6547527-1947_23_12.jpg
Digital In Arbeit

Saint-Denis und Ganserndorf

Werbung
Werbung
Werbung

Auf den ersten Blick wird sich der Leser die Frage stellen, in welchem Konnex diese so wein voneinander entfernten Orte sind, von denen der erste als die Gruft der Ka-petinger, der andere nur den Wienern, allenfalls Nordbahnreisenden, bekannt ist. Dennoch besteht zwischen Saint-Denis und Gänserndorf ein merkwürdiger Zusammenhang: In geringen Varianten hatten an beiden Orten mein Großvater Paul de Bourgoing und mein Vater Othon die gleiche Auseinandersetzung mit preußischen Offizieren.

Paul de Bourgoing, geboren in Hamburg 1791,.der die Feldzüge von 1812 bis 1815 als Offizier der Jungen Garde mitgemacht, trat nach den Hundert Tagen in diplomatische Dienste über. Den größten Teil der Jahre 1816 bis 1852 verbrachte er an den Höfen von München, Berlin und Dresden. Nach einem langen Aufenthalt in St. Petersburg, wo er 1830 als Chargi d'affaires wesentlich dazu beigetragen, Nikolaus I. von einem Krieg gegen Frankreich abzubringen, verlebte er weitere achtzehn Jahre in Deutschland als Gesandter in Dresden und München. Seine genaue, im Elternhaus erworbene Kenntnis der deutschen Sprache prädestinierte ihn für diese Posten, und seine kürzlich veröffentlichten Berichte aus München beweisen, daß er dadurch ein weit schärferer Beobachter, als seine Vorgänger waren, sein konnte. 1841 zum Pair von Frankreich ernannt, wurde er 1852 nach seiner Botschafterzeit in Madrid Senator des Zweiten Kaiserreichs.

Schon sein Vater, Jean-Francois, „ein Diplomat, berühmt durch Scharfsinn, Sdilag-fertigkeit und seine vornehmen Manieren“, wie Chevalier de Cussy in seinen Memoiren von ihm sagt, beherrschte die deutsche Sprache in Wort und Schrift, in der er sich nach Absolvierung der Pariser Ecole militaire an der Straßburger Universität vervollkommt hatte. Diese Kenntnisse befähigten ihn, das Aufblühen der deutschen Literatur zu verfolgen und die Aufmerksamkeit seiner Landsleute auf ihre Meisterwerke zu lenken. Besonders mit Klopstock und Wieland stand er in regem Gedankenaustausch und Heinrich von Kleist, den er besonders hochschätzte, hat er, nach besten Kräften gefördert. Zahlreich sind seine eigenen Arbeiten, von denen „Tableau de l'Espagne moderne“, ein seinerzeit wiederholt aufgelegtes und in fünf Sprachen übersetztes Werk, sowie die heute noch benützte Biographie Pius' VI. neben zahlreichen Übersetzungen aus dem Deutschen, die markantesten sind. Nach mehrjährigem ' Aufenthalt in Madrid als Erster Sekretär, wurde Jean-Francois zum Gesandten am Niedersächsischen Kreis mit dem Sitz in Hamburg, 1792 in der gleichen Eigenschaft in Madrid akkreditiert, von wo er nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. zum Leidwesen des spanischen Hofes und seiner zahlreichen Freunde abberufen werden mußte. 1795 führt er in Basel die Friedensverhandlungen mit Spanien, worauf ihm die Gesandtschaft in Kopenhagen anvertraut wird, die er bald mit der in Stockholm vertauscht. Hier fällt er bei Bonaparte in Ungnade, weil er die Rückkehr Frankreichs zur Monarchie unter dem Ersten Konsul (was ganz Europa voraussah) bei Hof vor zahlreichen Zeugen dem König als bevorstehend bezeichnet hatte. 1807 wird er wieder aktiviert: sein ältester Sohn Armand hatte durch sein heldenhaftes- Verhalten bei Eylau die Aufmerksamkeit Napoleons auf sich gelenkt. Als der Kaiser ihn auszeichnen wollte, lehnte er diese Gnade mit der Bitte ab, seinen Vater zu reaktivieren. Jean-Francois wurde denn auch 1808 zum Gesandten in Dresden ernannt, als welcher er 1811 in Karlsbad verschied.

