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Die amerikanische Arbeiterschaft in der Politik

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Für die Wahlen im November 1948 treffen die amerikanischen Gewerkschaften Vorbereitungen, die alles überbieten, was sie bisher in dieser Richtung geleistet haben. Ausschüsse werden gebildet, Funktionäre gewählt, Agitatoren und Organisatoren bestimmt und Aufrufe an die Mitglieder erlassen, freiwillige Beträge für den Wahlfonds zu leisten, einen Wahlfonds, der viele Millionen Dollar umfassen soll. Diesmal — erklären die Wortführer der Gewerkschaften — werden die Arbeiterorganisationen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen.

Es ist bekannt, daß die CIO (Kongreß der industriellen Organisationen) bereits vor vier Jahren eine bedeutende Rolle im Wahlkampf gespielt hat, als Präsident Roosevelt zum drittenmal ins Weiße Haus einzog. Die ältere, stärkere und gefestigtere von den beiden Gewerkschaftsorganisationen — die American Federation of Labor (AFL) — hatte jedoch auch damals, ihrer Tradition entsprechend, eine aktive, zentral organisierte Beteiligung am politischen Kampf abgelehnt. Sie hielt unentwegt an dem poli tischen Grundsatz ihres Gründers und langjährigen Führers Samuel G o m p e r s fest, der den Gewerkschaften empfohlen hatte, „Freunde zu belohnen und Gegner zu bestrafen“ — was praktisch bisher bedeutete, daß man den Abstimmungen im Kongreß aufmerksam folgte, Listen von gewerkschaftsfreundlichen oder -feindlichen Abgeordneten und Senatoren aufstellte und dann an die angeschlossenen Organisationen verschickte. Es war diesen Organisationen und den Mitgliedern überlassen, die Schlußfolgerungen für den Wahlkampf zu ziehen.

In diesem Punkt hat die AFL nun ihre Haltung geändert. Nach monatelangen Vorbereitungen wurde im Dezember 1947 beschlossen, eine zentrale Organisation zu schaffen, der die AFL-Führung den Namen „Labor’s. Educational and Political League" (LEPL) gab. Dieser wurde die Aufgabe gestellt, in die Wahlen propagandistisch einzugreifen, auch durch Agitation für eine möglichst lückenlose Wahlbeteiligung aller Gewerkschaftler und ihrer Familienmitglieder an den Wahlen, die bei der meist schwadien Wahlbeteiligung von großer Bedeutung wäre.

Diese Bestrebungen der neuen AFL-Orga- nisation decken sich mit denen des Politischen Aktionskomitees des Congress of Industrial Organizations. Dieses hat sich für heuer die Aufgabe gestellt, nicht weniger als eina Million Mitglieder zur aktiven Mitarbeit am Wahlkampf zu bewegen,' die erwünschten Kandidaten dem allgemeinen Bewußtsein nahezubringen und die säumigen Wahlberechtigten zu mobilisieren. Bis 1944 hat die amerikanische Arbeiterbewegung gerade in dieser Hinsicht keine Rolle gespielt — abgesehen von den relativ schwachen Gruppen sozialistischer oder kommunistischer Gewerkschaftler.

Ähnliche Aufgaben haben sich auch eine Reihe unabhängiger Gewerkschaftsausschüsse gestellt. Unter ihnen kommt den Ausschüssen der starken Eisenbahnerorganisation, der Maschinistengewerkschaft und des Bergarbeiterverbandes die größte Bedeutung zu. Sie repräsentieren rund 15 Millionen Mitglieder — eine gewaltige Macht, wenn sie einheitlich Vorgehen würden. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Zersplitterung in eine ganze Reihe von Organisationen und Ausschüssen ist zugleich ein Beweis für die fundamentale Schwäche der amerikanischen Arbeiterbewegung, die auf jedes ihrer Tätigkeitsgebiete wirkt. Was die verschiedenen Organisationen eint, ist derzeit nur ein negatives Ziel: die Aufhebung des sogenannten Taft-Hartley-Gesetzes und seiner harten, von einem rücksichtslosen Unternehmergeist diktierten Bestimmungen.

