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ANDRE HOFER IM SPIEL

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SEIT „DIE FURCHE” vom 28. März 195 5 und 27. September 1958 Tiroler Passionsspielsorgen und Festspielfieber wie zur Selbstprüfung einer bedächtigen weiteren Welt anvertraute, steigerte sich im Lande selbst mit den Vorbereitungen zum Gedenkjahr 1809—1959 manches in einem Neopositivismus seiner „Spiel”-Bewegun- gen, so daß es an der Zeit sein dürfte, die weiteren Ausstrahlungen seiner Volksart mit- anzusehen; denn diese äußert sich in solchen Spielbewegungen weit weniger illusionistisch — es treibt nicht Theater, sondern lebt auch im Spiel stark, und seine Substanz grenzt sich darin ab, selbst im vermessenen Ringen mit den modernen Ausdrucksmitteln, die ihresgleichen in Massen der Gebirgslandschaft besitzen.

DIESE VOLKSART ist zwar gewiß nicht dem Lande Tirol allein zu eigen. Sie ist vielleicht nur ein alpiner Sonderausschnitt aus der österreichischen Welt. Aber sie fand in diesem Berg- und Paßland Mitteleuropas mit dessen frühem Erstarken des Bürger- und Bauerntums eine besonders sinnfällige und kräftige Ausbildung, die nun mit der verstärkten Besinnung auf die eigenen Abwehrkämpfe als Auftakt zur Befreiung Europas von der Knechtschaft Napoleons in das vorderste Licht rückt, d. h. gerade darin die schöpferisch-künstlerische Seite hervorkehrt. Das ist die Musik und Dichtung aus dem Volke, das Trachtenwesen, der Farbensinn und das Schmuckbedürfnis, das Basteln, Schnitzen und Gestalten, die von der Krippe bis zum Heiligen Grab, vom lebenden Bild bis zur dramatischen Bildschnitzerei, vom Figurentanz und Marschtempo bis zum theatralischen Lied und Spiel ihre Könner gefunden haben. Nicht zu vergessen sind dabei die farbenprächtigen, oft geradezu dramatisierten religiösen Gebräuche und Schützenaufzüge, die Herz-Jesu-Feiern und -Feuer, welche die Lebensformen des Volksschlages veranschaulichten und heute nicht minder vertieft und ins Verhältnis zum Gegenwartsdasein gebracht sein wollen als die übrigen Ausdrücke der Volkskraft, weil diese Kraft wieder einmal durch äußere und innere Gewalten in etliche Teile gespalten ist und mehr und mehr angesichts vieler Beeinträchtigungen des letzten Halbjahrhunderts erkennt, daß es nicht mehr um eine alte Fassade, sondern um den inneren Bestand, um Sein oder Nichtsein dieses Tirolertums geht. Im Gedenken an Andreas Hofer erreicht diese Selbstprüfung die Bestandsfrage auch im Volksausdruck.

DAS ALTE TIROL hatte von Natur aus in Geschichte und Volkstum das bis zum ersten Weltkrieg bewährte Gebilde ergeben. Darin liegt seine Berechtigung und Hoffnung auf das Sich- selbstzurückgewinnen. Es liegt am Westrand Oesterreichs, im südlichsten deutschen Sprach- raum, mitten in Europa, geschieden und verbunden durch seine Berge und Pässe, soweit es seine Potenz entfaltete, die mit dem Gebrauchswert seiner Höhen und Täler, Wälder und Gewässer sich wandelte, aber bisher noch immer, wenn für die Grundrechte und Grundlagen dieses mittleren Europa eine Gefahr heraufzog, seine Volkskraft zugunsten der größeren Gemeinschaft einsetzte, ob nun Türken oder Franzosen, Garibaldiner, Faschisten oder Kommunisten diese Mitte gefährdeten.

Der bescheidene tirolische Lebensraum ist scharf Umrissen und klar begrenzt wie seine Schöpferkraft und ihre Spielmöglichkeit: als ein Grundpfeiler erhalten und im Stärksten verbunden. in Glaube und Heimat eins. Es erübrigt sich daher, noch verschiedene Einzeläußerungen wie die des Mitglieds der ehemaligen Exl-Bühne, Ernst Auer, als Beweisfälle herbeizuziehen, daß jene Veröffentlichungen der „Furche” z. B. ihm grundlegende Einsichten bei den Passionsspielvorbereitungen in Thiersee und Erl geboten haben. Vielmehr freuen wir uns an der Tatsache, daß das zwischen Salzburg und Bregenz aufgeflackerte Festspielfieber in Tirol stark abgeflaut ist, die Gedanken der Volkskunst, der Eigenschöpfung und Selbstbetätigung vorherrschen und auch deren Grenzen sich nun schon deutlicher abheben, so daß auch der nur dpm Augenblick dienliche Plan von alljährlichen Passionsspielwochen als selbstmörderisch erkannt wird.

