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An Österreichs Thermenstraße

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Wer von Wien südwärts fährt, den begleiten von Anfang an zur Rechten die sanft geschwungenen Waldberge, deren mildes Graublau an weit südlichere Breiten gemahnt, der kostet, indes die Weingärten und Obstbäume vorübergleiten, römische Farben. Die Römer waren es auch, die im 1. Jahrhundert nach Christi durch ihre X. und XIV. Legion ein Militärbad errichteten, das sie „Aquae“ nannten: das heutige Baden. Alles ist dann in den Stürmen der Völkerwanderung untergegangen — aber die Quellen flössen weiter, und weiter blühte und reifte der Wein. Damit der Ort „wiederümb in aufnehmen kome“, erhob Kaiser Friedrich I. im Jahre 1480 den Markt zur Stadt. Welche Beachtung der Platz damals schon fand, beweist die erste Druckschrift über Baden, die älteste im deutschen Sprachgebiet überhaupt, im Jahre 1511 von dem Kremser Arzt Wolfgang Wintberger zuerst in italienischer, im folgenden Jahre in deutscher Uebersetzung unter dem Titel „Ein Traktat der Badenfahrt“ herausgegeben. Und abermals kamen bittere Zeiten über die Stadt: im ersten Türkeneinfall von 1529 wurde sie derart verwüstet, daß sie von Kaiser Ferdinand I; zur teilweisen Entschädigung für den „Schaden, Nachteil und Verderben“ die zwei sogenannten „Wildbäder“, das

Frauen- und das Neubad, erhielt Auch Reformation und Gegenreformation haben hier ihre Kämpfe ausgetragen, und statt im heilkräftigen Thermenwasser badeten sich beim zweiten Türkeneinfall die Eroberer im Blute: von den damals hier hausenden 1176 Einwohnern wurden 848 niedergemetzelt. Kaum hatte sich die Stadt von den Wunden etwas erholt, hielt der „schwarze Tod“, die Pest, schauerliche Ernte — man schrieb das Jahr 1713 —, und ein Jahr später vernichtete ein Brand große Teile der Siedlung. In jene Zeit fällt die Erwerbung der ältesten Quelle Badens und des Herzoghofes durch die Stadt; Maria Theresia und Kaiser Josef II. sorgten dann für ein langsames Aufblühen. Am Ende des 18. Jahrhunderts bot die Stadt ein typisch mittelalterliches Bild; leider ist aus jener Zeit nicht mehr viel erhalten geblieben, und das wieder ist in den folgenden Jahrhunderten durch Umbauten seines eigentlichen Charakters entkleidet worden: Augustinerkloster, Pfarrkirche, Bürgerspital, die Schlösser Leesdorf (wo im Vorjahre die „Musische Woche“ stattfand) und Weikersdorf. Auch das Barock, das in Oesterreich so viele Denkmäler hinterließ, ist im Baubild der Stadt nur spärlich vertreten: der Zwiebelhelm über dem Dachreiter der Pfarrkirche und vor allem die von Stanetti 1714 bis 1718 errichtete Dreifaltigkeitssäule vor dem Rathaus.

Was aber der Stadt das ihr heute kennzeichnende Gepräge gab, das war die Wandlung, welche sich am Beginne des 19. Jahrhunderts vollzog. Angeregt durch die Literatur jener Zeit, rührte sich ein neues Naturgefühl: den engen Mauern befestigter Städte entwöhnt, öffneten sich die Augen für die Landschaft. Damals weilte Kaiser Franz I. von 1803 bis zu seinem Tode jeden Sommer hier, die Tochter des Kaisers, Maria Louise, wohnte mit ihrem Sohne, dem Herzog von Reichstadt, im Florahofe in der heutigen Frauengasse; Metternich, Gentz, die Erzherzoge Karl und Anton lebten hier. Karl, der Sieger von Aspern, ließ das Empireschlößchen im Helenental erbauen, das er zu Ehren seiner Frau, einer geborenen Nassau-Weilburg, die „Weilburg“ benannte. Am Weihnachtsabend des Jahres 1825 erstrahlte hier der erste Christbaum in Oesterreich und bald fand dieser Brauch überall Eingang. Wenn wir jener Jahrzehnte gedenken, dann muß auch der Mann genannt werden, der mitunter geradezu mit Baden gleichgesetzt wurde: der hochbegabte Baumeister des Empire, Joseph Kornhäusls. Die Weilburg (1945 abgebrannt), die Pläne zum Rathaus, Häuser in der Theresiengasse, Pfarrgasse, Breyergasse und der Sauerhof stammen von Kornhäusl.

In dieser musisch berührten Stadt haben denn auch viele Künstler die Kraft zu ihrem Schaffen gefunden. Ja, es ist keine Uebertreibung, wenn man behauptet, daß — außer Wien — keine Stadt Oesterreichs derart reiche musikalische Erinnerungen birgt wie Baden, aber auch keine Stadt, in der die Musik zu jeder Zeit mit mehr Hingebung gepflegt wurde. Mozart wohnte im Hause Renngasse 4 und schrieb hier sein unvergängliches „Ave verum“; Beethoven weilte 15 Sommer in Baden — Rathausgasse 10 sah große Teile der IX. Symphonie entstehen, hier vollendete er seine „MiSsa solemnis“, Antonsgasse 4 schrieb er die Ouvertüre „Zur Weihe des Hauses“ und im Schloß Gutenbrunn die ersten drei seiner letzten Quartette. In Baden weilten C. M. von Weber, Schubert, Mendelssohn, Salieri, Kreutzer, Goldmark, Richard Strauß, Bittner und Kienzl. Auch die Meister der beschwingten Musik kehrten in Baden gerne ein: Lanner, Strauß Vater und Sohn, Wenzel Müller (er komponierte „So leb' denn wohl, du stilles Haus“), Millöcker (der Baden die Originalpartituren seiner Operetten vermachte, welche im Rolletmuseum zu sehen sind), Zeller, Ziehrer (auch Leiter der Kurkapelle gewesen), Komzak (dessen Walzer „Badner Madeln“ auch heute noch gerne gespielt wird), Lehär, Eysler, Fall, Oscar Straus, Stolz, Nedbal und viele namhafte Dirigenten, darunter Schalk. In der ersten Kurliste (im Jahre 1808 gedruckt) begegnet man den Dichtern Grillparzer (seine Trilogie „Das goldene Vlies“ ist mit Baden verbunden), Raimund, Stifter, Bauernfeld und Friedrich von Schlegel, und den Malern Lampi, Ender, Jakob und Rudolf, von Alt, Kriehuber, Daffinger, Schwind und den, der vielleicht am besten diesen Landstrich erfaßte: Waldmüller. Daß Fanny EIßler und Therese Krones auch in Baden weilten, sei nur so nebenbei erwähnt.

Man muß sich Zeit nehmen in Baden. Diese Stadt mit seinen traulichen Gassen und Plätzen hat zu jeder Tages- und Jahreszeit ein anderes Gesicht, immer blühen in den alten Vorgärten der Villen und im großen Kurpark mit seiner sechseckigen Blumenuhr (in ganz Europa gibt es nur drei dieser Art) andere Farben auf.

Aber man soll ob der Kunst nicht das vergessen, was für soziale Wohlfahrt und Gesundheit durch die immer rege Stadtverwaltung geschaffen wurde: 1866 Schon entstand das Kurhaus, 1908 das Theater, 1926 das Thermalstrandbad — damals kam der Plakatwerbetext auf: „Komm baden nach Baden!“ 15 Schwefelquellen entspringen im Stadtgebiet, die tägliche Ergiebigkeit liegt weit über sechs Millionen Liter bei einer natürlichen Temperatur von 35,8 Celsiusgraden.

Wenn von Baden die Rede ist, spricht man auch über sein Casino. Es war schon 1924 bis 1944 der größte Betrieb der Casino AG., seine Croupiers und Angestellten stammen meist aus der Stadt. Während der Besatzungszeit war das Casino eine Geldquelle für die Gemeinde und jetzt ist es ein wichtiger Faktor beim Wiederaufbau zerstörter Häuser. Was wäre aber Baden ohne seine weitere Umgebung! Eine kurze Autobusfahrt bringt uns in die Sommerfrische Bad Vöslau. Zwanzig Jahre aus dem Fremdenverkehr ausgeschieden, tritt die Stadt, deren Kennmarken: Wasser, Wein und Wolle heißen, wieder in den Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit. Einige Hotels (Belvedere, Stefanie) sind, modern ausgestattet, wieder in Betrieb, der Besuch nimmt stark zu. Das bekannte große Parkstrandbad ist ein Anziehungspunkt ersten Ranges. Wie dieses sind auch die Kurmittelanstalt, der Kurpark und die weitverzweigten Wege wiederhergestellt. Heuer wird auch aufs neue mit der Traubenkur begonnen. Eine der wichtigsten Industrien der Stadt ist die Aktiengesellschaft der Vöslauer Kammgarnfabrik, die kurz nach Kriegsschluß bereits ihre Produktion aufnahm und dadurch der Bevölkerung der Stadt und ihrer Umgebung festen Existenzgrund verschaffte. In der Vöslauer Fabrik und ihrem Schwesterbetrieb Möllersdorf sind rund 3700 Mensehen beschäftigt. Die soziale und kulturelle Betreuung der Arbeiter ist vorbildlich. In 600 werkeigenen Wohnungen wohnen allein schon 1200 Beschäftigte; im eingerichteten Kinderheim können die in der Fabrik beschäftigten Mütter ihre Kinder von drei bis acht Jahren kostenlos bei bester Pflege unterbringen — auch das Essen wird kostenlos beigestellt. Jugendliche, Färber und Kranke erhalten Zusatzverpflegung und eine Reihe von freiwilligen Sozialleistungen runden das Bild.

