6850708-1976_46_01.jpg
Digital In Arbeit

Vor allem Kärntner

Werbung
Werbung
Werbung

Die unglückselige Sprachenerhebung ist nicht mehr zu vermeiden. Weil es weder der Kärntner Landes-noch der österreichische Bundesregierung gelungen ist, eine vernünftige, einvernehmliche Lösung des leidigen Ortstafelstreits zu erreichen, sollen nun fünf Millionen österreichische Statsbürger, vom Waldviertel bis zum Bregenzer Wald, zu Protokoll geben, welche Sprache sie zu Hause sprechen — und dies, obwohl gerade jene, um die es geht, diese Feststellung ablehnen. Und obwohl alle, die damit zu tun haben, längst wissen, daß auch aus dem „Ergebnis“ der Befragung, wie es erwartet werden muß, keine brauchbaren Grundlagen über den Stand der slowenischen Volksgruppe in Kärnten gezogen werden können.

Es sei betont, daß weder eine Volkszählung noch eine Befragung dem Völkerrecht im allgemeinen oder dem Staatsvertrag im besonderen widerspricht. Es sei ebenso betont, daß Prophezeiungen, sie bedeuteten ein „Ethnocid“ — einen „Völkermord“ —, ebenso Unsinn sind wie die Befürchtung auf der Gegenseite, ein allfälliger Aggressor könnte sich auf zweisprachigen Ortstafeln zur Untermauerung seiner Aspirationen berufen. Es sei auch bewußt übergangen, daß eine „Befragung“ doch wohl zu einer neuen Volksabstimmung umfunktioniert wird, wenn die „Aufklärung“ meinungsbildende Werbeakzente setzt: „Wer gegen zweisprachige Örtsrafeln ist, schreibt .Deutsch'!“

Gerade dies aber zeigt, warum diese Befragung Unsinn ist: Atmosphäre kann man nicht zählen. Atmo-spähre in Kärnten bedeutet: verschwimmendes Volkstum zwischen den Fronten, Gebrauch der Umgangssprache je nach Gesprächspartner, in fast allen Südkärntner Familien ebenso slowenische wie deutsche „Urgroßmütter“. Atmosphäre in Kärnten bedeutet: 1200 Jahre Zusammenleben, die Deutschen zunächst vorwiegend in den Städten, die Slawen mehr auf dem Land, dann die intensive Vermischung, die den slowenischen Vorkämpfern deutsche, ihren deutschen Gegenspielern slawische Namen beschert hat. Atmosphäre in Kärnten aber bedeutet auch: die Urangst der einen vor einer Neuauflage fremder Aggressionen, der andern vor einem Untergehen des eigenen Volkstums — aber auch Urangst der Menschen zwischen beiden „Lagern“, zu einer Entscheiding für eines der beiden gezwungen zu werden, ohne diese Entscheidung selbst fällen zu wollen. Denn sie — und das sind nicht wenige — sind vor allem Kärntner, ohne sich Gedanken machen zu wollen, welchem übergeordneten Volkstum sie sich zuzählen lassen wollen. Aucn das ist ihr gutes Recht, das von allen andern respektiert gehört.

Was soll da gezählt werden? Die Sprache, die mit der Großmutter, oder jene, die mit den Geschwistern gesprochen wird? Sie ist oft genug nicht dieselbe. Gerade bei Menschen, die sich weigern, aus dem Gebrauch einer ihrer Muttersprachen — denn sie haben ja mehrere — ein Problem zu machen, das sie von ihren Landsleuten trennen soll.

Atmosphäre in Kärnten bedeutet aber auch, daß jene, die sich echt um Vermittlung, um Verständigung, um ein brüderliches Zusammenleben bemühen, von den Kämpfern auf beiden Seiten — absolut nicht nur von den Extremisten — als „Verräter“ an der jeweiligen „Sache“ beschimpft werden. Gilt nicht gerade Bischof Köstner den einen als der „wilde Germanisator“, den andern als ebenso suspekter Wegbereiter einer Slawisierung? Und doch ist die Kirche in Kärnten, gestützt auf die Meinungsbildung während der Synode, die einzige Institution, die echt und ehrlich versucht, einen Ausweg aus der verfahrenen Lage zu finden.

Dieser Ausweg wird nicht durch Zählungen und Dekrete, aufgebaut auf einer willkürlichen Formel, gefunden werden können. Am vernünftigsten wäre es wohl, während der nächsten drei Jahre den Streit stillzulegen, die Emotionen abklingen zu lassen und dann erst in Gesprächen von Gemeinde zu Gemeinde, von Mensch zu Mensch, im kleinsten, unmittelbar betroffenen Kreis die Vorbereitungen zu treffen. Unter Ausschluß aller übergeordneten wie vor allem aller ortsfremden Einmischungen. Es wäre aber Illusion, anzunehmen, daß dies möglich wäre. Dann müßten ja die Extremisten auf beiden Seiten verzichten, ihre Suppe am Kochen zu halten.

Um so mehr gilt der Appell allen denen, die über die Förderung der Volksgruppe zu entscheiden haben, das sonst so strapazierte Bekenntnis zur Chancengerechtigkeit hier Wirklichkeit werden zu lassen — es darf nicht von schematischen Einteilungen abhängig gemacht werden.

An die Führung der Volksgruppe aber sei der Appell gerichtet, sich nicht selbst ins Abseits zu manövrieren. Die Minderheitenfeststellung wäre wohl doch noch vermieden worden, hätten sie nicht — wie begründet auch immer — ihre Teilnahme an den Verhandlungen aufgekündigt. Vor allem aber sollten sie einen klaren Trennungsstrich gegenüber der Schützenhilfe der Kommunisten und Maoisten wie auch jener aus Laibach ziehen. Demonstrationen, so berechtigt sie sind, verkehren ihre Werbewirkung in ihr Gegenteil, wenn die beobachtende Öffentlichkeit die kommunistischen Drahtzieher entdeckt. Organisierte „Proteste“ ganzer Betriebsversammlungen in einer Diktatur diskreditieren den Zweck. Es darf keinerlei Zweifel daran geben, daß es zwischen Wörthersee und Karawanken vor allem und allein um Kärntner geht, egal, welche Muttersprache sie sprechen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung