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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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OUVERTÜRE MIT DISSONANZEN. Am Sonntag fanden die letzten größeren lokalen Wahlen in Oesterreich vor den Nationalratswahlen im kommenden Jahr statt: die Gemeinderatswahlen im Burgenland. Es ist weniger das Ergebnis dieser f Gemeinderatswahlen, was sie für den Chronisten V verzeichnenswert macht, als das, was sich um c sie herum abspielte. Volkspartei und Sozialisten h liegen in diesem nahezu noch rein agrarischen g Land nunmehr Kopf an Kopf. Den 2000 Stimmen, r die die Volksparfei verlor, stehen ungefähr k etwas mehr als 2000 Stimmen gegenüber, die die t Sozialisten gewannen. Die Stimmengewinne der C Sozialisten dürften zum Grofjteil von jenen Päch- F fern und Kleinstbauern kommen, die zu USIAs c Zeiten kommunistisch wählten. Die Stimmenver- c luste der Volksparfei kamen der FPOe zugute, die zum erstenmal bei burgenländischen Ge- meinderafswahlen kandidierte. Die Oeffnung t nach rechts, von der in manchen Kreisen der 2 Volksparlei seit einiger Zeit viel gesprochen S wird, wirkt sich in einer Verstärkung der Rechts- e Opposition aus. Aber diese lokalen Wahlen in ; Oesterreichs kleinstem Bundesland hatten Anlafj zu einem politischen Störungsfeuer gegeben, das eben in “Hinblick auf die lokale Bedeutung des ; Ereignisses bedenklich scheinen mühte. Eine Er- j klärung eines Vertreters der Katholischen Aktion , des Burgenlandes, in der dieser nochmals die [ Unabhängigkeit der Kirche von der Parfeipolitik r unterstrich, gab den Parfeizeitungen in Wien j Gelegenheit, sich wieder einmal mit der politi- t sehen Stellung der Kirche und der Katholiken t zu befassen. Während die sozialistische Presse t diese Erklärungen sehr weitgehend auslegte, um v sie zu unrecht als eine Untermauerung ihrer eigenen Stellungnahme im politischen Kampf verwenden zu können, sah sich das Zentral- | qrgan der Volksparfei veranlagt, in sehr scharfen Tönen gegen diese Aeufjerungen der Katho- ( lischen Aktion des Burgenlandes zu polemisie- ' ren. Auch dort wird mit einer Selbstverständlichkeit, die für die Zukunft noch einiges erwar- 1 fen Iaht, alles Katholische ungefragt für die eigenen politischen Zwecke beansprucht. Soll im ' kommenden Jahr bei den Nationalratswahlen ' die Kirche nicht in die Wahlpolemik hineingerissen werden, wäre es dankenswert, wenn 1 von oberster kirchlicher Stelle in Oesterreich ein klärendes Wort gesprochen wird. Die französischen Bischöfe hoben bei den eben jetzt stattfindenden französischen Wahlen bekanntlich eine Erklärung herausgegeben, in der sie jeden einzelnen Gläubigen im Gewissen für seine Wahlentscheidung verantwortlich machen, gleichzeitig aber ausdrücklich untersagen, dafj sich irgendeine politische Gruppe auf die Kirche beruft oder vorgibt, im Namen , der Katholiken zu sprechen,

