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Im Hintergrund: das Lilienbanner

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Jedesmal, wenn sich die Institutionen eines Staates unfähig erweisen, die gestellten Probleme zu lösen, wird der Ruf nach einem starken Mann erschallen, oder man versucht, die Reformen an eine Vergangenheit zu knüpfen, die Größe und Ruhm, Sicherheit und Ruhe geboten hat. Die Französische Revolution proklamierte die Souveränität des Volkes und zeigte, einer Doktrin zuliebe, die abgeschlagenen Köpfe des Königs und der Königin der Masse am heutigen Platz de la Concorde. Trotzdem gab seither die Sehnsucht nach dem Lilienbanner immer wieder Anlaß zur Gründung von Organisationen und Zeitungen, die im französischen Königtum den besten Ausdruck des gallischen Geistes sehen wollten.

Die Erschütterungen seit dem Jahre 1940, der unglückliche Krieg in Indochina, die schweren Auseinandersetzungen in Algerien verstärken den Traum, eine Ordnungsmacht zu besitzen, die als Schiedsrichter über den Parteien steht, die öffentliche Meinung einigt und genügend Autorität besitzt, um die Divergenzen auf einen Nenner zu bringen.

Die Verfassung der Vierten Republik hat niemals eine allgemeine Zustimmung gefunden. Erst in einer zweiten Volksabstimmung wurde sie mit einer äußerst knappen Mehrheit angenommen. Sie räumt dem Parlament alle Rechte ein und Frankreich ist dadurch den Partei- und wirtschaftlichen Interessen ausgeliefert. Die schwäche Exekutive löst sich ohne Unterlaß ab, außergewöhnlich tüchtige Persönlichkeiten nützen sich durch dieses System ab, ein System, gegen das auch General de Gaulle immer wieder anklagend seine Stimme erhoben hat und in dem auch der Befreier Frankreichs ein Gefangener war.

Der Nation Wurden sowohl in der Dritten wie in der Vierten Republik außerparlamentarische Lösungen, vom Abenteurer Boulanger bis zum Tribunen Poujade, vorgeschlagen. In dieser Minderheit, die sich außerhalb der Republik zu stellen gedenkt, nehmen die Royalisten eine Sonderstellung ein. Durch die Person des Thronprätendenten und eine nicht zu unterschätzende Tradition spielen sie hier eine bemerkenswerte geistige Rolle. Halten wir jedoch fest: das französische Volk ist nach wie vor der Republik ergeben, die als ein großes Tabu angesehen wird. Dies hindert jedoch nic.it, daß die englische Königin mit einer unerhörten Begeisterung in Paris empfangen- wurde. Man darf annehmen, daß damit nicht eine neue Entente cordiale, nicht nur eine junge Frau im Glanze der Krone gefeiert wurde, sondern daß die Sehnsucht nach einem ähnlichen Hort der Legalität in so manchen Herzen wach wurde.

Die Republik ist eigentlich nur durch einen Zufall Und als Provisorium mit einer Stimme Mehrheit eingerichtet worden. Die starre Haltung des damaligen Prätendenten, des Grafen von Chambord, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, machte eine Versöhnung der beiden Hauptrichtungen des politischen Lebens Frankreichs unmöglich. Eine soziologische wie politische Trennungslinie schied die universalistische und traditionalistiche Gruppe, Kirche, Adel und Grundbesitz, von dem liberalen und freimaurerischen Bürgertum, das einen Interpreten in Combes und schließlich Herriot gefunden hatte.

Die militante Form des Royalismus schuf sich in der „Action Franęaise” die ihr gemäße Organisation und erhielt in Charles Maurras einen ebenso intransigenten wie genialen politischen Denker. Der Einfluß Maurras’ ist mit seiner Verurteilung als Kollaborateur noch immer nicht vollkommen geschwunden und man wird in einem Teil der französischen Rechten die Thesen dieses so außergewöhnlich fruchtbaren politischen Schriftstellers auch noch heute wiederfinden. Die „Action Franęaise” geriet ohne Zweifel in den Bannkreis des Faschismus und identifizierte sich mit dem Regime von Vichy. Damit wurde sie 1944/45 aus dem politischen Leben ausgeschaltet, und sämtliche Versuche, sie zu erneuern, sind immer wieder gescheitert. Die letzten Ueberlebenden und ein kleiner Kreis von Jugendlichen (man schätzt im ganzen Lande 20.000 Anhänger) scharen sich um eine Wochenzeitung, „Aspect de France”, die sich durch eine hypernationalistische Schreibweise auszeichnet. Die Angriffe richten sich vor allem gegen das kleine Europa Adenauers und Schumans. „Aspect de France” hat eine Art jugendliches Rollkommando eingerichtet, das die Zeitung auf den Straßen vertreibt und europafreundliche Kundgebungen stört. Dieses scheint weniger gefährlich, als kommunistische Versammlungen zu sprengen.

Der Thronprätendent hat sich von der „Action Franęaise” und ihren Epigonen wie „Aspect de France” ständig distanziert. Sie wurden von ihm niemals als sein Sprachrohr angesehen. Eine gewisse monarchistische Propaganda wurde vom Grafen von Paris durch ein Brüsseler Büro ausgeübt, das 1935 bis 1939 einen „Königsboten” herausgab. Zwischen der „Action Franęaise” und dem „Königsboten” kam es zu mehrfachen Auseinandersetzungen. Als 1926 die „Action Franęaise durch den Papst verurteilt wurde, sind keine Kontakte mehr zwischen dem jeweiligen politischen Büro des Grafen von Paris und der Organisation hergestellt worden. Im Gegenteil; der Graf von Paris sah in der „Action Franęaise” eine zu nationalistische und jakobinische Organisation, die nicht in seiner Linie eines Volkskönigstums lag.

Dem Thronprätendenten ist es gelungen, die Gegensätze zwischen den eigentlichen Legitimisten und den Orleanisten zu überbrücken. Der derzeitige Graf von Paris stammt von der Linie Bourbon-Orleans ab und ist damit ein Nachkomme Louis Philipps. Es sei hinzugefügt, daß Napoleon Bonaparte wohl die Bewunderung der Nachwelt gefunden, aber sich von ihm keine wie immer geartete politische Bewegung ableitet, die in der Gegenwart Bedeutung hätte. Die Nachfahren des großen Korsen haben dem politischen Ehrgeiz entsagt und nur seine Heimatinsel liebt es noch, sein Geschlecht zu feiern.

Die Dritte Republik hatte durch Gesetz dem jeweiligen Thronprätendenten, seinen direkten männlichen Nachkommen sowie dem Chef des Hauses Bonaparte verboten, Wohnsitz auf französischem Territorium zu nehmen. Die Vierte Republik war großzügiger als ihre Vorgängerin und gestattete im siebenten Jahre ihres Bestehens dem Grafen von Paris und seiner Familie den Aufenthalt in Frankreich. Der sozialistische Präsident Auriol gab dazu ohne die geringsten Schwierigkeiten die Zustimmung. Er hatte von sich aus bereits dem Sohn des Grafen von Paris gestattet, seine Studien in Bordeaux aufzunehmen. Die Propaganda für die Verlegung des Wohnsitzes von Portugal nach Frankreich wurde auch von einem Teil des MRP gefördert. Der christlich-demokratische Abgeordnete und Direktor der einflußreichen Provinzzeitung „Ouest-France”, Paul Mutin- Desgrėes, war einer der Hauptsprecher, der das Exilgesetz schließlich zu Fall brachte. Der Graf von Paris mußte sich verpflichten, die Republik anzuerkennen und keinerlei Vorbereitungen zu einem Staatsstreich zu treffen. Dagegen wurde in keiner Weise seine politische Tätigkeit im Rahmen der Verfassung eingeengt. Die Republik fühlt sich stark genug, um in seiner Anwesenheit keine latente Gefahr zu sehen. Der Graf von Paris richtete sich in der Hauptstadt sofort tfrieder ein politisches Büro ein, das ein ausgezeichnet redigiertes Bulletin herausgibt, in dem die französischen und internationalen Probleme kommentiert werden. In den ersten Jahren nach seiner Rückkehr sprach sich der Graf von Paris für die sogenannte 3. Kraft aus (Koalition MRP - Sozialisten - Radikale) und zeigte sich republikanischer als ein eingefleischter Jakobiner. Gleichzeitig verstand es der Graf, durch sehr geschickte Public-relations seine Familie mit zwölf Kindern als den Idealtyp der französischen Familie schlechthin darzustellen. Immer zahlreicher tauchten die Bilder der Prinzessinnen in illustrierten Zeitungen auf und wurden Reportagen über das Leben einzelner Familienmitglieder wiedergegeben. Wenn damit auch mit Filmschauspielerinnen und sonstigen gekrönten Häuptern gewetteifert wurde, die derzeit einen so dankbaren Lesestoff abgeben, so wurde doch peinlichst darauf geachtet, daß niemals der gute Geschmack verletzt wurde. Der Höhepunkt in diesen Bemühungen war die eben stattgefundene Hochzeit des Sohnes des Grafen von Paris, bei der 20.000 begeisterte Zuschauer in den traditionellen Ruf „Vive le roi” ausbrachen, während durch Fernsehen, Wochenschau und durch die gesamte Presse die Oeffentlichkeit an diesen Feierlichkeiten teilnahm. Auch namhafte Persönlichkeiten der Vierten Republik, wie Pinay, Edgar Faure, nahmen an der Festlichkeit teil und unterstrichen die Versöhnung zwischen dem früheren Herrscherhaus und der Republik. Die geschickte Politik des Grafen von Paris, der es ausgezeichnet verstand, mit dem jeweiligen Ministerpräsidenten, zahlreichen Abgeordneten und Jornalisten ins Gespräch zu kommen, die Sentimentalität, die jeden braven Franzosen beim Anblick dieser prächtigen Familie erfaßt („Was brauchen wir nach London blicken, wir haben Besseres im eigenen Land”), haben aus dem Grafen eine populäre Figur gemacht. Er genießt heute genügend politisches Prestige, um eine Abstimmung in der Kammer zumindest beeinflussen zu können. Man wird nicht vergessen, wie stark der Graf in den Kampf um die EVG eintrat. Ohne Zweifel ist er einer der Verantwortlichen für die Ablehnung der Europäischen Armee und er gab in gewisser Weise den Ton an, als sich die eigenartige Koalition von de Gaulle über Herriot, den Ultra-Nationalisten zu den Kommunisten bildete. Seine negative Haltung gegenüber allem, was Europa heißt, verstärkte sich immer mehr und färbt auch auf das zweite royalistische Blatt „La Nation Franęaise” ab. Auch diese Zeitschrift gebärdet sich außerordentlich nationalistisch, obwohl dieser Nationalismus intelligenter präsentiert wird, als es im „Aspect de France” geschieht. Die Redakteure und Persönlichkeiten, die sich um „La Nation Franęaise” gruppieren, halten gewisse Verbindungen zu den europäischen föderalistischen Bewegungen aufrecht und setzen sich sachlicher mit einer europäischen Integration auseinander. Die europäischen Kreise in Frankreich erhoffen sich vom jungen Grafen Clairmont, dem politisch große Ambitionen nachgesagt werden, und durch seine symbolhafte Trauung mit einer deutschen Prinzessin eine Aenderung in der starren antieuropäischen Haltung der Legitimisten.