Vöslau besitzt drei heilkräftige Akrato-thermen aus vulkanischer Erdtiefe (frei von Schwefelwasserstoff) mit einer Temperatur von 24 Grad Celsius — auch an trüben Tagen —, schwedische Duschen, Schwimmbassins, Luft-und Sonnenbäderanlagen, von ausgedehnten Parks umgeben. Würzige Luft uralter Föhrenwälder läßt die Großstädterlungen freier atmen. Nur vierzig Minuten Autofahrt lohnen auch am Spätnachmittag (herrlich an Wochentagen!) den Besuch Bad Vöslaus. Auch nach Schluß des Badebetriebes bleiben Restaurant, Meierei, Büfett und Espressostube geöffnet und geben der Geselligkeit gemütliche Heimstatt.

Wenn von Vöslau die Rede ist, kann man schwer seinen Rebensaft vergessen. Er ist Weltmarke. Noch war Pasteurs Studie über den Wein nicht erschienen, die erstmals Licht in das Geheimnis der alkoholischen Gärung brachte, als schon Robert Schlumbergers „Vöslauer Goldeck“ auf der Weltfahrt der österreichischen Fregatte „Novara“, 1857 bis 1859, über alle Zonen seine Haltbarkeit bewies.

Vom Badner Hauptplatz gelangt man rasch in das hochromantische Helenental. Den Hauptreiz des Tales bilden seine Kalkfelsen und die Schirmföhren. Wie Pinien ragen ihre dunklen Silhouetten in den blauen Himmel. Die Feste Rauheneck, Rauhenstein und das Kirchlein Sankt Helena mit seinem Töpferaltar muß man auch gesehen haben, ehe man über Sattelbach nach Heiligenkreuz wandert. Soll man viel über dieses älteste Zisterzienserstift Niederösterreichs, das Leopold III. vor mehr als 800 Jahren gründete, sagen? Die Kirche ist eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges; ihr Kreuzgang ist so ziemlich in allen Kunstgeschichten abgebildet; im Querschiff der Kirche befinden sich die frühesten Kreuzrippen Oesterreichs. Künstlerpersönlichkeiten, wie Giuliani, Alto-monte (beide „familiaris“, das heißt Hausgenossen des Stiftes) und Rottmayr, sind untrennbar mit dem Namen Heiligenkreuz verbunden, das im übrigen auch eine bedeutende pädagogische Tradition hat.

Der gegenwärtige Abt Karl Braunstorfer baute das ehemalige Sängerknabenkonvikt zu einer Oblatenschule um, die in erster Linie jene Knaben aufnimmt, welche den Priesterberuf als Lebensaufgabe gewählt haben. Im Stiftskonvikt des Neuklosters und am Ober-gymnasaum in Wiener Neustadt können die Knaben ihre Studien fortsetzen. Die theologische Ausbildung erhält der Ordensnachwuchs an der mit Oeffentlichkeitsrecht ausgestatteten theologischen Lehranstalt des Stiftes, wo Professoren aus Heiligenkreuz, Zwettl und Lilienfeld wirken.

