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Ausblicke in Frankreich

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E. v. H., Paris, Mitte April

Die französische Nationalversammlung Hat sich längere Ferien bewilligt. Damit sind viele Auseinandersetzungen unterbrochen, auch die über eine Erweiterung der Regierungsgrundlage. Das Problem wird sich aber Ende April wieder zu Worte melden. Hinter der Frage der Festigung der Regierungsgrundlage steht das viel größere Problem des politischen Stils der IV. Republik. Im Taumel der Befreiung hatten sich Kommunisten, Sozialisten, Volksparteiler und Radikalsoziale unter der Führung De Gaulles in einer provisorischen Regierung zusammengefunden. Der Rücktritt des Generals am 21. Jänner 1946 brachte das System um seine Spitze. Die Zusammenarbeit der großen Parteien hatte keinen langen Bestand. Nachdem die Kommunisten zuerst die Führung und vorwiegende Beteiligung angestrebt und dann an einer Dreiparteienregierung teilgenommen hatten, ohne die volle Mitverantwortung tragen zu wollen, wurden sic schließlich ausgebootet. Die darüber aufgesprungene politische und soziale Unruhe rief immer öfter den Redner De Gaulle auf den Plan. Um ihn sammelten sich beträchtliche Teile des französischen Volkes (Ri P. F.). Es wurde nun der politische Stil der IV. Republik, mit Exklusiven zu arbeiten. Die Politik der Exklusiven schließt jede solide, halbwegs dauerhafte Ordnung aus. Man denkt fast nur mehr an Provisorien. Die Regierung Schuman stärken zu wollen, ohne die Beziehungen der Parteien zueinander wesentlich zu ändern, heißt mit Aushilfen operieren. Als Mittel, um wieder eine Zeitkng Weiterarbeiten zu können, werden die Zersprengung verschiedener bürgerlicher Gruppen und die Neuordnung ihrer Anhänger oder die Verbündung der „Dritten Kraft“ mit gaullistisch beeinflußten Parteien empfohlen.

Wenn man im politischen Leben Frankreichs von „Dritter Kraft“ mit dem Nebensinn von „Stärke“ spricht, so ist das Wort fehl am Platze. Wer die Dinge sehen will, wie sie wirklich sind, der weiß, daß es dermalen nur eine organisierte Kraft gibt: die kommunistische

Partei. Sie ist homogen, straff gefaßt, einheitlich geleitet und die Leitung übt Disziplin gegenüber den aus Moskau via Belgrad kommenden . Weisungen. Etwa ein Drittel der französischen Wähler gibt den kommunistischen Kandidaten die Stimme. Die kommunistischen Wähler wählen wirklich; eine große Zahl der anderen Wähler zieht es Vor, sich der, Wahl zu enthalten. Mitte Februar 1948, in Versailles- Ost, entfielen deshalb 42 Prozent aller abgegebenen Stimmen auf den kommunistischen Kandidaten. Der Machtbereich der Partei scheint aber doch nicht mehr ausdehnungsfähig zu sein. Sie hat ihren Höhepunkt überschritten. Bei Ersatzwahlen in ländlichen Gemeinden hat sie in der letzten Zeit Einbußen zu verzeichnen gehabt.

Wenn die kommunistische Partei weiter oben die einzige wirkliche (organisierte) Kraft genannt wurde, so bedarf diese Behauptung einer Erläuterung. Die Partei ist als Organisation stark, aber ihr Einfluß nach oben und nach unten ist zurückgegangen. Heute ruft weniger die C. G. T. als die tatsächliche Versdilechterung der Lebensbedingungen zum Ausstand. Der Einladung zum politischen Streik wird in der Regel das Gehör-versagt. Die Parteiführung folgt Moskau, weniger aber die Masse der Mitglieder. Daß die kommunistische Partei dermalen nicht regierungsfähig ist, kann als Schwäche oder als Stärke gewertet werden. Als Schwäche, weil sie so ihre Wünsche kaum durchsetzt, als Stärke, weil sie sich zügelloser Demagogie hingeben kann.

Auch der Gaullismus ist zur Zeit nicht regierungsfähig, aber wohl auch nicht regierungswillig. Erstens könnte er jetzt, wenn überhaupt, nur gegen Kommunisten und Sozialisten an die Macht kommen, aber ganz ohne die Arbeiter regieren zu wollen, wäre Wahnsinn. Weiter haben auch schon namhafte Gaullisten der Reihenfolge „Zuerst Wiederaufrichtung, dann Verfassungsreform“ zugestimmt. Dem Gaullismus täte es übrigens wirklich nicht gut, vor allgemeinen Wahlen an der Macht teilzunehip n. Tritt er als „Partei aller Hoffnungen“ in den Wahlkampf ein, so hat er Chancen. Das läßt sich aus mancher WJil der letzten Zeit folgern.

