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Aufgabe und Ziel der historischen Heimatkunde

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Es gehört zu den glücklichsten Stunden des Gesdiiditsforsdiers, wenn er den Fäden nachspüren kann, die geheimnisvoll und wunderbar das Einzelschicksal mit dem ge-schichtlidien Weltschicksal verbinden. Der Wirkungskreis und die Arbeitsgebiete des Heimathistorikers sind die bescheidenen und leicht zu übersehenden Bezirke der Vergangenheit, es sind die menschlidien Gemein-schaftsformen, die immer nur in einem engsten Kreis gewirkt haben, Familie, Geschlecht, das Dorf, die Stadt, eine Handwerkszunft, eine Grundherrschaft, Flur- und Siedlungsformen, unserer Voreltern. Eine Schilderung ihres Zustandes und ihrer gesdiichtlidien Entwicklung wird ebenfalls im allgemeinen, im großen Ganzen fußen müssen. Wie ist das aber zu verstehen? Ist damit nur gemeint, daß die Geschichte zum Beispiel einer Stadt nidit aus der Landeshistorie, die Ge-sdiichte eines Landes nicht aus dem Schauplatz seines Kontinents gerissen werden darf? Eine solche Betrachtung wäre niemals erschöpfend. Die Wissenschaft vom Menschen in allen ihren Zweigen ist nicht nur erzählend, Tatsachen klärend, sie ist vielmehr und vor allem genetisch, das heißt sie sucht nach der Entwicklung und den inneren Ursadien der menschlichen Dinge. Dieses Streben ist es, um das sich Gelehrtengenerationen ihr Leben lang mühen, das Anlaß gibt zu Meinung und Gegenmeinung, zu Behauptung und Gegenbehauptung, das die eigentliche Problematik aller Geisteswissenschaft erzeugt. Es schafft unseren sdion angeführten Gemeinschaftsformen eine doppelte Verkettung, den nur nach außen sichtbaren Zusammenhang mit den Räumen und Zeiten, in welchen sie existieren, und den nur nach innen spürbaren mit den Problemen, die der menschliche Geist in ihrer Erforschung gefunden hat.

Die historische Heimatkunde ist keine verträumte Spielerei, auch nicht nur Hilfsmittel des Dorfschullehrers, sie stellt vielmehr einen wichtigen Baustein im großen Gebäude der Geschichtswissensdiaft dar.

Die Staatsgesdiichte ist nicht mehr allein seligmachend. Wir suchen heute in der Vergangenheit nach dem Leben, wie es sich im Volk abgespielt haben mag. Welche Beiträge kann in diesem Streben dem großen Forsdier an der Universität der stille Heimatkundler geben? Die Heimatforschung ist in ihren Anfängen getragen gewesen von einem Sammler- und Kurioseninteresse, vergleichbar dem Eifer des familienbewußten Mannes, der emsig die Daten der Geschichte seines Gesdilechtes zusammenträgt und sich vor allem über die auffallenden Ereignisse freut, die seinen Namen mit den allgemeinen großen historischen Begebenheiten verbinden. Die Haupt- und Staatsaktionen waren so die Lieblingsthemen der vergangenen heimatkundlichen Gesdiiditsschreibung. Der Historiker Hermann Aubin nennt an einer Stelle diese Betrachtungsweise treffend die „Froschperspektive“ der Geschichte. Aus eigener Kraft wurde aber dieses Stadium überwunden und langsam brach sich endlich die Frage nach dem inneren Aufbau der vergangenen heimatlidicn Gemeinschaftsformen ihre Bahn. Recht, Verfassung und Wirtschaft rückten in den Mittelpunkt der Betraditung und heute wissen wir, daß es neben dir Geschichte, die die Welt bewegt, auch ein ge^ schichtlich wirksames Leben des e i n-fachen Mannes gibt, des Volkes. Immer tiefer beginnen wir dessen Breite, Wichtigkeit, vor allem aber seine bewahrende Kraft zu erkennen. Die Weltgeschidite ist wandelbar wie ein Bühnenspiel. Die Ge-sdiidite des Volkes ist bleibend und unzerstörbar. Aus dem kleinen Wiesenstück und aus Kaiser Maximilians majestätisdiem Antlitz holte sich Albrecht Dürer einst die Wunder seiner Kunst. Aus der Kaiser- und Fürstenvergangenheit hat die Geschichtswissenschaft schon herrliche Werke geschöpft, ihr kleines Wiesenstück liegt nodi unbenutzt, da und dort erst hat ein Heimatr kundler in seine Gräser sidi versenkt. Das neu erwadiende Wissensdiaftsbewußtsein wird aber den Historiker immer mehr zu ihm lenken und wird ihm den Bürger, Handwerker, Bauern, den „armen“ Mann so lieben lernen, wie der Dichter seine vornehmsten Stoffe in Gestalten aus dem Volke wieder gefunden hat. Nennen wir das neue Streben prägnanter nicht einfach Heimatkunde, sondern Bevölkerungsgesdiichte, so wissen wir genau um das Ziel: aus den Quellen das Bild der Mensdien zu erwecken, die nidit weit wirken durften, deren Einzelexistenzen zusammengezählt aber das ausmacht, was wir Kultur einer Zeit nennen. So muß der Heimathistoriker sein Verhältnis zur Geschiditswissensdiaft betrachten, ausgestattet mit diesen hohen Aufgaben muß der große Geschichtsforscher seinen stillen Kollegen am fladien Land und in der Kleinstadt achten. Der Weg, den Gustav Frrvug und W. H. Riehl einst beschritten haben. auf dem auch Adalbert Stifter in seinem Witiko so sdiön gewandelt ist, kann nur vom Heimathistoriker fortgeführt werden.

Am Wiesenstück bewundern wir die unfaßbare Fülle der Formenwelt. Kein Grashalm, der dem anderen gleidit! Derselbe Reichtum an Einzelgebieten muß in der Heimatkunde wohl beachtet werden. . Viele Pfade zeigen sich dem Heimatkundler. Es ist eine Frage seiner Veranlagung, welchen er zuerst besdireitet. So führt ein Weg zum Beispiel in die Stadt des Mittelalters. Gerade jede Stadtgeschicht muß danach streben, mit ihren Gemeinwesen als Zentrum zu beginnen und erst darum einen weiteren Kreis zu schließen. Denn die mittelalterliche Stadt ist nur als Eigenpersönlichkeit zu begreifen. Es gab einst keine gemeinsame Kommunalpolitik, sondern nur eine selbständige Stadtpolitik. In den Städten regen besonders die Zünfte der Handwerke zu liebevollster Betrachtung an. Die Handwerksordnungen sind Quellen von eigenem Reiz. Sie sind bis zum Rande gefüllt mit kulturgeschichtlichem Stoff, lenken aber auch die Sdiritte weiter zur Wirtschafts- und frühesten Sozial, geschichte. Kernproblem der Wirtschafts-gesdiichte ist dabei der Markt und die Entwicklung des Handels. Bedenken wir, daß die einzige geschlossene Geschichte über den mittelalterlichen Handel in österreidi schon 1822 von dem Florianer Chorherrn Franz Kurz geschrieben worden ist, seitdem aber jede größere Zusammenschau unterblieb, so erkennen wir, welche Arbeit hier noch geleistet werden muß. Die einzelnen Handwerke bestanden aber nicht nur als berufliche Interessengemeinschaften, sie führten vielmehr als Bruderschaften auch ein starkes religiöses Leben. Damit ist ein Gebiet betreten, das der Linzer Historiker Prof. DDr. Karl E d e r als neue, unendlich reichhaltige Quelle zum Erkennen des „Spätmittelalters und der Vorreformation“ (Formulierungen aus seinem Buch: Deutsche Geisteswende, Bücherei der Salzburger Hochschul-wodien, Band VlII) erstmalig bearbeitet hat: die kirchliche Volkskunde in geschichtlicher Entwicklungsschau. Stand die Zunftlade in einem Ort auf dem flachen Lande, werden wir wieder in eine andere Richtung gedrängt. DieGrundherrsdiaft muß als Flaupt-faktor in der Geschichte des Bauernlandes erkannt werden. Ihre Grenzen, ihre Wirtschaftsform und ihr Gerichtsstand haben das Schicksal Tausender bestimmt. So kann allein die wahrhaft zu Einzelheiten vordringende Darstellung des Verhältnisses von Grundherrschaft und Bauernstand die innenpolitische Geschichte der Jahrhunderte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit endgültig klären und erklären. Wird die Sdiau auf das Haus als gewachsenem Bestandteil der Kulturlandschaft gerichtet, so rückt in den Vordergrund ein Gebiet, das erfreulich stark schon bearbeitet worden ist, das die wichtigsten Bausteine zu einer Landeskunde liefern kann: die Siedlungsgeschichte. Hier finden in schöner Form Historiker und Geograph zueinander, der eine das Meßtischblatt mit geistigen Ideen belebend, der andere die Geschichtsdarstcl-lung mit exakten Bildern befruchtend. Die Krönung aller Heimathistorik ist aber die Einmündung in die Rechtsgeschichte. Dieser Gegenstand verlangt eine eigene Behandlung. Hier kann nur auf die Tatsache des Zusammenhanges hingewiesen werden.

Viel ist in Beschreitung dieser zahlreidien Wege schon gesdiehen, leider aber bisher nur von Einzelgängern. Völlig fehlt noch eine feste Methodik der Zusammenarbeit, eine Übereinstimmung des zerstreuten Wollens. Herrsdiafts-, Kommunal- und Zunftarchive liegen wenig benützt, vielfach sddecht geordnet. Keine Kommission, keine Akademie nimmt sich ihrer Auswertung an. Die emsige Ordnungsarbeit der Landesarchive wirkt meist nur im eigenen engen Kreis. Schätze an wissenschaftlichen Arbeiten, vor allem an Dissertationen, liegen ungehoben, die Zusammenarbeit der Universitäten mit den Landesarchiven ist noch in keine Form gebracht, unendliche Gedankenarbeit wartet hier.

Die Geschichtswissenschaft dient aber nicht nur dem Verstand, sondern auch dem Gemüt der Menschen. Sie darf hier in eine Linie mit der Kunst gestellt werden. Auch sie wirkt mit an der Veredelung des Menschen. Großartiger mag die Wirkung einer Reli-gions-, einer Philosophiegeschichte, einer Darstellung eines Freiheitskampfes sein, nirgends wird aber so tiefe Innerlichkeit leben wie in der Heimatgeschichte. Sie kann mithelfen, dem Menschen das Beste zu geben, was ihm auf Erden beschieden ist: ein gutes Herz. In einer zerrütteten und ratlosen Zeit wird sie darüber hinaus oft der einzige Rettungsanker sein. Haben wir bisher ihren wissenschaftlichen Wert beleuchtet, so beugen wir uns nun dankbar vor ihrer menschlichen Mission.

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