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Unser Kleid — unsere Zeit

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In dem Bilderwerk „Brauch und Tracht in Österreich“, das 1937 in Innsbruck erschienen ist, urteilt Perkonig: „Es ist ein langsamer, unaufhaltsamer Tod, den die Trachten im letzten Jahrhundert zu sterben begannen. Es glauben da manche liebenswerte Eiferer, man könnte das wehmütig stimmende Verscheiden zum Stillstand bringen, ja man vermöchte längst verstorbene Trachten wieder zum Leben zu erwecken, als ob Tod nicht Tod wäre... Deshalb ist es ein rührendes, aber nutzloses Bemühen, die toten Trachten wieder in ein Dasein zurückzurufen.“

Perkonig hat damit recht, wenn er die Volkstrachten vom Standpunkt des Geschichtsbetrachters aus sieht. Die einmal Gestalt und Form, die so historisch gewordenen Volkstrachten müssen schwinden. Ihr Verlust ist um so deutlicher, je historischer, je gegenwartsferner sie geworden sind.

Die Volkskunde hingegen, deren Teil die Trachtenkunde ist, weiß mehr von dem steten Wandel der Trachten — freilich von keinem sprunghaften, keinen Mutationen, sondern von langsamen Veränderungen, die nichts anderes sind als Anpassungen an Zeit, Umstand und Notwendigkeit. Neben diesen Wandlungen der Tracht gibt es allerdings auch das erschreckende Trachtensterben und den Trachtentod. Dieser tritt dann unweigerlich ein, wenn eine Tracht nicht mehr die Fähigkeit hat, sich anzupassen. Es ist hier genau so wie beim Leben überhaupt: mangelnde Anpassung führt zur Krankheit und zum Ende.

Eine rasche Ubersicht über die Lage der Tracht in Österreich ergibt, daß sich in einem Horst, der ungefähr mit dem Räume Obersteiermark — Salzkammergut — Salzburg und Nordwesttirol (sofern diese Landschaften nördlich von den Zentralalpen liegen) gegeben' ist, die männliche und weibliche Volkstracht ohne Bruch und zeitweisen Stillstand weiterentwickelt hat, wobei das kräftigste Trachtenleben im steirischen und oberösterreichischen Salzkammergut anzunehmen ist. In den übrigen Teilen Österreichs haben sich nur Restelemente der Tracht (wie in Kärnten)oder hat sich nur die Frauentracht wirklich lebendig erhalten (wie im Bregenzerwald) oder sie blieb auf Anlässe und Vereinigungen (wie in Tirol) oder Inseln (wie in einigen Gemeinden des Burgenlandes) beschränkt.

Der Grund für das Festhalten an der Tracht in der umschriebenen Zone ist eine bewußte Trachtenpflege und Trachtenschätzung von Seiten der jeweiligen Landesherren und der dort in Erscheinung tretenden Oberschicht. Seit Kaiser Maximilian in diesem Raum seine bevorzugten Jagdgründe hatte, seit Kaiser Leopold Abordnungen aus dem Salzkammergut nur in Tracht empfangen wollte, seit Kaiser Karl VI. und Kaiserin Maria Theresia sich im grünen Kleid der Jäger zeigten, vollends, seit Erzherzog Johann das hohe Beispiel von der Trachtenverbundenheit mit seinen Steirern gab und Kaiser Franz Joseph die grau-grüne Tracht zum Gesellschaftsanzug der „Sommerresidenz“ machte, wurde es nicht nur dem letzten Holzknecht recht, in seiner angestammten „Hüll“ zu bleiben, sondern es riditeten sich auch bald Bauern, Bürger und Sommerfrischler nach dieser Regel. (Vergleiche auch „Grau und Grün, eine tiachtenkundliche Studie.“ Von V. v. Ge-ramb. Bayrisch-südostdeutsche Hefte für Volkskunde. 14, 1941.)

Die Folge dieser oberschichtig gesteuerten Trachtenpflege war allerdings die U m-wandlung der Bauerntracht in die Jägertracht: an die Stelle des bäuerlichen Grün, Braun und Blau der Röcke und der blauen und weißen Strümpfe trat allmählich das Grau und Grün, das bislang mehr oder weniger ein Privileg der Jäger gewesen war.

