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Neuer Geist in der Schweiz

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Die Schweiz weist dank ihrer geographischen Lage und Geschichte ein vielgestaltiges, interessantes Volkstum auf. Wie überall in Europa, ging auch hierzulande der Bauernstand während vieler hundert Jahre in Trachten einher. Diese entfalteten gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine erstaunliche Blüte, die bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte und dann, im beginnenden Zeitalter der Technik, langsam abstarb und zugrunde ging. Das Schweizer Volk hatte jedoch das Glück, in Frau Julie Hei- e r 1 i, Zürich, in letzter Stunde noch eine Trachtenforscherin zu bekommen, welche in unendlicher Kleinarbeit die Überreste der untergehenden Bauerntrachten sammelte und studierte und schließlich diesem eigenartigen und reichen Volkserbe ein fünfbändiges Werk widmete: „Die Volkstrachten der Schweiz." Mit dieser prachtvollen historischen Darstellung glaubte die Verfasserin den Schweizer Trachten ein Grabmal zu setzen. Allein die Zeiten kamen unerwartet anders, und ihr Standardwerk wurde zum vielbenutzten wertvollen Wegweiser für die Erneuerungsarbeit in unserem Jahrhundert.

Die Bemühungen um die Trachtenpflege und Trachtenerneuerung in helve-

tischen Landen gingen aus Schweizer Heimatschutzkreisen hervor. Schon in den ersten Satzungen der im Jahre 1906 gegründeten Vereinigung waren die Volkstrachten unter den Aufgaben und Zielen der Heimatfreunde erwähnt. Die praktische Trachtenarbeit begann aber erst einige Jahre nach dem ersten Weltkrieg, der im Schweizer Volk ernste Besinnung auf sein geistiges und kulturelles Erbe und daraus neue Liebe und Aufgeschlossenheit für die Überlieferungen der Väter aufkeimen ließ.

Am 1. Februar 1925 endlich wurde die „Schweizerische Trachten- und Volksliederkommission des Heimatschutzes" eingesetzt. Sie faßte sogleich den Plan, im folgenden Herbst an der Schweizer landwirtschaftlichen Ausstellung in Bern zum erstenmal in diesem Jahrhundert ein schweizerisches Trachtenfest zu feiern. Dieses wurde zu einer Offenbarung. Man entwarf ein umfassendes Arbeitsprogramm für eine zielbewußte Volkstumspflege, in deren Mittelpunkt die Erhaltung und Erneuerung der Trachten stehen sollte. Die bisherige Heimatschutz- kommission konnte freilich dieser Aufgabe nicht länger genügen. Es galt daher, die Trachtenleute selbst zu einer großen Landesvereinigung zusammenzuführen.

Der Gedanke wirkte zündend; der Heimatschutz erklärte sich bereit, den Verband der Trachtenleute als seine Tochtervereinigung anzuerkennen. Am C. Juni 1926, also vor einem Vierteljahrhundert, traten Abgeordnete aus allen Landesteilen in Luzern festlich zusammen und vollzogen die Gründung.

Freilich, so wie man die Trachten aus den alten Truhen hob, waren sie meist nicht mehr zu gebrauchen. Sie mußten erneuert und dem heutigen Schönheitsempfinden angepaßt werden. Wenn man Feingefühl walten ließ, durfte man die Änderung ruhig wagen; denn auch ehedem haben die Trachten sich stets dem Wandel der Zeit angepaßt. Schon vor der Gründung der Vereinigung hatte man da und dort vereinzelt mit dieser Erneuerung zielbewußt begonnen. Nach dem Jahre 1926 ergriff die Erneuerungsbewegung vollends das ganze Land. In Museen und Privatbesitz wurden die authentischen alten Trachten und Bildnisse aufgestöbert, die als Grundlage für die festtäglichen Trachten dienen konnten. Auch das große Trachtenwerk von Julie Heierli wurde eifrig' studiert. In allen Kantonen fanden sich Historiker, Künstler und begeisterte Land- und Stadtleute zu Beratungen zusammen. Doch wo fand man die nötigen Zutaten, die Stoffe, die Bänder, die Hüte, den Schmuck, die Strümpfe und Schuhe? Alles mußte neu angefertigt werden. So wurde in aller Stille im Laufe der Jahre und im ganzen Land eine hundertfache Arbeit geleistet, und mancher Beutel hat sich wortlos geöffnet, damit das erste Lager der nötigen Stoffe und Zutaten angelegt werden konnte. Dabei spielte die überall aufblühende Handweberei' eine bedeutsame Rolle, und in den „Heimatwerken" des Landes fand die Trachtenbewegung eine wertvolle Stütze.

Doch nicht genug mit der Verjüngung der überlieferten Sonn- und Feiertags-trachten. Man erkannte bald, daß die Schaffung einfacher Trachtet! für den Werktag die Voraussetzung für eine größere Verbreitung im Volke war. Wollte man die ländliche Bevölkerung vom Joch der städtischen Mode befreien, so mußte man ihr auch zu einer würdigeren und doch zweckmäßigen Gewandung für den Alltag verhelfen. So entstanden nach und nach landauf und landab schlichte, praktische und zugleich kleidsame Arbeits- und Ausgangstrachten.

In vorwiegend katholischen Gebieten, wo besonders prunkvolle Festtrachten mit reichem Silberschmuck und sonstigem Zierat überliefert waren, machte sich bald das Bedürfnis nach einfacheren und minder kostspieligen Sonntagstrachten geltend. Und man zögerte nicht, diesen Wünschen ebenfalls nachzukommen.

Von größter Wichtigkeit war, daß von Anfang an das Handwerk für die Trachtensache interessiert worden war, Damit war eine picht alltägliche Qualität gesichert. Das Volk lernte die Handarbeit wieder schätzen, erkannte den Unterschied zum industriellen Massenprodukt und bekam die nötige Ehrfurcht vor der Tracht als etwas Einmaligem, Persönlichem, Heimatlichem, das eine höhere Geltung hatte und individueller Willkür entzogen war. Was früher durch die Dorf- und Talgemeinschaft geschaffen und durch strenge Sitte gewahrt worden war, fand nun die allgemeine Anerkennung des Volkes aus seiner Bewunderung für handwerkliche Qualität und aus seiner vaterländischen Gesinnung heraus, welche durch zwei Weltkriege gefestigt worden war.

Zu Stadt und Land haben sich im Laufe der Zeit die Trachtenfreunde zu Gruppen zusammengeschlossen und diese wiederum zu kantonalen Trachtenverbänden, deren Vorstände über die gute Entwicklung der Trachtenbewegung in ihren Gebieten wachen.

In der Trachtenbewegung liegt mehr, als ihr Name zu erkennen gibt. Sie sieht nicht nur das Gewand, sondern den Menschen an, der darin einherkornmt, und möchte, daß er sein ganzes Leben im Trachtensinne führe. Dafür gibt sie ihm unermüdlich Ratschlag und Wegweisung, Unter den Trachtenleuten wird das Volkslied und der Volkstanz gepflegt; Tanz- und Singwochen sowie Sonntagskurse führen sie in diese schönen Arbeitsgebiete ein. Aber auch dem guten Volkstheater und dem Brauchtum wird die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Das geistige Band unter den Trachtenleuten bildet seit mehr als zwanzig Jahren die Zeitschrift „Heimatleben", die in immer neuer Darstellung und Beleuchtung versucht, die Trachtensache ins Licht einer höheren Lebensauffassung zu stellen.

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