihren philosophischen Strömungen auseinandersetzen, wie sollen sie in echten und fruchtbringenden Dialog mit der „Welt“ eintreten, wenn sie von den „Modephilosophien“ nichts gehört und gelesen haben? Berechtigt ist gewiß die Absicht des Papstes, manche Theologen in die Schranken zu weisen. Nicht zuletzt aber erhebt sich die Frage, ob es bei den bescheidenen innerkirchlichen Erneuerungsversuchen in Lateinamerika nicht angebracht sei, eher das Fehlen fortschrittlicher Theologen zu beklagen.

Nur Trost für die Armen?

Auch den Campesinos, die zum Teil unter unmenschlichen Bedingungen als Bauern, Kleinpächter, Landarbeiter und Plantagenknechte ihr Leben fristen, predigte Papst Paul VI. Gewaltlosigkeit. Beschwörend, als ob bei seinen Zuhörern der Gedanke an bewaffneten Aufstand sohon vorhanden und mächtig sei, redete er ihnen ins Gewissen, warnte vor den Folgen der Gewalt, die nur größeres Elend, Hunger und Unterdrückung bringen könne. Er ermahnte sie, alle Mittel zu nutzen — Organisation, Erziehung, Fortbildung, Zusammenarbeit, Technik —, um ihr wirtschaftliches und soziales Elend zu überwinden. Er ver- spaąeh ihneiK0ne Kirche, die mutig.

isches Beispiel der Opferbereitschiaft geben werde. Doch schließlich konnte er nicht umhin, Armut als eine Eigenschaft zu preisen, welche die Pforten des Lebens nach dem Tode öffnet. Sicher werden nun viele — nicht zuletzt manche junge Kleriker — der Ansicht sein, diese Passage der Papstrede auf dem Hirtenfeld sei ein Rückfall in die Sprache jener Zeit, da die Kirche noch Verbündete der Reichen und Mächtigen war, und den Armen und Schwachen zum Trost Erlösung nach dem Tode versprach. Soll das weiterhin, trotz allen Fortschritts, die letzte Wahrheit, das letzte Angebot sein?

Skepsis für die Zukunft

Zwei Tatsachen charakterisieren hinreichend die offiziellen Veranstaltungen des Kongresses: Einerseits die würdige und aktive Mitfeier der Gläubigen bei den liturgischen Feiern, anderseits die totale Absenz der Laien in den Leitungsgremien und in den Veranstaltungen. Diese fehlende Mündigkeit der Laien wie übrigens auch die in Bogotä merhfach beklagte Intoleranz der Katholiken gegenüber den übrigen Christen und Nichtchristen belasten die schwere Hypothek, den Weg der Kirche Lateinamerikas in die Zukunft.

Abschließend noch einige Bemerkungen zur Beurteilung der sozialen Revolution durch die Theologie. Revolutionen zugunsten des Gemeinwohles werden von nicht wenigen Bischöfen und Theologen der Dritten Welt gutgeheißen. In einer vor kurzem veröffentlichten Verlautbarung erklärten sich 17 Bischöfe, darunter neun mit dem Sitz in Lateinamerika, mit dem oben zitierten Satz einverstanden (vergleiche El Catolicismo, deeano de la pensą colombiana, Epocha VII, Nr. 1190,8. Oktober 1967). Wie sie weiters sagen, sind die Armen der Dritten Welt das eigentliche Proletariat der Menschheit. Sie werden von den großen Mächten der Welt ausgebeutet, und ihre Existenz wird von denen bedroht, die sich zu Richtern und Polizisten der Armen auf- spielen, nur darum, weil sie mächtig sind. Nach Ansicht dieser Bischöfe

kann die Kirche nicht alle Revolutionen verurteilen. Vielmehr müsse sie jene Menschen unterstützen, die sich für die Sache der Gerechtigkeit einsetzen, obgleich sie sich mit keinem politischen oder ideologischen System verbünden darf. Dieselben Bischöfe ermuntern die Katholikfen, die Zeichen der Zeit zu entziffern und die mächtige Hand Gottes in denjenigen Ereignissen zu erblicken, die von Zeit zu Zeit den Mächtigen absetzen und den Armen erheben.

Gewiß ist es nicht leicht, die Lehre über die revolutionären Umbrüche auf eine bestimmte Gesellschaft oder einen bestimmten Fall anzuwenden. Die Revolutionen sind nicht schon von Anfang an radikal und tiefgreifend; sie nehmen auch nicht in einem deutlich bestimmten Zeitpunkt Gestalt an und geben sich auch nicht unzweideutig als Revo- lutionen zugunsten des Gemeinwohles zu erkennen. Ob sich der Wunsch des Papstes nach einer „Revolution in Frieden“ für Lateinamerika erfüllen wird, scheint ungewiß. Ebenso ungewiß ist es, ob die christliche Sozialreform — die sich vorwiegend von europäischen Denkmodellen ableitet — sich in den 22 Staaten dieses Subkontinents realisieren läßt. So ist die Skepsis zu verstehen, die auch nach den erhebenden Tagen des 39. Eucharistischen Weltkongresses in Bogotä nicht genommen, sondern eher noch verstärkt wunde.

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