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Innsbrucker Kulturleben

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Mit dem Beginn der heurigen Saison hat sich eine gewisse Klärung der kulturellen Lage vollzogen, ein deutlicheres Hervortreten von wesentlichen, nicht immer positiven Merkmalen. Im vergangenen Jahr war es zur Entfaltung einer großen Betriebsamkeit auf kulturellem Gebiet gekommen, einem turbulenten Aufbruch, an dem auch noch viele Elemente aus den Reihen der nach Tirol Geflüchteten beteiligt waren, die inzwischen in die engere Heimat zurückge-• kehrt sind. — Heuer nun scheint es sich erweisen zu sollen, welchen Bestrebungen die Kraft zum Überleben innewohnt, da zunächst die äußeren Verhältnisse noch um einiges schwieriger geworden sind und es auch für die kulturellen Blüten (die echten werden davon leider noch mehr betroffen, wie die Scheinblüten verschiedener artistischer Unternehmungen) nicht leicht ist, Nahrung aus dem kargen Tiroler Boden zu holen.

Nicht auf diesen Boden angewiesen und nur wie eine leichte perlmutterne Schicht darübergebreitet, verleihen die französischen Bestrebungen nach N Kulturaustausch, vor allem aber nach Vermittlung der eigenen Kultur, Innsbruck weiterhin an einigen Stellen .besonderen Glanz und Schimmer. So überall, wo sich die Flut der interessanten, teilweise prachtvoll ausgestatteten französischen Zeitschriften staut, mehr noch in der Librairie Frangaise, einer Budi-handlung, zu der auch eine Leihbibliothek gehört; in dem mit heimischen Erzeugnissen und Pariser Geschmack eingeriditeten Institut Francais, wo neben Vorträgen auch verschiedene Kurse abgehalten werden, und in den Räumen des Französisch-Österreichischen Verbandes. Die Sendboten Frankreichs: Virtuosen, Theatertruppen, Vortragende, die voriges Jahr häufig audi nur nach Innsbruck kamen, sehen naturgemäß in Wien jetzt ihr Hauptziel, doch rrtsjehen viele von ihnen auf der Hin- oder Herreise in Innsbruck halt. Es wird wohl nicht nur an den bewußf und öffentlich Interessierten etwas von französischer Geistigkeit hängen bleiben, unrl selbst wenn eine wirkliche Durchdringung nur vereinzelt gelingt — wir glauben ja mit Andre Gide an die „Sendung der Wenigen“, die er in einer Ansprache an die Jugend im Lager von Pertisau so wunderbar zum Ausdruck brachte. Diese sommerlichen Zusammenkünfte junger Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern (in Pertisau, in Alpbach), von französischen und österreichischen Behörden ermöglicht und gefördert, waren einer der positivsten Wege, die zum Austausch auch kulturellen Gedankengutes beschritten wurden. Die bewährten einheimischen Kräfte, innerhalb der Vereinigung der geistig Schaffenden zusammengeschlossen, hielten eine Tagung in Rattenberg ab.

In Innsbruck selbst wurde die Saison durch die vom Institut für Kultur-und Wissenschaft veranstalteten Theater- und Festwochen eröffnet, die den deutlichen Beweis dafür erbrachten, daß es verfehlt ist, mit Gewalt ins Leben rufen zu wollen, wofür der Boden nun einmal nicht geschaffen ist.- Selbst in der Zeit verhältnismäßigen österreichischen Wohlstandes zwischen'den beiden Kriegen hatte Salzburg seine Festspiele und Innsbruck seine FIS:Rennen. Das.ist eine naturgegebene Ordnung der Dinge, und die traurige Tatsache, daß Innsbruck die Voraussetzungen zur großen Fremdenverkehrsstadt noch nidit wiedergewonnen hat und durch den Zauber seiner Lage noch nicht wieder anlocken und beglücken kann, wird sich nur langsam aus der Welt schaffen lassen. Ihm heute den Elan für kulturelle Festwochen abzuringen, wäre nicht einmal einer erstklassig funktionierenden Organisation gelungen, und so fanden auch die mit Recht beliebten Symphoniekonzerte unter Musikdirektor Fritz Weidlich, der erfreulicherweise in letzter Zeit auch dazu übergegangen ist, durch Aufnahme neuerer — nicht etwa moderner — Werke die Programme lebendiger zu gestalten, nicht den gewohnten Massenbesuch.

Das Landestheater unter Leitung von Robert Pleß steuerte eine reizende Aufführung von Gogol „Brautfahrt nach Petersburg“ zu den Festwochen bei, weiter Grillparzers „Sappho“ und Schönherrs „Glaube und Pleimat“ Wenn wir hinzufügen, daß seit Saisonbeginn zwei Opern (Dirigent Siegfried Neßler), zwei Operetten, ein Märchenspiel, Priestleys „Gefährliche Wahrheit“ und Laverys „Erste Legion“ (als außerordentlich eindrucksvolle und geschlossene Ensembleleistung unter der Regie von Paul Schmid) ihre Erstaufführung erlebten, so ist klar ersichtlich, daß mit neuem Eifer die Bemühungen um einen reichhaltigen Spielplan aufgenommen wurden, die teilweise zu wirklich schönen Erfolgen führen. Der ursprüngliche 'Spielbetrieb der Tiroler äußert sich nebenbei noch in der regen' Tätigkeit zahlreicher Bauernbühnen, die den Theaterspielplat} auf ihre Art rührig ergänzen.

