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Dank an Seitenstetten

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Unter den Benediktinerklöstern, welche in den österreichischen Alpen- und Donauländem eine so segensreiche Tätigkeit entfaltet haben, hat das im niederösterreichischen Voralpenland zwischen Enns und Ybbs in einer stillen und idyllischen Landschaft gelegene Seitenstetten durch seinen guten Geist und sein hervorragendes Gymnasium einen besonderen Ruf. Das 1112 von dem Edelfreien Udalschalk von Stille und Heft begründete und mit Mönchen aus Göttweig besiedelte Benediktinerkloster, gefördert von den Passäuer Bischöfen und dem einflußreichen Kanzler, Kaiser Friedrich I. Barbarossa, Erzbischof Wichmann von Magdeburg, dem letzten Sproß der Grafen von Seeburg und Gleiß an der Ybbs, hat weniger als andere Stifte in der politischen Landesgeschichte mitgewirkt. Aber es hat wesentlichen Anteil an der kolonisatorischen Tätigkeit im Alpenvorland östlich des Ennswaldes und im Gebiet der Ybbs und ihrer Nebenflüsse und entscheidenden Anteil am kulturellen und religiösen Leben Niederösterreichs; durch seine Lehrtätigkeit weit darüber hinaus.

Seit 850 Jahren erklingt das be- nediktinische Gotteslob in Seitenstetten, und am 28. Juli dieses Jahres sind 150 Jahre verflossen, seit Kaiser Franz I. die Privatlehranstalt der Benediktiner in Seitenstetten zu einem öffentlichen Gymnasium erhob. Seitenstetten ist als Bauwerk nicht so großartig und weiträumig wie andere in der Barockzeit entstandene Stifte. Es ist als Kloster durch die Geschlossenheit seiner um die Kirche als Mittelpunkt von Josef Munggenast und Johann Gottlieb Hayberger (1719 bis 1747) errichteten Barockanlagen bemerkenswert.

In der breiten Öffentlichkeit ist Seitenstetten durch sein Stiftsgymnasium bekannt. Zu seinen Schülern - 0 zählten unter anderen Bundeskanzler1 Raab, Bündespräsi- dent Dr. Wilhelm Miklas, Ministerpräsident Dr. Heinrich Lammasch, Bürgermeister Kajetan von Felder von Wien, Fürsterzbischof Kardinal Franz Nagi, die Bischöfe Michael Memelauer und Žak von St. Pölten, die Mediziner Dr. Hans Haber er, Guido Holzknecht und Wilhelm Starlinger, die Theologen Dr. Carl Jellouschek und Aemilian Wagner, die Historiker Univ.-Prof. Doktor Wilhelm Bauer, Heinrich Kretsch- mayer, Josef Zibermayr, der Archäologe Rudolf Heberdey, der Numismatiker August Lohr, der Kunsthistoriker P. Anselm Weissen- hofer, die Techniker und Industriellen Josef Stiny (TH Wien), Ing. Moritz Paul (Skoda-Werke), Generaldirektor Dr. Alfred Demmelmayer und Dr. Ing. Carl Hahn (Autounion- DKW), die gegenwärtigen Äbte von Göttweig, Gerds ‘ und Zwettl, um nur einige von den rund 6000 Obergymnasiasten und rund 2000 Maturanten des Seitenstettner Gymnasiums zu nennen.

Stolze Ahnengalerie

Abt Kolumban Zehetner (1813 bis 1834) bemühte sich um die Errichtung eines öffentlichen Gymnasiums und Konviktes in Seitenstetten in der Überzeugung, „daß die Klöster ein Spiegel moralischer und geistiger Kultur des’Menschen sind, daß ihre fortschreitend christliche Veredelung nebst der Pflege der Wissenschaften eine ihrer vorzüglichsten Aufgaben ist… und daß dieses erhabene Ziel ohne Erziehung und Bildung der Jugend, auf der die Hoffnung der Zukunft ruht, nie erreicht werden könnte.” Mit Dekret vom 28. Juli 1814 erhob Kaiser Franz I. die Privatlehranstalt zu einem öffentlichen Gymnasium, das am 4. November eröffnet wurde. Aber wirtschaftliche und personelle Schwierigkeiten nötigten 1850 bis 1866 die Anstalt, nur ein Untergymnasium zu führen. Mit Beginn des Schuljahres 1866/67, von dem an auch durch 56 Jahre bis zur Wirtschaftskrise 1922 das durch hervorragende wissenschaftliche Beiträgfe ausgezeichnete jährliche Gymnasialprogramm erschien, begann der Aufstieg des Gymnasiums zu feiner der renommiertesten Mittelschulen Altasterreichs.

Abt Ludwig Ströhmer (1852 bis 1868) und Abt Dominik Hönigl (1868 bis 1908) bewirkten den allgemeinen Wiederaufstieg der Benediktinerabtei, deren Lehrer in Wien und später in Innsbruck ihre Ausbildung erhielten.

Unter den Seitenstettner Gymnasiallehrern ragten einige besonders hervor, so der aus Ybbsitz gebürtige Heimatschriftsteller P. Robert Weißenhofer (1843 bis 1900), der aus Waidhofen an der Ybbs stammende Historiker Gottfried Frieß (1836 bis 1904), der Physiker P. Karl Puscht aus Wolfsbach (1825 bis 1912), der Botaniker P. Udiscalc Sigl, der Literarhistoriker P. Anselm Salzer (1856 bis 1938), der Mathematiker P. Ambros Sturm, die Kunsthistoriker P. Martin Riesenhuber und P. Anton Unterhofer, der Historiker P. Ludwig Matter, ein wahres Universalgenie, und der Heimatforscher P. Petrus Ortmayr, der als Erzabt von Salzburg verstorbene ffeinsinnige Schriftsteller P. Jakob Reimer, der als Salzburger Philosophieprofessor verstorbene Pater Amilian Wagner, der Musiker Pater Isidor Mayrhofer und nicht zuletzt die Äbte Hugo Springer (1908 bis 1920), Theodor Springer (1920 bis 1958) und Ägidius Decker (1958 bis 1962).

„Sache des Staates ..

Das Gymnasium konnte vom 20. bis 25. Juni 1870 die erste schriftliche und am 1. August 1870 die erste mündliche Reifeprüfung abhalten. Das Ansehen der Schule führte neben den aus der Umgebung stammenden Schülern aus ganz Österreich lernbegierige Jünglinge nach Seitenstetten. Entsprechend wurden die Einrichtungen des Gymnasiums, des Konvikts, des Seminars erweitert, ausgestaltet und modernisiert. Adolf Fürst Auersperg baute ein Schülerheim, das 1955 an das Seminar der Diözese St. Pölten überging. Nach 124jährigem Bestand wurde 1938 „mit sofortiger Wirkung” das öffentlichkeitsrecht entzogen, weil „die Erziehung und Ausbildung der Jugend grundsätzlich Sache des Staates” nach nationalsozialistischer Auffassung war. Aber am 2. Oktöber 1945 konnte das Gymnasium wiedereröffnet werden.

Der Geist der Benediktiner von Seitenstetten vermochte alle Gymnasiasten sich wohlfühlen lassen, sie sich wie in einer Familie und wirklich zu Hause, daheim sich entwickeln zu lassen. Der spätere Landmarschall von Niederösterreich und liberale Bürgermeister von Wien (1868 bis 1871), Kajetan von Felder, war 1827 bis 1830 Konviktzögling und Gymnasiast in Seitenstetten und schrieb in seinen Erinnerungen: „Die Behandlung war eine gute und nicht weniger als muckerhafte und die Kost eine vorzügliche… Man hat viel gefaselt gegen Knabenerziehungsanstalten, insbesondere gegen geistliche Konvikte. Meine vielfältigen Erfahrungen und mein eigener Lebenslauf geben die bündige Widerlegung. Viele Männer, die im Staat, in Wissenschaft und Kunst Bedeutendes geleistet haben, haben in den Benediktinerstiften Seitenstetten, Kremsmünster und Melk ihre Erziehung und Ausbildung genossen… Ordnung und Disziplin, strenge Einhaltung der vorgeschriebenen Zeiteinteilung, steter Verkehr mit den Lehrern, die jeden ihrer Schüler genau kennen und zu behandeln wissen, dann der geweckte Ehrgeiz wirkt geradezu Wunder… In der Tat verdanke ich dem Stift Seitenstetten meine Laufbahn auf dem Gebiet des Wissens und des praktischen Lebens.” Ein Bekenntnis, das jeder, der das Glück hatte, in Seitenstetten zu studieren, gerne selbst bestätigen wird.

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