SECHS MONATE SIND VERGANGEN seit der konstituierenden Sitzung der Kommission zur Schaffung der Grundlagen für eine neue Gewerbeordnung. Ein wenig lang dafür, dafj sich jetzt erst — Kompromisse abzuzeichnen beginnen. Die Reformbedürftigkeif des Gewerberechtes, das fast hundert Jahre alt ist und den Gegebenheiten der heutigen Wirtschaftsstruktur nicht genügt, steht aufjer Zweifel. Die Frage bleibt nur, ob sich die liberale Richtung (weifgehende Aufhebung aller Beschränkungen, also auch des Befähigungsnachweises) blofj mit dem fadenscheinigen Hinweis auf eine mögliche Freihandelszone durchsetzen wird, oder ob eine konservative Formung des Rechtes mit der Begründung Oberhand gewinnt, da!) die Unterschiedlichkeit der modernen Produktion die Aufrechterhaltung des Befähigungsnachweises nötig macht. Man hat sich überdies noch wenig mit der Frage befafjt, ob bei der Gründung von neuen Unternehmungen ein unabhängiges Forum mit der Bedarfsprüfung entstehen kann und wie es etwa sich konstituiert. Nach der augenblicklichen Lage haben faktisch die künftigen Konkurrenten ihr Gutachten abzugeben, ob das neue Unternehmen gegründet werden könne. Die freie Handelszone verlangt freie, uneigennützige Horizonte und keinen Krämergeist. Sechs Monafa, Feilschen um ein Recht schaut stark darnach aus.

DE GAULLE BEI ADENAUER. Die erste Auslandsreise des französischen Staatschefs de Gaulle nach seiner Regierungsübernahme, zugleich seine zweite (I) Auslandsreise nach der triumphalen Heimkehr 1944, gilt nicht Washington, nicht London, nicht Moskau (wie viele erwarteten), sondern Bonn. De Gaulle hat den Zeitpunkt gut gewählt: Frankreich will deutsches Geld, deutsche Unterstützung für seine NATO-Pläne und seinen Einzug als Atommacht in ein oberstes Führungsgremium der „Groben Drei“. Ein Nationalist älterer Prägung schüttelt da den Kopf: ist de Gaulle wahnsinnig geworden — will er Frankreich zur Vormacht mit Hilfe des alten „Erzfeindes“ in Europa, Deutschland, machen? De Gaulle ist nicht wahnsinnig, sondern überlegter, als seine Freunde und Gegner dachten. Bei der ersten, persönlichen Aussprache mit Dr. Adenauer gelang es ihm, dem Bonner Staatsmann klarzumachen, dafj er an eine echte Zusammenarbeit der deutschen und französischen Nation für alle Zukunft glaube, und er bereit sei, dieser die Wege zu bereiten. De Gaulle kann der Bonner Regierung, die durch die Russen und vielleicht auch durch die Inakfivität ihrer Freunde, nicht zuletzt durch manches Versagen in den letzten

Jahren, in einen gefährlichen Engpafj gekommen ist, hochbeachtliche Unterstützung anbieten. Der „Kampf um Berlin“ zeigt den werfdeutschen Politikern augenscheinlich, wie gefährlich für sie eine Führersfellung im westlichen Verieidigungslager ist. Hier hakt nicht nur die östliche Propaganda und Politik täglich ein, hier ist vielmehr die Quelle immer neuer Angriffe gegen Westdeutschland im ganzen Ostraum zu suchen. De Gaulle hat nun in dieser kritischen Stunde Dr. Adenauer folgendes zu biefen: Frankreich übernimmt für seinen Partner Deutschland die militärische und politische Führerstellung in den Gremien der NATO und des Westblocks. Das würde für Dr. Adenauer außenpolitisch und nicht zulefzf innenpolitisch eine außerordentliche Enflaslung bedeuten. De Gaulle hat also politisch Dr. Adenauer viel zu bieten; dafür lohnt es sich, mit ihm ausgiebig zu verhandeln. Paris ist heute wieder eine Schlüsselstellung für Europa — bevor noch die erste französische Atombombe zu Versuchszwecken explodiert ist.

EINE ORGANISIERTE REGIERUNGSKRISE hat in Belgien zu der nach dem Ergebnis der am 1. Juli abgehaltenen Kammerwahlen schon lange erwarteten Umbildung des Kabinetts Gastan Eyskens geführt. Die erste Regierung des Premiers lebte, trotz ihres klaren Wahlsieges, noch immer von der Duldung der Liberalen. Man hat diesen nun sieben Ministersessel eingeräumt, darunter so wichtige wie das Wirfschafts, und Aufjenhandelsministerium, und, was noch viel mehr bedeutet, das Unterrichtsministerium.

Die Katholiken haben künftig das Innenamtv den Ministerpräsidenten, die Landwirtschaft — was für Flandern Bedeutung gewinnen dürfte —, den Aurjenhandel, den Verkehr und die Kolonien zu verwalten. Die neue Koalition mufj sich dringenden Aufgaben widmen. Vor allem ist die Sanierung der beigischen Kohlenzechen, der Bahnen und des sozialen Versicherungswesens fällig. Den die Oeffentlichkeit wiederholt und sehr heftig bewegenden Schulstreit will man durch einen Dreiparteienpakt beendigen. Man verbietet politische Aktivität und Propaganda in den Schulen (wie weit man diesen Begriff auslegen wird, steht dahin) und wird das Schulgeld für alle Kinder bis zu 18 Jahren abschaffen. Laienkräfte an freien Schulen bekommen ein Gehalf, das dem der öffentlichen Anstalten entspricht; geistliche Lehrkräfte der Primarschule dagegen einen Bezug, der 60 Prozent dem der Lehrer an Staatsschuten ausmacht. Die Schulpflicht wurde um ein Jahr verlängert. Wie sich ein liberales Unterrichtsministerium unter einem katholischen Premier und angesichts des lagernden Zündstoffes weiter verhalten wird, bleibt abzuwarten.

MILITÄRDIKTATUR IM SUDAN. Nach kaum dreijährigem Bestehen ist die junge Republik des Sudans, über Nachf, vom 16. zum 17. November, in eine Diktatur verwandelt worden. Der Sudan folgt damit dem Beispiel, das Birma, Pakistan, Siam, und nicht zuletzt Aegypten gegeben haben. Die Armeen und ihre Oberkommandierenden haben hier überall, wie es heifjt, um „der Korruption und Mißwirtschaft“ der Par-feipolitiker ein Ende zu machen, die Macht übernommen. Welche Formen der Regierung sich in allen diesen Staaten ausbilden werden ist ganz ungewifj. Sicher ist nur, dafj einige von ihnen sich de Gaulle als Vorbild wählen: die „Diktatur“ soll da als ein Uebergang zu einer „autoritären Demokratie“ dienen, wobei gewisse Elemente der westlichen Demokratie mit anderen Elementen der „Volksdemokratie“ verbunden werden sollen. In manchem wird ein aufgeklärter Absolutismus angestrebt, wie er in Europa im Zeitalter Peters des Großen, Friedrichs des Grofjen und Kaiser Josephs die tafsächlich „fortschrittlichste“ Regierungsform war. Ebenso ungewifj, wie dieses innenpolitische Experiment, ist in all seiner Labilität das außenpolitische Experiment dieser neuen Volksführer, vielleicht auch, weil ihr ersfes Rezept so „einfach“ ist: Man versucht, von Moskau und dem Westen jeweils durch Drohungen und freundliche Versprechungen so viel als möglich zu erhalten. Da dem General Nasser bisher noch niemand dieses Rezept auszureden vermochte — will er doch mit russischen Rubeln und amerikanischen Dollars seinen Nildamm bauen —, erweist sich täglich aufs neue die Anziehungskraft dieser nicht ungefährlichen Spiele. Am Nil, der sie bisher trennte, kommen sie ja zusammen: Nasser und General Ibrahim Abbud, der den Ministerpräsidenten des Sudans, Khalil, gestürzt haf. Hinter Abbud stehen die mächtigsten Sekten des Sudans. Wenn es gelingen sollte, deren religiösen Fanatismus politisch auszumünzend dann dürfte sich der Sudan zu einem sehr beachtlichen Glied jener afrikanischen Staafsförderation entwickeln, über die eben in Ghana verhandelt wird.

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