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Ein doppelter Rückschlag

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Die Staatsstreiche in Argentinien und Peru bedeuten für die „Allianz für den Fortschritt“ — und damit für die panamerikanische Politik der Vereinigten Staaten — einen doppelten Rückschlag. Sie beseitigten gerade die Kräfte, auf die Washington sish stützte.

Anderseits gehört die Demokratisierung des Kontinents zu den Hauptzielen der „Allianz“, weil die Unterdrückung durch eine Militärdiktatur den geeigneten Boden für die klassen-kämpferiische Revolution bildet. Schließlich erscheint die ganze Planung außer jedem Verhältnis zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten der einzelnen Länder zu stehen. In zehn Jahren sollten 100 Milliarden Dollar aufgebracht werden, um das wirtschaftliche Niveau der lateinamerikanischen Masse von dem des Elends auf das des Mittelstandes zu heben. Von diesem Betrage sollte im Rahmen der Entwicklungshilfe 2 Milliarden Dollar von USA und den anderen kanitalstarken Ländern des Westens aufgebracht werden.

Schon dieses Ziel wird nicht annähernd erreicht, da der Kongreß nur Je 600 Millionen Dollar für die nächsten 4 Jahre bewilligt hat. Vor allem wirkt aber die Vorstellung, daß zum Beispiel Argentinien Hunderte von Millionen Dollar für das Entwicklungsprogramm aufwendet, grotesk, da die Argentinier selbst alle entbehrlichen Privatgelder auf nordamerikanische Bankkonten in Sicherheit bringen und die — bis zur neuen Hilfe aus Washington — noch vorhandenen Staatsgelder nicht einmal reichen, um die Beamtengehälter und Pensionisten zu zahlen, die seit Monaten rückständig sind.

So kommt es, daß 10-Jahres-Ent-wicklungspläne bisher überhaupt nur von Bolivien, Kolumbien und Chile vorgelegt worden sind.

Bolivien hat aber die Agrarreform schon 1953 verwirklicht und sein Entwicklungsplan lag schon der Konferenz von Punta del Este im vorigen Jahr fertig vor.

Anstatt der ordnenden Wirkung, die auf dieser Konferenz als Folge der „Allianz“ erwartet wurde, hat sich das Chaos völlig unabhängig von ihr gesteigert. Der argentinische Wirtschaftsminister, Ing. Alvaro Alsogaray, ist zwar mit der Zusicherung, bis Jahresende über 500 Millionen Dollar verfügen zu können, aus Washington zurückgekehrt. Er hat aber als erste Reaktion einen 4 8 stündigen Generalstreik erlebt, der von den Gewerkschaften als Erfolg, von der Regierung als Mißerfolg dargestellt wird, der aber jedenfalls 75 Prozent der Industrie lahmgelegt hat.

Er war ein Beweis dafür, daß die — sonst gespaltenen — Kräfte der Arbeiterschaft eine nochmalige einjährige Austerity-Politik um so mehr ablehnen, als die hinter ihr stehenden politischen Kräfte in den Untergrund getrieben werden.

Dr. Frondizi hat auf der ersten Pressekonferenz, die er als Gefangener der Generäle auf der Insel Martin Garcia unter der Bedingung geben durfte, daß er zur gegenwärtigen Lage nicht Stellung nimmt, erklärt, daß er sich weiter als Präsident betrachte. Gleichzeitig haben Abgeordnete seiner Partei, der UCRI (Union Civica Radical Intransigente) und Peronisten an „irgendeinem Punkt von Buenos Aires“ gemeinsam den Parlamentariereid auf die Verfassung geleistet, als ob die Wahlen nicht durch die von den Generälen erzwungenen Dekrete annulliert worden wären. Der Arzt Doktor Frondizis, Dr. Jacobo Gringauz, traf an demselben Tage mit einem privaten Motorboot illegal an der uruguayischen Küste ein, an dem der peronisrische Koordinationschef, Ing. Iturbe, gehindert wurde, das Flugzeug zu einer Reise nach Montevideo zu besteigen.

In Montevideo fanden Besprechungen statt, die auf eine Zusammenarbeit eines Teiles der Frondizi-Radi-kalen mit den Peronisten zielen. Die führende Persönlichkeit dieser Bewegung ist Rogelio Frigerio, ein reicher Unternehmer aus Buenos Aires, der schon 1958 den Geheimpakt zwischen Peron und Frondizi zustandegebracht hat und dessen Rat es zu danken war, daß Frondizi die Peronisten zu den letzten Wahlen wieder zuließ, eine Haltung, deren unerwartete Folgen dann zu seinem Sturz führten. Frigerio reist durch die amerikanischen Hauptstädte, um eine panamerikanische Aktion für die Befreiung Dr. Frondizis zu organisieren.Gleichzeitig bemüht sich in Buenos Aires der frühere Präsident der provisorischen Revolutionsregierung, General Aramburu, darum, bei den nächstjährigen Präsidentschaftswahlen als „nationaler Kandidat“ aufgestellt zu werden und hierfür auch Stimmen der Peronisten zu gewinnen. Die interessanteste Entwicklung ergibt sich aber aus dem seit Jahren gefürchteten

Bündnis zwischen Kommunisten und Peronisten. Die Gefahr liegt vor allem darin, daß Fidel Castro unter dem Druck aus Moskau seine Abneigung gegen Peron überwindet und Peron als Statthalter einer gemeinsamen antiimperialistischen Front mit Rückendeckung in Moskau und Havanna auftreten könnte.

