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Randbemerkungen zur woche

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ZUERST KAM EINE NACHRICHT aus Graz, ihr folgte langes Schweigen. Plötzlich eine Radiomeldung, dann wieder einige Zeit nichts: Jetzt ist in der Bundeshauptstadt auf Plakatwänden zu lesen: eine (auf den Plakaten steht die) Christlichsoziale Partei stellt sich in letzter Minute als Wahlwerberin für die immer näher rückenden Nationalratswahlen vor. Gerade dieses Blatt hat mit einem von den Konstellationen auf der parteipolitischen Bühne unabhängigen Bekenntnis zu einer christlichen und sozialen Politik nie hinter dem Berg gehalten. Von den Bestrebungen jener neuen Gruppe, die als christlichsoziale Partei auftritt, von den Männern, die nicht davor zurückscheuen, an großen Namen gemessen zu werden, ist jedoch hierorts nichts bekannt...

ES BLEIBT NICHT MEHR LANGE ZEIT, l ZU DISKUTIEREN: das Gespenst der Jugendarbeitslosigkeit ist in greifbare Nähe gerückt. Trotzdem ist es zu begrüßen, wenn wenigstens die Gefahr ins Auge gefaßt und von verschiedenen Seiten Vorschläge zur Steuerung des Uebels erstattet werden. So hat auch das Organ der Landesarbeitsämter Oesterreichs unter dem Titel „Jugend in Not“ eine Sondernummer herausgebracht. Eine Reihe von Initiativen wird mit allem Für und Wider erörtert: so der Plan, durch die Einführung des neunten Schuljahres — zunächst freiwillig, dann obligatorisch — den ersten Anstrom der stärkeren GeburtsJahrgänge 1939 bis 1944 aufzufangen und auf mehrere Jahre zu verteilen. Dann die Einbringung eines Jugendbeschäftigungsgesetzes. Hier ist an die Beschäftigungspflicht wirtschaftlicher Betriebe, an Steuerbegünstigungen für Meister, die Lehrlinge einstellen, und an die Schaffung zusätzlicher Lehrwerkstätten aus öffentlichen Mitteln gedacht. Die Einrichtung von Berufsvorschulen — in der Steiermark hat man in dieser Richtung mit der Organisation „Jugend am Werk“ bereits günstige Erfahrungen gemacht — dürfte nicht vergessen werden. Ein. weiterer Plan sieht die Schaffung von Werkschulen vor, die Kurzarbeit Jugendlicher mit beruflicher Fortbildung verbinden, eine Forderung, die auch von den österreichischen Bischöfen an die Bundesregierung herangetragen wurde. Wir müssen uns darüber im klaren sein: alle diese Vorschläge stellen nur Teillösungen dar. Um der drohenden Massenarbeitslosigkeit unserer Jugend zu begegnen, werden rasche Entschlüsse und die Verwirklichung verschiedener Projekte notwendig sein. Gleich nach den Wahlen heißt es, sie in Angriff nehmen. Die Zeit drängt.

IN DEN SPALTEN UNSERER ZEITSCHRIFT ist mehr als einmal Stellung genommen worden gegen den Mord am Kinde; durch Geburtenverhütung, Abtreibung und Empfängnisverhütung. Wir haben nicht allzuoft ein herzhaftes Ja auf unsere Mahnung gehört, auch demokratische Organe beziehen hier oft eine Haltung, die uns weder mit dem christlichen Glauben noch einem gesunden sittlichen Empfinden verträglich erscheint. Mit Freude begannen wir deshalb einen Aufsatz des nicht unbekannten Dichters Heinrich Zillich in der „Aula“, der „Monatsschrift österreichischer Akademikerverbände“, Jänner 1953, über den „Kindermord“ zu lesen. Um sehr schnell zu erblassen. Zillich glaubt den Mord an den unschuldigen Kindern nur bekämpfen zu können durch einen Hymnus auf das Kriegsmorden und eine maßlose Verhöhnung der „satten“ Völker, die, nicht wie Deutschland, Furchtbares erdulden mußten, „Diese gegenwartssatten Völker verweigern ihren Kindern das Leben!“ „Jeder Krieger, selbst der Anstifter von Kriegen, handelt sittlicher, gottgefälliger, schieksalsgläubiger: tötet er, so unter dem Einsatz seines Lebens für das Leben dir Zukunft, also der Kinder.“ — „Wir sprechen nicht von den Fällen, in denen das Leben der Schwangeren gefährdet erscheint, vor allem nicht davon, daß Väter ihre Töchter lieber töten als sie schänden lassen, nicht von Völkern, die sich und ihre Kinder vernichten, um der Schmach der Sklaverei und dem Uebermut der Sieger zu entgehen — das ist Notstand und hat Ehre.“ Nach dem Ausdruck aufrichtigen Bedauerns, daß Oesterreich wieder dem Reich und damit einer allein positiv zu wertenden Geschichtsmächtigkeit entrissen wurde, erklärt Zillich über die gegenwärtig sogar in Deutschland zu beobachtende Kindermüdigkeit: „Natürlich darf die deutsche Geburtenbeschränkung dem Mord a.n den Ungeborenen in satten, neutralen Ländern nicht schlankweg gleichgesetzt werden. Tragik und Entartung sind nicht dasselbe. Erlittenes Grauen und Unrecht erklären die Kinderscheu der Deutschen auf tragische Weise.“ — Als ersten Gruß 1953 stellt uns also eine Zeitschrift „österreichischer Akademikerverbände“ diese Perspektiven vor, die, Wort für Wort, sich in einem Kriegsauf ruf der SS von 1939 finden könnten. Die Tatsache ist bitter, bitterernst genug. Sie bedarf keines weiteren Kommentars.

432 BAUERN IM SÜDITALIENISCHEN ORT SAN SEVERO, sind unter der Führung des ehemaligen Ortsgruppcnleiters der KP aus der kommunistischen, linkssozialistischen und monarchistischen Partei ausgetreten; sie schlössen sich den Christlichen Demokraten an. Der frühere Ortsgruppenvorsitzende der KP, Pistillo, erklärte hierzu, die Bauern gäben mit diesem Schritt ihrer Dankbarkeit für die Bodenreform Ausdruck, die von der Regierung de Gasperi durchgeführt wurde. Es ist dies nicht der erste Fall: eine Woche vorher waren 410 andere Bauern aus der KP aus- und bei den Democristiani eingetreten. Diese beiden Nachrichten bedürfen einer Erläuterung: Bisher wurden in Italien 137.000 Hektar Land unter 37.000 Bauernfamilien aufgeteilt. — Jedes Land hat seine ihm eigentümlichen Sozialprobleme. Ihre mutige und konstruktive Lösung ist für eine auf christlicher Grundlage stehende Regierungepartei schlechthin ein ethisches Postulat. Eine solche Lösung ist — man sieht es — darüber hinaus nach dem politischen Einmaleins auch ein gutes Geschäft. Ueber d i e Wähler, die in mehreren europäischen Ländern in diesem Jahre zur Urne gerufen werden, ist in den letzten zwanzig Jahren ein wahrer Sturzregen an Propaganda niedergegangen. Sie sind dadurch hellhörig und skeptisch geworden. Sie wissen genau zwischen Programm und Taten zu unterscheiden. Sie kennen sich in der Reihung aus, welche die einzelnen Interessengruppen für ihre Wünsche durchzusetzen wissen, jene Reihung, derzufolge das eine Postulat seine Erfüllung findet, während das andere mit einer unverbindlichen Floskel eingesargt wird. Alles das hat die heutige' Generation unter bitteren Enttäuschungen gelernt. Ihre politische Ahnungslosigkeit mit einem zu hohen Betrag in die Rechnung einzustellen, wäre — nun eben auch ahnungslos. Die italienischen Bauern wußten, wem und wofür sie zu danken hatten. Sie sind diesen Dank nicht schuldig geblieben.

KAUM WAR UNSERE RANDBEMERKUNG von drohenden Gewitterwolken über dem Haupt des weltbekannten marxistischen Aestheten Prmfessor Dr. Georg Lukäcs in Ungarn erschienen, erreichte uns eine zwar kurze, aber vielsagende Nachricht: Der Leitungsausschuß und das Präsidium des Ungarischen Schriftstellerverbandes faßten eine Reihe von „notwendig gewordenen“ Beschlüssen. Der Leitungsausschuß delegierte auf Vorschlag des Präsidiums vier neue Mitglieder in das Präsidium. Der Leitungsausschuß „nahm zur Kenntnis“, daß „Georg Lukdcs von seiner Mitgliedschaft im Präsidium abdankte“. Schluß! Kein Wort mehr. Nun muß man dazu freilich wissen, daß eine Bezeichnung wie „Schriftstellerverband“ dem österreichischen Leser nur eine sehr blasse Vorstellung davon geben kann, was ein solcher Name in einer Volksdemokratie alles deckt: „Reichsschrifttumkammer“ und noch vieles mehr. Eine Ahnung davon vermittelte uns vor einiger Zeit die Warschauer Literaturzeitschrift „Nowa Kultura“, die „den gewissenhaften kommunistischen Lektor“ mit einem „Politruk in vorderster Linie“ vergleicht, der „die Vision des Kom-. munismus erstehen läßt und dazu ... den Soldaten der Schriftstellerarmee Weisungen erteilt...“. Eine solche Weisung in der Formulierung des ungarischen Volkserziehungsministers Revai lautet: „Träumen ist auch für den Schriftsteller des Realismus Pflicht.“ Was ist aber „Träumen“, was „Realismus“? Darüber muß an der Spitze der wackeren Lektorenstoßtrupps das Präsidium des Schriftstellerverbandes wachen und entscheiden. Ein Kenner der Verhältnisse in ungarischen Literaturkreisen versichert uns, daß der Ruck ins Völkisch-nationalistische auch hier unverkennbar ist. Kommen doch drei der vier neuen Präsidialmitglieder aus dem Lager, wo die Geister sich wohl an Kossuth und an Bauernaufständlern, aber beileibe nicht an Marx und Engels zu entzünden pflegten. Diese Männer werden also für den neuen Kurs zeichnen und die „Schriftstellersoldaten“ werden schreiben wie bisher und anders wie bisher: eben nach der — iiicht ungefährlichen — Geheimlehre der Dialektik. Georg Lukdcs verstand auch etwas von Dialektik, so spricht wenigstens die Fama, doch „Schriftstellersoldat“ ist er nicht und „Politruk“ war er auch nicht. Demnach ist mit ihm wahrlich nichts mehr anzufangen.

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