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Versöhnung braucht Zeit und keine Steinewerf er

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Der 10. Oktober 1920 war Kärntens „großer Tag". Mit der Volksabstimmung für die Einheit des Landes sollte eine Zeit der Versöhnung und Verständigung beginnen. 70 Jahre danach gibt es zwi- schen der deutsch- und slowenisch- sprachigen Bevölkerung noch immer Konflikte und Konfrontationen.

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Der 10. Oktober 1920 war Kärntens „großer Tag". Mit der Volksabstimmung für die Einheit des Landes sollte eine Zeit der Versöhnung und Verständigung beginnen. 70 Jahre danach gibt es zwi- schen der deutsch- und slowenisch- sprachigen Bevölkerung noch immer Konflikte und Konfrontationen.

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Kärnten steht wieder einmal vor . einem großen Jubiläum. 70 Jahre Volksabstimmung wird ge- feiert, 70 Jahre ist es nun her, daß durch den demokratischen Akt einer Abstimmung Kärntens Ein- heit gewahrt blieb. Es blieb nicht nur die Einheit gewahrt. Das Er- gebnis der Abstimmung im Süd- kärntner Raum am 10. Oktober 1920, die nach dem Einmarsch südslawischer Truppen durch den bewaffneten Widerstand der Kärntner erzwungen wurde, war nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie vor allem auch ein erstes Bekenntnis für die junge Republik Österreich. Ein be- deutender Tag, dieser 10. Oktober, entsprechend groß wird der inoffi- zielle Nationalfeiertag der Kärnt- ner auch begangen. Mit einem Bud- get von 40 Millionen Schilling hat- te der Leiter des Ressorts für Brauchtumspflege in der Landes- regierung gerechnet. Alle Kärnt- ner Haushalte wollte der Zeremo- nienmeister der 10. Oktober-Fei- ern mit einem Buch des Landesar- chivs über den Abwehrkampf, die Abstimmung, die Rolle der Kärnt- ner und Kärntner Slowenen be- glücken. Denn dieses Buch, so meinte der Ressortleiter, gehöre wie der Jahreskalender der Elektrizi- tätsgesellschaft in jeden Haushalt. Bei dieser Zwangsbeglückung mit Kärntens Historie spielte allerdings nicht einmal der Landeshaupt- mann mit. Das Budget wurde von Haider kurzerhand auf knapp sie- ben Millionen Schilling gekürzt. Der Zeremonienmeister mußte die Kürzung seines Chefs widerwillig hinnehmen. Die Bedeutung des Tages, so ließ er wissen, hätte einen größeren Betrag durchaus gerecht- fertigt.

Ein bedeutender Tag ist dieser 10. Oktober ohne jeden Zweifel. Und wie bereits bei den 10. Okto- ber-Feiern der Vergangenheit auch heuer wieder ein Tag, der für feind- selige Stimmung, für Unbehagen der slowenisch sprechenden Kärnt- ner, für Kritik und Unmut sorgt. Das Motto, das man heuer wählte, klingt vielversprechend, hält aber nicht, was es verspricht. „Ein Kärn- ten" steht auf Autoaufklebern und Abzeichen. Bei den Feiern wird nur ein Teil dieses Kärnten vertreten sein. Auch im Jahre 1990,70 Jahre nach der Volksabstimmung, wer- den die Kärntner Slowenen vor- aussichtlich den Feiern fernblei- ben. Aus Protest gegen Inhalt und Form der Veranstaltung. Beschä- mend und erschreckend zugleich, daß es ein Jahrzehnt vor der Jahr- tausendwende, in einer Zeit des Auf- und Umbruchs im Osten nach wie vor ein harmonisches Mit- und Nebeneinander der zwei Volks- gruppen am 10. Oktober nicht ge- ben wird. Im Gegenteil, je näher dieses Datum rückt, desto aggres- siver wird der Ton, desto härter werden die Fronten zwischen den Vertretern der beiden Volksgrup- pen. Da ließ ein Jörg Haider, Ver- treter einer übermächtigen Mehr- heit, via Fernsehen die Minderheit wissen, er werde vor ihr nicht in die Knie gehen. Anlaß der aggressiven Töne war das Ringen um die Be- zeichnung der zweisprachigen Handelsakademie in Klagenfurt ge- wesen, der Ärger über einen ge- platzten Besuch in Laibach. Lojze Peterle hatte Haider nach Inter- vention der Kärntner Slowenen kurzerhand ausgeladen.

Der Karren ist verfahren. Versu- che der Landesregierung, die Kärntner Slowenen in die Feiern miteinzubeziehen, blieben erfolg- los und hatten auch aufgrund ihrer Halbherzigkeit wenig Aussicht auf Erfolg. Chauvinistischer Hochmut ließ es nicht zu, daß die Forderung der Slowenen nach Mitgestaltung der Feiern erfüllt wurden. Der Ver- such erschöpfte sich in einem ein- maligen Gespräch des Kärntner Landeshauptmannes mit den Tra- ditionsverbänden und den Slowe- nenorganisationen im Spiegelsaal der Landesregierung. Die Haupt- forderung der Kärntner Slowenen, im Rahmen des Festumzuges einen Redner stellen zu dürfen, um aufzu- zeigen, was sie am 10. Oktober empfinden, wurde abgelehnt. Ab- gelehnt haben daraufhin auch die Slowenen eine Teilnahme am drei Millionen Schilling teuren Festum- zug. Einzig als Staffage wollte man nicht mitgehen, begründet der Ob- mann des christlichen Kulturver- eins, Janko Zerzer, die Ablehnung.

Sprechen werden nun an Kärn- tens großem Tag Bundespräsident, Bundeskanzler, der Klagenfurter Bürgermeister und Jörg Haider. Al- les demokratisch gewählte Manda- tare, wie Haider betont. Ein Slowe- ne hätte da nicht hineingepaßt. Es wäre inkonsequent gewesen, immer- hin hätte dann auch jemand vom Kärntner Abwehrkämpferbund re- den müssen, meint der Landes- hauptmann, dem es ein leichtes ge- wesen wäre, die Forderung der Slo- wenen durchzusetzen und der auf diese Weise ein Zeichen der Aner- kennung hätte signalisieren kön- nen. Vor dem Vorwurf, damit einen Verrat am Deutschtum zu begehen, wäre Jörg Haider gefeit gewesen. Aber man will nichts signalisieren, zumindest nicht zu viel. Und wenn, dann legt man den Schwerpunkt auf die europäischen Volksgruppen. So hat heuer erstmals Ende Sep- tember im Zusammenhang mit dem 10. Oktober in Villach ein Kongreß über die Volksgruppen in Europa stattgefunden. „Was will man mehr", fragt der Landeshauptmann und gibt auch die Erklärung für die ablehnende Haltung der Slowenen: „Weil die Slowenen alles ablehnen, was nicht zu hundert Prozent ihren Vorstellungen entspricht."

Was will man mehr? Kein Wille zur kritischen Auseinandersetzung, keine Signale, keine Perspektiven, kein Blick in die Zukunft, Verhar- ren in der Vergangenheit werfen Kärntner Jugendverbände den Or- ganisatoren vor und beschlossen, als Arbeitsgemeinschaft Kärntner Jugendverbände an den Feiern nicht teilzunehmen. Ein Fest der Vergan- genheit, Hochstilisierung zu einer ethnischen Feier, bei der der Sieg der Mehrheit über die Slawen gefei- ert wird, formuliert SP-Minderhei- tensprecher Peter Kaiser den Unmut vieler Kritiker.

Kärntens Jugendverbände wer- den ihre Vorstellungen von Feiern am 6. Oktober bei einem Alpen- Adria Fest in Villach aufzeigen. Ohne Redner.

Auf der Einladungsliste stehen slowenische und deutsche Litera- ten und Musikgruppen. Von den lO.-Oktober-Feiern distanzieren sie sich, von Jörg Haider werden sie dennoch vereinnahmt. Mit dem Hinweis auf das Alpen- Adria Fest bleibt er dabei, „daß Slowenen doch mitmachen".

Was will man mehr? Von den 39.291 Wahlberechtigten stimm- ten am 10. Oktober 1920 22.025 für Österreich, davon rund 12.000 Deutsch-Kärntner und 10.000 Slo- wenen. Erstmals soll heuer auch bei den Ansprachen der Beitrag der Slowenen bei der Volksabstim- mung gewürdigt werden, kündigte der Kärntner Landeshauptmann an. In der Tat, für Kärnten ist die Selbstverständlichkeit als Fort- schritt zu werten. Wirkliche Fort- schritte sind in den Köpfen der Fahnenträger schwerer durchzu- setzen. Wie etwa der Appell von Alexander Appenroth, Mitglied des Herausgeberkollegiums der „Kleinen Zeitung", der in einem Gastkommentar schrieb, daß es schlichtweg zu einfach sei, „wenn wir nur der Kärntner Toten geden- ken, aber außer acht lassen, daß die Trauer auf der anderen Seite um ihre Gefallenen den gleichen Stel- lenwert hat".

Bis dahin ist es noch weit. Auch wenn die politischen Veränderungen in Slowenien den Weg zu einer Harmonisie- rung geebnet haben. Die von Kärntens Traditionsverbän- den gern getätigte Gleichset- zung der Slowenen mit den Kommunisten ist durch die po- litische Umgestaltung in Slo- wenien nicht mehr möglich. Das hochgehaltene Feindbild der hinter der Grenze lauern- den kommunistischen Slowe- nen ist zusammengebrochen. Mehr noch, das ewig Trennen- de wird ausgesprochen, ein Verdienst von Lojze Peterle, der eine slowenisch-deutsche Historikerkommission zur Auf arbeitung der jüngeren Ge- schichte angeregt hat. Aufar- beitung und Versöhnung sind südlich der Kärntner Grenze angesagt.

Versöhnung braucht Zeit und keine Steinewerfer. Wo denn die Abwehrkämpfer 1938 gewesen wären, wurden die heute über 90jährigen Helden des Jahres 1919 bei einer Diskussion in Kla- genfurt von einem Jugendlichen aus der sicheren Position des Spätgebo- renen gefragt. Selbstgerechte Stei- newerfer dieser Art gibt es auf allen Seiten, bei Jugendlichen, bei Slo- wenen, bei fanatischen Vertretern bestimmter Kärntner Traditionsver- bände, die oft allzugerne die Zu- kunft in der Vergangenheit suchen. Man hätte die Frage des Jugendli- chen in leicht abgewandelter Form an den Landeshauptmann und die Organisatoren der sieben Millionen Schilling teuren Feiern richten müs- sen: „Wann haben sie jemals mit dieser Inbrunst Kärntens Wider- standskämpfer des Jahres 1938 geehrt?"

Im Kärntner Unterland sind die Fronten bei der älteren Bevölke- rung immer noch klar vorgegeben. Der Slowene erzählt von Beschim- pfungen im Gasthaus, wo sich die Fahnenträger am 10. Oktober nach dem Umzug zuprosten und über „die Tschuschen" reden. Der Deutsch- Kärntner erinnert an Verschleppun- gen nach dem*Zweiten Weltkrieg und zitiert Äußerungen von Slowe- nen. „Und deinen Hof kriegen wir auch noch", hätten Slowenen dem Vater gedroht. Die Urangst wird hochgehalten. Das gegenseitige Miß- trauen ist nach wie vor vorhanden. Und wird von extremen Vertretern beider Gruppierungen liebevoll ge- pflegt. So schafft auch im Jahre 1990 ein vom Club tre populi geplantes gemeinsames Abendessen eines Ab- wehrkämpfers mit einem Kämpfer um die Nordgrenze, deren Kindern und Enkelkindern Probleme. So sol- len Kärntens 180 noch lebende Ab- wehrkämpfer auf Wunsch der Lan- desleitung des Abwehrkämpfer- bundes ohne Meldung an die Lan- desleitung keine Interviews geben. Die alten Herren, erklärt der Ob- mann des Verbandes, müßten in Schutz genommen werden.

Es ist typisch für Kärntens Tra- ditionsverbände, Kritik an Form und Inhalt der lO.-Oktober-Feiern als Angriff auf die noch lebenden Abwehrkämpferauszulegen. Kaum jemand, der in Kenntnis der Vor- gänge zwischen 1918 und 1920 die Leistungen dieser Männer, die in einem heute kaum mehr vorstell- baren patriotischen Akt gegen den Willen der Wiener Regierung den südslawischen Truppen Widerstand leisteten, nicht respektiert. Daß die Grenzziehung im Süden Österreichs 1920 nicht durch ein Diktat, son- dern durch eine demokratische Ma- nifestation beschlossen wurde, bleibt ihr Verdienst und wird selbst von extremen Kritikern kaum mehr angezweifelt.

„Kärntens großer Tag ist vorbei, Kärntens größerer Tag bricht an. Die kommende Zeit soll der Ver- söhnung und der Verständigung geweiht sein", schrieb der Ferla- cher Dichter Josef Perkonig in „Heimat in Not". Schöne Worte und Appelle dieser Art für eine friedli- che Koexistenz beider Volksgrup- pen hat es in der Vergangenheit zur Genüge gegeben. Genützt haben sie wenig.

Auch Fortschritte, wie zweispra- chige Volksschulen, Handelsakade- mie, Gymnasium genügen nicht. Um die Einheit in der Vielfalt, eine wirk- liche Harmonisierung im Zusam- menleben der Volksgruppen zu er- reichen, ist ein Einstellungswandel nötig. Solange Sprache und Kultur der Kärntner Slowenen nicht als Bereicherung angesehen, sondern nur geduldet werden, das Recht auf Differenz nicht anerkannt wird, so- lange wird es immer wieder Gräben geben.

Einstellungen kann man nicht verordnen. Sie müssen von selbst kommen. Es wäre Aufgabe der politisch Verantwortlichen (gewe- sen), ein Klima zu schaffen, in dem Einstellungswandel möglich wird. Lojze Peterle hat einen Beitrag ge- leistet. Wenn Kärntner nach 1945 von jugoslawischen Partisanen verschleppt worden sind, werde er nicht anstehen, sich dafür zu ent- schuldigen, ließ er kurz nach sei- nem Amtsantritt wissen. Der 10. Oktober wäre ein Tag gewesen, an dem Kärnten sich am slowenischen Ministerpräsidenten ein Beispiel hätte nehmen können.

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