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Eine völlige Trennung

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In Uruguay sind Staat und Kirche reibungslos in solchem Grade getrennt, daß „Weihnachten“ „Tag der Familie, und Ostern „Reisewoche“ heißt. Die größte Zeitung „El Dia“ ist so kirchen-femdlich, daß sie das Wort „Diös“ (Gott) klein druckt und über das Konzil kein Wort berichtet. Es gibt die totale Scheidung auch ohne Verschulden, sogar „auf den bloßen Willen der Frau“. Die katholischen Schulen arbeiten ungehindert. Die Universität ist antikirchlich eingestellt, eine katholische Hochschule gibt es nicht. In Chile, wo es sie gibt, werden sogar an manchen Staatsuniversitäten die Professuren paritätisch unter „Klerikalen“ und „Freimaurern“ verteilt.

Beten für „Papa Doc“!

Von den weltanschaulichen Gegensätzen sind die innerpolitischen zu trennen. Sie waren im Laufe der letzten Jahrzehnte so scharf, daß in manchen Staaten, zum Beispiel in Mexiko, den Geistlichen jede politische Meinungsäußerung verboten ist.

Der schwerste Konflikt in dieser Richtung besteht zur Zeit in der kleinen mittelamerikanischen Negerrepublik Haiti. Präsident Francois D u-v a 1 i e r hat drei Bischöfe und zahlreiche Priester deportieren oder verhaften lassen. Er wirft dem Klerus vor, seine politischen Gegner zu bekämpfen, und will offenbar auch die Zauberriten alter afrikanischer Magie erhalten. Er hat ein Dekret erlassen, nach dem die Priester, die nicht frei-

willig oder unfreiwillig abgereist sind, in die Sonntagsmesse ein Gebet für „Papa Doc“ — so ist sein Spitzname — einschließen müssen.

In der Dominikanischen Republik ist gerade eine Krise zwischen Staat und Kirche vermieden worden. Man sprach wieder einmal von der „Vertreibung der Jesuiten“, weil ein Mitglied dieses Ordens, Pater Lautico G a r c i a, fast die Wahl des Präsidenten Juan Bosch mit der Behauptung, dieser sei „marxistischer Leninist“, verhindert habe. Die Bischöfe hatten „strikte Neutralität“ angeordnet. Die Kirche bemüht sich, trotz mancher Provokationen, mit dem jeweiligen Machthaber auszukommen. Das beweist der Vatikan zur Zeit am deutlichsten mit seiner Haltung zu Kuba. Kurz nach der Revolution ernannte der Papst Parteigänger Fidel Castros zu Bischöfen. Präsident Dorticös erklärte, die Beziehungen zur Kirche könnten nicht besser sein. Dann mußte der Kardinal Arteaga in der argentinischen Botschaft in Havanna Asyl suchen. Der Hilfsbischof (Monsignore Eduardo Boza M a s v i d a 1) und andere Priester wurden wegen „kontrarevolutionärer Tätigkeit“ verhaftet oder ausgewiesen. Für sechseinhalb Millionen Kubaner wirken noch 125 Geistliche von 700. Trotzdem vermeidet der Vatikan den Bruch mit Castro. Trotz der Protesttelegramme der Gegenrevolutionäre aus Miami hat der Papst den fidelistischen Botschafter Amadeo Blanco freundlich empfangen

und ihm außer einem netten Brief noch drei Erinnerungsmedaillen an das Konzil für Dorticös mitgegeben.

Ähnliche Probleme ergaben sich für Argentinien. Als Perön an die Macht kam, waren seine Beziehungen zur Kirche herzlich. Sie verschlechterten sich immer mehr, bis er die Scheidung einführte und Kirchen in Brand

gesteckt wurden. Der Vatikan vermied den Ausschluß Peröns aus der Kirche. So kann der Erzbischof von La Plata, Monsignore Plaza, weiter offene Propaganda für die Rückkehr Peröns treiben, wenn es. d^r Papst, jetzt, auch abgelehnt hat, zwei prominente Pero-nisten (Dr. M a t e r a und Jorge A n-t o n i o) — auf dem Rückwege von dem exilierten Ex-Diktator in Madrid nach Buenos Aires — in Rom zur Privataudienz zu empfangen.

Brasilien und das Agrarproblem

Von ausschlaggebender Bedeutung im Kampfe gegen den Fidelismus und damit den Kommunismus auf dem lateinamerikanischen Halbkontinent ist die Rolle der Kirche in Brasilien. Der Gefahrenherd liegt in dem nordöstlichen Hungergebiet, in dem die Bauernligen zur klassenkämpferischen Revolution aufrufen. Ihr Führer, Doktor Francisco J u 1 i a o, der „brasilianische Fidel Castro“, und nationalistische Priester, die in den Ligen starken Einfluß haben, bestreiten die kommunistische Orientierung ihrer Bewegung.

