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Der Barockbaumeister und wir

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Johann Bernhard Fischer ist in Graz in dem Hause Jungferngasse 5 wahrscheinlich um den, 1. Juli 1656 geboren worden, denn am 20. Juli wurde er in der Kirche zum Heiligen Blut getauft. Sein Vater Johann Baptist Fischer war Bildhauer. Seine Mutter Anna Maria, geborene Kretschmayer, war in erster Ehe mit dem „ehrenvesten fürnemben und chunstreichen Herrn Sebastian Erlacher... burger und Bildt-hauer“ verheiratet gewesen. Der Großvater väterlicherseits, Simon Fischer, war „Buchführer“, das heißt, er führte einen Buchhandel. Tfte war „Herr Bernhardt Chonäl“ — richtig: Canal oder Canale — „kaiserlicher Kammer Secretarius“. Bildhauer, Buchhändler, kaiserlicher Beamter — etwas wie ein Rahmen des Künftigen zeichnet sich schon in den Lebensverhältnissen der Kindheit ab, aus denen der größte Architekt Oesterreichs und einer der größten Deutschlands, ja Europas, erwachsen sollte.

Die Fischer führten ihre Abkunft auf einen „Uhr-Ahnherren“ Peter de Fischer zurück, der als „gewester Rath Alberti Ertz Herzogens zu Oesterreich“ unter Kaiser Rudolph II. nobili-tiert worden war. Johann Bernhard schreibt seinen Zunamen wie fast alle Künstler der Zeit sehr verschieden, am häufiigsten aber ist die Schreibung Fischer. Das Wappen seines Sohnes und Nachfolgers Josef Emanuel hat Aehnlich-keit mit dem in einer holländischen Familie gleichen Namens, und so scheint es nicht ganz ausgeschlossen, daß die Fischer aus den Niederlanden nach Oesterreich eingewandert sind.

Als Vierzehnjähriger dürfte Fischer im Jahre 1670 nach Italien gekommen sein, sechzehn Jahre sollte seine Lehrzeit dort dauern. In Rom hat er Anschluß an die Tiroler Künstlerfamilie der Schor gefunden. Der Vater Schor, Johann Paul, „päpstlicher Hofmaler“, in vielen Künsten gewandt, war 1664/65 Mitarbeiter Giovanni Lorenz Berninis an der Catedra St. Petri in der Peterskirche gewesen; durch ihn dürfte der junge Oesterreicher in den Kreis um den greisen Bernini gekommen und mit der Königin Christine von Schweden, mit ihrem Hofanti-quarius, dem Abbate Pietro Bellori, mit dem berühmten Universalgelehrten Athanasius Kircher bekannt geworden sein. Die Berührung mit dem großen Italiener und den außerordentlichen Menschen, die sich um ihn gesammelt hatten, ist, wie nichts anderes, entscheidend für die Künstlerschaft Fischers geworden. Von dem zweiten Sohn Johann Paul Schors, Philipp, wird berichtet, daß „er zu Rom den berühmten Kays. Architecten H. Fischer von Erlang (sie!) und ebenfalls zu Neapl wie man redt zu Scolarn und Practicanten hatte“. Dieser Philipp Schor ist 1684 von dem neu ernannten Vizekönig des spanischen Neapel Gaspar Guzman de Haro Herzog von Olivarez Marches del Carpio nach Neapel berufen worden, und Fischer ist offenbar mit ihm dorthin gegangen oder ihm gefolgt.

1687 ist Fischer zum erstenmal wieder in der Heimat nachweisbar, und zwar in Graz und Wien. 1688 gilt er da schon als „großer Vir-tuosi“. Im März 1689 wurde er berufen, dem

1687 gekrönten König von Ungarn, dem elfjährigen „Kronprinzen“ Josef, „architecturam civilem reissen zu lehren“. .Von da ab führt er den Titel „königlicher Hofingenieur“. Als 1705, nach dem Tode Leopolds I., sein ehemaliger Schüler Kaiser wurde, verwandelte sich dieser Titel automatisch in den eines kaiserlichen Hofingenieurs, und noch in demselben Jahre wurde Fischers Gesuch um Uebertragung der Bau-Oberinspektion bewilligt und am 24. Dezember 1705 von Josef I. dekretiert, daß er „von nun ahn a. h. g. ihrer K. M. Sambtlicher Hoff- und Lustgebäu Ober-Inspector sein, dafür geachtet und intitulirt werden“ solle. Dieses Amt hat er — nach dem Tode Josefs I. von Karl VI. 1718 bestätigt — bis zu seinem Tode bekleidet. 1725 ist ihm darin sein Sohn Emanuel, der 1722 zum kaiserlichen Hofarchitekten ernannt worden war, nachgefolgt. Seit 1705 bezog Fischer als kaiserlicher Hofingenieur 1100 fl., seit 1709 2000 fl., zuletzt 2500 fl. jährlich.

