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Unser gemeinsamer Weg an der Donau

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Wird sich im Europa der Regionen der Donauraum als friedliche Einheit behaupten können? Aus den Antworten von Vertretern der verschiedenen Kulturräume geht hervor: Österreicher, Slawen, Bayern, Magyaren streben nach neuen Formen geistiger und kultureller Verbindung

Das Bewußtsein der Gegenwart scheint erfreulicherweise doch anders zu sein als die geschichtliche Retrospektive, wenn man sich auch keine Illusionen machen sollte, daß man schon sehr weit fortgeschritten sei. Es ist gut, daß man weiß, und das nicht nur im Donauraum, daß politische Grenzen und ideologische Differenzen wenig zählen, wenn es um geistige Dinge geht, wo Begriffe wie groß und klein, richtig und falsch nicht das Wesentliche sagen. Oder, ein wenig anders gesagt, wie es der slowenische Lyriker Srecko Kosovel formulierte: Es gibt in der Welt des Geistes keinen Sieg und keine Niederlage.

Bei der Frage, die uns die FURCHE in ihrem Jubiläumsjahr stellt, geht es jedoch um konkrete Gedanken, wie das erwachte Bewußtsein der kulturellen Einheit, die der Donauraum darstellt, zu bereichern und weiterzuentwik-keln wäre. Die Antwort scheint einfach: besseres Kennenlernen. Vom Ähnlichen, das uns verbindet, ausgehen, um das Besondere des anderen, das uns erweitert, zu finden. Lesen, schauen, hören, besuchen, übersetzen. Und vor allem verstehen: im breiten Sinn und auch wörtlich.

Im ganzen hieße das, das Deutsche, Ungarische und Slawische des Raumes in sich aufzunehmen und zu verflechten, konkret gesagt aber: Sprachen lernen, sich bemühen, neben seiner Muttersprache wenigstens noch zwei andere aus dem gemeinsamen Raum zu beherrschen oder zu verstehen. Das scheint vielleicht übertrieben und im Moment auch schwer durchführbar, doch ich glaube, daß dies eine fruchtbare Grundlage zu wirklicher Zusammenarbeit und zum Verständnis des Andersartigen sein könnte.

Von so einem Ausgangspunkt wäre vieles leichter erreichbar. Wir wissen ja, jeder in seinem Bereich, wie man der Sache am besten dient, welche Schwierigkeiten man in der Behauptung des Kulturellen im „Dialog“ mit den politisch-pragmatischen Förderungen zu überwinden hat und noch vieles andere. Mit so einer gemeinsamen Prägung könnten wir alle auch besser als bisher über die Grenzen unseres Kulturraumes hinauswachsen und uns als ein Eigenartiges im größeren Rahmen Europas und der Welt behaupten: begründet auf einer autonomen Tradition und mit dem Willen zur gemeinsamen Zukunft.

Um ein Beispiel pro domo anzuführen: ich habe Rilke und Trakl aus dem Deutschen in die slowenische Sprache, Ady, Radnoti und Weöres aus dem Ungarischen und Holän aus dem Tschechischen übertragen. Von da kann man vieles weiterbauen. In dieser und auch in der entgegengesetzten Richtung.

Der Autor, Lyriker und Romancier, einer der wichtigsten Vertreter der slowenischen Literatur, lebt als freier Schriftsteller in Ljubljana.

Hans Maier, München:

Kulturaustausch verstärken *

Die Donau, geschichtsträchti-ger zweitgrößter europäischer Strom, gespeist von drei Quellen - die, jede für sich, Ursprungsrechte erheben -, verbindet als Europastrom auf ihrem 2.880 km langen Weg die Länder Deutschland, Österreich, CS SR, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und die UdSSR, bevor sie sich in drei gewaltigen Mündungsarmen ins Schwarze Meer ergießt.

Als Wasserstraße hatte die Donau stets enorme Verkehrs- und wirtschaftspolitische Bedeutung, die mit der Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals ihren Höhepunkt erst erreichen wird. Die Lebensader Donau war immer Schnittpunkt des Fernhandels zwischen Ost und West. Historisch gesehen war diese Verkehrsader militärische Grenze und Zugstraße der Völker zwischen Ost und West zugleich. Völkerrechtlich ist die Donau ein internationalisierter Fluß. Von ihrem Ursprung bis zur Mündung ist die Donau bis heute völker-und länderverbindend geblieben.

Kulturgeschichtlich begegnen einander im Donauraum die beiden großen Kulturräume, die lateinisch-germanische sowie die griechisch-slawische Welt. Die österreichisch-ungarische Monarchie hatte, und darin liegt wohl ihre größte völkerverbindende und kulturelle Bedeutung, beide kulturellen Entwicklungsströme zu integrieren versucht.

Die internationalisierte Donau ist geopolitisch, wirtschaftlich und kulturgeographisch die bedeutendste Achse zwischen der östlichen und westlichen Welt. Dieser Fluß ist — so Wilhelm Hausenstein - „mit seinen ziehenden Wassern der weiten Welt verbunden bis ans Schwarze Meer.“

Literarisch wurden der Donau zahlreiche bleibende Denkmäler gesetzt: so mit dem Nibelungenlied im 12. Jahrhundert, jenem schicksalhaften Donauübergang der Burgunder östlich von Ingolstadt. Die „Donau als Schicksalsstrom“ (Eberhard Dünninger), dies klingt noch viel später nach im so grausamen Tod der Agnes Bernauer zu Straubing und in dem zeitlosen Volkslied von der Donaufahrt über den Strudel von Regensburg. Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts haben Städte und Sehenswürdigkeiten, die Flußlandschaft der Donau beschrieben. Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert hat sich im Donauraum eine ansehnliche Reiseliteratur entwickelt. Schließlich hat Hans Carossa 1936 nicht nur die eindrucksvolle Bändigung des Donaustroms bewundert, sondern auch mit Sorge die Veränderung der Donaulandschaft wahrgenommen.

Wie läßt sich heute - im Europa der Regionen - die geistige und kulturelle Zusammenarbeit der Völker des Donauraumes weiterentwickeln?

Der kulturelle Austausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vor allem dem Freistaat Bayern und den anderen Anrainerstaaten des Donauraumes ist sehr rege. Wenngleich mit der Republik Österreich kein formelles Kulturabkommen besteht, ist die gegenseitige Zusammenarbeit auf den Gebieten der Musik, des Theaters, der Kunst, der Museen, des Schulwesens und der Hochschulen sowie in Wissenschaft und Forschung ausgezeichnet.

Die deutsch-ungarischen, deutsch-jugoslawischen sowie deutsch-bulgarischen Kulturabkommen hatten einen für beide Seiten äußerst fruchtbaren Austausch auf den Gebieten der Wissenschaft, der Bibliotheken, der Kultur und Kunst sowie im Bildungswesen zur Folge. Dies gilt insbesondere für den Freistaat Bayern und die Teilrepubliken Serbien und Kroatien, die grundlegende und aktuelle Fragen des Kulturaustauschs sowie ausländischer Schüler in Deutschland in Ständigen Kommissionen behandeln.

Wir werden alles daran setzen, in Zukunft den Kulturaustausch im Donauraum über alle staatlichen, politischen und ideologischen Grenzen hinweg noch zu verstärken. Dies ist der beste Weg der Friedenssicherung und der Zusammenarbeit der Völker im Geiste der Freiheit, der Verständigung und der Toleranz.

Der Autor ist Universitätsprofessor und bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus.

Moritz Csäky, Graz:

Deutschtum oder Pluralität?

Die Frage, was man tun sollte, um die „Mitteleuropa-Idee“, das heißt die Vorstellung einer trotz politischer Grenzen offenkundig vorhandenen Zusammengehörigkeit dieser ost-mitteleuropäi-schen Region, stärker ins Bewußtsein treten zu lassen, möchte ich nicht so beantworten, daß ich auf konkrete Möglichkeiten zwischenstaatlicher Kooperationen hinweise. Vielmehr glaube ich, daß es allerhöchste Zeit ist, aus den Tiefen unseres historischen Gedächtnisses jene zum Teil schon verschütteten Bestandteile wieder ins Bewußtsein treten zu lassen, welche eben die Voraussetzungen einer (außerordentlich notwendigen) äußeren Kooperation sind.

