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Das Bistum St. Pölten

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Das Bistum St. Pölten ist josephinischen Ursprungs und besteht seit dem Jahre 1785. E umfaßt das westliche Niederösterreich (die beiden Viertel ober dem Wienerwald und ober dem Manhartsberg) mit 414 Pfarren in 27 Dekanaten. 750 Welt- und Ordenspriester, von denen 520 in unmittelbarer Pfarrseelsorge stehen, betreuen 602.000 Katholiken (bei einer Gesamt- bevölkerüng von 627.000 Seelen). Auf einen Seelsorgepriester entfallen somit rund 1150 Gläubige. Da jedoch der Diözesanklerus stark überaltert ist, bedarf er jugendlicher Auffrischung und eines tüchtigen Nachwuchses.

Das Christentum im Diözesangebiet südlich der Donau reicht bis in die RömeTzeit zurück. Es ist gekennzeichnet und abgesteckt durch die beiden Heiligengestalten der österreichischen Frühzeit, S t. Florian und S t. S e v e r i n. Florian lebte zu Beginn des 4. Jahrhunderts als ehemaliger Kanzleivorstand des römischen Zivilstatthalters von Ufernorikum im Stadtbezirk von Cetium (St. Pölten). Von hier aus eilte er in der Christenverfolgung des Kaisers Diokletian in die Provinzhauptstadt Lauriacum (Lorch bei Enns), erlitt dort den Zeugentod für Christus und fand sein Wassergrab in der Enns. Und Severin, der 482 in Favianis starb, hat in den Wirrnissen der Völkerwanderungszeit segensreich unter der hiesigen Bevölkerung gewirkt und sich in schicksalsschwerer Zeitenwende als gottgesandter Mittler zwischen dem untergehenden Römer tum und der neuerstehenden germanischen Welt des Mittelalters erwiesen. Beide Heilige sind bis zum heutigen Tag lebendig im Bewußtsein unseres Volkes geblieben. Florian ist zum populären und hochverehrten Patron in Feuersgefahr und Wassernot geworden. Die Lokalisierung des Severin-Grabes in Mautern oder Heiligenstadt steht gegenwärtig gerade in lebhafter und leidenschaftlicher Diskussion.

Nach der Zeit der Völkerwanderung kam erst durch Karl den Großen und seinen Sieg über die Awaren wieder neues christliches Leben ins Donauland. Die Bistümer Salzburg und Passau führten im Verein mit anderen bayrischen Kirchen und Klöstern die Missionierung und Kolonisierung der neugewonnenen Gebiete durch und trugen abendländisch-christliche Kultur nach dem Osten. Bereits in frühkarolingischer Zeit fällt von Tegernsee aus die Gründung des Klosters St. Pölten (Treisma ad S. Hippolv- ttim), das nicht zu verwechseln ist mit dem damals gleichfalls auf römischen Trümmern entstandenen salzburgischen Traismauer (Treisma ad S. Martinum), in dessen Kirche um 835 der Slawenfürst Priwina die Taufe empfing. Das Hippolytkloster an der Traisen ist die älteste und einzige karolingische Klostergründung in Niederösterreich und wurde bald Eigenkloster des Passauer Hochstiftes.

Zu den alten Pfarrkirchen, die in karolingische Zeit zurückreichen, gehören die Martinskirchen zu Aschbach, Traismauer und Abstetten, St. Rupert in Winklarn (Scafaraveld), an dessen Stelle später die passauische Pfarre Amstetten trat, und wohl auch St. Martin am Ybbsfeld, dessen Pfarrechte um 1200 nach Ybbs übertragen wurden. Aus diesem Jahr besitzt St. Martin noch eine Glocke — die älteste Oktavglocke Oesterreichs, vielleicht Europas — mit der Inschrift: f O Rex glorie f veni cum pace f MCC (O König der Herrlichkeit, komm mit Frieden, 1200). Petruskirchen im reeens- burgischen Pöchlarn und salzburgischen Melk, die Agapituskirche im kremsmünsterischen Mautern, das passauische St. Pölten, Kirchbach (St. Andrä-Wördern) und St. Michael in der Wachau zeigen uns weitere Zentren karolingischer Urpfarren. Der Magyareneinfall 907 brachte wohl starke Rückschläge, doch wurde die Kontinuität von Siedlung und Christentum nicht unterbrochen.