Reisen nach Prag (1691), Berlin (1704), Venedig (1707) lassen sich nachweisen; eine Reise nach England 1704 (und Holland?) ist wahrscheinlich.

1697 war Fischer geadelt worden und hatte als Prädikat den Namen des ersten Mannes seiner Mutter in der Form „von Erlach“, „von Lrlakhen“ angenommen. 1713 nennt ihn Leibniz unter den in Aussicht genommenen Mitgliedern der zu errichtenden deutschen Akademie der Wissenschaften in Wien — eine ganz ungewöhnliche Ehreng, die mehr dem Verfasser des 1712 im Manuskript vorgelegten Stichwerks „Entwurf einer Historischen Architektur in Abbildung unterschiedener berühmten Gebäude des Altertums und fremder Völker“ — der ersten universalen Architekturgeschichte in Bildern — als dem Architekten galt.

1690 hatte Fischer zum erstenmal geheiratet. Seine Frau, Sophie Constantia Morgnerin, war „des Johannes Morgner, beider Rechte Kandidat und öffentl. Notar zu Regensburg, und der Maria Sidonia geb. Winterin Tochter“. Aus dieser Ehe hatte Fischer vier Kinder: Josef Ferdinand geboren 1691. Mia Constantia 1692, Josef Emanuel Johann 1693, Euphemia Genoveva Margaritha Josepha 1697. Ob ein im Testament Fischers erwähntes fünftes Kind Maria Anna Elisabeth aus der ersten oder zweiten Ehe Fischers stammt, ist ungewiß. Die beiden ersten Kinder starben bald nach der Geburt.

Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete Fischer 1705 zum zweitenmal; seine zweite Frau Francisca Sophia geborene Lechnerin war die Witwe eines Johannes Rudolph Willer. Iii seinem Testament von 1723 hat Fischer sie unter harten Ausdrücken enterbt, weil „Sye mich in meinen alter Treuloss Verlassen, Vndt sich selbst von mir oKne Einige Vrsach Separiert Vndt wider meinen Wüllen auss den Hauss gegangen, so einer Ehrliebendten Ehefrauen nicht gebühret Sondern wider wüssen Vndt gwüssen Lauffet, auch mir Zu dato Vhbewusst ist, wo der orten Sye Sich befündtet, oder an Zu treffen were“.

Fischer erscheint 1707 in den Grundbüchern als Eigentümer dreier Gartengründe samt Häusern in der Wiener Vorstadt Nikolsdorf (Wiedner Hauptstraße f7, anstoßend Igelgasse 1 und Rainergasse 20); das erste dieser drei Häuser dürfte er selbst erbaut haben. Sein Sohn und Nachfolger Josef Emanuel erwähnt ein anderes Haus samt Garten in seinem Testament und sagt, daß es von ihm „vielmehr zur Lust und Zier der Familie, als zu einem gegenwärttigen genuss und nutzen ist erbauet worden“. Johann Bernhard besaß bei seinem Tode eine Sammlung von „Mahlereyen schildereyen Vndt Kunststückh“; auch eine Sammlung von Medaillen wird gelegentlich erwähnt. In der „Historischen Architektur“ bildet er auf Tafel V des V. Buches zwei ägyptische Vasen „aus des Authoris Besitz“ ab.

Gestorben ist Fischer am 5. April 1723, 67 Jahre alt, im Sternhof in der Schultergasse in Wien nach „lang absiechender Krankheit“ und ist am 6. April „in Nachtbegleitung“ bei St. Stephan „in der Gruft“ beigesetzt worden. „An welcher Stelle in den weiten Grüften des Domes Fischer und später auch sein Sohn begraben wurden, läßt sich leider nicht eruieren; die vielen Veränderungen und die endliche Vermauerung dieser colossalen Behausungen des Todes lassen auch kaum eine Hoffnung, daß man jemals darüber klar werden dürfte“ (Hg, 764).

