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Österreich und seine Slowenen

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„Die österreichische Furche“ gibt im folgenden einer Stimme Raum, die gehört zu werden verdient, gerade weil sie eines der heikelsten und umschwiegensten inneren Probleme des heutigen Oesterreich mutig aus einer tiefen persönlichen Ueber- zeugung heraus behandelt. Der Verfasser ist selbst einst Freiheitskämpfer in Kärnten gegen den jugoslawischen Einmarsch gewesen und Besitzer des Kärntner Kreuzes für Tapferkeit. Heute besitzt er die auch in unserem Lande nicht allzu häufige Zivilcourage, Dinge auszusprechen, gegen deren Anerkennung sich auch tüchtige Männer bisweilen verwahren. Kürzlich hat Oesterreich einen echten internationalen Erfolg mit dem in Cannes und Berlin ausgezeichneten Film „Die letzte Brücke“ errungen, der bekanntlich ein Motiv aus dem Kampfe zwischen jugoslawischen Partisanen und den Deutschen im letzten Krieg behandelt. Sollten wir es noch immer nicht erkennen, daß die wahre Chance Oesterreichs darin liegt, Frieden zu mitteln — gerade in jenen Räumen, die so lange bisher im Zeichen der Zwietracht versehrt wurden? Der folgende Aufsatz sollte uns Oesterreicher nachdenklich stimmen — wie immer der einzelne sich auch zu den Folgen stellen mag, die der Staatsführung aus ihrem Bedenken erwachsen.

„Die Furche'

Es gibt keine schwierigere Aufgabe als die, ich zu einem Problem zu äußern, obwohl man dabei unvermeidlich auf gefühlsmäßige Einstellungen stößt, gegen die Erklärungen unwirksam sind. Man wird sich einer solchen undankbaren Aufgabe auch nur dann unterziehen, wenn man glaubt, damit einem noch höheren als in jenen Ressentiments enthaltenen Werte zu dienen. Zu diesen Problemen gehört die Sprachenfrage im Völkermischgebiet.

Deuten wir nur ganz kurz folgendes an: Jeder Mensch hat eine Haltung, die er bewahren muß, um im Leben zu bestehen, von den Mitmenschen geachtet zu werden und sich den Anspruch auf ein ehrendes Angedenken nach dem Ablauf seiner Erdentage zu erwerben. Diese Haltung stützt sich auf Familienansehen, Heimatliebe, Vaterlandstreue, Volkszugehörigkeit, Gottesglauben. Jeder Mensch wird trachten, diese Grundzüge seines Wesens zu bewahren und zu festigen. So ist es auch verständlich, daß er sein Volkstum schützt und pflegt. Das Hauptmerkmal des Volkstums ist die Sprache, die ja mit einem geistigen Band Menschen umschließt, zu einem Volke vereinigt.

In einem Völkermischgebiet — das ist ein Lebensraum, in dem zwei verschiedene Völker zufolge eines oder mehrerer Staatsorganisationsprinzipien Zusammenleben — werden zwei verschiedene Sprachen gesprochen. Die Bewohner, die in engere berufliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche Bindung miteinander treten, müssen beide Sprachen beherrschen. Bisher waren in Südkärnten die Slowenen (Windischen) die doppelsprachigen Bewohner. Dadurch aber, daß die Bewohner innerhalb ihres Volksraumes eigenen Lebensund Kulturinteressen nachgehen, bleibt das Gebiet in zwei Sprachräume geteilt, in einen deutschen und in einen slowenischen. Dadurch entsteht eine Sprachengrenze. Diese kann nicht scharf wie eine chinesische Mauer sein, weil ja der Lebensraum volkswirtschaftlich, verkehrstechnisch und staatsbehördlich gemeinsam ist. Im Bestreben, durch Einsprachigkeit seine Volkszugehörigkeit zu schützen und zu festigen, kommt es zur Ablehnung der Fremdsprache; so entsteht der Sprachenstreit.

Immer haben wir es mit einer Sprachminderheit und einer Sprachmehrheit zu tun. Die einfachste Lösung des Sprachenstreites wäre die, daß die Sprache der Minderheit eine Sprache für den Hausgebrauch zu sein habe, im

Lebensraum aber die Sprache der Mehrheit zu gebrauchen wäre. So ungefähr war e? im ehemaligen Dreizehnvölkerstaat an der Donau, in dessen österreichischen Kronländern Deutsch die Staatssprache war. In den auf Grund des Nationalitätenprinzips 1918 entstandenen Nachfolgestaaten, die aber wiederum nationale Minderheiten in ihren Grenzen hatten, wurde nicht nur nichts aus den Fehlem der Vergangenheit gelernt, sondern im Gegenteil eine viel stärkere Sprachverdrängung der Minderheiten betrieben. Inzwischen dürften die Menschen auch in diesen Staaten mit Schmerzen an Leib und Seele die Erfahrung gemacht haben, daß nationaler Fanatismus ein Unglück für alle ist, heute für die und morgen für jene und dann wieder umgekehrt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Europäer auf ihre Nationalitätenkämpfe einmal so zurückblicken werden wie heute auf die Religionskämpfe vergangener Jahrhunderte. Wahrscheinlich befinden wir uns schon jetzt in einer Wandlung, die sich in ihren Anfängen in gemischtsprachigen Gebieten zeigen muß. Sie besteht darin, daß der Minderheitenschutz sich unbemerkt in ein Minderheiten recht umwandelt, ganz naturgemäß nach dem, was wir einleitend über den Aufbau der Persönlichkeitsstruktur gesagt haben. Man muß zugeben, daß jeder Mensch nicht nur das Recht hat, in seiner Sprache zu sprechen, sondern auch ein Anrecht darauf, in seiner Sprache verstanden zu werden! Naiv ausgedrückt: Wieso kommt der eine dazu, die Sprache des anderen lernen zu müssen, der andere aber braucht es nicht? Die restlose Durchsetzung dieses Menschenrechtes ist nicht von heute auf morgen möglich, aber die Zukunft wird die Zweisprachig- ’ keit aller Bewohner im Völkermischgebiet bringen. Bis dahin bedarf es einer Regelung der Sprachenfrage, und zwar durch die zuständigen Behörden und durch die Menschen selbst, die im Grenzraum leben.

Die Sprache als wesentliches Merkmal der Volkszugehörigkeit und damit zum Wesen des Menschen gehörig darf keine Einbuße erleiden. Die Muttersprache muß ungestört erlernt und als etwas Schönes erkannt werden. Das gehört zur Persönlichkeitsentwicklung. Es fehlt nicht an Beispielen, daß Kinder zweisprachig aufwachsen, wie in völkischen Mischehen oder in begüterten Familien mit einer Französin als Kinderfräulein, ohne einen Schaden zu erleiden.

In der Volksschule wird dann die Sprachenfrage aktuell. Um ihre Regelung im Volksschulunterricht geht es auch in Unterkärnten, Auf Grund einer Verordnung der provisorischen Kärntner Landesregierung vom 3. Oktober 1945 hatten die deutschsprachigen Kinder in den zweisprachigen Volksschulen Unterkärntens in der Woche drei Unterrichtsstunden in slowenischer Sprache zu nehmen. Dagegen erfolgten Elternproteste, und eines Tages wurde im Friedhof von St. Ruprecht bei Völkermarkt das Denkmal der Partisanen gesprengt. Dazu ist zu sagen, daß das eine Untat ist; denn im Friedhof liegen viele Tote und nicht nur 84 Partisanen, die ihre ewige Ruhe haben wollen. Es muß aber auch gesagt werden, daß Kriegerdenkmäler nicht, wie das gesprengte, Angriff oder Rache, sondern Sieg,

Friede, Heimattreue, Vaterlandsliebe darstellen sollen, sonst verfehlen sie ihren Zweck, Ehrfurcht im Menschen der Nachwelt zu erwecken. Die Denkmalsprengung erfolgte durch unbekannte Täter, wahrscheinlich aus Protest gegen den Slowenischunterricht für die deutschsprachigen Kinder in Unterkärnten. Das zeigt die Schärfe des Sprachenkampfes, der bald wegen einer Glockenaufschrift in Suetschach wieder die Aufmerksamkeit auf sich lenken sollte.

Die Frage ist also die, ob die deutschen Kinder im gemischtsprachigen Gebiet die slowenische Sprache lernen sollen? Es wird zum Beispiel darauf hingewiesen, daß die Sprache des italienischen Nachbarn wichtiger -wäre als die Erlernung des Schriftslowenischen. Dieses könne nicht einmal den Verkehr mit der zweisprachigen Bevölkerung fördern, da diese selbst das Schriftslowenisch kaum verstehe und ihren eigenen Dialekt spreche. Dazu wäre zu bemerken, daß die Staats- und Sprachgrenze gegen Italien, wenn man vom dreisprachigen Kanaltal absieht, mit dem hohen Gebirgskamm der Karnischen Alpen zusammenfällt und sich die beiden Völker hier gar nicht berühren. Dagegen besteht mit den bis zur Drau und ins untere Gailtal hinein seßhaften Slowenen eine sehr enge Berührung. Deshalb waren ja in dieser Gegend zur Zeit Altösterreichs die Bahnhofsnamen und wichtigen Verkehrshinweise in deutscher und darunter in slowenischer (nie in italienischer) Sprache gehalten.

Die deutschen Kinder sollen also nicht, so wollen es weite Bevölkerungskreise, die Sprache des zweiten in Kärnten lebenden Volkes lernen. Daß die slowenischen Kinder seit Jahrzehnten deutschen Unterricht nehmen mußten, schien dagegen den Deutschen in Kärnten ganz in Ordnung zu sein; daß nämlich die Kinder des Minderheitsvolkes auch die Sprache des Mehrheitsvolkes erlernen. Hat sich da nicht seit dem unseligen November 1918 etwas geändert? Vielleicht in der Richtung, daß auch das Mehrheitsvolk die Sprache der Minderheit nicht mehr ablehnen darf? Muß es nicht auf dem altösterreichischen Boden — was für alle Nachfolgestaaten gilt — dazu kommen, daß sprachfremde Völker im geographisch-wirtschaftlich gemeinsamen Lebensraum, ohne einander etwas zu vergeben, miteinander ins Gespräch kommen? Glaubt heute noch jemand ernstlich, daß z. B. in Zukunft in einem Kärntner Infanterieregiment der Offizier nur deutsch, der Soldat aber slowenisch und deutsch sprechen wird? Im Kriegsfall ganz sicher nicht. Wie habe ich es immer bedauert, kein Wort slowenisch zu können, hätte ich doch im Felde einem slowenischen Soldaten wenigstens ein Wort des Lobes, des Mitleids, der Aufmunterung in seiner Muttersprache sagen können, was viel mehr gewesen wäre als das von ihm auch verstandene Wort in deutscher Sprache. Denn die erlernte Sprache dringt nur in den Geist, die Muttersprache aber auch ins Gemüt. Wie weise war es, daß im altösterreichischen „gemeinsamen Heer" die Berufsoffiziere neben der deutschen Kommandosprache auch die Sprache der Mannschaft des Regiments erlernen mußten. Diese Weisheit muß weiterwirken und sogar eine weitere Anwendung, nämlich auf das bürgerliche Leben, finden. Im gemischtsprachigen Gebiet wird sich schließlich jeder Erwachsene etwas von der Sprache des anderen Volkes aneignen müssen.

Es besteht vielleicht die Besorgnis, daß das Volkstum, die Insichgeschlossenheit und schließlich die rassische Reinheit durch das Erlernen der Zweitsprache und durch die sich daraus ergebende engere Verbindung mit dem sprachfremden Volk beeinträchtigt würden. Noch summt uns aus der Vergangenheit das Motto des „Deutschen Schulverein-Südmark" in den Ohren: „Den Brüdern im bedrohten Land warmfühlendes Herz und hilfreiche

Hand!" Wir waren mit Eifer dabei, mit schwarzrotgoldenen Bändchen in jedem Notizbuch und der Kornblume im Knopfloch, ohne uns überhaupt zu fragen, ob wirklich jemand bedroht wird. Soll es in diesem Sinne dabei bleiben, daß zur Erhaltung des Volkstums die scharfe Abgrenzung betrieben wird, wozu in erster Linie die ängstliche Fernhaltung der Fremdsprache gehört? Diese Frage wäre zu entscheiden. Ein naheliegendes Beispiel: Die Kroaten im südlichen Burgenland und die Slowaken im nördlichen Burgenland berühren sich fast. Soll man hier die Süd- und Nordslawen Zusammenkommen lassen oder soll man einen starken deutschen Sprachkeil zwischen sie treiben, um nicht von Slawen eingeschlossen zu werden und die Verbindung mit den. Madjaren zu verlieren? Soll man es gehen lassen, wie es geht? Man möchte es am liebsten, denn eine Entscheidung so oder so fällt schwer. Zeigt das Beispiel nicht, daß es b e- drohtes Lan d gibt und der Sprachenkampf unvermeidlich ist? Und man ihn mit dem Trost hinnehmen müsse, daß er immer noch besser sei als eine kriegerische Auseinandersetzung und man außerdem Mittel und Wege finden könne, um ihm die Schärfe ztr nehmen? Das ist notwendig, wie die oben erwähnten Vorgänge in Kärnten zeigen. Von den Behörden müssen Regelungen getroffen werden, die auch nationalpolitische Gesichtspunkte nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Und die in der Sprachgrenze lebenden Menschen müssen sich über ihre Einstellung klarwerden, nicht ohne auch zu bedenken, daß die Ablehnung der Fremdsprache im gemeinsamen Lebensraum heutzutage im Zeitalter fortgeschrittener Kultur auch eine Mißachtung des fremdsprachigen Volkes bedeutet.

Sowohl für die Behörden als auch für jeden Menschen, der in der Sprachenfrage mitreden will, muß der Grundsatz gelten, daß man von der Wahrheit ausgehen muß, denn alle anderen Befriedungsversuche sind zum Scheitern verurteilt. Die österreichische Regierung in den Jahren 1934 bis 1938 hat in geradezu ohrenbetäubender Weise immer wieder und laut betont: Oesterreich ist ein deutscher Staat! Das war und ist nicht richtig, denn in Südkärnten und in der Südsteiermark siedeln Slowenen, im südlichen Burgenland Kroaten, im nördlichen Burgenland Slowaken und in Wien Tschechen (tschechische Volksschulen!). Es ist auch nicht richtig, was kürzlich eine angesehene österreichische Tageszeitung geschrieben hat, daß das Kanaltal bis zum Jahre 1918 rein deutsch war. Als Schulkinder kannten wir dasSprüchlein: „Windisch — walisch — deutsch — kanalisch“, d. h. im Kanaltal sind Slowenen, Italiener und Deutsche. Ganze Ortschaften waren rein deutsch und ganze Ortschaften rein slowenisch, ihnen gegenüber die Italiener weit in der Minderheit. So war es bis 1918. Das muß alles gesagt werden, denn wo am Anfang die Unaufrichtigkeit ist, ist am Ende der Mißerfolg. Allerdings, und das ist ein springender Punkt, beruht das auf Gegenseitigkeit. Audi auf der anderen Seite muß man von der geschichtlichen Wahrheit ausgehen, auch auf der anderen Seite müssen die Vorurteile schwinden.

Von wissenschaftlicher Seite wird angegeben, daß der Mensch in den Jahren vor der Reifezeit am leichtesten Sprachen lernt. Könnte das nicht auch ein Fingerzeig für die Lösung der Sprachenfrage im Grenzraum sein, die alle im völkischen Interesse bewegt und im übervölkischen angeht? Und ist nicht Südkärnten eine Gegend, in der aus Oesterreichern Europäer werden könnten, ohne ihrem Vaterlande und muttersprachgebundenen Volke verlorenzugehen? Besteht nicht hier die Möglichkeit, einige hundert Wörter einer slawischen Sprache zu erlernen und auch in Berührung zu kommen mit Slawen, deren viele Millionen Europa besiedeln, das bis zum Ural reicht, welchen Gang immer die Geschichte nehmen möge ? Das wäre der von Zentraleuropa herauswachsende Zukunftseuropäer, der einstige Oesterreicher in „geschichtlicher Gemeinsamkeit mit den Slawen und Welschen" (Hermann Bahr), der neben seiner Muttersprache einen Begriff vom Slawentum bekommt und mit etwas Italienisch, das übrigens die Mittelschüler in Villach als Freigegenstand zu lernen pflegten, Anschluß hat an die anderen Kulturkreise, deren Sprache auch im Lateinischen wurzelt. Wer möchte uns nicht auf diesem Gedankenflug folgen?

Wir haben versucht, die Schwierigkeit einer Lösung der Sprachenfrage im Grenzraum darzustellen. Die Aussichten für eine solche sind nicht günstig. Aber jeder, der etwas zur Herbeiführung des allgemeinen Völkerfriedens beitragen will, wird auch dort mittun, wo es nicht ganz aussichtslos ist.

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