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Die 39. Revolution

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zösischen Arbeitnehmers geht. Die sogenannte „direkte Demokratie“ ist keineswegs in der Lage, den direkten Weg zum Streikabbruch ausfindig zu machen, im Gegenteil: die Ausmerzung intermediärer Institutionen bringt eine Verarmung der Kontakte im sozialen Leben der Nation, die die Anbahnung von Verständigungen eher erschwert. Gerade dem fehlenden Kontakt zwischen Paris und den Grubenarbeitern ist es zuzuschreiben, daß der Regierung schwere Schnitzer in der Beurteilung der Lage unterliefen. Dieser Umstand mag de Gaulle auch bewogen haben, auf ein persönliches Eingreifen am Fernsehschirm zu verzichten. Selbst die fünfzig Bergarbeiterfrauen, die den General im Elysee-Palast über ihre familiären Budgetsorgen unterrichten wollten, mußten unverrichteterdinge und bitter entttäuscht zu ihren streikenden Männern zurückkehren.

Die Kraftprobe bestanden?

Der unentschiedene Ausgang dieser ersten schweren Kraftpobe zwischen den Gewerkschaften und der Regierung in der Fünften Republik muß im Elysee ernste Zweifel hervorgerufen

haben, ob dem Regime in diesem Kampf ein ähnlicher Sieg winkt wie gegen die Armee und die traditionellen Parteien. Im gaullistischen Parteiblatt „La Nation“ fand sich zwar am Dienstag ein fragmentarisches Dreipunkteprogramm über die Konsequenzen aus diesem Sozialkonflikt, das sehr leicht als Grundlage zu einer neuen Gesetzgebung für die Gewerkschaften und ihr Streikrecht verstanden werden könnte. Die „Entpolitisierung“ der Gewerkschaften und ihre Umbildung in reine Berufsverbände im funktionalen Rahmen eines Korporationsstaates gehört zu den Lieblingsvorstellungen des frühen Gaullismus. Eine andere Frage ist allerdings, ob sich die von früheren Republiken übernommenen Bastionen selbstbewußten Arbeitnehmertums in diesem Konflikt als sturmreif erwiesen haben. Die erstaunlich geschlossene Front der vier Grubenarbeiter-Gewerkschaften unter der geschickten Führung der Kommunisten läßt diese gaullistische Hoffnung zumindest als spekulativ erscheinen.

Schatten der Zukunft

Und als dritte Lehre ergibt sich für

Regierung und Gewerkschaften die Einsicht, daß die Probleme der französischen Energiewirtschaft nun nicht mehr länger auf die lange Bank geschoben werden können. Die in den ersten Monaten nach der Liberation geradezu als „Helden der Arbeit“ gefeierten französischen Grubenarbeiter werden im Verlauf ihres Streiks mit Bitterkeit zur Kenntnis genommen haben, daß die französische Wirtschaft ihrer opfervollen Anstrengungen kaum mehr bedarf. Andere Energiequellen und die viel billigere amerikanische Kohle haben die Versorgungslücke fast reibungslos zu schließen vermocht. Man wird um die Schließung unwirtschaftlicher Gruben nun nicht mehr herumkommen. Vermutlich wird sich die Hälfte der französischen Grubenarbeiter bis zum Jahre 1970 nach anderen Beschäftigungen umsehen müssen. Aber dieser Umbruch in der französischen Energieversorgung wirft natürlich gewaltige Probleme auf, über die nun gesprochen werden muß, wenn man einer Wiederholung derartiger Sozialkonflikte in naher Zukunft mit den zur Verfügung stehenden Mitteln vorbeugen wilL

Die 39. Revolution — seit Peröns Sturz im Jahre 1955 — unterschied sich von den früheren. Im Gegensatz zu aller Putschtradition bombardierten einander die „roten“ Revolutionäre (die Marine) und die „blauen“ Regierungstruppen (Heer und Luftwaffe) gegenseitig. In Jujuy wurde sogar ein Zivilist, den man mit der Waffe in der Hand fand, erschossen. Ebenso ungewöhnlich ist, daß sich die unterlegenen Marineoffiziere zu der kriegsgerichtlichen Aburteilung stellen und Ihre wichtigste und beste Truppe, die Marine-Infanterie, von 8000 auf 2500 Mann herabgesetzt wird. Aufsehen erregte weiter das Ausmaß, in dem die jeweilige Besetzung und Räumung der Rundfunkstationen für den Erfolg oder Mißerfolg der Revolution entscheidend war.

Der Besiegte der Revolution ist nich* 4hr erster Urheber, der 7.8jährige, General Benjamin Menendez, der schon zum dritten Mal-eines Putsch verliert (den ersten 1951 gegen Per6n). Man achtet seine persönliche Integrität, ohne ihn politisch ernstzu-nehmen. In Wirklichkeit hat vor allem Admiral Isaac R o j a s versagt. Schon als Vizepräsident der nachpero-nistischen Revolutionsregierung Aram-b u r u galt er als Peröns begabtester Feind. Aber er spielt jetzt eine fast lächerliche Rolle. Als schon alles verloren war, verkündete er: „Die nationale Revolution beginnt erst!“ Als er plötzlich verschwand, behaupteten die einen, er sei ermordet worden oder habe sich erschossen, während die anderen von seiner Flucht berichteten und die uruguyaischen Reporter stundenlang auf ihn im Flughafen Carrasco warteten. In Wirklichkeit war er im Auto in seine Privatwohnung gefahren, erklärte: „Ich teile das Schicksal meiner Kameraden“, zog sich die Adimiralsuniform an und rief die Polizei. Er sitzt im Militärgefängnis auf der Insel Martin Garcia, auf der Ex-Präsident Dr. F r o n d i z i bis vor kurzem als unfreiwilliger Gast der Marine lebte.

Teure Aufrüstung

Sieger der Revolution und damit „der starke Mann“ im heutigen Argentinien ist der Chefkommandant General Juan Carlos O n g a n i a. Er war gerade in Washington. Dort hat er wohl über einen Plan verhandelt, 10.000 argentinische Soldaten gemeinsam mit nordamerikanischen Einheiten zu einer schlagkräftigen mechanisier-

ten interamerikanischen Polizeitruppe auszubilden, die fidelistische Unruhen in jedem anderen Lande bekämpfen könnte. Dieser Plan dürfte auch in den USA keinen Widerstand finden. 25 Prozent der Staatsausgaben in den notleidenden lateinamerikanischen Ländern, 1400 Millionen Dollar, werden jährlich für etwa 650.000 Soldaten ausgegeben, Heere, die außenpolitisch sinnlos und innerpolitisch gefährlich sind. (Die USA haben seit 1952 472 Millionen Dollar; 1961 91 Millionen Dollar Militärhilfe nach Lateinamerika verschwendet.)

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