Persönliches ist von ihm kaum überliefert. Nur wenige Briefe von seiner Hand haben sich erhalten, sie sind sachlich, schlicht und auch für jene Zeit bemerkenswert unorthographisch 'geschrieben. Kaum einer davon enthält Persönliches, die meisten betreffen nur das Aeußer-liche seiner Arbeiten und Reisen. Ein gewisser Dechau, Stadtverordneter von Brünn, der in den neunziger Jahren mit ihm zu tun hatte, erwähnt seine freundliche Art. Sein Ruhm war mit einem Schlage begründet, als er 1690 mit den beiden Triumphpforten zum Einzug des neugekrönten deutschen Königs Josef I. in Wien in der allgemeinen Meinung über den „Welschen“ Peter Strudel siegte. Die Rivalität Hildebrandts zieht sich mindestens seit 1702 wie ein roter Faden durch sein Leben. In seinen letzten Lebensjahren schildert ihn ein Brief des Fürsten Adam Schwarzenberg: „der kayserliche Archi-tectus Fischer von Erlach, der wenig seinesgleichen in diesen Landen und doch im Kopf sichtbarlich einen Sparren zu viel hat“. Das einzige authentische Por,trät ist die — sichtlich idealisierende — Medaille Benedikt Richters von 1719.

Fischer gehört zu den wenigen Architekten, deren Name im Volke lebendig geworden und bis auf den heutigen Tag geblieben ist. In Niederösterreich nennt es fast jedes Schloß aus dem 17. und 18. Jahrhundert, dem es Ehre erweisen will, mit dem Namen Fischers von Erlach.

Was Fischer gebaut hat, hat im allgemeinen die zwei bis zweieinhalb Jahrhunderte, die danach gekommen sind, verhältnismäßig gut überstanden. Große Gefahren sind an Hauptwerken Fischers vorübergegangen. Im Jahre 1849 war der Fürst Windischgrätz entschlossen, nötigenfalls die Karlskirche niederzulegen, um seinen Geschützen freies Schußfeld zu verschaffen. Im zweiten Weltkrieg fielen Bomben nur wenige Meter neben der Karlskirche, der Hofbibhothek, der Böhmischen Hofkanzlei und dem Palais Batthyäny-Schönborn. Doch nicht der Krieg, sondern das Verkennen der Werte barocker Kunst und Unverstand haben Fischers Lebenswerk schwere Verluste zugefügt.

Falsche Konservierungsmaßnahmen hatten im 19. Jahrhundert die Karlskirche an den Rand der Zerstörung gebracht. Verschwunden sind im 19. Jahrhundert das Belvedere im Liechtensteingarten, das Palais Althan in der Rossau, der Gartenpalast Ekardt in der Josefstadt, das Schwarzenbergsche Palais in der Kärntner Straße. Sie alle sind Opfer einer Zeit, in der der Barock noch als ein Verfallsstil galt und der noch heute in Kraft stehende Stadtregulierungsplan für Wien von 1893 den geplanten Straßendurchbrüchen unbedenklich wahre Juwele der barocken Baukunst zu opfern bereit war.

Umgebaut worden sind noch im 18. Jahrhundert Schönbrunn und das Palais Strattman, im 19. Jahrhundert das Schloß in Neuwaldegg; weniger radikal Kiesheim und die Dreifaltigkeitskirche. Purifiziert wurde im 19. Jahrhundert der heute gut wiederhergestellte Hochaltar der Franziskanerkirche. Durch die Entfernung der Attikastatuen — man fühlt daran, wieviel sie für eine barocke Fassade bedeuten — wurden das Palais des Prinzen Eugen in der Himmelpfortgasse und das Palais Batthyäny-Schönborn empfindlich beeinträchtigt. Arg entstellt sind heute durch verständnislose Restaurierungen ihrer farbigen Erscheinung zwei Hauptwerke Fischers: das Palais Trautson und die Fassade, in geringerem Maße auch das Innere, der Kollegienkirche. Die schwächliche zartfarbige Fär-belung ihrer Innenfläche entspricht in keiner Weise dem großartig Feierlichen dieses Raumes. Am Palais Trautson sind durch den ganz unbarocken Grundsatz, Stein und Putz verschiedenfarbig zu behandeln, strukturelle Zusammenhänge in sinnlosester Weise zerrissen worden. Die viel zu scharfe farbige Sonderung verschiedener Teile an der Front der Kollegienkirche hat das plastische Ganze, das an ihr so unvergleichlich war, beinahe aufgelöst. Auch im Innenraum der Karlskirche hat die letzte Restaurierung den Wandgrund und die Gliederungen viel zu schroff gegeneinandergesetzt, dadurch den Raumeindruck erkältet und gemindert.