Zum lebhafteren Bewußtwerden der eigenen Kraft und Spielmöglichkeit mögen verschiedene Vorbereitungen, die das Gedenkjahr 1809—1959 auslöste, das ihre beigetragen haben, vor allem die Wiedererkenntnis, daß es doch etwas Großes und Völkerverpflichtendes um das Befreiungsringen von 1809, um die Einheit und Kraft eines kleinen Bergvolkes in Leid und Not und um die schließlich ausgelöste Entscheidung in Europa, um Freiheit und Aufstieg war. Um wieviel mehr erwahrte sich in und nach den beiden letzten Weltkriegen im Wesen und Fortbestand, was ein Tiroler Student von 1909 niederschrieb, daß der Name und die Gestalt des Sandwirts von Passeyer „für den Tiroler ein Bekenntnis, ein Programm, der Ausdruck des historisch überlieferten Tirolertums, fast schon losgelöst von allen Persönlichkeiten” geworden ist (s. A. Dörrer, Andreas Hofer auf der Bühne, 2. Auflage, Brixen 1911, S. 11). Aus diesem Historismus ergab sich der jetzige Neopositivismus Tirols.

LANGSAM ZEICHNEN SICH DIE ERSCHEINUNGEN ab, die im Tiroler Jahr 1959 auf- leuchten sollen. Wiederum sind es Allgäuer, die in ihrem Markt Altusried mit Andreas-Hofer- Freilicht-Spielen einsetzen. Schon 1911, 1931 und 1933 stachen sie damit hervor. Stehen die Ammergauer seit mehr als 300 Jahren im Vorfeld einer damals begonnenen ländlichen und alpinen Passionsspieltradition, die viel von Tirol nahm und nun noch mehr ihm gab, so wollen die Allgäuer im gehobenen weltlichen Volksschauspiel als Vorhut beachtet sein. Die Altusrieder entschlossen sich nun für das- Andreas-Hofer- Spiel von Al. Joh. L i p p 1, das erstmals 1927 über die Erler Bühne ging, aber in seiner damaligen Fassung im Passionsspielhaus eher als Fremdkörper empfunden wurde, noch mehr als das vorausgegangene Franziskusspiel unter den damaligen schon bedrückten Zeitläuften, so daß den Erlern wie den Thierseern geraten werden mußte, sich nicht durch gegenseitige Wettbewerbe und Spielübersteigerungen seelisch und materiell zu verausgaben. Nun rüstet Altusried zur eindrucksvollen Begehung des Andreas- Hofer-Jahres.

Tirol stützt sich auf seine erfolgreichsten vaterländischen Volksschauspiele zu Meran und Brixlegg vor dem ersten Weltkrieg, dort von Karl Wolf, hier von Bruder Willram gestaltet. Dazu treten nun noch das wipptalische Steinach mit dem neuen Stück „Mit ihm sein Land Tirol” des eigenen Dichters Hermann Holzmann und andere bewährte Volksbühnen im Lande. Zur rechten Zeit schlossen sich verschiedene zu einem Landesverband zusammen. Er führt in seinem Wettbewerb z. B. neben Domanigs Kronenwirt „Straub” Kranewitters „Um Haus und Hof” als Tiroler Schöpfungen vor. Mag ihm noch manche Lehre für sein Spiel- und Wirkungsprogramm beschieden sein, das Wiederanspannen der Ortskräfte in Spiel, Gesang und Musik darf als erfreuliche Stufe diesem Tiroler Neopositivismus gutgeschrieben werden.

ZUNÄCHST SCHIEN ES, als wenn mit dem Hofer-Gedenken alte gegensätzliche Anschauungen aufbrächen; denn die Wahl von Franz Kranewitters „Andre Hofer” als Festspiel löste scharfe Auseinandersetzungen aus. Von selbst rücken verschiedene, alte und neue, festspielmäßige und hochdramatische Anno-Neun- Stücke vor. Aus K. Domanigs dramatischer Trilogie „Der Tyroler Freiheitskampf” hat sich der dritte Teil „A. Hofer” als Weihespiel für erhebende Anlässe die Begeisterung des Volkes gesichert. Kranewitters „Hofer” hingegen blieb auf das Menschlich-Tragische eingestellt, das nach den beiden Weltkriegen, dem Verlust Südtirols und durch die ausgleichende Regie und Spiel-

kunst der Exl-Leute nahe gebracht wurde. 1959 dürften schließlich die bewährtesten Stücke und neuesten Werke zur Geltung gelangen.