Im Mai 1962 erklärte der — in Brasilien sehr bekannte — Pater Antonio M e 1 o vor einem Parlamentsausschuß in Brasilia, die Regierung könne eine blutige Revolution nur vermeiden, wenn sie die Landteilung zur Agrarreform binnen zwei Monaten durchführe. Der Pater Alipio de F r e i t a s ist gleichzeitig Lehrer an der katholischen Universität des Staates Maran-hao und Sekretär der dortigen Bauernliga. Dr. Juliao glaubt, daß die Mitarbeit dieser Priester die Kirche an einem echten Widerstand gegen seine etwaige Revolution hindern würde. Aber diese linksnationalistischen Priester sind Außenseiter. Noch mehr freilich ist es — auf der Rechten — der Erzbischof von Diamantina, Sigaud, der auf einer Pressekonferenz in Rom die von einem Konservativen durchgeführte musterhafte Agrarreform im Staate Sao Paulo „links-revolutionär“ nannte.

Die acht Priester, die Ende Februar im neuen brasilianischen Parlament sitzen werden, gehören fast allen Parteien, von der äußersten Rechten, der UDN bis zu Goularts Arbeiterpartei, an. Aber in der entscheidenden Frage, daß die aus der Kolonialzeit überlieferte Agrar- und Wirtschaftsstruktur beseitigt werden muß, um eine blutige Revolution auf dem ganzen Kontinent zu vermeiden, sind Kennedys Berater die Kirche und die Goulart-Regierung einig.

So proklamierten die drei brasilianischen Kardinäle und vier Erzbischöfe (im Juli 1962) als offiziellen Standpunkt der Kirche, daß die Regierung die „notwendigen Reformen“ — auf dem Gebiete der feudalistischen Agrarstruktur, des Steuerwesens, der Universitäten, des Wahlrechts und der Verwaltung — nicht verschieben dürfe. „Die Reichen müssen begreifen, daß Egoismus und Ausbeutung ihren eigenen Selbstmord bedeuten“ ... sagt die Erklärung. Ähnliche Proklamationen wurden vom Klerus in Kolumbien, Venezuela und Mexiko erlassen. Unter

dem Einfluß der Enzyklika „Mater et magistra“ rückt die Kirche in ganz Lateinamerika von der „Oligarchie“ ab und fordert — im Sinne von Kennedys „Allianz für den Fortschritt“ — eine ec^jtflt)Agj(a,i;.Teform, freilich^ -fciHP Gegensatz zu den Fidelisten — mit „angemessener Entschädigung“ bei Enteignungen.

Die entscheidende Wendung in der politischen Rolle der Kirche besteht also darin, daß sie ihren großen Einfluß aufzuwenden beginnt, um die „Oberschicht“ zu einem „biegsamen Kapitalismus“ zu veranlassen, bei dem digse etwas abgibt, um nicht alles zu verlieren.

Krieg im Äther

In Peru sollten in diesen Monaten 10.000 aus der ganzen Welt gestiftete Rundfunkempfänger — außer Schreibheften und Bleistiften — in ebenso viele Ortschaften oder Häuserblocks verteilt werden. Sie sind fest auf die Welle der Rundfunkschule eingestellt.

Eine dieser Sendestationen wird vom bischöflichen Palais in Puno am Titi-cacasee aus betrieben. Sie überträgt auch echten Kirchenfunk oder weltliche Tanzmusik, vor allem aber von sech bis sieben und von 17 bis 18 Uhr ABC land- und hauswirtschaftlichen Elementarunterricht auf spanisch und in beiden Indiosprachen aymara und quechua. Dagegen greifen diese Sender nicht in den politischen Kampf ein.

Das tut eine andere Gruppe von Rundfunkstationen, für die „Pius XII“ in der größten bolivianischen Zinnmine „Siglo XX“ ein typisches Beispiel liefert. Dort sind die Kommunisten stärker als die Parteigänger der nationalrevolutionären Regierungspartei. Der Sender der kommunistischen Gewerkschaft „Die Stimme des Minenarbeiters“ wird unweit von dem kirchlichen betrieben. Er verglich die Leiter des kirchlichen Senders mit Hunden und verlangte die Vertreibung aller ausländischen Geistlichen. Während eines Generalstreiks zwangen die Kommunisten den kirchlichen Sender mit Gewalt, ihre Sendung zu übernehmen, und verbrannten eine Puppe, die den Leiter der feindlichen Station darstellte. Katholische Arbeiter schützten ihren Sender und verhinderten einen Sabotageakt.

Angesichts der rotchinesischen Kurzwellensendungen, die auch in der Indiosprache quechua ausgestrahlt werden, dürfte der Radiokrieg in den Indiozonen zu den wichtigsten Aufgaben der Kirche in Lateinamerika gehören.

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