Nicht genug zu bedauern ist es, daß man sich entschlossen hat, vor der Karlskirche durch einen zweiten seitlichen Bau eine Art Platz zu schaffen, der das Allseitig-Freiräumliche ihrer Idee, das mit ihren größten Reiz ausgemacht hatte, nicht mehr zur Entfaltung kommen läßt und dies Monument zu einem Prospekt degradiert.

Die größte Schande aber ist es, daß man einen der zauberhaftesten Bauten Fischers, dem zwei simplifizierende Umgestaltungen des IS. Jahrhunderts nur wenig von seinem Zauber nehmen konnten, das Schloß Engelhartstetten-Niederweiden, noch in unserer Zeit hat zerfallen lassen. Die hochherzige Absicht eines der so selten gewordenen kunstverständigen Bauherrn unserer Zeit hat sich nicht durchsetzen können. In den wenigen Jahren seit dem Ende des Krieges ist dieses Kleinod der österreichischen Baukunst vollends zu einer traurigen Ruine geworden. Es zu retten und würdig wiederherzustellen, ist eine Ehrenpflicht seines jetzigen Besitzers, des Lan'des Niederösterreich, der es sich ohne ewigen Vorwurf nicht entziehen kann. Es wäre absurd, die Meisterwerke der eigenen Kunst zum Gegenstand, ja zum Mittelpunkt einer Kulturpropaganda zu machen, um ihren Bestand aber sich nicht zu kümmern. Ueber den Geist, der ein Hauptwerk des größten österreichischen Architekten fallen läßt, wäre das Urteil der Geschichte schon gesprochen.

Der geometrisch-technische Geist des „neuen Bauens“, der seit 1910 Revolution gemaent und den ganzen Planeten erobert hat, ist von Fischers Auffassung der Architektur weltenweit entfernt. Aber vielleicht wird gerade aus diesem großen Abstand das Unvergängliche in seiner Kunst klarer hervortreten als in den achtziger und neunziger Jahren, als man seine Werke durch die Brille eines fragwürdigen Neubarock sah, oder auch in der Zeit um 1910, als die kurze Woge des Expressionismus eine Begeisterung für den Barock in die Höhe brachte, in der ein echtes und ein falsches Verhältnis zum Barock sonderbar nebeneinanderstanden. Denn gerade die Begeisterung für den barocken Stil hat viel von dem zeitfreien Hohen der Meisterwerke verdeckt, die in barocker Sprache sprechen. Nicht so sehr durch seinen Stil ist der Barock groß, sondern durch die großen Geister und Seelen, die in barocker Sprache „gedichtet“ haben. Und das gilt auch für das_ Werk Fischers? bei dem — im Gegensatz etwa zu Borromini mit seinen leicht „surrealistischen“ Zügen — obendrein noch die klassische „Me-sotes“, das Maßvolle seiner Kunst, dem Verständnis der „Modernen“ im Wege steht. Mit dem deutlichen Abklingen der Vorliebe für den barocken Stil scheint für Fischers Kunst die europäische Stunde gekommen. Den Völkern West- und Nordeuropas ist die barocke Kunstsprache der Baukunst immer fremd und schwer begreifbar gewesen. Aber das Vollkommene eines Kunstwerkes ist grundsätzlich Menschen aller Zonen zugänglich. In den wenigen, die sich diesem Vollkommenen aufgeschlossen haben, lebt auch die Kunst Fischers und wird zum europäischen Besitz, ebenbürtig den größten Kunstwerken der deutschen Musik.

Für Oesterreich und für das deutsche Volk aber bedeutet sein Werk die sichtbare Erinnerung an eine große Stunde der eigenen Geschichte. Im allgemeinen Bewußtsein sollte Fischer neben dem Prinzen Eugen und neben Leibniz stehen.

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