Der Versuch des Instituts für Kultur und Wissenschaft ein Passionsspiel („Jesus von 'Nazareth“, von Max Tribus) ebenfalls in den Rahmen des Landestheaters zu verlegen, war nicht besonders glücklich, und mit Freude hören wir. daß der Plan besteht, die alten Erler Passionsspiele an ihrem früheren Schauplatz wieder aufzunehmen. Hingegen ist zu hoffen, daß es dem Institut gelingen wird, Innsbruck wieder ähnlich großartige Ausstellungen zu vermitteln, wie „Von -Ingres bis Cezanne“ oder, auf anderer Linie, die in ihrer Art ebenfalls ausgezeichnete Schau heimischer Erzeugnisse der Kitzbühler Werkgemeinschaft „Bergheim“.

Das Museum Ferdinandeum konnte anläßlich des *20. Todestages von Egger-Lienz eine Ausstellung mit einer Auswahl von Handzeichnungen des Künstlers eröffnen, wobei es gelungen ist, mit einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Blättern einen sehr aufschlußre;chen Einblick in Wesen. und Werden Eggerscher Kunst zu geben.

Der Bund Tiroler Künstler versucht seit über einem halben Jahr, das Schaffen • seiner Mitglieder in größerem Rahmen der' Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und jetzt erst kann ihm der Fran-zösisch-österrci.hische Verband in seinen neuen Räumen dazu die Möglichkeit bieten. Dabei hat sich vor kurzer Zeit erst wie ler erwiesen, daß Werke jüngerer Künstler Anlaß zu äußerst lebhaften Debatten geben können, als in einer Kirche auf der Hung“:r-burg ein religiöses Fresko des Innsbrucker Malers Max Weiler enthüllt wurde (das erste einer Serie, die anläßlich der 150-Jahr-Feier des Hei-z-Jesu-Bundes in Auftrag gegeben wurde). ' In dem heftigen, auch in allen Zeitungen ausgetragenen Widerstreit der Meinungen kamen immerhin verschiedene grundlegende künstlerische Probleme zur Erörterung, besonders in bezug auf religiöse Kunst,-1 und eine solche Herausforderung zur Stellungnahm, zur Auseinandersetzung mit derartigen Fragen, ist wohl auf jeden Fall zu begrüßen.

Das Institut für Kultur und Wissenschaft Veranstalter zusammen mit der österreichischen Humanistischen Gesellschaft eine Vortragsreihe „Ewiger Humanismu s“, die meistbesuchten Vorträge (400 bis 1000 Personen) aber hat das „Katholische Bildungswer k“, dem es darum geht, „nicht das interessante, sondern das religiös Relevante“ zu bringen, dem „Bildung eine unendliche Aufgabe der aus der Tiefe des Gewissens lebenden Persönlichkeit ist“, und das der Not des heutigen Menschen Rechnung trägt, die ihn Ausschau halten läßt nach einer „Bindung ans Ewige“. L'r.ter anderen sprach Professor Pfliegler heuer dort über die „Religiöse Situation der Gegenwart“. An der Entstehung des' Bildungswerkes, das sich an breiteste Kreise wendet, sind Theologische Fakultät, Seelsorgeamt und Hochschulseelsorge beteiligt — eine andere Keimzelle geistiger Aktivität in Innsbruck ist durch die Zusammenarbeit weiter auseinanderliegender Fachgebiete gekennzeichnet. Bei Professor Urban, dem Leiter der Innsbrucker Nervenklinik und Vorkämpfer der Psychotherapie, finden sich in Seminaren und Vorträgen Ärzte und Philosophen (Psychologen), Theologen und Pädagogen zusammen, um' das gemeinsame Grenzgebiet zu bearbeiten. Primarius Dr. Fra'nkl, der Autor der „Ärztlichen Seelsorge“, hielt dort vor kurzem einen der Allgemeinheit zugänglichen Vortrag, der mit großem Interesse aufgenommen wurde.

So wie — ein Vorteil gegenüber dem Vorjahr — der Austausch von Vortragenden ohne alle Schwierigkeiten vor sich geht, scheinen sich die wichtigsten Erzeugnisse des Büchermarktes jetzt doch ziemlich gleichmäßig über alle Bundesgebiete zu verteilen, allerdings führt das nur zu der Feststellung, daß da wie dort noch keine bedeutenden Neuschöpfungen verlegt wurden, was zu vielen melancholischen oder auch anschuldigenden Betrachtungen Anlaß gibt. Auch von der notwendigen schöpferischen Pause ist in mancherlei Form die Rede; ein Weiser der Tiroler Berge faßte es in die Worte zusammen: „Nach Zeiten, wie wir sie erlebt haben, sollte man zehn Jahre schlafen können und dann erst wieder von Kultur reden.“

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