Es gehört zu den Paradoxa der geistigen Situation in diesem Land, daß man sich im benachbarten Ausland, etwa in Italien oder Ungarn, aber auch im entfernteren Frankreich, über die regionale Homogenität „Mitteleuropas“ oder, um mit dem Polen Oskar Halecki zu sprechen, „Ost-Mitteleuropas“ (Mitteleuropa beinhaltet auch Deutschland und die Schweiz) mehr Gedanken macht, als in Osterreich. Hier diskutiert man (vielleicht) lieber über eine eventuelle anteilsmäßige Zugehörigkeit zu einer deutschen Kulturnation und übersieht dabei völlig, daß die jahrhundertelange Verbundenheit eben nur eines Teiles der Habsburgermonarchie mit dem Heiligen Römischen Reich ebensowenig mit einer Zugehörigkeit zum Deutschtum identifiziert werden kann, wie man vom historischen Böhmen, einem stets überwiegend tschechischsprachigen Gebiet, auch nicht behaupten darf, es wäre deutsch oder Teil Deutschlands gewesen.

Die geistige Auseinandersetzung mit jüngst neu erwachenden Vereinnahmungstendenzen Österreichs durch das Deutschtum kann nur so geschehen, daß man sich der historischen Dimension der Pluralität dieses Raumes bewußt wird, einer Pluralität, die im historischen Unterbewußtsein (zum Beispiel auf der ethnischen und kulturellen Ebene) der Bewohner dieses Landes verankert ist und eben dadurch ein ganz wesentliches Kriterium der österreichischen Identität ausmacht.

Ganz gewiß ist das Deutsche in dieser Pluralität auch enthalten, es ist aber nicht das einzige Element; und wenn man auf die deutsche Umgangssprache als Beweis für das Ubergewicht des Deutschtums hinweist, dann muß man sich wirklich fragen, ob das dem Nationaldenken des 19. Jahrhunderts entlehnte sprachliche Kriterium als Konstitutivum für eine Nation und einen Staat in der Tat ausreichend ist, um daraus eine Einheit und Zusammengehörigkeit abzuleiten.

Diese Präsenz von Pluralität im österreichischen, einer Pluralität, die eben typisch ist für die ost-mitteleuropäische Region und die Österreich daher als Teil dieser Region ausweist, hat Robert Musil — im Gegensatz zu den Deutschen — als „keinen Charakter haben“ umschrieben: Wien, ein typischer geistiger Topos dieses Zustands „ist von den Türken belagert und von den Polen tapfer verteidigt worden, sie war im achtzehnten Jahrhundert die größte italienische Stadt, sie ist stolz auf ihre Mehlspeisen, die aus Böhmen und Ungarn stammen, und beweist durch Jahrhunderte, daß man sehr schöne, ja auch tiefe Dinge hervorbringen kann, wenn man keinen Charakter hat“.

Die intensivierten Initiativen von Repräsentanten der Länder dieser europäischen Region, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich der historisch begründeten Gemeinsamkeiten zu erinnern und sich auf ein trotz sprachlicher Differenz noch immer - und vielleicht mehr denn je — gemeinsames Bewußtsein zu besinnen, kann erst dann seinen endgültigen Sinn und Nutzen haben, wenn man sich von den ahistorischen uniformen Denkkategorien eines nationalistischen 19.

Jahrhunderts endgültig verabschiedet und sich jener reichen Vielfalt von Elementen bewußt wird, welche die Konstitutiven eben auch unserer österreichischen Identität sind. Und eben jene Pluralität von Elementen, in ihrer quantitativen und qualitativen Dimension, weist uns eindeutig als Teil einer „ost-mittel-europäischeh“ Entität und nicht einer (immer noch auch politisch konzipierten) „deutschen Kulturnation“ aus. Eine vertiefte Reflexion über diese Fragen erscheint mir daher als eine wesentliche Voraussetzung für die fundierte Intensivierung einer bereits vorhandenen (kulturellen) Kooperation-

Der Autor ist ordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Graz.