Was keiner Bemühung politisch-bewußter Elemente in den amerikanischen Gewerkschaften bisher gelungen ist — die Urheber d i e- s e s Gesetzes haben es zustande gebracht. Die Arbeiterführer, sonst durch die verschiedensten gewerkschaftstaktischen, wirtschaftlichen und politischen Auffassungen getrennt, sind sich alle in diesem Punkt einig: das T a f t- Hartley-Gesetz soll vom Kongreß wieder gestrichen werden. Deshalb müssen sie allerdings dafür sorgen, daß genügend Gegner des Gesetzes im November in den Kongreß gewählt werden.

Wie kann dies Ziel erreicht werden? Darauf antworten die politischen Strategen der Arbeiterorganisationen: Die Grundlage für unsere Aktivität im Wahlkampf ist die Abstimmung über Präsident Trum ans Yeto gegen das Taft-Hartley-Gesetz. Im Repräsentantenhaus haben sich damals 331 von den 414 abstimmenden Abgeordneten für das Gesetz und gegen das Veto des Präsidenten ausgesprochen. Von diesen 331 Abgeordneten sind 154 mit knappen Mehrheiten gewählt worden. Die Gewerkschaften verfügen in allen diesen Wahlbezirken über eine mehr oder weniger beträchtliche Anzahl von Mitgliedern. Die Aufgabe ist nun, diese zu bewegen, gegen die Kandidaten zu stimmen, die für das Taft-Hartley-Gesetz waren; in den Nordstaaten bei den Wahlen im November und in den Südstaaten schon vorher bei den Primärwahlen in der Demokratischen Partei, die zugleich über den Ausgang der Wahl im November entscheiden. Allerdings: die Gewerkschaften müßten auf dieser Grundlage nicht weniger als 125 von den 154 als „arbeiterfeindlich“' bezeichneten Kandidaten stürzen, um die Mehrheitsver- hältnisse im Repräsentantenhaus hinsichtlich des Taft-Hartley-Gesetzes zu verändern. Im Senat ist das Verhältnis ähnlich: eine Änderung ist schwerer zu erzielen, da im November nur ein Drittel der Senatoren wiedergewählt wird.

Aus allen diesen Gründen verfolgt man die politische Mobilisierung im Lager der Gewerkschaften auch außerhalb der Arbeiterbewegung mit großem Interesse. Sie wird auch nicht ohne Einfluß auf die Präsidentenwahl bleiben, obwohl man nicht sicher weiß, wen die Gewerkschaften unterstützen werden, bevor feststeht, wer die Kandidaten sind. Eines scheint sicher zu sein: Henry A. Wallace und seine „dritte Partei“ k ö n-

nennichtmitderUnterstützung der Gewerkschaftsbewegung rechnen. Die Führe der AFL, der Eisenbahnerverbände und anderer Gewerkschaftsorganisationen haben sofort nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur ihre ablehnende Haltung unmißverständlich zum Ausdrude gebracht.

Daß die Gewerkschaften von Henry A. Wallace nichts wissen wollen, obwohl er einmal großes Ansehen in ihren Reihen genoß, hat verschiedene Gründe. Vor allem liegen sie in der außenpolitischen Stellungnahme von Wallace, die der kommu nistischen Linie folgt. Walter R e u t h e r zum Beispiel, der Leiter der Automobilarbeitergewerkschaft, nannte Wallace „eine verlorene Seele“. Es, gibt noch eine Reihe von tieferliegenden Gründen, die für diese ablehnende Haltung maßgebend sind — Gründe, die mit dem politischen System der Vereinigten Staaten Zusammenhängen.

