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Europäischer Geist in Meran

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Im Reigen der Veranstaltungen, die in Südtirol im Jahreslauf stattfinden, kommt unzweifelhaft den „Meraner Hochschulwochen zur Pflege europäischen Denkens” der erste Rang und die größte Bedeutung zu. Die deutsche Volksgruppe in Südtirol ist sich der großen kulturellen Verpflichtung bewußt, die ihr als Heimat des Verfassers des ersten Buches in deutscher Sprache, des aus Mais bei Meran stammenden Freisinger Bischofs Arbeo, der Minnesänger Walther von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein, der deutschen Bürgerspiele und vieler bedeutender Männer im Geistesleben der deutschsprachigen Völker zukommt. So haben nach Abwürgung des deutschen Wortes und deutschen Kulturlebens seit 1918 mit der Ermöglichung neuer Regsamkeit dank der amerikanischen und englischen Besatzungsmacht 1945 Bemühungen um einen Wiederaufbau eines eigenständigen Kulturwesens eingesetzt. Eigene Anstrengung und Opferbereitschaft und Mithilfe aus den freien, deutschsprachigen Ländern Europas haben so allmählich die Entfaltung eines Kulturlebens gestattet, das die jahrzehntelange Unterbrechung aufholt und unter Anknüpfung an die alte Tradition neue geistige Lebendigkeit aufblühen läßt.

Südtirol und insbesondere Meran sind heute zur Abhaltung von Kongressen beliebte Stätten. Die Meraner

Hochschulwochen aber fallen aus dem Rahmen der heute so zahlreichen Kongresse und Tagungen, wie sie von einzelnen Hochschulinstituten, Sommeruniversitäten, Vereinigungen aller Art oft aus repräsentativen Gründen abgehalten werden. Die Meraner Hochschulwochen sind eine durch ihren hohen wissenschaftlichen Charakter und ihren europäischen Gehalt repräsentative Veranstaltung, aber sie haben keinen repräsentativen, sondern einen wissenschaftlichen, einen pädagogischen und einen allgemein kulturellen Zweck. Sie sind ein Zeugnis des Studium generale, einer wahren Universitas, und diese in unserer Zeit lebendig zu erhalten und in jedem einzelnen Hörer neu zu verwirklichen, ist eines jener hervorragenden Ziele. Die 1961 zum achtenmal stattfindenden Meraner Hochschulwochen zur Pflege europäischen Denkens sind im Südtiroler Geistesleben lebendig verwurzelt, haben sich als wahrhaft fruchtbar erwiesen und besitzen einen bestimmten Rahmen, der sich aus Vorlesungen und Vorträgen, Exkursionen und künstlerischen Veranstaltungen zusammensetzt. Vom Südtiroler Kulturinstitut getragen und vorbereitet, setzt sich ihr Hörerkreis aus Südtiroler Hochschülern, Altakademikern, Lehrern und Professoren und Hörern von Hochschulen aus allen deutschsprachigen Ländern zusammen. Die

Vortragenden aber sind Gelehrte der hohen Schulen und des akademischen und kulturellen Lebens aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet.

Die 8. Meraner Hochschulwochen finden vom 11. bis 22. September statt. Im Rahmen des Generalthemas „Die geistigen Grundlagen der Gegenwart” wird bei der Eröffnungsfeier, die im üblichen festlichen Rahmen im Meraner Kurhaus stattfinden wird, der Altmeister der deutschen und europäischen Pädagogik, der emeritierte Bonner Universitätsprofessor Doktor Theodor Litt, dessen Werke Weltruf haben und dessen Einfluß auf die zeitgenössische Pädagogik kaum abzuschätzen ist, den Festvortrag über „Funktion und Verantwortung der Wissenschaft im Leben der Gegenwart” halten.

Die beiden durchlaufenden Vorlesungen der ersten Hälfte der Hochschulwoche bestreiten der Soziologe der Freiburger Universität, Universitätsprofessor Dr. Arnold Berg- strässer, Inhaber des Lehrstuhls für wissenschaftliche Politik, ein Schüler von Max Weber, mit dem Thema „Zur Standortbestimmung der Gegenwart”, und der als Nachfolger des bekannten Pastoraltheologen und Jugendseelsorgers Prälat Dr. Michael Pfliegler an die Universität Wien berufene Bamberger Theologe, Universitätsprofessor Dr. Hans Pfeil, mit dem Thema „Das Problem von Wissen und Glauben”. Dabei geht es vor allem um die Frage des Dogmas in der modernen Welt. Die zweite Woche bestreiten mit Vorlesungen der Wiener Professor Dr. Claus Pack, bekannt durch seine Beiträge in der Zeitschrift „Wort und Wahrheit” und seine Vorlesungen an der Akademie für bildende Künste, mit der Vorlesung „Die Bestimmung der Kunst in der Gegenwart”, und Univ.-Prof. Dr. Otto H i 11 m a i r, ein Sohn des einstigen Innsbrucker Anglisten und Neffe des derzeitigen Leiters der Innsbrucker Universitätsklinik, der Schüler des bekannten Physikers und Mathematikers March war, in Australien und Amerika sich fortbildete und jetzt Dozent am österreichischen Atomforschungsinstitut und Professor für theoretische Physik an der Wiener Technischen Hochschule ist, mit dem Thema „Naturwissenschaftliche Erkenntnis und technischer Fortschritt”.

An den Abenden finden wie üblich Einzelvorträge statt. Gesandter Doktor Rudolf Kirchschläger, der Mitglied der österreichischen UNO-Dele- gation in New York ist, spricht über „Die Institution der UNO”, wobei er besonders erläutern wird, wie weit die Kompetenzen der UNO reichen und wofür sie zuständig ist. Ein Verwandter des bekannten Historikers von Raumer, der Universitätsprofessor Dr. Kurt von Raumer, hervorgetreten durch sein Werk „Der ewige Friede”, spricht über „Friede und Friedensidee als Aufbauelemente europäischer Geschichte”. Österreichs Bundesminister für Handel, Dr. Fritz Bock, wird ein sehr aktuelles Thema, akzentuiert durch die nunmehr sich abzeichnende Vereinigung der beiden Gemeinschaften, behandeln: „Europa zwischen EWG und EFTA”.

Das musische Element

Die musischen Veranstaltungen der ersten Woche sind nach dem Gesellschaftsabend am Eröffnungstag ein Chorkonzert des Bonner Collegium Cantorum und ein Burgtheaterabend. Im anheimelnden Meraner Stadttheater bietet das Wiener Burgtheater, die erste Sprechbühne in deutschen Landen, alljährlich eine Aufführung zu -■ Ehfin 3ÄbnMerafi ‘J1Hochsehulik>eheli’.r’ i DieSfiälnjkbi M Wuinit

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In der zweiten Woche spricht der Rektor der Universität Hamburg, der evangelische Theologe, Universitätsprofessor DDr. Helmut Thielicke, Verfasser des vielbeachteten Buches „Das Problem des Nihilismus”, der sich besonders mit der Frage der modernen Lebensgestaltung aus dem Geiste des Christentums befaßt, über „Die Frage nach dem Sinn unseres Lebens”. Der Jurist, Universitätsprofessor Dr. Ulrich Scheuner, Bonn, der viel über die Grenzen der staatlichen Souveränität und das Problem, wo dem Vollzug der staatlichen Gewalt Grenzen gesetzt sind und wie weit der Staat in die Intimsphäre des Menschen eingreifen kann, gearbeitet hat, erörtert das sehr zeitgemäße Thema „Die Grenzen des Staates”. Der Präsident der Akademie für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg, Prof. Dr. Eberhard Preußner, hervorgetreten mit einer ebenso den Ansprüchen der Wissenschaft wie Volkstümlichkeit entsprechenden Geschichte der abendländischen Musik, behandelt das Thema „Tonale und atonale Musik”. Der bekannte Mainzer Pädagoge und Philosoph Univ.-Prof. Dr. Karl Hol- z a m e r, Präsident des Beirates des Westdeutschen Rundfunks, von dem eben im Bertelsmann-Verlag in der Reihe „Das Wissen der Zeit” der Band „Philosophie. Einführung in das Denken der Welt” erschienen ist, ein Vortragender früherer Meraner Hochschulwochen erörtert die Frage „Fernsehen, ja oder nein”.

In Verbindung mit der Exkursion, die wieder Univ.-Prof. Dr. Friedrich Metz, Freiburg im Breisgau, führen wird und die von Meran über den Jaufen und Sterzing und Neustift nach Brixen führt, findet in der alten Bischofsstadt die gemeinsame Hundertjahrfeier der Stadt und des Südtiroler Kulturinstitutes und der Meraner Hochschulwochen für Jakob Philipp Fallmerayer statt. Der „große Frag- mentist” ist ja in Tschötsch, westlich von Brixen, geboren und war zeitlebens mit Brixen, wo er das Gymnasium besuchte, mit vielen Fäden verbunden. Ein Abschiedsabend in Meran beschließt die Tage.

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