Der Sieg Otto des Großen auf dem Lechfeld (955) und die Errichtung der ottonischen Mark an der Donau stellten das Christentum in unserer Heimat auf endgültig gesicherte Grundlage. Während die Babenberger das Land regierten, entstand eine Reihe von Klöstern. So wurde 1094 Ar dagger als Kollegiatstift von Kaiser Heinrich III. eegründet und dem Bistum Freising geschenkt. G ö 11 w e i g war ursprünglich gleichfalls Kanonikerstift, gegründet um 1070 durch den seligen Bischof Altmann von Passau, den großen Vorkämpfer des Reformpapsttums in Deutschland und Initiator der Chorherrenreform. Er liegt auch in seiner Lieb- lingsstiftung begraben (eest. 1091). Seine Reliquien befinden sich jedoch nicht im Grabmal der Krypta, sondern in einem Reliouienschrein in der Sakristei der Stiftskirche. Nach Altmanns Tode bezogen 1094 Benediktiner aus St. Blasien im Schwarzwald die Gründung des großen

Bischofs. Es war die erste Blüte, die die bur- gundische Klosterreform von Cluny auf nieder- österreichischem Boden zeitigte, und gipfelte in den Gestalten des ersten Göttweiger Abtes Hartmann (gest. 1114) und seines Priors, des seligen Berthoid von Garsten (gest. 1142). Auch für das herrlich gelegene Donaustift Melk nimmt man anfänglich eine Kanonikerstiftung in der ehemaligen Babenbergerresidenz an. 1014 wurde dort durch den Markgrafen Heinrich I. der heilige Koloman beigesetzt, der Landespatron Oesterreichs vor dem heiligen Leopold. Benediktinerkloster wurde Melk 1089. Von Lambach besiedelt, stand es im Zeichen der oberlothringischen Reform des Reichsmönchtums, die von Gorze ausging. Später hat dann die Reform von Hirsau von den heimischen Benediktinerklöstern Besitz ergriffen.

Die weiteren Klostergründungen fallen in das

12. und 13. Jahrhundert: die Augustiner-Chorherrenstifte St. Georgen (1112), 1244 nach Her- zogenburg übertragen, und St Andrä an der Traisen (1160), die Benediktinerklöster Seitenstetten (1112) und Altenburg (1144), das Zisterzienserstift Zwettl (1138), die Kuenringer- stiftung im Nordwald, und das Prämonstratenser- stift Geras (um 1150). Den Abschluß bildet das von Leopold VI. gegründete und von Heiligenkreuz besiedelte Lilienfeld (1206). Die im romanisch-gotischen Zisterzienserstil erbaute Stiftskirche ist die größte Kirche der ganzen Diözese. Von hier aus trat der Babenbergerherzog 1217

seinen Kreuzzug an, hier fand er 1230 auch seine Grabstätte. Als ältestes Frauenkloster der Diözese ist das der Benediktinerinnen von Erlaa bei St. Valentin bekannt, das als Tochterkloster von Nonnberg in Salzburg um 1120 bis 1150 entstand (bis 1583).

Die erste Kunde von Pfarrgründungen nach den Magyarenstürmen gibt eine Urkunde Kaiser Heinrichs II. vom 5. Juli 1014, in der dem Passauer Hochstift Grundbesitz zur Errichtung von Kirchen an fünf Orten geschenkt wurde, worunter sich Herzogenburg, Krems und Tulln im Gebiet der heutigen Diözese St. Pölten befinden und die sämtlich das passauische Stephanspatrozinium aufweisen. Passauer Gründungen der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts sind ferner St. Valentin und die Stephanspfarren Weistrach, Stephanshart, Amstetten, Petzenkirchen, Melk, Hürm, Weiten, Wilhelmsburg, Mautern und Zwentendorf. Um dieselbe Zeit entstanden auch das Tegernseeische Strengberg, das bambergische Haag, das freisingische Neu- hofen-Ulmerfeld, das regensburgische, später mondseeische Steinakirchen am Forst und das vom heiligen Bischof Wolfgang von Regensburg 979 gegründete Wieselburg, in dem man vielleicht den ursprünglichen Sitz der Regensburger Bischöfe auf ihrem Güterbesitz in der Mark erblicken kann. Beim Umbau der alten St.-Ulrichs- Pfarrkirche hat man erst kürzlich die Reste eines vorromanischen oktogonalen Hochbaues erkannt, dem vier Kapellen in Kreuzesform angebaut waren. Zu den ältesten Pfarren des Waldviertels gehören die später babenbergischen Eigenpfarren Gars, Meisling, Altpölla und Weitersfeld sowie die Pfarren Raabs und Pern- egg, Gründungen der gleichnamigen Grafen-- geschlechter, und die Doppelpfarre Horn-Neukirchen im ehemaligen Poigreich.