In Europa wird oft die Frage gestellt: „W arum gibt es in Amerika eigentlich keine Arbeiterpartei?“ Die Antwort auf diese Frage erklärt die Haltung der Gewerkschaften gegenüber Wallace und verurteilt seine „dritte Partei“ von vornherein zu einer hoffnungslosen Minderheit.

Man muß vor allem die politischen Bedingungen' verstehen, unter denen sich die amerikanische Arbeiterbewegung entwickelte. Die enge Verbindung von gewerkschaftlichem und politischem Kampf, für die Geschichte der kontintaleuropäischen Arbeiterbewegung so charakteristisch, ist auf die poli- tisdhe Unterdrückung der Arbeiter im vergangenen Jahrhundert zurückzuführen. In den Vereinigten Staaten haben die Arbeiter jedoch schon seit den dreißiger Jahren des

19. Jahrhunderts von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Die ersten Arbeiterparteien — damals war Arbeiter noch gleichbedeutend mit Handwerker — sind schon in dieser Zeit entstanden. Und als 1886 mit der AFL die erste dauernde, das ganze Land umfassende Gewerkschaftsorganisation ins Leben trat, hatte die Arbeiterschaft bereits reichliche Erfahrungen mit den Gefahren politischen Sektenwesens hinter sich. Die Überzeugung, die heute noch die meisten amerikanischen Gewerkschaftler beherrscht — daß es besser sei, das politische Geschäft den Politikern zu überlassen — stammt aus dieser Zeit.

Es gibt einen weiteren, eng damit zusammenhängenden Grund dafür, daß es in Amerika keine Arbeiterpartei gibt: die beiden großen traditionellen Parteien waren stets bereit, populäre Forderungen der Arbeiter und Farmer in ihre Programme aufzunehmen. Sie haben dadurch immer wieder erfolgreich den bestehenden „dritten Parteien“ — unter ihnen auch der Sozialistischen und Kommunistischen Partei — das Wasser abgegraben. Selbst am Tiefpunkt der Weltkrise, im Herbst 1932, erhielt der sozialistische Kandidat Norman Thomas nicht mehr als eine Million Stimmen; bei den letzten Präsidentschaftswahlen, im Jahre 1944, bekam Thomas weniger als

100.000 Stimmen, während Präsident Roosevelt mehr als 25 Millionen Stimmen auf sich vereinte. (Die Kommunistische Partei hat nie mehr als 100.000 Stimmen erzielen können.)

In Amerika stimmt der Wähler nicht für Parteien, sondern für Per sönlichkeiten, die ihm bekannt sind. Dies ist ein dritter Grund dafür, warum es „dritte Parteien“ so schwer haben, sich durchzusetzen.

Unter diesen Bedingungen gibt es nur eine Aussicht auf Erfolg für eine „dritte Partei“: die erfolgreiche Spaltung oder Eroberung einer der beiden großen Parteien. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sind zwei solcher Versuche gemacht worden, einer im Jahre 1912 von Theodore Roosevek, ein anderer im Jahre 1924 von Robert La Follette senior. Beide waren für amerikanische Verhältnisse sehr erfolgreich, blieben jedoch weit von einer Siegesmöglichkeit entfernt. Sie werden deshalb auch als Beispiele dafür angesehen, daß es immer noch besser sei, Ziele innerhalb einer der beiden Parteien durchzusetzen, anstatt sich durch Parteispaltung völlig zu entmachten.

Das ist der Vorwurf der amerikanischen Gewerkschaftler gegen Henry Wallace. Sollte er auch nur den geringsten Erfolg haben, dann könnte dieser ihrer Ansicht nach nur darin bestehen, die Demokratische Partei so zu schwächen, daß der erzkonservative Flügel der Republikanischen Partei die Macht übernehmen könnte. Darüber hinaus meinen Arbeiterführer, die wie Dubinsky und Reuther für die Schaffung einer Arbeiterpartei eintreten — daß eine voreilige „Gründung“ einer solchen Partei nur schweren Schaden bringen könne.

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