Während Peron in Spanien erklärt. Argentinien werde sich bald in ein Chaos verwandeln und damit ihm den Weg zur Rückkehr öffnen, hat in Moskau der argentinische Kommunistenführer Alfredo Varela gesagt, daß viele Peronisten an der argentinischen Delegation zu dem sogenannten Frdedensweltkongreß in Moskau teilgenommen hätten und zu einem Abkommen mit den Kommunisten gelangt seien. Er sagte, daß die Einigkeit die klassenkämpferische Revolution vorbereite und daß beide „gemeinsam das Leben den Kriegsfreunden schwierig machen würden, die die Nation ausraubten... wie der Internationale Weltwährungsfonds und die Allianz für den Fortschritt...“

Während die Bezeichnung „Kriegs-freunde“ für die Allianz für den Fortschritt grotesk ist, hat der Kommunistenführer mit der Erwähnung des Internationalen Weltwährungsfonds den wunden Punkt der nordamerikanischen Position berührt. Auch Washington macht die eigenen Darlehen davon abhängig, daß die lateinamerikanischen Regierungen die wirtschaftlichen Richtlinien dieses Fonds akzeptieren. Entsprechend dieser Politik hatten alle lateinamerikanischen Staaten die dirigierte Wirtschaft abgeschafft. Dagegen hat nur ein Teil der Länder das in ihnen vorgeschrieben Einfrieren der Löhne vorgenommen.

In der Tat kann man einen Kontinent nicht wie eine Aktiengesellschaft sanieren, ganz abgesehen davon, daß auch dort die Aktionäre und nicht die Arbeiterschaft die Zeche zu zahlen haben.

In Argentinien wird Aramburu besonderen Schwierigkeiten begegnen, wenn er sich mit Alsogaray verbündet, dem Mann, den man als Vollstrecker des Währungsfonds — trotz seiner emsigen Rundfunk- und Fernsehtätigkeit — haßt.

In Brasilien soll die neue Regierung des Premierministers Brochado da Rocha entgegen den Richtlinien des Fonds zur dirigierten Wirtschaft, insbesondere der Devisenbewirtschaftung [vätf er*er ^felzahl^m Wftsik'fma , gIeTc1iz$f|ger Abwertung cles Criizeifos zu^ckkenreh wolIöTÜorT wSken*>äie Generäle, die erst nach dem Rücktritt von Quadros die Verfassungsänderung erzwungen haben, ietzt als Vermittler zwischen Regierung und Parlament. Während prominente Rechtspolitiker, wie der Gouverneur Carlos Lacerda und der frühere Gouverneur von Sao Paulo, Adhemar de Barros, erklären, daß die Regierungskrise einen Linksputsch vorbereite, klagte der Außenminister Alfonso Arinos die Rechte an, das brasilianische Volk zur Ord-nungslosigkeit zu führen.

Die brasilianischen Generäle bejahen wie die Kirche die sofortige Annahme der Sozialreformen, um die kommunistische Gefahr zu mindern.

Die peruanischen Generäle haben als erste Unterstützung die der Kommunisten erhalten. Der Präsidentschaftskandidat der sogenannten Befreiungsfront, General Pando, hat einigen bekannten Moskauer Agenten gleich nach dem Putsch eine feierliche Solidaritätskundgebung im Präsidentschaftspalais abgegeben. Das hat die Putschregierung freilich nich,t gehindert, den ~ Pater Salomon Bolo, den engsten Mitarbeiter Pandos, und drei andere international bekannte kommunistische Aktivisten bei der Rückkehr von dem Moskauer sogenannten Weltfriedenskongreß nicht wieder in Peru landen zu lassen und an Bord des Flugzeuges, mit dem sie eintrafen, bis Amsterdam zurückzuschicken.

Die Militärregierungen unterdrücken zwar den Kommunismus und andere ihnen feindliche politische Kräfte, schaffen aber damit gerade die Voraussetzungen für ihre klassenkämpferische Revolution. Expräsident Fron-dizi erklärte bei der Pressekonferenz, daß der Westen bei dem Wettlauf mit dem Kommunismus in Lateinamerika zurückbliebe. In der Tat sind die Putsche ein Geschenk an Chruschtschow.

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