Im Vorjahre beendete die Schönherr-Gemeinde Axams ihre wiederaufgenommene Passion wie ein dörfliches Spiel-Kleinod. Axams verkörpert die soziale und kulturelle Durchsetzung des Tiroler Bauerntums; jeden Morgen rattern 300 und mehr Axamer zur Arbeit in Jas nahe Innsbruck. Sie wollen aber Axamer sein und bleiben. Der seelische Ausgleich und Aufstieg ist ihnen nicht leicht gemacht. Die stärksten Spannungen löst die Passionsspieltradition des Landes aus. Schon vor 50 Jahren geriet das Tal- und Bergdorf Erl am nordöstlichsten Grenzzipfel Tirols, sozusagen am Fenster ins Binnendeutschtum, in Wahrung seiner Substanz hart an den Rand einer Katastrophe. Ein tieffrommes Spiel hatte 1902 so viele Andächtige, vorab aus Bayern, angezogen, daß die Erler an manchem Aufführungstag zweimal „ihren Passion” vorzustellen hatten, so daß auch die Behörde ihr Veto erhob. Ein neuer Spielstadel sollte einfach doppelt so groß ausfallen als der aus der zweiten Hälfte des vorausgegangenen Jahrhunderts. Das war nur die äußere Schwierigkeit, aus dem Dorfspiel ein Bekenntnis- und Wallfahrtswerk für den deutschen Binnenraum zu gestalten und zu sichern. Dieses Höherrücken gelang nach außen und innen und brachte Erl Ruf und Erfolg wie keinem anderen Spieldorf Oesterreichs ein. Der verunglückte Neubau, die Ausstattung, Kostümierung und Regie konnten außerdem mit dem Ertrag eines Spielsommers beglichen werden. Freilich die Regiekosten machten nicht einmal drei Prozente der Einnahmen aus. Allen Steuern und Abgaben war Erl glücklich ausgewichen; dafür konnte es noch zugunsten von Abbrändlern und anderen Geschädigten, vor allem der eigenen Kirche, manches auswerfen. Im Jahre 1922, dem des österreichischen und reichsdeutschen Währungssturzes, bewährte Erl seine Mission weithin bis Sachsen, Rheinland und Westfalen. Selbst der finanzielle Ertrag fremder Besucher genügte, um nicht nur alle Kosten zu decken, sondern der Gemeinde und dem Lande manches zuzuschanzen. Der Gedanke, den A. Egger-Lienz mit seinem Plakatbild der Wallfahrer zur Geltung brachte, entschied das religiöse Dorfspiel.

DAS NÄCHSTE JAHRZEHNT war an äußeren und inneren Rückschlägen reich, so daß ich am 13. September 1931 Erl, Salzburg und Innsbruck vor einer drohenden Katastrophe warnte. Sie vernichtete 1933 Haus, Bühne, Kostüme, Orgel, Archiv. Das nächste Jahresdutzend war nicht dazu angetan, das Spiel wieder aufzurichten. Damals entstand meine kleine Erinnerungsschrift „Der Judas von Erl”. Erl war wie gelähmt. Hilfe schien nur von außen möglich zu sein, indes doch die Wiederaufrichtung zunächst als ihre Sache einer Pfarrjugend, des Kirchenchors, der Dorfmusik, des Spielvereins zukam. Die erste Subvention setzte 1957 tatsächlich ein. Auf der waldigen Abfallskuppe im Rücken von Erl erhebt sich nun ein kühner Spielhausneubau nach Planung und Ausführung der Tiroler Bauabteilung, die alte Tiroler Freilichtraumgestal- tung ins geschlossene moderne Haus übersetzend. Mit den fortgeschrittensten Mitteln ist es ausgestattet, um vieles revolutionärer als der schließliche Bau von 1912. Wie werden der etwas zusammengeballte Spieltext, die Kompositionen von 1922 und 1959, die Kostüme, in das Spiel der Erler hineinwachsen, fragt noch mancher. In Erl arbeitet jetzt wohl alles in zwei drei Schichten, um bis Juni 1959 Haus und Spiel, Straßen und Einrichtungen verkehrsfertig zu stellen.

Erl war vor fast 50 Jahren mein Sorgenkind geworden und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben, wenngleich ich als Siebziger mit der kleinen Schrift „Erl. Arbeit und Brauch” von ihm schied.

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