Iva Prochäzkovä, Prag/Wien:

Schimpfen wir doch gemeinsam

Als im Jahre 1868 Kaiser Franz Josef I. auf der gerade fertiggestellten Brücke in Prag das Band mit der Schere durchgeschnitten hatte, erlaubte er sich eine kurze, freundlich gemeinte Frage zu stellen: „Wo führt die Brücke eigentlich hin?“ Nach dem Zeremoniell flüsterten die Prager Repräsentanten des öffentlichen Lebens einander zu, daß der Monarch überarbeitet sei. Man sagt, daß sie dabei delikat an ihre Stirne klopften.

Viele Jahre später kam es jemandem in den Sinn, die Brücke wieder anzuschauen. Auf dem anderen Ufer der Moldau mündete die Brücke in ein kleines Weglein, hinter dem schroffe Felsen aufstiegen. Die Brücke ging tatsächlich nirgendwohin. Erst beim Graben eines Tunnels quer durch das Bergmassiv, etwa achtzig Jahre nach der schüchternen Anfrage des seit langem entschlafenen Kaisers, hat die Brücke endlich einen Sinn gewonnen.

Ich frage mich, wie viele solcher unsinniger Brücken in der ganzen Monarchie verstreut sein müßten. Im Hinblick auf den Fleiß, den Nachahmungstrieb und den Wetteifer der einzelnen Nationen des Reichs würde ich ihre Zahl auf Hunderte schätzen. Hunderte solcher Brücken, die meiner Meinung nach mehr als alles andere die heterogene Bevölkerung vereinigten! Die Leute finanzierten sie gemeinsam, bauten sie gemeinsam und schimpften gemeinsam auf sie. Es mag sich im Fluchen eine gewisse internationale, rührende Einheit geoffenbart haben.

Sieht man aus diesem Blickwinkel die Situation in Böhmen heute, wird man enttäuscht sein. Aus der damaligen Unzufriedenheit der solidarischen Art entwickelt sich eine vorwiegend persönliche Unzufriedenheit. Aus dem kreativen Schimpfen (kreativen deshalb, weil aus ihm oft Taten wuchsen) ist im Laufe der Zeit und der Ereignisse ein Schimpfen geworden, das Taten und die Gedanken lähmt. Der von jeher nach Erkenntnis dürstende und auf der Suche nach immer neuen Horizonten befindliche tschechische Mensch sitzt heute in einem engen, nach allen Seiten sorgfältig zugesperrten Korridor, wodurch alles verkümmert, was in der tschechischen Natur wertvoll ist.

Mit Informationen aus der Welt nur ungenügend versehen, verliert der'Tscheche die Fähigkeit, des Weitblicks. In vielen Fällen verliert er auch eine gemeinsame Sprach- und Verständnisfähigkeit, die er bis vor kurzem nicht nur mit den nächsten, sondern fast mit allen Nationen von Europa teilte. Das betrifft selbstverständlich auch die Kunstsprache. Das bedeutet unter anderem die Unkenntnis der Probleme außerhalb des eigenen engen Lebensbereiches. Das Treibhausprinzip funktioniert vollkommen: Innen nimmt alles große Dimensionen an, und nach außen läßt sich durch die beschlagenen Scheiben nichts sehen.

Ich möchte nicht, daß meine grobe Skizze pessimistischer ausklingt, als es nötig ist. Eine Wende zum Besseren wird bestimmt eintreten, es geht nur darum, wodurch sie hervorgerufen wird. Ein Mittel wüßte ich. Ich denke an den Bau einer großen gemeinsamen Brücke. Die Realisierung des Projekts hätte folgende Bedingungen zu erfüllen: Der Bau müßte teuer und langwierig sein und — vor allem — die Brücke dürfte nirgendwohin führen. Damit alle endlich gemeinsam auf etwas schimpfen könnten. Einträchtig. International. Auf kreative Weise. Darin fänden auch die Tschechen wieder den Weg zu sich selbst — und zu ihrem Nachbarn.

Die Autorin lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Ihr Bühnenstück „Die Witwe des Dichters“ wurde in Österreich aufgeführt, ihr Kinderbuch „Der Sommer hat Eselsohren“ wurde in Deutschland preisgekrönt.