Der Graf von Paris selbst hatte in der jüngeren Vergangenheit eine sehr eigenartige politische Wanderung angetreten. Unter dem Einfluß seiner Berater schenkte er den Experimenten Mendės-France größte Aufmerksamkeit und hat dessen Politik auf das entschiedenste verteidigt. Persönliche Zusammenkünfte vertiefen diese Zusammenarbeit. Der Graf von Paris glaubt, in Mendės-France jene Persönlichkeit gefunden zu haben, die imstande sei, Frankreich von innen heraus zu erneuern, die Kräfte der Nation auf ein Ziel zu richten und im Spiele der Weltmächte ihr eine Art Mittlerrolle zu sichern. Es ist begreiflich, daß ein anderer Mann, der immer gegen das „System” auf trat, der Frankreich und nur Frankreich sieht, die moderne Jeanne d’Arc, Charles de Gaulle, in den Gedankenbezirken des Grafen von Paris eine geistige Heimat findet. Anläßlich der Trauung richtete der General ein Telegramm an den Grafen, das als die Besiegelung des politischen Bündnisses angesehen wird und das man durchaus mit einer Urkunde vergleichen kann, mit der ein Fürst dem französischen König im Mittelalter die Treue versprach. Aber auch de Gaulle und Mendės-France näherten sich politisch. Man kann zwar noch nicht von einer Front der drei Persönlichkeiten sprechen, aber sie stimmen derartig in ihrem Programm überein, daß schon daraus eine gemeinsame politische Arbeit resultiert. Sie verlangen Aenderung der Verfassung und die Einrichtung einer Präsidialregierung im Stile der amerikanischen. Und warum sollte nicht auch einmal, wenn nicht heute, so morgen, ein Thronprätendent Präsident werden? An Beispielen in der französischen Geschichte mangelt es nicht. Ein sofortiger Friedensschluß in Algerien wird als unumgänglich notwendig erachtet. Schließlich wird eine Annäherung an Polen, eventuell auch an Rußland ins Auge gefaßt, um als Makler die Ostwestgegensätze abzuschwächen und ein klassisches Allianzsystem einzurichten, das eher der Gleichgewichtspolitik der Kräfte näherkommt als jenen übernationalen Ideen, die zur Bildung der hohen Behörde in Luxemburg geführt haben.

Eine monarchistische Restauration ist im derzeitigen politischen Klima Frankreichs ausgeschlossen. Es fehlen dafür sämtliche Voraussetzungen. Eine Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie ist jedoch keine bloße Gedankenhypothese. Vieles wird davon abhängen, in welcher Weise das derzeitige Regime den Engpaß in Algerien überwinden und die kritische wirtschaftliche Situation meistern wird. Ob die Monarchie als Alternative zu einem Versuch der Diktatur oder der Volksfront als letzter Ausweg angesehen wird, um den Rechtstaat zu garantieren, ist eine Frage, die so weit in die Zukunft weist, daß in diesem Zeitpunkt noch keine Antwort darauf gegeben werden kann.

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