Heiligenkreuz hat eine bedeutende wissenschaftliche Tradition. Schon zur Zeit seiner wirtschaftlichen Blüte während des 13. Jahrhunderts haben hier ausgezeichnete Geister gewirkt: die Aebte Weiner, Sifrid und Gutolf (in der Literaturgeschichte unseres Landes für immer verzeichnet als ein feinsinniger Dichter, Geschichtsschreiber und Humanist). Nach 1300 wirkten Heinrich von Schüttenhofen, der Annalist und Dogmatiker Nikolaus Vischel und der Mönch Ambrosius. Weit strahlte diese pädagogische Kraft aus: in Prag ist das Zisterzienserkollegium Bernhardinum, in Wien das St.-Nikolaus-Kolleg in der Singerstraße gegründet worden. Bekannt wurde auch in der Folgezeit das Sängerknabenkonvikt — 15 86 quellenmäßig nachzuweisen. Die Musik wurde nicht nur im Konvikte, sondern auch von zahlreichen Mitgliedern des Stiftes selbst gepflegt. Von dieser musikalischen Atmosphäre wissen noch heute Lebende, wie der bekannte Dichter Ottokar Janetschek, in bewegten Worten zu erzählen. Die Sängerknaben von Heiligenkreuz trugen bis 1920 eine Uniform. Erlauchte Gäste — wie Kaiser Leopold I. — weilten oft und gerne im Stifte. Dieses Konvikt hat denn auch Künstler hervorgebracht, die in der Musikgeschichte unserer Heimat eine bedeutende Rolle spielten: den im Jahre 1873 verstorbene Orchesterdirektor des Hofoperntheaters zu Wien. Georg Helmesberger, und Johann Herbeck, den Chormeister des Wiener Männergesangvereins, der seine künstlerische Entwicklung ganz der Freigiebigkeit des damaligen Abtes Edmund Komarnony verdankte.

Die Gemäldegalerie besitzt vorzügliche Werke aus dem 15. Jahrhundert und aus dem Barock; im Museum befinden sich Tonfließenreste aus dem Kirchenchor, eine ausgezeichnete Steingußmadonna österreichischer Herkunft aus dem Jahre 1410 und vor allem eine unübertreffliche Sammlung von ungefähr 150 Tonmodellen G. Giulianis.

Wie könnte es anders sein, daß auch das Stift Heiligenkreuz für den Freund der Bücher eine zweite Heimat bildet? Schon Aenneas Sylvius Piccolomini, der spätere Papst Pius IL, schrieb aus Baden nach einem Besuche von Heiligenkreuz an den damaligen Abt Johannes Abzehn (1447-1451): „Ich habe auch Deine Bibliothek gesehen. Du besitzest einen großen Schatz, mit dem weder die Schätze des Darius, noch die Reichtümer des Krösus zu vergleichen sind.“ Neben den bereits genannten Aebten Werner, Sifrid und Gutolf von Heiligenkreuz trat als Bücherschreiber zwischen 1292 und 1316 der Mönch Ludwig von Tulln hervor. Die Bibliothek besitzt überdies wertvolle Handschriften aus dem,' 11. bis 13. Jahrhundert — von denen wahrscheinlich etliche im Stift selbst angefertigt wurden — und eine Sammlung sehenswerter Inkunabeln (Wiegendrucke). Man muß einmal zu früher Morgenstunde, nachdem die Glocken verhallt sind und sich eine wundersame Stille im Hause verbreitet, an ein geöffnetes Fenster treten: draußen liegt noch der Tau der Nacht auf den Wiesen, ein sanfter Wind flüstert in den Büschen und Bäumen — und nun so eine alte Handschrift aufschlagen: es ist eine Einkehr des Geistes.

II.

Wir sind auf der Heimfahrt. Und da müssen wir durch Gumpoldskirchen. Für die Weinkenner ebenso.ein Begriff wie Baden oder Vöslau. gut bekannt durch seine Spitzenerzeugnisse aus dem Schloß Gumpoldskirchen. Es sitzt sich gemütlich in den Hauerhäusern, den Dreiseithöfen. Der Markt ist schon Pfarre vor dem Jahre 1000, dem Deutschen Ritterorden inkorporiert. Die Kirche zum heiligen Michael darf man ebensowenig übersehen wie den luftigen Laubenbau des reizvollen Rathauses und das einstige Schloß, den einstigen Sitz des Landeskomturs, jetzt sozialen Zwecken als Altersheim dienend, und von den Deutsch-Ordens-Schwestern geleitet.

Auf der Straße nach Mödling zu kommt man durch T h a 11 e r n, einem Freigut des Stiftes Heiligenkreuz, von einer Wehrmauer umschlossen, kunstgeschichtlich bemerkenswert mit seiner spätgotischen Kapelle, die an das mittlere Hauptgebäude angebaut ist; die Statue des Auferstandenen am Orgelchor könnte möglicherweise von Giuliani stammen. Thallern sieht jeden Sonntag Kolonnen von Kraftfahrzeugen; es hat sich schon längst herumgesprochen, daß man dort gut bewirtet wird.

Hier vielleicht ist es richtig, den Abend zu erwarten. Das letzte Rot verglüht hinter den Waldbergen und weit drüben, dort, wo der Blick in die Weite der Ebene streift bis zum Rande des Rosaliengebirges und des Leitha-kammes, schimmern schon die ersten Sterne im Violettblau der aufziehenden Nacht.

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