Die gaullistische Bewegung ist noch nicht als Partei organisiert. Di Sammlung des französischen Volkes (R. P. F.) ist keine „Kraft“, und schon gar nicht ist das die gaullistische Zwischen- oder Übergruppe in der Nationalversammlung. Die unleugbar großen Massen, die sich um den Redner General De Gaulle scharen, sind noch kein manövrierfähiges, schlagkräftiges Heer. Und die gaullistische Zwischengruppe im Palais Bourbon gehorcht nicht zentralen Weisungen — wenn sie überhaupt welche bekommt. Bei Abstimmungen sah man ihre Mitglieder in allen drei Lagern: Pro, Kontra und Stimmenthaltung. Die Gaullisten allein stellen keine Mehrheit dar.

Und nun zur Dritten Kraft, wie sie sich heute darstellt. Die Sozialisten sehen in sich selbst, vereint mit der Volkspartei (M. R. P.), die Dritte Kratf. Das Programm der Sozialisten ist: Gegen die Kommunisten und gegen dieGaul- listen. Auf dieses Programm ist keine

Mehrheit zu vereinigen. Lion Blum, der als designierter Ministerpräsident am 21. November 1947 diesen Zweifrontenkrieg verkündigte, wurde die Investitur verweigert. Das Programm „Gegen Kommunismus und gegen Gaullismus“ beschwört sogar die Gefahr herauf, daß das M. R. P. nidit zur Gänze mittut.

Ja, die sozialdemokratische Partei selbst verträgt die Prüfung auf innere Kohäsion nicht mehr so gut wie noch vor einem Jahre. Parteien, die „ihre Zukunft hinter sich haben“, sind gar nicht so leicht bęi der Stange zu halten. Die Gegensätze zwischen linkem (Mollet-) und rechtem (Blum-Ramadier-) Flügel der Partei sind 'bekannt. Zuletzt hat der linke Flügel das Rennen gewonnen. Abgesehen von der „Französischen Arbeitersammlung“, die sich über jede Politik erheben wollte und daher nur am. Rande politischer Bewegungen zu verzeichnen ist, gibt es neuerdings eine ,fDemokratische revolutionäre Sammlung“ (R. D. R.), die die dem Stalinismus absolut . feindlichen Sozialdemokraten in einer sozialistischen Linken zusammenfassen, also verhindern will, daß sich ein der Verständigung mit den Kommunisten geneigter linker Flügel der S. F. I. O. ausbilde; weiter eine „Sozialistische und Revolutionäre Aktion“, die die ersten sozialistischen Dissidenten, unter ihnen Dechezelles, vereinigt und Verbindung mit dem R. D. R. hält, dem sie näher steht als der „Sozialistischen und Demokratischen Einheitsbewegung“ (M. S. U. D.), die sich aus kürzlich aus der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossenen Elementen zusammensetzt und für das Zusammengehen mit der kommunistischen Partei eintritt. Keine dieser Splitterungen und Spannungen läßt sich für einen Vergleich zwischen Sozialdemokratie und Gaullismus auswerten. Andererseits beeinträchtigen sie alle die Zielstrebigkeit und Handlungsfreiheit der sozialdemokratischen Volksvertreter.

Die republikanische Volksbewegung ist in sich homogener, seitdem sie ein paar gaullisierende Abgeordnete, die bei einer Abstimmung die Klubdisziplin verletzten, ausgeschlossen hat und durch die Wahlmißerfolge im Jahre 1946 kleiner geworden ist. Sie darf dank dem ihren Reihen entnommenen Ministerpräsidenten und dem Außenminister gewisse innen- und außenpolitische Erfolge (auch) auf ihr Konto buchen. Erfolge wirken stimulierend. Doch die De-Gaulle-Krise ist trotz allem nicht ganz überwunden. Nicht wenige Parteimitglieder leiden unter der Abwendung der „Partei der Treue“ on dem General und würden die Kommunisten lieber mit ihm als mit wem sonst immer in die Schranken fordern.

Das Band, d a s S o z i a 1 i s t e n_u n d M. R. P. umschlingt, ist jedenfalls nicht so stark, wie der „Populaire“ zu glauben vorgibt. Ein geistreicher französischer Schriftsteller hat einmal von seinen Landsleuten gesagt, jeder Franzose steh „links von sich selbst“. Das trifft wohl in einem gewissen Sinne auf Sozialisten und Volksparteiler zu. Beide wollen sich nicht von ihrem linken Flügel abdrängen lassen. Aber seitdem die sozialdemokratische Partei immer häufiger von der „Demokratischen revolutionären Sammlung“ angespornt wird, entsinnt sich das M. R. P. der Tatsache, daß es auch einen rechten Flügel hat. So fällt es schwer und schwerer, die Stellung der beiden Parteien zu den Gaullisten einvernehmlich zu präzisieren.

Es war hoch an der Zeit, daß die Nationalversammlung am 20. März auf Ferien ging. Das heißt, es war eigentlich schon zu- spät. Es konnte nicht mehr verhindert werden, daß Sozialdemokraten und Volksrepublikaner wegen der „Freien Schulen" in den verstaatlichten Kohlenbezirken des Nordens und des Pas-de-Calais aneinander gerieten. Die Regierung Ramadier hatte am 26. Juni 1947 einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der die Umwandlung aller dieser privaten Schulen in öffentliche Schulen vorsah. Nun sollte aus dem Antrag endlich ein Gesetz werden. Aber während der Antrag noch von dem damaligen Finanzminister und heutigen Ministerpräsidenten mitunterzeichnet wurde, fällt den Volksrepublikanem die Mitwirkung heute recht schwer, haben doch in manchen Gegenden, zum Beispiel im Gard, die Elternvereinigungen die Schullokale besetzt, um ihre Benutzung durch die öffentlichen Schulen unmöglich zu machen. Am 20. März gerieten deshalb Volksrepublikaner und Sozialisten hart aneinander. Es gibt auch noch einen anderen unausgttragenen Gegensatz — um nur von den aktuellen, schweren und nicht auch noch von den latenten Gegensätzen zu sprechen: M. R. P. ist für die achtzehnmonatige Dienstzeit, S. F. I. O. dagegen.

Die „Dritte Kraft", die sich „Sozialdemokratie plus M. R. P. nennt, ist also nicht Kraft im Sinne von Stärke. Sie reicht nicht einmal für eine Regierungskombination aus. Durch die Koalition mit Radikalen, U. D. S. R. und Unabhängigen, ist sie nur regierungsfähig, aber noch immer keine Kraft geworden. Die letzteren drei Gruppen kennen keine Koalitionsdisziplin. Ihre Beteiligung an der Regierung ermöglicht eine Mehrheit, verbürgt sie aber nidit.

Lion Blum ist mit zunehmendem Alter gewiß weiser und gemäßigter geworden. Merkwürdigerweise wuchs sein Ansehen eher bei den nichtmarxistischen Parteien als bei seinen eigenen Parteigenossen. Doch noch immer ist er der politische Wortführer des „Populaire“. Hier nun erweist er sich oft als reiner Doktrinär. Es ist eine wirklichkeitsfremde Konstruktion, wenn er — vom Gedanken der „Dritten Kraft" besessen — verlangt, daß die in ihrem Verhältnis zur Dritten Kraft angeblich gespaltenen Gruppen (Radikale, U. D. S. R. und Unabhängige) sich selbst in die Luft sprengen sollten, um die Neugruppierung ihrer Mitglieder nach den Gesetzen der „Dritten Kraft" zu ermöglichen.

Wirklichkeitsnäher war der Vorschlag Reni Plevens, der die Erweiterung der Regierungsbasis durch förmliche Einbeziehung des R. P. F. anregte. Aber auch dieser Vorschlag wird Vorschlag bleiben. Die von ihrem linken Flügel gesteuerte sozialdemokratische Partei will nicht mit De Gaulle den Kommunismus niederhalten, sondern glaubt in einer wahren Verblendung, einen Zweifrontenkrieg führen zu können.

Aber eine Minderheit — und die „Dritte Kraft" ist eine Minderheit— kann keinen Zweifrontenkrieg führen. Wäre es da nicht rätlich, wenn die sozialdemokratische Partei einmal erwöge, ob der innere Krieg gegen den Kommunismus oder den Gaullismus zu führen ist? Mit der Festsetzung einer Reihenfolge „zuerst gegen den einen und dann gegen den anderen“ wäre es allerdings nicht getan. Hat übrigens nicht Lion Blum vor gar nicht so langer Zeit erklärt, er sehe die gaullistische Gefahr als die brennendere an? Woraus sich gar die Reihung ergäbe: „Zuerst gegen De Gaulle und dann gegen Thorez." Worte — nichts als Worte.

Wer die Entwicklung der Ding seit der Befreiung aufmerksam verfolgt hat, wird die innere L ge Frankreichs trotz des schier verwirrenden Knäuels von Strömungen und Gegenströmungen, von Gegensätzen, Spannungen und Krisen nicht in der Schwarzweißmanier zeichnen. In der Erscheinungen Flucht gibt es ein paar Fixpunkte. Es steht fest:

daß der Kommunismus viel von seiner Gefährlichkeit eingebüßt hat und daß er regierungsunfähig geworden ist,

daß die sozialdemokratische Partei die Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei, aber auch mit dem Gaullismus ablehnt und daß die „Sammlung des französischen Volkes“ weder regierungsfähig noch regierungswillig ist.

Wie die Dinge heute stehen, wird die innere Politik Frankreichs wahrscheinlich auch weiterhin eine Politik der Aushilfen sein. Es wird ungefähr mit denselben Gruppen weiterregiert werden, die heute Schuman ihre mehr oder weniger sichere Unterstützung leihen. Im Interesse dieser Unterstützung wird der Kampf gegen den Gaullismus auch bei den Sozialdemokraten zum — schließlich um jeden Inhalt gebrachten — Schlagwort werden. Davon wird aber der Gaullismus keinen Nutzen ąiehen. i eere, die allzu lange ante portas stehen, zerstreuen sich.

Zu einer ganz anderen Entwicklung käme es selbstverständlich im Falle einer kritischen Gestaltung. Die kommunistische Partei hätte sich dann zu entscheiden, ob sie französische oder russische Politik machen wolle... Die Stunde de Gaulles schlüge..

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