Gabor Görgey, Budapest:

Eine unblutige Verschwörung

Was können die Völker des Donauraumes für einander, für Europa, für die Welt tun? Als erstes genügte es, wenn sie miteinander ins Gespräch kämen. Heute ist die ganze Erdkugel so klein geworden, alles hängt so sehr zusammen, nirgends kann etwas Wesentliches geschehen, dessen Weiterbeben nicht auch jenseits der Grenzen spürbar wäre. Noch stärker fühlt man das in den verschiedenen Regionen des Kontinents, so auch im Falle der Völker, die entlang der Donau leben.

Wir können es uns nicht leisten, daß ein jeder sich in seinen Schmollwinkel stellt; von Gehässigkeit will ich gar nicht reden. Hier leben wir, ein Volk neben dem anderen, und keines wird dem anderen zuliebe auf die vorläufig noch freie Antarktis oder auf den Mond übersiedeln. Wir haben also gar keine andere Wahl als die Freundschaft, auch wenn sich diese vorläufig noch als eine Art zähnefletschende Freundlichkeit erweisen würde. Wir haben keine andere Wahl, denn wir können einander nicht andauernd den Rücken zeigen: auch die verfeindeten Bewohner zweier Nachbarhäuser könnten ihren eigenen Garten nicht ständig mit kunstvoll verrenkten Körpern überqueren, damit sie dem plötzlich hervortretenden Nachbarn nur ja nicht ins Gesicht sehen müssen. So etwas führt zur Verkrampfung der Rücken- und Halsmuskulatur. Auch die Völker, die einander fortwährend den Rücken zeigen, müssen am Ende ihre historischen Verkrampfungen wie eine Lähmung tragen.

Vor allem müssen wir uns von unseren geschichtlichen Verkrampfungen befreien. Wir müssen gegenseitig unsere Spitznamen vergessen, die wir einander gegeben haben und die jeder von uns in dem Glauben gebraucht hat, daß er durch den Spitznamen des anderen selber an Achtung gewinnen werde. Wir müssen die verlorenen Schlachten vergessen. Und wir müssen die gewonnen Schlachten vergessen. Wir sollen nicht unsere Toten zählen - unsere eigenen heldenhaften Toten und die feigen Toten der anderen —, sondern jene lebendige Begegnungen, die es während der Geschichte, in den Pausen der gegenseitigen Schmähungen und Schlachten, immer wieder gegeben hat.

Das ist keine politische Frage, zumindest nicht nur eine politische Frage. Diese Neuordnung des Bewußtseins kann vor allem von den Menschen des Geistes getragen und in Bewegung gebracht werden. Und vielleicht ist es kein literarischer Chauvinismus, wenn ich sage: vor allem der Schriftsteller, die Literatur könnten viel bewirken. Die Menschen des Geistes, die Literaten, haben sich in den seltensten Fällen an den Hetzkampagnen beteiligt, sie haben am ehesten ein Recht darauf, im Büch der schlimmen Traditionen eine neue und unbeschriebene Seite aufzuschlagen. Deshalb ist jede entsprechende Begegnung in einem Kaffeehaus, jedes vernünftige Gespräch am runden Tisch, jede sauber organisierte Konferenz, jede noch so kleine Aktion im Dienste des kulturellen Aus-tauschs, jede Fremdsprache, die jemand erlernt hat, jedes ausländische Buch, das jemand gelesen hat, nichts anderes als Teil einer unblutigen und heiligen Verschwörung gegen die verknöcherten Methoden der Politik, gegen die ererbte Sklerose des Bewußtseins, gegen manche Regierungen, die so oft an einer Verkrampfung der Rücken- und Halsmuskulatur zu leiden scheinen.

Zeigen wir einander niemals mehr den Rücken. Alle Rücken sind gleich und also nichtssagend. Wenden wir einander die Gesichter zu. Das Gesicht läßt den Menschen, das Gesicht eines Volkes läßt das Volk erkennen.

Der Autor, namhafter ungarischer Dramatiker, Abkomme jenes Generals Arthur Görgey, der die ungarischen Truppen im Jahre 1840 gegen Osterreich befehligt hat, lebt als freier Schriftsteller in Budapest

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