Weit mehr als er, genoß seine Gattin Marie-Benoite, geborene Prevot de la Croix, hohes Ansehen bei Napoleon, Jos^phine und Talleyrand, mit welch letzterem sie zeitlebens in Briefwechsel stand. Ein beredtes Zeugnis für ihre Persönlichkeit Stellte ihr der in geistiger Beziehung anspruchsvolle Friedrich Gentz in einem Brief an den bekannten Archäologen Karl August Böttiger, aus: „Wenn Sie Mad. de Bourgoing sehen, so bitte ich Sie, ihr in den verbindlichsten Ausdrücken meine Hochachtung und mein Andenken zu versidiern. Ich kann sagen, daß sie mich durch die Annehmlichkeit ihres Umganges, und durch die Einfachheit, Unbefangenheit und Liebenswürdigkeit ihres ganzen Wesens durchaus für sich gewonnen hat; es war die interessanteste Bekanntschaft, die ich diesen Sommer gemacht habe“. 1820 ernannte Ludwig XVIII. Marie-Benoite zur Vorsteherin des Erziehungshauses der Ehrenlegion in Saint-Denis, das sie bis 1837, ein Jahr vor ihrem Tode, leitete.

Othon de Bourgoing, der 1839 in München geborene Sohn Pauls, mein Vater, ist vielen alten Wienern noch in Erinnerung. Sein von jedem fremden Akzent freies Deutsch ließ in ihm den Franzosen keineswegs vermuten. Er begann seine diplomatische Karriere in Turin unter Benedetti; seine nächsten Posten waren Rom, Santa-F^ di Bogota und die Gesandtschaft am Deutschen Bundestag in Frankfurt, von wo er 1865 der Botschaft in Wien zugeteilt wurde. 1876 mit dem Generalkonsulat in Budapest unter Beibehaltung in der diplomatischen Rangliste betraut, wurde er 1881 zum Gesandten ernannt und ihm die Wahl zwischen Teheran und San Domingo freigestellt. Dieses Anerbieten war ihm gemacht worden, da man am Quai d'Orsay wußte, er werde beide Posten ausschlagen. Auf diese Weise entledigte sich die Dritte Republik allmählich jener Diplomaten, die bei aller Loyalität und Pflichttreue gegen das herrschende Regime von dem Standpunkt ausgingen, nicht ihm, sondern Frankreich zu dienen, und ihre persönliche Sympathie für eine der abgesetzten Dynastien nicht auf Kosten ihrer Würde verleugnen wollten. Othon de Bourgoing, vielfach stilistisch und künstlerisch begabt,schrieb Theaterstücke und auch einige Ballett-Libretti, von denen das in der Hofoper über dreißig Jahre mehrere hundert Male aufgeführte Tanzstück „Wiener Walzer“ das bekannteste ist. Von ihm stammt auch die erste Wiener Revue, die 1868 von Amateuren im seither demolierten Palais Schwarzenberg am Neuen Markt aufgeführt wurde. Während der Musik- und Theaterausstellung 1892 leitete er die Bühne im Rotundengelände und organisierte die Gastspiele der Comedie francaise und der Prager Oper, die Smetanas Werke in Wien zum ersten Mal zu Gehör brachte, und schließlich die Sonzogno-Stagione mit Pietro Mascagni an ihrer Spitze. Über den Einfluß Othons de Bourgoing auf die Renaissance des Theaterkostüms und die Entwicklung des Kunstgewerbes in Wien hier zu sprechen, ginge weit über den zur Verfügung stehenden Rahmen.

Nun zurück zu Paul de Bourgoing. 3Ö\ März 1814. Der letzte Feldzug Napoleons, sein genialst geführter, ist an diesem Tag mit der'Kapitulation von Paris abgeschlossen. Vergeblich hatten sich die Korps Marmont und Mortier am 25. März dem übermächtigen Feind bei La Fere-Champenoise gestellt und erst in der Ebene von Saint-Denis sich wiede* sammeln können. Marschall Mortier, Herzog von Treviso, dem Paul als Ordonnanzoffizier zugeteilt war, gelangte zur Einsicht, daß Paris nicht zu halten sei, und jeder weitere Widerstand nur unnütze Opfer kosten würde. Nicht möglichst günstige Kapitulationsbedingungen zu erlangen, sondern seinen Rückzug nach Westen durchführen zu können, strebt Mortier an. Die Voraussetzungen dafür zu erreichen, ist jetzt die Aufgabe des jungen Hauptmannes.

