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Hohe Kunst und Volkskunst

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„So wie die Natur Tirols voller Gegensätze Ist, so ist auch der geistige Aufbau dieses Landes widerspruchsvoll. Neben naturhafter, urwüchsiger Heimatkunst begegnet man immer wieder Werken, die kraft ihres künstlerischen Ranges weit über die engen Grenzen unserer Heimat hinauswirken. Was davon ist nun geeignet, das eigentliche Tirol zu repräsentieren? Es ist offensichtlich, daß nur beide Arten des Denkens und Formens die Eigenart Tirols darstellen können, daß also die Gegensätze in einer Charakteristik Tirols wesentlich sind. Die Gegensätze zwischen .hoher Kunst' und .Volkskunst' werden durch das gemeinsame Ziel gemildert, das Schöne und das Menschliche in der Kunst sichtbar zu maohen, ganz abgesehen davon, daß sich wahre Kunst auch in kleinen Formen gültig offenbaren kann.“ Mit diesen Worten aus dem vielbeachteten Tiroler Jungbürgerbuch ist die kulturelle Situation im Lande am treffendsten umrissen. In den Nachkriegs-Jahren vollzog sich durch die Industrialisierung nach und nach eine Strukturänderung der Bevölkerung. War Tirol vor einigen Jahrzehnten fast ausschließlich Agrarland, so üben heute nur mehr etwas über 20°/» der Bevölkerung den landwirtschaftlichen Beruf aus. Der Fremdenverkehr und in der Folge die vielfach eintretende Verkitschung der kulturellen Substanz trugen in den Dörfern das Ihre dazu bei, daß der Volkskultur Verfall drohte. Es ist ein Verdienst des langjährigen Kulturreferenten Landeshauptmannstellvertreter Prof. Dr. Gamper, daß man sich der ureigensten Werte besann und eine breite Pflege der Volkskultur in den verschiedenen Bereichen in Angriff nahm und auf Festspiele, so bewunderungswürdig sie sind, verzichtete.

Das Land Tirol braucht sich seiner Leistungen in den verschiedenen Sparten der Volkskultur nicht zu schämen. Welches Land kann im Verhältnis zur Bevölkerungszahl von 462.899 Einwohnern in 287 Gemeinden auf 288 Blasmusikkapellen verweisen, die. zu einem guten Teil in den vergangenen Jahren neue Instrumente erhalten haben? Regelmäßige Schulungen der Kapellmeister und Bläser trugen schon wertvolle Früchte. Nicht weniger als 130 Kapellmeister stammen aus dem Lehrerstand, die an der Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck ihre besondere Ausbildung erhalten haben.

84 Volksbühnen pflegen in unseren Landgemeinden das heimische Volksschauspiel.

Wie könnte es in der Heimat eines Karl Schönherr und Franz Kranewitter anders sein! Die eindrucksvollen Passionen in Erl und Thiersee hatten seit dem Jahre 1955 bis zum heurigen Jahr hunderttausende Besucher aufzuweisen, und es wurde für jeden Besucher das ergreifende Spiel dieser einfachen Menschen zum bleibenden Erlebnis. Wenn es aber in den nächsten Jahren nicht gelingt, die Passionsspielgemeinden in den spielfreien Jahren von der Vermögenssteuer zu befreien, dann wird es das Ende beider Passionen in Tirol bedeuten.

Prüfen wir nun die Frage, ob die hohe Kunst in Tirol mit den Leistungen der Volkskunst Schritt halten könne. Denken wir an die großartigen Leistungen, die die Tiroler

Künstler Michael und Friedrich Pacher zur Zeit der Gotik hervorgebracht haben, denken wir an die kühnen Barockbauten eines Jakob Prandtauer und eines Josef Mungenast, an die bedeutenden Barockmalereien von Paul Troger, Martin Knoller, Johann Evangelist Holzer, Johann Lampi, der Malerfamilien Zeiller und Unterberger, weiter noch an den Außerferner Maler Josef Anton Koch und an die Bildhauer Jakob Schletterer, Balthasar Moll, Johann Schnegg und Franz Zauner; alles Künstlerpersönlichkeiten, die weit über den provinziellen Rahmen hinaus Rang und

Bedeutung erlangt, aber ihr künstlerisches Werk fast ausschließlich in Innerösterreich oder im Ausland hinterlassen haben, da der karge Tiroler Boden sie nicht beschäftigen und ernähren konnte.

Auch in der Gegenwart hat das Land eine Reihe von Künstlertalenten hervorgebracht, die auch vielfach auswärts ihrem Künstlerberuf nachgehen. Erwähnen möchte ich die

Akademieprofessoren Max Weiler und Hans Andre sowie den weltberühmten Graphiker Prof. Paul Flora, den Bildhauer Prof. Hans Pontiller mit seinem Schüler Bildhauer Rudolf Wach, der erst kürzlich In Padua eine Goldmedaille erhielt, sowie den Maler und Bildhauer Oswald Oberhuber.

Nach dem Kriege galt es. für die Künstlerschaft Ausstellungsräume zu errichten. So wurde 1950 der Tiroler Kunstpavillon und im Jahre 1964 die Galerie im Taxispalais ins Leben gerufen. Ein glücklicher Gedanke war es, als 1952 in Innsbruck, beispielgebend für andere Bundesländer, der österreichische Graphikwettbewerb begründet wurde, der nunmehr in Abständen von zwei Jahren im Tiroler Landesmuseum veranstaltet wird. Beim letzten 9. Wettbewerb im vorigen Jahr waren über 900 Einsendungen von 323 Künstlern aus allen österreichischen Bundesländern zu verzeichnen.

Die vom Landesjugendreferat Tirol seit dem Jahre 1950 veranstalteten österreichischen Jugendkulturwochen geben den jungen Künstlertalenten in den Sparten bildende Kunst, Literatur und Musik alljährlich die Möglichkeit, an die Öffentlichkeit zu treten. So mancher heute angesehene Künstler hat anläßlich der Jugendkulturwochen zum erstenmal in Innsbruck aufhorchen lassen.

Das Sängerwesen in Tirol hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufschwung erfahren. Der Kammerchor Walther von der Vogelweide, der Mentlberger Kammerchor sowie der Chor der Musikfreunde der Stadt Wörgl haben bei internationalen Konkurrenzen in England, Irland und Italien jeweils erste und zweite Preise erzielt.

Die Literaturgeschichte des Landes hat in diesem Jahrhundert manchen klangvollen Namen aufzuweisen. Nur mehr wenige der Großen leben, aber erfreulicherweise ist hier und dort ein neues Talent festzustellen, das aller Förderung würdig ist. Unvergessen sind die verschiedenen literarischen Sammlungen, wie der „Tiroler Musen-Almanach“, der „Föhn“, an der Spitze aber muß wohl der „Brenner“ unter dem Herausgeber Ludwig von Ficker erwähnt werden, der in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts für die Erneuerung des Menschen aus dem Geiste und der Sprache heraus weit über die Grenzen Österreichs wirkte.

Dieser kurze Abriß, der nicht Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, beweist, daß im Lande sowohl die hohe Kunst als auch die Volkskunst nebeneinander leben und gedeihen und wir alles daransetzen müssen, dieses kulturelle Antlitz des Landes für uns und unsere Nachkommen zu erhalten.

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