Kirchlich gehörte das Diözesangebiet seit dem

10. Jahrhundert zum Bistum Passau, das für das Land unter der Enns einen Offizial in Wien unterhielt, der bei Maria-Stiegen amtierte, oft Weihbischof und seit dem 17. Jahrhundert zugleich Pfarrer von Tulln war. St. Pölten selbst war bis zum Jahre 1481 bischöflich-passauische Stadt. Der silberne Wolf im blauen Feld des Stadtwappens erinnert heute noch an die Zeit,

als es dem Passauer Hochstift hier fast gelang, aus Eigenklosterrecht, Grundherrschaft und Lehensherrlichkeit über Vogtei und Blutgerichtsbarkeit zur vollen Landeshoheit vorzudringen.

Das Hochmittelalter zeigte seinen Formenreichtum auf religiösem Gebiet. Zahlreich waren die Klostergründungen der neuen Orden und die geistlichen Stiftungen in den Städten und bei den Bürgern. Das bedeutendste der neuen Klöster war die Kartause Gaming, gegründet 1330 durch den Habsburger Albrecht II. Im 15. Jahrhundert hatten die Kirchen und Klöster des Waldviertels schwer unter den Einfällen der Hussiten zu leiden, dafür machte sich südlich der Donau eine herrliche klösterliche Erneuerungsbewegung bemerkbar, die als Melker Reform unter dem Abt Nikolaus Seyringer (1418—1425) und dem Prior Petrus von Rosenheim bis nach Süddeutschland ausstrahlte. Das Wirken des heiligen Johannes von Capestrano (gest. 1456) führte zur Gründung von Franziskanerklöstern in Eggenburg, Langenlois, St. Pölten. Auch die vielen spätgotischen Kirchenbauten zeugen vom tiefreligiösen Sinn unserer Heimat im Herbst des Mittelalters.

Ein Jahrhundert später haben Glaubensspaltung und Türkennot auch die Kirche in unseren Gegenden schwer heimgesucht. Der reiche und mächtige Adel des Landes war fast zur Gänze protestantisch geworden. Um 1580 gab es im Diözesangebiet gegen 140 lutherische Prädikanten. Wir ermessen die Aufgabe und Arbeit, die der unermüdliche Melchior Khlesl als passauischer Offizial bei der Rekatholisierung zu leisten hatte. Die neuerwachte katholische Restauration vertraten hier vor allem bedeutende Aebte und Pröpste der erneuerten Klöster. So in Melk Caspar Hofmann (1597—1623) und Rainer von Landau (1623—1637), in Seitenstetten Caspar Plautz (1610—1627) und Plazidus Bernhard (1627—1648), in Göttweig David Gregor Corner (1631—1648), in St. Pölten Johannes Fiinfleutner (1636—1661), in Lilienfeld Cornelius Strauch (1638—1650) und Matthäus Kol- weis (1650—1695). in Zwettl Ulrich Hackl (1586-1607) und Bernhard Link (1646-1671).

Die Barockzeit brachte eine Steigerung der Frömmigkeit, aber auch der religiösen Prachtentfaltung. Es entstanden neue Wallfahrtsorte. Zu dem mittelalterlichen Dreifaltigkeitsheiligtum auf dem Sonntagberg traten nun Hoheneich (1621), Maria-Dreieichen (1656) und Maria-Taferl (1660), das marianische Landesheiligtum bis zum heutigen Tage. Die Aebte Berthoid Dietjnayr. von Melk (1700—1739) und Gottfried von Bessel von Göttweig (1714—1749) und andere schufen prachtvolle Klosterpaläste, Propst Johann Michael Führer (1715 bis 1745) ließ das herrliche Innere der St.-Pöltner Stiftskirche (nunmehrigen Domkirche) erstehen, Kunstwerke, die für immer mit dem Namen eines Jakob Prandtauer, Lukas von Hildebrand, Daniel Gran, Bartholomäus Altomonte und Paul Troger verbunden sind. Seit 1706 befindet sich in St. Pölten auch das Mutterhaus der Englischen Fräulein für Oesterreich.

Einen neuen Abschnitt im kirchlichen Geschehen St. Pöltens eröffnete die Regierungszeit Kaiser Josephs II. Wenn auch eine Reihe von Klöstern der Aufhebung verfiel, so blieben doch die wichtigsten erhalten. Im Zuge der Neuordnung der Diözesen verfügte der Kaiser im Jahre 1785 die Uebertragung des Bistums Wiener Neustadt nach Sankt Pölten und die Errichtung einer eigenen Diözese daselbst. Der erste St.-Pöltner Bischof, Heinrich Johann von Kerens (1785 bis 1792), früher Bischof von Roermond in Flandern und Wiener Neustadt, hat mit großer Umsicht und Tatkraft den Aufbau der neuen Diözesanverwaltung durchgeführt und das Priesterseminar gegründet. Sein Nachfolger, Sigismund Anton Graf von Hohenwart, wurde 1803 Erzbischof von Wien. Gottfried Joseph Crüts von Creits (1806—1815) hat sich während der Franzosenzeit große Verdienste um seine Bischofsstadt erworben. Zu den bedeutendsten St.-Pöltner Bischöfen gehören Jakob Fr int (1827 bis 1834) als theologischer Schriftsteller wie als Begründer des höheren priesterlichen Bildtings- instituts in Wien und einer sozial vorbildlichen Industrieschule für arme Mädchen in St. Pölten, Michael Johann Wagner (1836—1842),

ein Vorkämpfer für die kirchliche Freiheit und Wegbereiter des Konkordats von 1855, Ignaz Feigerle (1851—1863), unter dem die Diözese auf religiösem Gebiet einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Weltbekannt wurde Sankt Pölten durch seinen gelehrten Bischof Joseph Feßler (1865—1872), den Sekretär des Vatikanischen Konzils. Die folgenden Bischöfe stammen aus der Diözese selbst: Matthäus Joseph Binder (1873—1893), der feinsinnige Gelehrte und Prediger, Johannes Rößler (1894—1927), eine markante Persönlichkeit, die mit Mut und Kraft regierte und den Klerus aktivierte, Michael Memel- a u e r (seit 1927), der Typus eines Seelsorgerbischofs, der seine Diözese in schwerster Zeit durch alle Fährnisse ruhig und sicher hindurchgeleitete und heuer auf sechzig Jahre Priestertum und dreißig Jahre Bischofsamt zurückblicken kann. Sein Koadjutor, Dr. Franz König (1952—1956), kam im Vorjahr auf den erz- bischöflichen Stuhl nach Wien, wie ja auch bereits der Wiener Kardinal Franz Nagl (1911—1913) aus der St.-Pöltner Diözese stammte.

Auch der übrige St.-Pöltner Klerus weist in den letzten hundert Jahren klangvolle Namen auf. An der Spitze stehen al gelehrte Th ologen die beiden Werner: Franz Werner (1810 bis 1866), der wissenschaftliche Ueberwinder der Lehre des Hermesianismus, über den soeben eine eingehende Monographie aus der Feder des St.-Pöltner Theologieprofessors Dr. losef Pritz erschien, und Karl Werner (1821—1888), später Professor an der Wiener Universität, der größte Theologe Oesterreichs im 19. Jahrhundert, hochverdient um die Erforschung der Theologiegeschichte und die Erschließung der Philosophie des Mittelalters, deren Neubelebung und Verbindung mit der neueren Philosophie ihm am Herzen lag. Weit über die Grenzen der Diözese wirkte als Sozialpolitiker, Vorkämpfer der christlichsozialen Bewegung und Organisator des österreichischen Klerus Prälat Joseph Scheicher (1842—1924). Genannt seien noch wegen ihrer wissenschaftlichen Leistungen Propst Anton Kerschbaumer aus Krems und Professor Dr. Johannes Döller, aus dem Ordensklerus Leopold Janauschek (Zwettl), Ignaz Keiblinger und Wilhelm Schier (Melk). Gottfried Frieß, Martin Riesenhuber und Anselm Salzer (Seitenstetten), Adalbert Dungel und Adalbert Fuchs (Göttweig) sowie die Dichter Ladislaus Pyrker (Lilienfeld) und der bekannte Piarist Joseph Misson.

St. Pölten ist ein noch junges Bistum, aber altehrwiirdig sind Geschichte und Tradition von Bischofsstadt, Bischofskirche und Diözesangebiet. Das St.-Pöltner Bistum umschließt ja auch das Kernland, die Keimzelle, aus der einst Oesterreich erwuchs. Kommt doch der Name Oesterreich (Ostarrichi) zum erstenmal in einer Urkunde vor, in der Kaiser Otto III. dem Bistum Freising den Besitz an der Ybbs um Neuhofen inmitten des heutigen Diözesangebietes schenkte (996). An die 20.000 Geistliche, die sich namentlich noch feststellen lassen und in den 15 Bänden der „Geschichtlichen Beilagen' zum St.-Pöltner Diözesanblatt und den nachgelassenen Manuskripten des um die Erforschung der Diözesangeschichte so verdienten Kanonikus Alois Plesser (gest. 1937) auf- eearbeitet sind, haben auf dem Boden deT Sankt- Pöltner Diözese ein Jahrtausend Geschichte und auch Kircheneeschirhte Oesterreichs miterlebt und mitgestaltet. Die Diözese des heiligen Hippolyt ist auch heute bereit und bemüht, zum peistig-sittlichen und religiösen Aufbau unserer Heimat mit aller Kraft beizutragen und so das Gottesreich in einem christlichen Oesterreich immer mehr Wirklichkeit werden zu lassen.

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