6565452-1949_43_03.jpg
Digital In Arbeit

Hochsdiulwochen und Hochschülerschaft

Werbung
Werbung
Werbung

In der „Furche“ vom 10. September klagt der Berichter der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen über die Zersplitterung in den Veranstaltungen für Hochschüler während der Sommermonate. Und über die gefährdete, wenn nicht schon verlorene Monopolstellung der alten Salzburger Einrichtung. Nichteingeweihte und Nichtteilnehmer werden kaum erraten, worin die „Zersplitterung“ bestehen soll. Hier wird sie nicht verstanden als eine wahllose Kräftevergeudung der wenigen Vortragenden durch feine ungemäße Inanspruchnahme auf vielen Tagungen. Die Klage geht auf den geringen Besuch der Salzburger Hoch- chulwochen durch Hochschüler, also diejenigen, für die sie in erster Linie geschaffen wurden. Ist das erschreckend? Ein böses Symptom?

Für die breite katholische Öffentlichkeit gelten heute noch die Salzburger Hochschulwochen als alleinige geistige Tagung dieser Art. Das entspricht nicht mehr den Tatsachen. In diesem Sommer allein wurden außerdem von kleineren Treffen abgesehen fünfzehn Studienwochen der katholischen Hochschülerschaft Österreichs gehalten, von denen die meisten sich, was Hörerzahl anlangt, mit der Salzburger Tagung durchaus messen können. Zählt man aber nur die Studenten und Akademiker, dann hat fast jede der fünfzehn Tagungen mehr Besucher als Salzburg. Es gehört zu einer ehrlichen Information des katholischen Volkes, daß dies gesagt wird.

Da gab es vom 21. bis 28. August in Kremsmünster die „Internationale Studienwoche“ mit dem Thema „Die Mächte dieser Welt politische Macht, Wirtschaft, Sexus und ihre Bewältigung im Glauben“, besucht von 120 bis 150 Studenten und Akademikern, die in einer geschlossenen Gebets- und Arbeitsgemeinschaft um die Lösung der Probleme rangen. Da war die Pax-Romana-Tagung vom 23. bis 31. Juli in Matrei am Brenner mit dem Thema „Die christliche Einheit des Abendlandes“. Im Anschluß tagten die Akademikerseelsorger vom 1. bis 7. August in Stift S t a m s, ebenso die in- terdiözerne Theologenwoche in Klagenfurt.

Außer diesen gemeinsamen Tagungen veranstalten alljährlich die Studentenseelsorger der einzelnen Diözesen, auch jener, die keine Hochschulen aber viele Hochschüler haben, eigene „Wochen“. Ihr Kennzeichen ist: eine gewisse Abgeschiedenheit und Geschlossenheit, die mit der Wahl des Ortes bereits gegeben ist. Vortragende und Hörer bilden eine Gebets- und Arbeitsgemeinschaft. — Die Steirer kamen vom 15 .bis 30. Juli in See kau zusammen. Thema: 1. „Heilige Schrift“, 2. „Staat und Gesellschaft“, 3. „Die Kunst der Gegenwart als Ausdruck der Zeit“. — Vom 20. bis 26. Juli kamen die St.-Pöltner im Stift Zwettl und vom 18. bis 23. August im Stift Melk zusammen. Überdies hielten sie. eine Maturantenwoche in Lackenhof am Ötscher. — In der ersten Augustwoche hielten die Tiroler Hochschüler ihre Studienwoche zu Matrei am Brenner, die Vorarlberger vom 8. bis 13. August im Stift Mehrerau über „Familie, Kirche, Staat“. — Die Kärntner trafen sich zu einer bedeutenden Tagung über die bren- endsten sozialen Fragen vom 14. bis 18. August auf Schloß Wernberg. — Den landschaftlich schönsten Platz haben die Oberösterreicher Jungakademikerwochen, denen die Kreuzschwestern in Ort am Traunsee ihr Haus auch heuer vom 3. bis 9. August „Der Christ im öffentlichen Leben“ und vom 12. bis 18. August „Was ist Christentum?“ gastlich zur Verfügung stellten. — Wiener Studentinnen hielten ihre Woche mit dem Thema „Unruhe und Geborgenheit“ vom 14. bis 18. September in W i 1 d e g g und die Studenten ebenda vom 21. bis 25. September mit dem Inhalt „Wissen und Erkenntnis". — Auch die Salzburger Hoehschüler haben -ihr eigenes Ferientreffen, diesmal anfangs September zu Ried am Wolfgangsee. Themen: 1. „Der Christ in der Welt", 2. „Gläube und Wissen“.

Ist diese Vielfalt von Veranstaltungen eine Zersplitterung?

Betrachtet man die Sachlage von Seiten der Studenten, dann bedeutet sie im Gegenteil Sammlung und möglichst ungestörte Konzentration. Die Wochen behandeln jeweils einen Problemkreis, den die Hochschüler als ihre Frage selber wählen. Ihre Fragen sollen eine Antwort finden. Die Tagungen werden fernab von allem Lärm gehalten, der Ort selbst zwingt zur Ruhe, Würde und Verbundenheit mit der Geschieht. Jeder Tag ist religiös und geistig eine geformte Einheit, die mit der Gemeinschaftsmesse beginnt und im Completorium spätabends verklingt. Der Vortragende steht diesen Hörern näher, als das vom Katheder der Hochschule sein kann. Er lebt, betet, ißt, singt und wandert mit ihnen. Die alten Ordensgründungen freuen sich ihrer neuen Sendung. Die feierliche Atmosphäre der Stifte wirkt verpflichtend und befruchtet durch ihre Gegenwart die Problematik der Stunde.

