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Wann kommt Kärnten zur Ruhe?

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Die Situation in Kärnten charakterisieren derzeit in der Volksgruppenfrage mehrere Ereignisse: Die drei Parteien haben sich hinsichtlich des Geltungsbereiches der Minder- heiten-Schutzbestimmungen geeinigt. Das Resultat dieser Einigung ist das Volksgruppengesetz mit den Verordnungsentwürfen zur Anbringung zweisprachiger Ortstafeln und der Zulassung des Slowenischen als Amtssprache. Die Volksgruppenorganisationen - vertreten durch den Rat der Kärntner Slowenen und den Zentralverband slowenischer Organisationen - lehnen das Volksgruppengesetz und die Verordnungsentwürfe mit der Begründung ab, daß durch sie der Geltungsbereich der Minderheitenschutzbestimmungen, wie sie im Artikel 7 des Staatsvertrages verankert sind, eingeengt würde.

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Die Situation in Kärnten charakterisieren derzeit in der Volksgruppenfrage mehrere Ereignisse: Die drei Parteien haben sich hinsichtlich des Geltungsbereiches der Minder- heiten-Schutzbestimmungen geeinigt. Das Resultat dieser Einigung ist das Volksgruppengesetz mit den Verordnungsentwürfen zur Anbringung zweisprachiger Ortstafeln und der Zulassung des Slowenischen als Amtssprache. Die Volksgruppenorganisationen - vertreten durch den Rat der Kärntner Slowenen und den Zentralverband slowenischer Organisationen - lehnen das Volksgruppengesetz und die Verordnungsentwürfe mit der Begründung ab, daß durch sie der Geltungsbereich der Minderheitenschutzbestimmungen, wie sie im Artikel 7 des Staatsvertrages verankert sind, eingeengt würde.

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Von rund 60 zweisprachigen Altgemeinden, wie sie zur Zeit der Unterzeichnung des Staatsvertrages bestanden haben, würden nur 9 zweisprachige Ortstafeln bekommen und das Slowenische würde nur in 13 von 35 zweisprachigen Neugemeinden als Amtssprache zugelassen werden. Abgelehnt aber wird die vorgesehene Regelung der Kärntner Minderheitenfrage durch die slowenischen Zentralorganisationen auch deshalb, weil zum Zwecke der Festlegung des Geltungsbereiches der Minderheitenschutzbestimmungen Ergebnisse der „Volkszählung besonderer Art“ v*m 14. November 1976 herangezogen wurden, die von der slowenischen Volksgruppe nicht anerkannt werden.

Auch Jugoslawien nimmt in der Kärntner Slowenenfrage dieselbe Haltung ein wie die Volksgruppenorganisationen. Der Völkerrechtsexperte Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora hat erst vor kurzem auf die international verankerte Schutzmachtstellung Jugoslawiens gegenüber der slowenischen und der kroatischen Volksgruppe in Österreich hingewiesen. Der führende slowenische Abgeordnete zum jugoslawischen Bundesparlament Bogdan Osolnik aber äußerte anläßlich der Präsentation des Buches „Probleme der Minderheiten in den jugoslawisch-österreichischen Beziehungen“ in Belgrad die Meinung, daß bei der Erörterung der Erfolge seit Helsinki bei der Folgekonferenz für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit in Belgrad die Fragen der Minderheiten nicht umgangen werden könnten.

Alles, was heute auf deutschsprachiger Seite in Kärnten mit dem Slowenenproblem in Zusammenhang gebracht wird, ist vor allem auf drei wichtige Ereignisse bezogen: auf die .Kärntner Volksabstimmung 1920, die Wiederholung der Gebietsansprüche Jugoslawiens 1945 und die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages 1955, der Österreich die Anerkennung der jugoslawischösterreichischen Grenze, den Slowenen in Kärnten aber im Artikel 7 gegenüber dem Staatsvertrag von St. Germain eine wesentliche Erweiterung der Volksgruppenrechte gebracht hat.

Für die Beurteilung der gegenwärtigen Volksgruppenproblematik in Kärnten erscheint mir wichtig darauf hinzuweisen, daß in den Reihen des deutschsprachigen Mehrheitsvolkes in Kärnten stark die Meinung vorherrscht, die Kärntner Slowenen hätten 1920 für Jugoslawien gestimmt, von den Volksgruppenangehörigen hätten - man formuliert es so - nur die „heimattreuen Windischen“ (also die nicht volksbewußten Slowenen) ihre Stimme für den Verbleib Südkämtens bei Österreich abgegeben. Folglich müsse man bei der Regelung des Minderheitenproblems diesem Umstand Rechnung tragen.

Die Grenzlandkonferenz der Freiheitlichen Partei Österreichs vom 26. Februar 1977 hat gezeigt, daß über das Ausmaß zweisprachiger Tafeln und den Geltungsbereich des Slowenischen als Amtssprache in Kärnten ein Personenkreis zu entscheiden hatte, der in der zweimaligen Bedrohung Kärntens durch jugoslawische Truppen die Gefahr sieht, dieses Land könnte auf Grund der den Slowenen gewährten Konzessionen ein drittes Mal von jugoslawischen Truppen besetzt werden.

Wenn der Kärntner Abwehrkämpferbund zur Zeit des Ortstafelsturms 1972 im Zusammenhang mit der damaligen Ortstafelregelung den Standpunktvertrat, solche Ortstafeln wären in sieben Gemeinden vertretbar, heute aber von den drei im Parlament vertretenen Parteien zweisprachige Aufschriften in 9 Altgemeinden und 8 Neugemeinden Südkärntens aufgestellt werden sollen, dann kann man daraus ersehen, auf wen und worauf bei der neuen Ortstafelregelung Rücksicht genommen wurde.

Dabei soll in diesem Zusammenhang keinesfalls die Haltung der Freiheitlichen Partei in der Minderheitenfrage einer Kritik unterzogen werden. Im Gegenteil. Auch für den Slowenen ergibt sich bei einer objektiven Beurteilung des Resultates der Dreiparteieneinigung das Bild, daß als einzige der drei Parteien tatsächlich die Freiheitliche Partei Österreichs über ihren eigenen Schatten gesprungen ist und staatspolitische Verantwortung nicht nur demonstriert hat, sondern echt mitzutragen bereit war. Die beiden anderen Parteien waren allerdings nicht bereit, eine größere Verantwortung bezüglich des Geltungsbereiches der Minderheitenschutzbestimmungen zu übernehmen, als die nationalliberale Partei der Freiheitlichen.

Ich habe darauf verwiesen, daß man bei der Dreiparteieneinigung auf den volksbewußten Kern der slowenischen Minderheit in Kärnten keine Rücksicht genommen hat. Von den in Südkämten rund 60.000 von Slowenen Abstammenden sind zwei Drittel nicht volksbewußte Slowenen. Aus ver-schiedenen Gründen geben viele Slowenen bei den Volkszählungen Slowenisch nicht als Umgangssprache an. Daß in vielen das Volksbewußtsein immer schwächer wurde, ist auch auf die utraquistische Schule der Ersten Republik zurückzuführen, in der die slowenische Sprache lediglich den Charakter einer Hilfssprache einnahm.

In slowenischer Sprache wurde nur so lange unterrichtet, bis das Kind fähig war, dem Unterricht in deutscher Sprache zu folgen. Die utraquistische Schule diente der Eindeutschung slowenischer Kinder. Die Aussiedlung slowenischer Familien zur Zeit des Nazismus, das Verbot der slowenischen Sprache im öffentlichen Leben und in der Kirche ließ in der Zeit von 1938 bis 1945 eine Eltemgeneration heranwachsen, die in der Schule kein slowenisches Wort gehört, kein slowenisches Lied gesungen, nie etwas von einem slowenischen Volk mit eigener Schriftsprache und Kultur gehört hat.

Für die auch auf Grund der utraqui- stischen Schule dem slowenischen Volkstum entfremdeten Personen begann man in Kärnten immer häufiger den Ausdruck „Windische“ zu gebrauchen. Und doch sprechen die nicht volksbewußten Slowenen, jene, die man eben oft als „Windische“ bezeichnet, dieselbe Umgangssprache wie die volksbewußten Slowenen. Ihre Zugehörigkeit zur slowenischen Volksgruppe hat man bei der Volkszählung vom 14. November 1976 nicht registriert. Diese nicht volksbewußten Slowenen haben auch nicht dem Boykott slowenischer Organisationen Folge geleistet, sondern haben von vornherein als ihre Muttersprache Deutsch angegeben.

Der von deutsch-nationalistischer Seite seit Jahrzehnten propagierten Gleichung, Slowenisch wäre gleichzusetzen mit dem Eintreten für einen Anschluß an Jugoslawien, weicht man aus, um Ruhe zu haben, um nirgends anzustoßen, um nicht in einen bestimmten Verdachtzu geraten, um den Kindern Nachteile zu ersparen, um als zuverlässig zu gelten. Man setzt sich ab, obwohl man weiß, beim Einträgen der Umgangssprache oder der Muttersprache unwahre Angaben gemacht zu haben.

Und hier setzt die große Schuld ein, die Österreich in der Vergangenheit auf sich geladen hat. Man hat zur Zeit der Ersten Republik nichts, zur Zeit der Zweiten Republik aber sehr wenig getan, die Slowenen in Kärnten als Slowenen in die Gesellschaft des Landes und Staates zu integrieren. Man hat zur Zeit der Ersten Republik bewußt verschwiegen, zur Zeit der Zweiten Republik es verabsäumt, der Jugend Österreichs, vor allem der Jugend Kärntens zu sagen, daß der Begriff Österreich die Slowenen und ihre Tradition miteinschließt und daß die Volksgruppen ein integrierender Bestandteil unseres gemeinsamen Vaterlandes Österreich sind.

Es ist eine Tragik, daß man bei der vorgesehenen Regelung der Volksgruppenfrage jene, die sich in den Familien und im Alltag in den Südkärntner Gemeinden noch der slowenischen Umgangssprache bedienen, aber sich aus welchem Grund immer scheuen, Slowenisch als ihre Sprache anzugeben, in die Regelung des Minderheitenschutzes nicht miteinbezo- gen hat. Mit Recht wird seitens der Slowenen daraufhingewiesen, daß der Artikel 7 des Staatsvertrages von keinen Schutzmaßnahmen für volksbewußte ödet nicht volksbewußte Slowenen' spricht, sondern nur von Bezirken mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung, in denen die Minderheitenrechte zu verwirklichen wären.

Man hat bei der geplanten Ortstafel- und Amtssprachenregelung den nicht volksbewußten Teil der Volksgruppe ausgeklammert, den volksbewußten Teil der Slowenen aber bei der Regelung ignoriert. Das ist die Demütigung, die der slowenischen Volksgruppe mit der „Auswertung“ der Ergebnisse der Volkszählung vom 14. November 1976 widerfahren ist.

Man spricht in den Reihen der Kärntner Slowenen in jüngster Zeit wieder häufiger von der Internationalisierung des Minderheitenproblems. Was man von einer Internationalisierung zu halten hat, haben jedoch die vergangenen Jahre zur Genüge gezeigt. Beim Abwägen aller Für und Wider spricht mehr für eine inner- österreichische Lösung des Kärntner Minderheitenproblems. Die Möglichkeit, schrittweise gemeinsam zu Lösungen zu kommen, ist durch das

Volksgruppengesetz, das ja npr ein Rahmengesetz ist, gegeben. Das Bera- tungs-, aber auch Entscheidungsgremium des Volksgruppenbeirates wäre auf jeden Fall dazu geeignet, Vorschläge an die österreichische Bundesregierung auch in Fragen der Amtssprache und der zweisprachigen Aufschriften zu unterbreiten.

An der österreichischen Bundesregierung und an den Parteien würde es dann liegen, diese Vorschläge ernstlich zu prüfen und mit der Volksgruppenführung in Verhandlungen zwecks Verbesserung der Verordnungsentwürfe einzutreten. Nur ein solcher Weg ist für beide Teile auf weite Sicht gesehen zielführend. Ein Boykott der Volksgruppenbeiräte durch die Volksgruppenorganisationen - so verständlich er auf den ersten Blick auch scheinen mag - wäre nicht im Interesse der Volksgruppe, genauso wie die Nichtberücksichtigung von Vorschlägen der legitimen Sprecher der Volksgruppe im Rat der Kärntner Slowenen und im Zentralverband slowenischer Organisationen in der Minderheitengesetzgebung nicht im Interesse Österreichs ist.

Kärnten wird nur zur Ruhe kommen, wenn eine für beide Teile befriedigende Lösung zustandękommt. Die Mehrheit muß immer wieder den Weg hin zur Volksgruppe suchen. Auch zu Zeiten härtester Auseinandersetzungen, auch in scheinbar ausweglosen Situationen muß es noch immer Personen geben, die Gespräche über die Gräben hinweg führen. Hier hat man auf seiten des Mehrheitsvolkes in den vergangenen Jahren viel versäumt, sich dieser Möglichkeiten kaum oder nicht bedient.

Man hat die Volksgruppe zu oft alleingelassen, man hat zu wenig beachtet, daß die Volksgruppenführung einer zahlenmäßig kleinen Minderheit es nicht leicht hat, man hat Gelegenheiten, als die Minderheitenvertreter am Verhandlungstisch in Wien saßen, zuwenig für die Erweiterung der Basis für Gespräche und Verhandlungen genützt. Wie wird dies in Zukunft sein?

Es wird viel davon abhängen, welchen Stellenwert die Volksgruppenbeiräte bei der Regelung von Minderheitenfragen tatsächlich einnehmen werden. Da es bekannt ist, daß die burgenländischen Kroaten grundsätzlich bereit wären, im Volksgruppenbeirat mitzuarbeiten, wenn in diesen Beirat nicht auch Assimilanten, also jene, die einer Assimilierung der kroatischen Volksgruppe das Wort reden, berufen werden, möge die österreichische Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß der Volksgruppenbeirat für die kroatische Volksgruppe dem Wunsch des Kroatischen Kulturvereins und dem Geist des Volksgruppengesetzes entsprechend seine Arbeit aufnehmen kann.

Für das Verhalten der Kärntner Slowenen könnte eine solche Entscheidung positive Auswirkungen in dem Sinne haben, als man am Volksgruppenbeirat der burgenländischen Kroaten sehen würde, daß die österreichische Bundesregierung in den Volksgruppenbeiräten tatsächlich Gremien sieht, die zum Wohle und zur Erhaltung der in Österreich beheimateten Volksgruppen ihre Tätigkeit ausüben sollen.

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