Am frühesten, etwa schon um 1900 herum, hat sich so die Angleichung der verschiedenen Volkstrachten an die Jägertracht in dem Raum vollzogen, in dem die grau-grüne Jägertracht seit jeher bodenständig war, nämlich in den Nördlichen Kalkalpen. Volkskundlich gesehen vollzieht sich damit gleichzeitig eine Anpassung in der Form des Nachstrebens an das alpenländisdie Schönheitsideal des „Gams-gebirgjagers“. Interessant ist das gleichzeitige Entstehen zweier Strahlungszentren dieser Entwicklung, nämlich eines habsburgischen in Österreich um Ischl (Sommerresidenz des Kaisers) und eines wittelsbachischen in Bayern um Tegernsee und Berchtesgaden.

Dieser ersten Phase, die den Grundstein zur heutigen Lage der Tracht in Österreich legt, folgt die zweite, in deren Auswirkung wir mitten drinnen stehen:

Es ist die Eroberungganzösterreichs für die grau-grüne Lodentracht.

Vom geographischen Herzraum Österreichs ausstrahlend schiebt sich die graugrüne Tracht heute schon über die Donau und bis nach Vorarlberg und ins Burgenland vor. Mächtigen Auftrieb hat dieser Bewegung die Einführung der sogenannten „Landestrachten“ (in Salzburg, Oberösterreich, Tirol und Niederösterreich) vor 1938 verliehen. Seine Zweckmäßigkeit hat besonders unmittelbar nach 1945 viele Österreicher, auch die Wiener bewogen, sich einen Lodenanzug anzuschaffen. Damit ist aus der in ihrer Herkunftslandschaft stolz behüteten „steirischen“ Landestracht eine österreichische Bundestracht geworden.

Der Kenner der bunten Vielfalt der „historischen“ Volkstrachten in Österreich ist von dieser Entwicklung nicht übermäßig begeistert. Die Meinung, „besser wenigstens eine Tracht als gar keine“, kann nicht geteilt werden. In dem Augenblick, wo Tracht beginnt, Uniform zu werden, begibt sie sich ihres größten Zaubers, nämlidr das der Eigenartigkeit und Einmaligkeit.

Es ist daher schon seit Jahrzehnten unabhängig von der Einheitstrachtenentwicklung in der österreichischen Bevölkerung der immer stärker werdende Wunsch nach verjüngten, aus der Uberlieferung heraus entwickelten, wirklich bodenständigen Trachten rege geworden.

Am frühesten hat Kärnten sich der trachtlichen Uniformierungstendenz entgegengestellt, indem es seine bevorzugte Lodenfarbe, das „Kärntnerbraun“, mit Erfolg gegen das als „steirisch“ empfundene Grau behauptete. Aber auch in Salzburg fanden sich schon vor dem ersten Weltkrieg Männer zusammen, die Grundsätze für die Pflege und Veredelung der besonderen Salzburger Tracht ausarbeiteten. Der grüne Salzburger „Raß-rock“, die weiß ausgenähte Lederhose und der „Lamberghut“ wurden damals „festgelegt“. Ohne diese „bewußte“ Tat von damals wäre es nicht gelungen, diese Tracht über die zwei folgenden Weltkriege herüberzuretten.

Aus der besonderen Vorliebe der Tiroler für das Schützenwesen ergab sich immer wieder die Notwendigkeit, die Trachten der Standschützen zu ergänzen oder neue Schützenkompanien oder auch Blasmusikkapellen in Tracht „einzukleiden“. Das Tiroler Volkskunstmuseum mußte da, bei aller Ehrfurcht vor der Uberlieferung, schon aus „Billigkeits“gründen manche Neuerung gelten lassen. Der Weg zur E r neuemng war damit vorgezeichnet.

Aber gerade die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, in der sich die positivistische Überschätzung von Regel und Maßzahl austobte, neigte zu einer stärkeren Festlegung der Tracht auf eine einmal hiefür gefundene Formel. So nahmen die Trach-tenvereihe selber die Zwangsjacke irgendeiner Vorschrift auf sich, die ihnen als d i e Tracht des und des Ortes galt. Es war meist die Tracht der Großväter und der Großmütter, also die von 1880 bis 1910.

Inzwischen waren die ersten Bände des von Konrad Mautner begründeten und von Viktor von Geramb in Graz erarbeiteten Steirischen Trachtenwerkes erschienen. Jeder dieser Bände war ein Beweis dafür, wie stetig, das heißt wie im Wechsel beständig sich die Tracht unmerklich aber sicher von Jahrzehnt zu Jahrzehnt änderte.