• Begleitet vom traditionellen Trompeter, ritt er, mit einem Sacktuch an der Spitze seines Säbels als Parlamentärfahne, ohne das feindliche Feuer zu beachten, auf einen Stab zu, welcher sich als der des Generals von Gneisenau erwies. „Die markantesten unter diesen Offizieren sprachen mit mir auf das schicklichste... General von Gneisenau kam mir auf das höflichste und zuvorkommendste entgegen“, erzählt Paul de Bourgoing in seinen Memoiren. Überlassen wir die Schilderung des weiteren dem Chevalier de Cussy: Den einzigen Mißton rief ein ganz junger, bartloser Leutnant hervor, der Bourgoing auf französisch folgendermaßen apostrophierte: „W as werden die Pariserinnen sagen, wenn sie die Preußen alt Sieger in ihre Stadt werden einziehen sehen?“ Eine Eigenschaft, die Paul de Bourgoing immer auszeichnete, ist seine Schlagfertigkeit. Er bewies dies, indem er in ausgezeichnetem Deutsch antwortete: „Nun, mein Herr, die Pariser Damen werden so wie die von Wien, Madrid und Moskau und aller Hauptstädte handeln, die Ihre Landsleute zu besuchen gewohnt sind.“

In einer ähnlichen Lage befand sich 1866 Othon de Bourgoing mit einigen nachgeborenen Kameraden des wenig taktvollen Gelbschnabels. Die bei Königgrätz am 3. Juli siegreiche preußische Armee war auf dem Marsch nach dem Süden bis Gänserndorf und in die Richtung gegen Preßburg gekommen, das königliche Hauptquartier in Nikolsburg eingetroffen. In der Armee, die von den diplomatischen Verwicklungen nichts ahnte, herrschte große Ungeduld, in der Erwartung in Wien endlich einzumarschieren. Nicht so zuversichtlich war man im Hauptquartier, seitdem in der Nacht vom 4. zum 5. Juli eine Depesche Kaiser Napoleons eingetroffen war, der König Wilhelm mitteilte, Kaiser Franz Joseph habe ihm Venetien abgetreten und ihn um seine Vermittlung gebeten.

Eine “Woche nach der Depesche des Kaisers Napoleon traf nun Graf Benedetti als französischer Vermittler im preußischen Hauptquartier in Zwittau ein. Noch in seinen letzten Jahren hatte Bismarck den nächtlichen Überfall dem französischen Botschafter in Berlin nicht verziehen, „dem es Dank dem Ungeschick unserer militärischen Polizei im Rücken des Heeres gelungen war, in der Nacht vom 11. zum 12. Juli nach Zwittau zu gelangen und dort plötzlich vor meinem Bett zu erscheinen“. Bismarck erfaßte sofort, daß Benedetti nicht bloß als Vermittler gekommen war, vielmehr auch die territorialen Ansprüche Napoleons III. jetzt mit noch größerem Nachdruck geltend machen würde, denn der Machtzuwachs Preußens berechtigte Frankreich gewissermaßen auf die schon seit Jahresfrist angedeuteten Grenzkorrekturen aus Prestigegründen, besonders wegen der öffentlichen Meinung im eigenen Lande, zur Diskussion zu stellen. Daß er Benedetti einige, nicht weiter präzisierte Zugeständnisse in dieser Richtung gemacht hatte, focht Bismarck jetzt ebensowenig an als sie später stets abzuleugnen. Am 26. Juli 1866 hat er den- französischen Botschafter zu bedenken gegeben, „sein König könne nach den militärischen Erfolgen wohl kaum preußisches Gebiet abtreten“. Er fügte aber hinzu, wie Benedetti es nach Paris meldete, „man könne vielleicht die Kompensationen in der Pfalz finden, die zu erhalten wir (Frankreich) gerecht fänden“. Wenn auch ein Eingreifen Frankreichs angesichts seiner militärischen Schwäche nicht wahrscheinlich schien, mußte dennoch diese Eventualität ins Auge gefaßt werden. In Widerspruch mit Moltke bezweifelte Bismarck in diesen Tagen, daß der Sieg über Frankreich „schnell“ davonzutragen wäre, denn, wie es die Geschichte lehrt, könne es, in die Defensive gedrängt (wie es sich auch 1870/71 erwies), den Krieg durch Massenaufgebote in die Länge ziehen. Wäre man imstande, fragt sich Bismarck, in diesem Fall die Ostfront gegen da durch seine Südarmee gestärkte Österreich zu halten und dürfe man mit einer neutralen .Haltung der deutschen Südstaaten im Rücken der Westfront rechnen? So schildert Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ freimütig die trotz seiner Siege nicht ungefährliche Lage Preußens anders als die Legende sie ausmalt. Der ungebetene Gast mußte jetzt auf dem Vormarsch mitgenommen und durch Verhandlungen möglichst lange festgehalten werden. Die Tage vom 14. bis zum 17. Juli verbrachte Benedetti in Wien, wo er sich Othon de Bourgoing, seinen früheren Sekretär in Turin, zuteilen ließ.

