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Volkskultur — gelenkt

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Es gibt beachtliche Stimmen, die die Trachtenerneuerung ablehnen. Kultur könne man nicht machen, sagen sie, sie müsse wachsen. Und die Tracht sei eine Erscheinung der Volkskultur. Wo sie erloschen ist, sei jede Wiederbelebung sinnlos, sie könne höchstens aus dem Volk" selber kommen.

Diese Auffassung hat theoretisch zweifellos manches für sich; aber sie ist dem pulsierenden Leben und seiner Praxis gegenüber grau wie alle Theorie. Sie erinnert an den bekannten Ausspruch eines berühmten Mediziners, der in einer Vorlesung erklärte; „Meine Herren, wir sind dazu da, die Krankheiten zu studieren, heilen sollen sie die alten Weiber!" Das klang sehr akademisch, aber das Leben , nahm und nimmt eine solche Meinung nicht ernst. Und das Leben hat schließlich immer recht...

Österreichs Volkskultur ist einer der größten Schätze unseres arm gewordenen Vaterlandes. Wir haben nicht das Recht, tatenlos zuzusehen, wie sie — oft genug sinnlos — zerstört wird. Es besteht zum Beispiel eine große Sehnsudit nach Tracht, in Österreich ebenso wie in Süddeutschland und in der Schweiz. Das beweisen die vielen „Heimatwerke" und „Trädrtenstuben“, die dort erfolgreich tätig sind, und das bezeugen nicht zuletzt auch die zahllosen bayerischen und österreichischen Trachtenvereine, die gerade in den Arbeiterkreisen ihren reichsten Anhang haben.

Und auf wieviel anderen Gebieten wird Volkskultur gepflegt und mit unleugbaren Erfolgen praktisch erneuert! Man denke an das „heimatgebundene Bauen", das gute Früchte eines wahren Wiederaufbaues zeitigt in Schwaben, Bayern und Österreich (in Nordfriesland ebenso), Länder, in denen ich tausende. wohlgelungener Beispiele mit eigenen Augen sehen durfte. Oder man erinnere sich an die trefflichen Erneuerungen in den prächtigen Wiener Seidengewerben, alpenländischen Zeugdrucken und in der alpenländischen Bödenweberei. Auch die Zahl edler schmiedeiserner Grabkreuze nimmt allenthalben wieder langsam zu. Nicht zu vergessen die volkstümliche Musikpflege in Lied, Streich- und Blasmusik, die zum Beispiel in Oberbayern, in Südtirol und in ganz Österreich ebenso erfreuliche Erfolge aüfweist wie die ritterliche Kunst des Fahnenschwingens in der Schweiz, in Südtirol und in Österreich.

Kurz, kein Schauender kann darüber zweifeln, daß eine verständnisvolle Pflege und eine'zeitgemäße Erneuerung gewachsener Volkskultur praktisch möglich und in ihrem Erfolg tausendfach bestätigt ist.

Es bedarf keiner Erörterung, daß all dies auch für die Trachtenpflege und Trachtenerneuerung Geltung hat. Wir durften kürzlich an dieser Stelle („Furche“ vom 5. Juli 1952) auf die ausgezeichneten Vorlagen zeitgemäßer niederösterreichischer Frauentrachten hinweisen. Solche gibt es in Steiermark und in der Schweiz seit einer Reihe von Jahren, und wir freuen uns, daß sie nun in Oberösterreich, in Salzburg und in Bayern neuerliche Erfolge aufzuweisen haben. Unvergessen seien auch die Bemühungen einzelner örtlicher Trachtenpfleger, wie der Schillingsfürsten, der Grafen von Meran und besonders des Ehepaares Konrad und Anna Mautner, die es in selbst- und rastloser Arbeit erreicht haben, daß im Ausseerland, besonders beim Kirchgang, alle, ohne Ausnahme, in guter Tracht erscheinen, ein herzerfreuendes Bild für Einheimische und Fremde.

Eines müssen wir dabei allerdings zugeben; es ist nicht mehr gewachsene, sondern gepflegte und gelenkte Volkskultur, um die es sich in all den erwähnten Fällen handelt. Das heimatlich stilvoll gestaltete Haus baut nicht mehr der alpenländische Bauer, sondern der geschulte und feinfühlige Architekt. Das eiserne Grabkreuz schmiedet zwar noch . der städtische oder ländliche Schmied, aber die Entwürfe und die Werkzeichnungen müssen von geschulten Fachkräften des Kunstgewerbes beigestellt werden, und bei den Webereien und Zeugdrucken ist’s nicht anders.

Sie alle bedürfen heute der Lenkung. Doch ganz abgesehen davon, daß eine solche Führung auch in früheren Jahrhunderten (und nicht nur als „gesunkenes Kulturgut“) oft genug der Fall war (man denke an Erzherzog Johanns Trachten- und Volksliedpflege), ist sie an sich kein Unglück, wenn sie in den richtigen Händen liegt.

Alle erwähnten Erscheinungen der Volkskultur lassen sich lenken, und das ist das Entscheidende! Wir verfügen in Österreich über junge, volkskundlich wohlgeschulte Kräfte, und wir erfreuen uns einer Fülle künstlerischer Begabungen. Es ist nur noch nötig, daß sich immer mehr einflußreiche Kreise der bedeutsamen Werte unserer Volks kultur nicht nur für den Fremdenverkehr, sondern vornehmlich für die seelische Vertiefung unseres Volkes bewußt werden. Wozu also noch zögern und theore- tisieren?

Unser alter Lehrer Rudolf Meringer pflegte zu sagen und mit seinen Worten möchte ich diese Betrachtung schließen: „Kinder, laßt alle grübelnden Spekulationen; unsere heute dringend nötige Parole kann nur heißen: Laboremus!"

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