Das Ergebnis dieses großartigen Hauptwerkes der Trachtenkunde war der Beweis des gleichbleibenden Volkscharakters in den vielfachen Wandlungen der Tracht. Als Ausblick in die Zukunft steht weniger die Sorge um die Erhaltung der historischen Trachten, sondern um die Erhaltung der Volksart in der Tracht.

In der durch wesentliche Teilhabe an einer lebendigen Trachtenlandschaft begünstigten Steiermark waren keine revolutionären Schritte, keine in den Weg geleiteten Anpassungen notwendig. Hier konnte die Errichtung eines Heimatwerkes (1934), das jedem Steirer seinen Bedarf an Trachten zur Verfügung stellte, noch genügen. Nicht so im größten Teil von Tirol, Salzburg, Oberösterreich und in den anderen Bundesländern. Hier war die lebendige Uberlieferung und Ausübung oft schon seit einem Menschenalter und mehr unterbunden. Insbesondere war auch die Frauenträcht völlig degeneriert und bis auf Reste verschwunden.

Da geschah in Tirol eine bahnbrechende Tat. Auf Grund eines außerordentlich reichen Materials im Tiroler Volkskunstmuseum, das durch eine umfassende Aufnahmetätigkeit im ganzen Land, und zwar in Nord- und Südtirol, ergänzt wurde, kam Gertrud P e s e n-d o r f e r zur Überzeugung, daß die Trachtenpflege — die in Tirol wie anderswo einem Volksbedürfnis entsprang — sich nicht in der Verhätschelung und Konservierung der degenerierten Formen des ausklingenden 19. Jahrhunderts erschöpfen dürfe, sondern an die farbenprächtige Blütezeit des 18. Jahrhunderts anknüpfen müsse. In ihrem Buch „Neue deutsche Bauerntrachten, Tirol“, das 1938 erschien,ist dieser Grundsatz so durchgeführt, daß die in Tirol schon im 18. Jahrhundert tälerweise differenzierten Trachten zeitgerecht durch praktischere Verschlüsse, Weglassung von Überwucherungen und Zurückführung auf die wesentlich-unter-scheidende Form erneuert wurden.

Wenn auch dieser Vorgang, wie alles Gültige, gleichsam „in der Luft lag“, bestärkte doch der Erfolg des Tiroler Erneuerungswerkes die Trachtenpfleger in den arw'aren Bundesländern. Schon in den ersten dreißiger Jähren waren auch die in Zusammenarbeit des um die Trachtenpflege sehr bemühten österreichischen Volkskundemuseums in Wien erarbeiteten praktischen Vorschläge der Wiener Trachtenpfleger G.und H. Baumgartner für Niederösterreich wenigstens in Fachkreisen bekannt geworden. In Elsenstadt erschien, ebenfalls 1938, von H. Mayer ein „Burgenländisches Trachtenbuch“. In Salzburg hatte Kuno Brandauer schon 1925 eine Vorlagenmappe veröffentlicht, in Kärnten nahm sich im Rahmen der Landsmannschaft Fräulein Had-wig Bertold um die Trachtenpflege an.

Nach dem Erscheinen des Buches von G. Pesendorfer lief in Würdigung der Bedeutung Tirols für das Trachtenwesen im Volkskunstmuseum in Innsbruck eine Stelle für die trachtliche Erneuerung an, die, von den Alpen ihren Ausgang nehmend, den ganzen Sprachraum erobern sollte. In dieser von G. Pesendorfer geleiteten „Mittelstelle“ waren nicht nur Werkstätten für Traohtenherstellung und Abteilungen für Schnitte und Modelle vorhanden, sondern es wurde auch eine Reihe von Malerinnen für die Darstellung der Trachten besonders herangebildet.

Auch wurde von hier aus eine umfangreiche Aufnahmetätigkeit eingeleitet, die in Museen und Privatsammlungen, von Bildstöcken und Votivtafeln, alle erreichbaren Spuren alter Tracht in den einzelnen Ländern aufstöberte. Noch während des Krieges konnten so, auf Grund der Vorarbeiten Kuno Brandauers, vier Trachtenmappen für das Land Salzburg erscheinen. Die Mappen für Kärnten gelengten nicht mehr zur Auslieferung,liegen aber vor und werden demnächst durch Dr. O. M 0 s e r herausgebracht.

Nach dem Zusammenbruch schien es, als ob das gerade vor dem Krieg mächtig aufgeflammte Interesse an der Tracht und die Maßnahmen zur praktischen Erneuerung zum Erliegen gekommen seien. Die Mittelstelle in Innsbruck und damit der unschätzbare Apparat der Werkstätten mußten aufgelöst werden.

Aber schon bald begann sidi in allen Ländern das Bedürfnis nach zeitgemäßen trachtlichen Formen wieder zu regen. Die Trachtenvereine wurden neu gegründet, und kein Heimatfest verzichtete auf seinen Trachtenfestzug. Die Jahre ab 1947 überboten einander geradezu an trachtlichen Darbietungen.

Auch Landschaften, die bisher noch nicht in dem Maße von der allgemeinen Trachtenbegeisterung erfaßt waren, wurden für die Schönheit der angestammten Kleidung gewonnen.

So konnte der Verfasser dieser Zeilen auch für Oberösterreich Trachtenvorlagen herausbringen, die, aus der Schule Geramb* hervorgehend, sich die Erfahrungen und Mittel der in Innsbruck erarbeiteten Methoden zunutze machten.

Es ist eine Folge von fünf Mappen vorgesehen, wovon die grundlegende, die in ganz Oberösterreich gültige Trachten enthält, bereits erschienen ist. Die oberösterreichische Trachtenerneuerung versucht besonders stark den tatsächlichen Gebrauch und das ausgesprochene' Bedürfnis mit dem Besten des im Wesensgesetz der oberösterreichischen Tracht auch schon historisch Beschlossenen zu verbinden.

Die entscheidende Frage ist aber nicht so sehr die nach der Art der Trachtenerneuerung — diese ist die Voraussetzung der Trachtenpflege —, sondern wie das Volk die erneuerten Trachten aufnimmt. Hier aber kann von einem wahren Trachtensturm gesprochen werden. Was selbst der kühnste Optimist noch vor einem Jahrzehnt nicht zu hoffen wagte: das Hauptanliegen der Pflege der Männertracht, die lederne Kniebundhose, beginnt sich allgemein durchzusetzen und mit ihr auch die ganz echten, vorbildlichen Formen.

Ganze Gemeinden aus Gegenden, die die Tracht längst abgelegt haben, kommen zur Trachtenberatungsstelle und bitten um Vorlagen für die echte Tracht.

In Oberösterreich zum Beispiel, dessen Landwirtschaftskammer amLandesmuseuro eine Trachtenberatungsstelle eingerichtet hat, die in ununterbrochenen Einsätzen auf dem Land Trachtenvorführungen nach Art der beliebten Modeschauen abhält, bemühten sich im letzten halben Jahr siebzig Orte um diese Art von trachtlichem Anschauungsunterricht. In Schulen und Kursen wurden in derselben Zeit rund siebenhundert Trachten angefertigt. Aber selbst in den Orten, die schon immer als klassischer Boden der Tracht angesehen wurden, ist heute die Lage unvergleichlich besser als vor fünfzig Jahren. Heute trägt auch der Arbeiter und Bürger die Tracht. Bauerntracht ist Volkstracht geworden.

Einen besonderen Auftrieb erhielt das Trachtenwesen durch eine von Tirol und Salzburg ausgehende Bewegung, die Musikkapellen statt in Phantasieuniformen in Tracht zu kleiden.

So beantwortet sich die Frage, ob die Erneuerung der Volkstrachten in österreich künstlich oder gewachsen ist, ob sie „nur“ bewußt gewollt oder naturhaft geworden ist, von selbst. Es ist beides, denn: wirkt durch diesen scheinbar so bewußten Willen der Trachtenpfleger und Trachtenerneuerer nicht unbewußt der Zeitgeist hindurch, der allen befiehlt, ihre Kraft dieser Aufgabe zu widmen? Und wird man nicht aus ferner Zukunft her die unbewußte Wirkweise, die Strebung eines ganzen Jahrhunderts an einem Volk nicht viel deutlicher fassen als das Wollen derer, die nur Rädchen im Weltplane waren?

Indessen, dies sind Fragen, mit denen sich das Gewissen der Volkskunde auseinanderzusetzen hat. Am Ende bleiben Forderung, aber auch Erfolg der Trachtenerneuerung: Jedem Österreicher und jeder Österreicherin eine zeitgemäße und echte Heimattracht!

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