Das erste Resultat der Verhandlungen zwischen den Kriegführenden war eine fünftägige Waffenruhe, die am 22. Juli begann; auf sie folgte am 26. Juli der endgültige, ohne die Mitwirkung Frankreichs zustande gekommene Waffenstillstand von Nikols-burg, vor dessen Bekanntgabe Benedetti meinen Vater, der als sein Sekretär über die Geschehnisse genau informiert war, mit der Nachricht der endgültigen Einstellung der Feindseligkeiten nach Wien sandte. In einem preußischen Trainfuhrwerk nach Gänserndorf gebracht, mußte er vor dem Überschreiten der vordersten Linie sein Laissez-passer vorweisen. Während des Wagenwechsels entspann sich ein Gespräch mit einigen preußischen Offizieren, die Othon de Bourgoing wegen der schwarzgelben Binde, die sein Wiener Kutscher trug, für einen österreichischen Kurier hielten und in ihrer bekannten Art irgendwie ironisieren zu können glaubten. „Nun, mein Her r“, fragte einer dieser Herren, „wir werden die schönen, auf dem Graben promenierenden Wienerinnen bald bewundern könne n“. „Ich glaube, Herr Hauptmann, daß Sie sich einige Monate werden gedulden müssen, um in Zivil auf dem Graben promenieren zu können“, antwortete mein Vater. „Ach, was?Dasgibtesnicht; man sieht doch von hier den Stephansturm. Wollen wir zehn Flaschen wetten, daß wir in drei Tagen i n W i e n s i n d ?“ ein Anerbieten, dem sich die Kameraden, etwas gereizt durch das so sichere Auftreten „dieses Zivilisten“ sofort anschlössen. „Ich kann diese Wette, die mir, ob so öder so, das Vergnügen verschafft hätte, mit Ihnen einige fröhliche Stunden zu verbringen, leider nicht annehmen und Ihnen nur das bereits Gesagte wiederholen.“ Die preußischen Offiziere sahen sich fragend an. „So haben wir es wahrscheinlich mit einem Diplomaten zu tun“, meinte der eine von ihnen.

Um wieviel enttäuschter wären sie aber erst über die Diplomaten gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß „ihr“ Bismarck, vom Kronprinzen unterstützt, sie um den Einzug in Wien gebracht und er König Wilhelm seine Demission für den Fall, daß er auf der Demütigung des Feindes bestehe, angeboten hatte! Man muß aber gerechterweise diesen Offizieren zugestehen, daß die dem preußischen Heere gestellte Zumutung, auf den letzten Triumph nach so harten Kämpfen verzichten zu müssen, sicherlich eine der härtesten war, die jemails einer siegreichen Armee gestellt worden ist. Bismarcks Entschluß gereicht seiner klugen Voraussicht zur

Ehre, trug ihm jedoch bei den Militärs des Hauptquartiers den Namen eines Questen-berg ein, Er huldigte nicht dem preußischen Prinzip „Alles oder nichts“, sondern war bestrebt, mit Gegnern und Antagonisten von gestern nach Erreichung des gesteckten Zieles so bald als möglich einen Modus vivendi zu finden. Nicht so seine Nachfolger im Zweiten Reich, die sich dem Geist Friedrichs II. zu seinem und ganz Europas Schaden verschrieben haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung