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Frohe Ostern, Herr Dr. Hampel!

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Nur zu Wahlzeiten, wo erschreckend brutal etwa die „rote“ oder „schwarze“ Gefahr etwa an die Wand gemalt wird, und darüber hinaus landab, landauf in so manche Herzen werfen, können Sie sehr bald feststellen: überdeckt durch die Wirtschaftswunderwelt, durch gemeinsame Gier nach Konsum, Genuß und Luxus, finden sich in den Menschen unseres Landes und darüber hinaus eine Fülle von Sprengstoffen vor und von ungelösten inneren Komplexen des Hasses; des Hasses gegen den Nächsten, den andersdenkenden Staatsbürger. Ist es wirklich Gespenster-seherei, sich und der Öffentlichkeit, die ungern mit wirklich ernsten, sie persönlich angehenden Fragen belästigt wird, die Frage vorzustellen: wie wird es in Österreich nach Raab und, um gleich mehr noch von Europa einzubeziehen, wie wird es in der Bundesrepublik Deutschland nach Adenauer, in Frankreich nach De Gaulle aussehen? Wer sich heute nicht ernsthaft Sorgen um morgen macht, wird in einem harten und schwierigen Morgen nicht bestehen können.

Da erscheint es mir als erste Pflicht einer verantwortungsvollen Publizistik in Österreich eben diese zu sein: immer wieder auf die inneren Gefahren aufmerksam zu machen, die in uns sind: in Intoleranz, in einem schier totalen Unverständnis für den andersdenkenden Nächsten. Die Demokratie ist in uns und in unserem Lande lange noch nicht so weit gewachsen und so tief eingewurzelt, daß sie wirklich großen Belastungen standhalten könnte. Daran ist nicht zuletzt das Führerprinzip schuld, wie es in den Großparteien und Großverbänden aller Art allzulang praktiziert wurde; dazu gehört nicht zuletzt eine unglückliche und falsche Behandlung mancher Nationaler und „Ehemaliger“ nach 1945. Dazu gehört aber eben auch die Tatsache, daß die Einwurzelung nationaler und „ehemaliger“ Einzelner, Gruppen, und Kreise in Österreich nicht in dem Maße erfolgt ist, das nötig ist, um eine fruchtbare Zusammenarbeit sicherzustellen. . 'Sehr im Gegensatz zu Ihrem prachtvollen Schlußteil, in dem Sie die Zukunftshofftiung aussprechen: „Wir alle miteinander könnten ein gutes Österreich-Orchester werden“, stellen Sie im Eingang Ihres Briefes selbst fest: „Es ist heute noch nicht zu spät, doch es ist schwerer, als es kurz nach 1945 an offenen Gräben und Gräbern war, versöhnlich zu sein und beisammenzubleiben.“ Sehen Sie, lieber Herr Dr. Hampel, das ist es: es gibt in unserem Österreich auch heute noch eine große Nichtversöhnung. Sie basiert auf fundamental verschiedenen Anschau-uagen-ebensfragen. Wer echte Versöhnung will, muß sich selbst mit diesen -heiklen faw&gfrßSti täglich.

, Sie selbst rühren in Ihrem Hinweis auf die Ihnen „volksfremd“ erscheinende Stellungnahme der „Furche“ zu Soldatentreffen, zur Ordensfrage, zur Gestaltung von Kriegerdenkmälern an einigen dieser Lebensfragen, in denen Österreicher fundamental, grundsätzlich einander ausschließende Stellungnahmen beziehen.

Um Cs kurz zu sagen: die positive Stellungnahme zum zweiten Weltkrieg, wie sie weithin in nationalen Kreisen eingenommen wird, ist vom Standpunkt eines freien Österreichs glatter Selbstmord. Wenn unsere Kinder in der Ausbildung beim Bundesheer immer wieder von den „Heldentaten“ ihrer Herren Ausbildner in eben diesem wahrhaft schmutzigen Krieg hören, den ich und meine Freunde in der „Furche“ genau so wie Sie als Soldaten durchstanden, wenn sie an allen Straßenecken Schundhefte, die Taten dieses Krieges verherrlichen, kaufen können, wenn sie zum dritten immer wieder von öffentlichen Herumstehern unseres Staates Bekenntnisse zu den „Helden“ dieses Krieges vernehmen und alle Welt diese Männer in schwarzweißroter Ordensgala über unsere Straßen marschieren sehen kann, dann zeigt sich hier deutlich, welche Kluft in unserem Volke besteht: wobei hier nicht übersehen werden soll die persönliche Tragödie und das persönliche Erlebnis, das nicht wenigen Menschen diese Jahre der Vergangenheit als die besten, schönsten, gläubigsten und innerlich reichsten erscheinen läßt. Die Anerkennung dieser ihrer Person ist eines, ein anderes ist ein staatspolitisches Erfordernis, dem heute nicht Rechnung getragen wird und das im Ausfall morgen bereits für nicht wenige junge Menschen diesen Staat als „Staat wider Willen“ erscheinen lassen kann. Wie anders soll man einen Staat bewerten, der nichts oder zuwenig tut, um seine Jugend aufzuklären darüber, wie Österreich um seine Freiheit kam und wie es diese wieder erhielt?

Und jetzt bitte ich Sie, lieber Herr Dr. Hampel, von diesem einen unbereinigten tiefen Gegensatz zwischen nationalen und anderen Österreichern in diesen Tagen um Ostern gleich einen Schritt weiterzugehen; einen Schritt auf die Straße, etwa in Wien. Da prangen von vielen Plakatwänden Plakate der rechten Oppositionspartei, die den beiden Regierungsparteien in schreienden Lettern Verrat an Europa vorwerfen. Man könnte diese Plakate als groben Unfug übersehen, wenn nicht hinter ihnen eine große Kampagne stehen würde, die weit über FPÖ-Kreise hinaus, in manchen Landtagen und nicht wenigen Presseorganen sehr geschickt eine sehr gefährliche Überzeugung vertreten würde: wer da gegen die EWG, zumindest in ihrer gegenwärtigen Form, Stellung nimmt, wird als Verräter an Europa, am Abendland, als Söldling und als Partisane des Ostblocks, zumindest als Deutschenfeind gebrandmarkt. (Hier, lieber Herr Dr. Hampel, nur eine kleine Nebenbemerkung zum Thema „Verrat“, das Sie im Eingang Ihres Briefes berühren: Nicht die „Furche“ und nicht ich haben dieses ominöse Wort strapaziert, Sie werden es in dem Gesamt aller Jahrgänge der

„Furche“ sehr selten, in meinem eigenen Schrifttum kaum je vorfinden, sehr oft jedoch, gerade heute, im nationalen Schrifttum in Österreich, wo immer wieder von Verrat an Deutschland, von Verrat an Europa gesprochen wird ...)

Verrat an Europa? Verrat an Deutschland? Deutschfeindlichkeit, etwa der „Furche“? Sie und andere Nationale in Österreich übersehen da heute, wie vor mehr als zwanzig Jahren, daß die deutsche Wirklichkeit und Fragwürdigkeit viel größer ist, als man es hierzulande gern sehen und zugeben will. Listig oder einseitig informiert, übersieht man hierzulande, durch eine gewisse presse unterstützt, daß sehr breite Kreise des deutschen Volkes oft sehr anders denken als einzelne politische Protagonisten; daß nicht zuletzt der Streit um die EWG auch ein brennendes innerdeutsches Problem ist, wobei nicht nur oppositionelle Kreise, sondern auch führende Männer der Wirtschaft und nicht zuletzt Minister Erhard schwerste Bedenken gegen die von Herrn Hallstein lancierte EWG-Blockbildung haben und vertreten.

1933 bis 1938 wurde von Nationalen und Nationalsozialisten Deutschland mit Hitler identifiziert, und jeder, der ein anderes Deutschland, liebte und..ehrte und.wünschte*..als Deut.-., schenfeirid denunziert. Heute wird hierzulande von Nationalen und anderen jedermann als Deutschenfeind laut und leise verklagt, der mit gewissen Kraftlinien einzelner deutscher Staatsmänner und Politiker sich kritisch auseinandersetzt. Die politische Unbildung in Österreich zeigt sich gerade hier, und wird — ich will es offen sagen — breit von gewissen nationalen Kreisen in diesem Sinne ausgebeutet.

Allzu viele unserer Nationalen, und auch nicht wenige Andersdenkende hierzulande, vertreten ein Deutschland'bild, einen Deutschlandtraum, der gefährlich ist, da er keine gute Funktion im schwierigen Prozeß deutscher Selbstfindung in der freien Welt, und österreichischer Selbstbehauptung in Partnerschaft mit diesem Deutschland und mit dieser freien Welt erlaubt, vielmehr alles wesentliche verunklärt. Auch wir, in der „Furche“ — und möglicherweise stehen die vielen hundert Einladungen an meine Person gerade aus der Deutschen Bundesrepublik damit in einem Zusammenhang — vertreten die Überzeugung, daß der Österreicher Funktionen im deutschen Raum erfüllen kann, erfüllen soll: wir sehen diese aber als nicht leichte Aufgaben der Partnerschaft, der Vermittlung (nicht zuletzt in Osteuropa), einer Zusammenarbeit in gleichen Pflichten und gleichen Rechten. Niemals aber kann der Österreicher diese im Gesamt des deutschen Lebens erfüllen, wenn er sich als Nachplapperer, als Befehlsempfänger, als kritikloser Partisane gewisser tagespolitischer und sehr einseitiger und gefährlicher Direktiven, Pläne und Maximen versteht, die gestern von Berlin, heute von Bonner Kreisen ausgegeben werden. Wenn das deutsche Volk heute etwas braucht, dann sind es redliche Freunde, die dem Freunde die Wahrheit sagen und auch ihre andersartigen Erfahrungen mitteilen.

Einer selbstkritischen und wirklich eigenständigen, wirklich freiheitlichen Arbeit unserer Nationalen im deutschen Raum sei hier jedes gute Tor offen: wenn Sie dieses mein Ja, lieber Herr Dr. Hampel, zur Kenntnis nehmen, dann bitte auch, im selben Atemzug dieses andere: zur rechtverstandenen österreichischen Nation. Diese ist, in jeder Hinsicht, unseren Deutschnationalen ein Dorn im Auge. Sehr erhellend schreiben Sie: „Uns genügt das Wort des österreichischen Bundeskanzlers, der eine Diskussion der österreichischen Nation für überflüssig hält.“ Nein, lieber Herr Dr. Hampel, das genügt uns anderen Österreichern nicht. So große Fragen können weder durch ein „Führerwort“ noch durch ein Gesetz noch durch eine andere legislative oder justizielle Maßnahme „erledigt“, gelöst werden; genau sowenig wie die Lebensfragen und politischen Probleme unserer Nationalen und Nationalsozialisten durch die Akte und Aktionen nach 1945 „erledigt“ werden konnten. \

Damit stehen wir wieder im Anfang; in einem neuen Anfang, 1960: wie in den Bränden Wiens im April 1945, wie in den Maitagen von 1955, als lustlos und ohne Fahnen so manche österreichische Stadt den Tag des Staatsvertrages umschwieg; wie damals und zugleich bereits anders stehen sich heute in Österreich Nationale und andere Österreicher gegenüber: durch einige fundamentale Gegensätze getrennt, gleichzeitig bereits verbunden durch manches, wir wollen hoffen, vieles Gemeinsame. Wer wirklich Ostern, wer wirklich Auferstehung will in unserem schönen Lande, muß immer wieder durch den Karfreitag hindurch: durch ein inneres Absterben, ein Absterben der eigenen Wunschbilder, und ein Ertragen des ganz anderen. Ostern in Österreich 1960: nehmen wir doch diese Chance wahr, einander mehr kennen, und das heißt auch anerkennen zu lernen, als bisher; nicht als Feinde, wohl aber als Gegner, die im geraden, aufrechten Blick sowohl das ganz andere. Unannehmbare, wie das Gemeinsame im Gesicht des „andersfarbigen“ Bruders sehen.

Ich bin, in großer Hochachtung. Ihr

Friedrich Heer

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