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Randbemerkungen zur woche

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VOM REIHEN UND STREICHEN, von der gesetzlich verankerten Möglichkeit des Wählers, Männern seines besonderen Vertrauens einen besseren Platz auf den Listen der einzelnen Wahlkreise zu verschallen, wird — seltsam, seltsam — immer weniger geredet, je näher der große Tag rückt. Und auch die Stimmzettel aller Parteien, die jetzt ins Haus ilattern, tragen nach aller Sitte in der Regel nur die Parteibezeichnung, aui die Namen der Kandidaten wird gerne diskret verzichtet. Finanzielle und drucktechnische Gründe dürften daiür weniger maßgebend sein, vielmehr schätzt man es in den verschiedenen Sekretariaten — in diesem Punkt scheinen sich alle Parteien ohne Ausnahme einig zu sein — nicht besonders, wenn die in nächtelangcn Sitzungen ausgeklügelten und nach innerparteilichen Gesichtspunkten abgestimmten Kandidatenlisten vielleicht etwas in Unordnung gebracht werden könnten. Also geht man den Weg des geringsten Widerstandes — und läßt es mit der Ausgabe einlacher Parteistimmzettel gut sein. Wer aber dennoch aut seinem Recht als Wähler bestehen will, der muß den Gang in das nächste Sekretariat der Partei seiner Wahl antreten, er darl auch nicht umständliche Verhandlungen scheuen und vor verständnislosen oder gar argwöhnischen Vis a vis oh solcher Eigenbrötelei kapitulieren. Aber wer von unseren Millionen Wählern macht schon so einen Canossagang? Also wird auch bei dem kommenden Urnengang das Reihen und Streichen von Kandidaten mit wenigen Ausnahmen nichts mehr als ein privater Sport, ein intellektuelles Vergnügen sein. Trotzdem sollten wir nicht die Flinte ins Korn weilen und, wo immer es nur irgendwie möglich, aui das Recht des Wählers bestehen. Es wäre schade, wenn diese Chance, das Bundesvolk an der individuellen Auswahl seiner Vertreter stärker zu interessieren, ein engeres Band zwischen Wähler und Gewählten zu knüplen, verkümmern würde. Aber gut Ding • braucht bekanntlich gut Weil, und was 1949 und wahrscheinlich auch 1953 noch nicht so richtig klappt, ist — vielleicht — 1957 oder 1961 nicht mehr wegzudenken ...

MAN BRAUCHT KEIN HEHL daraus zu machen, daß man in diesem Jahr der Wiederkehr eines schwarzen Tages unserer jüngsten Geschichte mit besonderer Sorge entgegensah. Was war doch in den vergangenen Jahren immer wieder, wenn der Kalender den 12. Februar anzeigte, jenen unseligen Tag, an dem vor beinahe zwei Jahrzehnten Oes(erreicher gegen Oesterreicher die Wallen ergrilien hatten, nicht alles geschrieben und geredet worden! Vernarbte Wunden wurden aulgerissen und bluteten auls neue, Fronten von gestern wurden in die Gegenwart übertragen, und die junge Generation auigelordert, in ihrem Geist alte, veriallene Barrikaden zu besteigen. Das waren die bedauerlichen Eriahrun-gen, wie mußte es erst heuer werden, mitten im Wahlkampl, knapp vor der großen Entscheidung? Ohne Zweiiel, die Sorge schien berechtigt — waresaber wider allem Erwarten nicht. Im Gegenteil: Ruhe und Unfurcht zeichneten diesen Tag aus, das stille Gedenken an den Gräbern wurde, mit der wohl anders nicht zu erwarteten Ausnahme von ganz links, nicht außergewöhnlich iür den Tageskampi mißbraucht. Ein besonders heller Fleck in einem Wahlkampl, dem selbst der Vertreter des Mutterlandes der Demokratie im Alliierten-Rat, der englische Hochkommissar Sir Harold Caccia, das Ehrenzeugnis ausstellen mußte, daß er „in ruhiger Atmosphäre und äußerst iair gelührt wurde“.

HERAUSGEGEBEN VON DEM LANDES-JUGENDREFERAT DER STEIRISCHEN LANDESREGIERUNG ist eine Broschüre erschienen, „Jugend am Abgrund“. Der Titel entspricht einem sehr realen Tatbestand, den die Darlegungen der Broschüre mit erschütternder Deutlichkeit illustrieren. Wir haben zwar seit drei Jahren ein Jugendschutzgesetz, aber wie eine gütige Wolke liegt über unserem Zeitungsmarkte noch immer die Gangsterpresse, eine ierienlose Verbrecherschule iür Jugendliche, deren Schülerzeugnisse täglich in den Raub- und N[ordgeschichten der Tageszeitungen zu lesen sind. Der Referent des steirischen Landesjugendamtes Dr. Halper wirft die Schuldfrage auf und gibt die Antwort:

„Das Jugendschutzgesetz vom 31. März 1950 ist unzulänglich. Aber wäre es auch noch so gut, arbeiteten auch alle zuständigen Aemter noch so rasch, wenn Eltern, Erzieher und Jugend führ e r versagen, so nützt dies alles nichts. Wenn alle verantwortungsbewußten Erwachsenen ihre Ptlicht erfüllen, dann genügt das Jugentfschutz-gesetz für die gröbsten Verstöße und iür die durch Milieu und Vererbung gefährdeten Jugendlichen. Solange jedoch dieser verantwortliche Personenkreis die Gefahr nicht richtig einschätzt, solange von Eltern, Erziehern und Jugendtührern dieses Problem aus Unkenntnis oder aus Bequemlichkeit bagatellisiert wird, oder deshalb, weil sie selbst ein oder das andere Mal Gelallen daran finden, werden diese Schriften der Jugend weiter ihr Gilt streuen können.“

Man muß leider beifügen: Und solange nicht wenige berufene Behörden ihre ihnen zum Schutz der Jugend von dem Gesetz gegen Schund und Schmutz anvertraute Aufgabe nur lässig erfüllen.

WIE WÄHLT MAN EIGENTLICH IN 'EINER VOLKSDEMOKRATIE? Diese Frage ist gerade in diesen Tagen, in denen die Oesterreicher als einziges Volk im Donauraum in einer Ireien, allgemeinen und geheimen Wahl eine neue Volksvertretung wählen, von besonderem Interesse. Ein Blick in das tschechoslowakische Nachbarland bestätigt die alte Weisheit, daß, wenn zwei dasselbe tun, es nicht dasselbe sein muß. Bei den Wahlen in die oberste gesetzgebende Körperschalt kennt man nämlich hier — natürlich! — nur eine einzige Kandidatenliste: Am 30. Mai 1948 kandidierte die „Nationale Front des tschechoslowakischen Volkes“ 70% Kommunisten, 10% Sozialdemokraten — die kurz nach den Wahlen ihre Vereinigung mit den Kommunisten beschlossen — und 20% Mitglieder der beiden übrigen tschechischen und der beiden slowakischen Parteien, die man nach einer gründlichen „Säuberung“ weiter bestehen gelassen hatte. Doch auch dieses Zerrbild echter Wahlen ist anscheinend noch zuviel. In der Tschechoslowakei sieht die Kreisordnung nämlich auch ausdrücklich die Wahl der Mitglieder aller Nationalausschüsse vor, also der Orts-, der Bezirks- und der Kreisnationalausschüsse. Wie wenig ernst diese Bestimmung schon im Zeitpunkt ihrer Erlassung gemeint war, zeigt die gleichzeitig dem Innenminister erteilte Ermächtigung, „iür die Zeit, solange keine Bestimmungen über die Wahlen erlassen werden“, die Art der Konstituierung der kollegialen Organe zu bestimmen. Bis zum heutigen Tag — acht Jahre nach der Errichtung der Nationalausschüsse — haben Wahlen .nicht stattgehinden. Staatspräsident Gottwald hat vor dem Zentralausschuß seiner Partei dazu folgendermaßen Stellurig genommen: „Der Staatsapparat wächst auch dadurch, daß die Leute ausgewechselt werden. Wer nicht mehr mittun kann oder will, scheidet aus, und es kommen diejenigen, die weiter können und wollen. Solange wir keine Neuwahlen haben und solange wir kein durch eine neue Wahlordnung iestgelegtes System der Abberufung der Vertreter in den Nationalausschüssen haben, müssen wir den Mut aulbringen, unbrauchbare Menschen abzuberufen und neue an ihre Stelle zu setzen.“ Dieser Aulwand an Motiven kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Neubestellung der Funktionäre eben auf eine Ernennung durch die Partei hinausläuft — genauer gesagt durch die „Nationale Front“, was aber praktisch gleichbedeutend ist. Ebenso erfolgt die A b-b e r u f ung der Funktionäre durch die Partei, denn sie üben ihr Mandat nicht frei aus, sondern unterliegen laufend der Weisung und Kontrolle durch das „Volk“ und können jederzeit abberufen werden. Ueber 250.000 Ge-meindelunktionäre wurden in der Tschechoslowakei auf diese Weise bestellt. Eindeutig waren die von der kommunistischen Parteileitung erlassenen. Weisungen, nur solche Vertreter in die Organe der öffentlichen Verwaltung zu entsenden, die sich an die Befehle der Partei genauestens halten werden: jede „selbständige Linie“ müsse schärlstens bekämpft werden. Dies glaubte man am besten durch eine verstärkte Heranziehung der Jugend, aber auch der Frauen zu erreichen: 13% aller Funktionäre in den böhmischen Ländern, 6% in der Slowakei sind heute Frauen, last ebensoviel Jugendliche. 121 Gemeinden haben eine Frau, 200 Jugendliche als Vorsitzende ihres Ortsnationalausschusses. Ihr „Vortrag“ in einer Bürgerversammlung, die Bestellung von fast 40% Nichtkommunisten (Parteilose oder Mitglieder der übrigen Parteien der Nationalen Front) machen den Vorgang noch lange nicht zu einer Wahl, schon gar nicht zu einer solchen wie der in Oesterreich am 22. Februar.

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