Von einer Zersplitterung könnte man schon eher reden, im Hinblick auf die Vortragenden. Es sind in Wirklichkeit nur wenige, die immer wieder und immer von mehreren dieser Wochen verlangt werden. Selbst wenn sie die Hälfte der Anträge abschlagen, sind ihre „Ferien, verstanden hier ohnehin nur als Zeit des Studiums und der Sammlung, dahin. Das wird sich auf die Dauer nicht halten lassen. Wir brauchen erstens eine das ganze Land überblickende Planung, welche die Probleme nach ihrem G e- wicht und ihrer Dringlichkeit wertet und reiht; wir brauchen zweitens eine sorgliche Planung, die die vorhandenen Kräfte übersieht und jede schonend dort einsetzt, wo ihr Einsatz am wirksamsten ist. Es gibt zu viele Zentralen, deren einzige Beschäftigung darin besteht, darüber nachzudenken, was andere machen könnten. Wir brauchen drittens eine Planung der Hörerschaft. Sie soll wissen, wo ihre Fragen behandelt, und zwar am besten behandelt werden, und soll in die Möglichkeit versetzt werden, da auch zu erscheinen. Das Nebeneinander der Programme unserer großen Bildungszentralen bedeutet einen unverantwortlichen Verschleiß der Kräfte, der in keinem Verhältnis stehen kann zum Erfolg. Planung der Hörer: nichts ist für einen Sprecher deprimierender als eine bare Zufallshörerschaft.

Aber, alle Planung in Ehren: auf die schöpferische Einheit der Vortragenden mit der Gemeinde ihrer Hörer, auf die Einheit von wissenschaftlicher Mitteilung als Antwort auf eine existenzielle Frage, wie sie in die Tagungen der Akademiker in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten erfahren und ausgebildet wurde, kann nicht mehr verzichtet werden. Die Studenten, die sich auf ihren Ferienwochen treffen, kommen nicht aus geistiger Langeweile, sie wollen auf ihre brennenden Fragen, die jenseits ihres unmittelbaren Fachstudiums liegen, eine tragfeste Antwort hören. Die religiöse Gemeinschaft dieser „Wochen" ist nicht eine aufgenötigte Veranstaltung der Studentenseelsorger, sondern Ausdruck einer Geisteshaltung und Überzeugung: nur in dieser Selbstbereitung kann die Antwort auf letzte Fragen verstanden werden. Es ist bezeichnend für diese geistig oft sehr bedeutenden Tagungen, daß sie in der Presse kaum angekündigt und von ihr selten beachtet werden. Nicht einmal dieser „Lärm“ ist gewünscht. Aber ihre Wirkung geht weit hinaus über die der großen Tagungen, für die Minister Zeit und Reporter Verständnis finden und deren Programme, wirklich repräsentative Programme, in allen Zeitungen und auf allen Plakatwänden zu lesen sind.

Es wäre ein folgenschwerer Verlust, nicht nur ein Prestigeverlust, wenn die ehrwürdigen Salzburger Hochschulwochen wegen Mangels an Anteilnahme aussetzen müßten. Aber ihre verantwortlichen Organisatoren übersehen hoffentlich nicht die oben festgestellte Entwicklung in der Hörerschaft. Mit dieser muß gerechnet werden. Die Schwierigkeiten, ihr in Salzburg Rechnung zu tragen, wird niemand verkennen. Sie erklären, rechtfertigen aber nicht eine fast entgegengesetzte Entwicklung. Als ich 1937 die damals noch übliche, alle drei Wochen durchlaufende Vortragsreihe für alle Hörer in der Aula hielt, gab es noch die täglich vollbesetzte Gemeinschaftsmesse, und das gemeinsame Completorium in St. Peter war der Abschied vom Arbeitstag. Die Hörer wohnten noch in erreichbarer Nähe von

St. Peter, die Studenten vielfach konzentriert in wenigen Unterkünften, ebenso die Lehrer. Diese hatten noch einen gemeinsamen Tisch in St. Peter — nicht im Peterskeller. Für unbemittelte Hochschüler gab es Stipendien. Diese gute Salzburger Überlieferung muß ausgebaut werden.

Die Ablenkung durch ‘ die Festspielzeit bleibt gegeben. Eine Rücksichtnahme auf Veranstaltungen, die für die Hörer der Hochschulwochen in Frage kommen, ist das wenigste, was verlangt werden muß. Es wird viel organisatorische Beherrschung nötig sein, daß die Festwochen, die für viele mit ein Anreiz zu kommen sind, die Hochschulwochen nicht durchkreuzen oder gar unmöglich machen. Wie wir oben feststellten, ist aber das durchaus mehr als ein organisatorisches Problem.

Als nach dem zweiten Weltkrieg die alten Salzburger Hochschulwochen mit einem bewundernswerten Elan neu in Schwung gebracht wurden, meldeten sich die akademischen Seelsorger und machten Vorschläge für ihre Durchführung. Sie wurden mit einer Handbewegung beiseite getan. So hat sich das leidige Nebeneinander ausgebildet, das heute nur schwer mehr auf ein Eins gebracht werden kann. Und doch liegt hier eine Aufgabe der Planung für das katholische Geistesleben in Österreich und darüber hinaus, der an Bedeutung und Dringlichkeit wenige gleichkommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung