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An den Round geschrieben

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FAHNENAPPELL. Zum „Tag der Fahne” hat der Minister für Landesverteidigung einen Aufruf an alle Offiziere und Soldaten des Bundesheeres erlassen, in dem „drei wesentliche Aufgaben unseres Bundesheeres" genannt werden. Zum ersten: die Verteidigung der Souveränität unseres Staates und unserer Lebensform. „Wir sind zu dieser Lebensform über bittere Erfahrungen und über Prüfungen, die viel Mut und Kraft erforderten, aufgestiegen.” „Unsere zweite Aufgabe liegt in der Erfüllung jener Pflichten, die uns die militärische Neutralität Österreichs auferlegt. Eine Neutralität, zu deren Verteidigung der militärisch neutrale Staat nicht bereit ist, wird in der Welt nicht ernst genommen. Eine wirksame Sicherung der Neutralität ist ohne Opfer nicht möglich. Was für die anderen neutralen Staaten gilt, gilt auch für Österreich." Zu diesem hochwichtigen Punkt ist festzuhalten: die Augen einer feindlichen und teilweise wenig freundlichen Umwelt sehen besonders auf jeden Schritt und jedes Wort, die Österreichs Offiziere im In- und Ausland tätigen „Die dritte Aufgabe ist die Erziehung der jungen Männer unseres Volkes zu standesbewuftten Österreichern." Hier können wir nur mit groftem Ernst wünschen, daft dieser dritte Punkt des Aufrufes nicht nur Anlaft eines einmaligen Appells, einer Verlesung, sondern tägliches Brot der gesamten Ausbildung und des Lebenswandels unserer Offiziere und Soldaten werde: Dies gilt nicht nur für unser Bundesheer, sondern auch für unsere Politiker und die Treuhänder der österreichischen Wirtschaft; schlicht, für jeden, der Staatsbürger dieses Landes und Nufzniefter der so oft bemäkelten und bekritel- ten Neutralität Österreichs ist.

STUDENT IN FRONT: Der neue Vorsitzende des Zentralausschusses der österreichischen Hochschülerschaft, Hans B I a i c k n e r, hat bei seiner Amtsübernahme eine vielbeachtete Rede gehalten, die denn auch bereits zu beachtenswerten Auseinandersetzungen geführt hat. Ein Leitmotiv seiner Absichten ist: Österreichs Hochschulen und Studenten — beider Lage ist nach wie vor ernst, sehr ernst — sollen dem „Parteiengezänk" mit dem „parteipolitischen Machtstreben” entzogen- werdeh. -„Die Dotierungen für Wissenschaft und Forschung betragen kaum mehr als ein Prozent der österreichischen Staatsausgaben." „Solange nämlich parteipolitische Taktik über gesunden Verstand triumphiert, ist keine echte Lösung dieses Problems zu erwarten.” Weit über den engeren Rahmen studentischer Hochschulpolifik hinaus hat in der Öffentlichkeit der Appell des neuen Vorsitzenden an den Unlerrichtsminister Aufsehen erregt: Dieser wird gebeten, dem Parlament jährlich einen Bericht über die Situation von Kultur, Wissenschaft und Forschung vorzulegen. Gewift, in diesem Bericht müftten auf Jahre hinaus ungeschminkt harte und für ganz Österreich beschämende Tatsachen zur Sprache gebracht werden. Es könnte also sein, daft sich das Ministerium nicht leicht zu dieser Bilanzziehung bereit erklärte: recht verstanden, könnte aber gerade durch diese Rechnunglegung den vielfachen Angriffen auf das Ministerium der Boden entzogen werden. Die Last und Verantwortung für Österreichs Hochschulen und Studentenschaft ist nicht von einem Mann allein, sondern von der ganzen Volksvertretung zu tragen.

JEDER FÜR SICH NICHT OHNE DIE ANDEREN. Ohne das aufwendige Zeremoniell einer Staatskonferenz trafen einander in Wien die leitenden Auftenpolitiker der Schweiz, Schwedens und Österreichs. Vor allen drei Staaten steht die Notwendigkeit, mit der EWG das sachliche Assoziierungsgespräch aufzunehmen. Man tat gut daran, zunächst die allgemeine Grundlage des Neutralitätsrechts zu prüfen und eine Basis zu erarbeiten, die bei aller Verschiedenheit der wirtschaftlichen Probleme von allen gemeinsam vertreten werden kann. Die eigentlichen Gespräche müssen naturgemäft von jedem Partner allein geführt werden. Man denkt nicht an die Bildung eines weiteren Blocks zu den vielen bestehenden anderen. Aber man kam überein, die aus diesen Verhandlungen hervorgehenden Beschlüsse dann simultan zu vollziehen, das heiftt, aufeinander zu warten und so jene Solidarität zu üben, die schließlich im Interesse gerade der Kleinen liegt.

MALAISE IN DEUTSCHLAND: Wer in diesen letzten Wochen vor der Regierungsneubildung mehrfach in der Bundesrepublik Deutschland war, konnte unschwer in Presse, Öffentlichkeit, Stimmung des Volkes ein starkes Unbehagen wahrnehmen. Das Feilschen der in sich uneinigen FDP um Minister- und Staatssekretärposten, die innere Uneinigkeit in dieser Partei, die aus sehr konträren Köpfen und Meinungen zusammengesetzt ist, zugleich ihr Auftrumpfen, verbunden mit dieser offenen Schwäche, zeigt, wie unsicher dieser Koalitionspartner in der neuen Regierung Adenauer zu bewerten ist. Vorstöfje und Verstöfte einiger Männer in den beiden Bruderparteien CSU und CDU, das Ringen eines Franz Josef Strauft, um Erhard und um Adenauer haben den Kredit der neuzubildenden Regierung nicht eben erhöht. Allzugern spricht man davon, daft dieser „Übergangsregierung’ sich profiliertere Persönlichkeiten nicht zur Verfügung stellen wollen, um nicht mit ihr verschlissen zu werden. Eben diese „Ubergangsregierung" hat Entscheidungen zu treffen (oder noch einmal hinauszuschieben), die das Konto der Bundesrepublik seit ihrem Entstehen belasten, und die immer dringlicher fällig werden. Dr. Adenauer zeigt demonstrativ grofte Festigkeit: dieser entspricht jedoch nicht mehr, wie früher, sein auftenpoliti- sches und innenpolitisches Gewicht. Soeben erklärte er, daft er am 2. November Kennedy in Washington besuchen wolle. Am nächsten Tag erklärte der amerikanische Auftenmi- nister, daft an diesen Besuch gegenwärtig amerikanischerseits noch nicht gedacht werde

DIE „EREIGNISSE" VOR FÜNF JAHREN. „Die Ereignisse des Jahres 1956”: mit dieser Leerformel umschreiben die Vorsichtigen in Budapest jene denkwürdigen Oktober- und Novembertage, wenn sie sich öffentlich nicht zur „Revolution" bekennen können und die parteiamtlich geltende Bezeichnung „Gegenrevolution” nicht gebrauchen wollen. In der marxistisch-kommunistischen Terminologie haben beide Begriffe, Revolution und Gegenrevolution, ihren festen Platz. Jene „Ereignisse" freilich waren nicht vorgesehen. Sie fanden, obwohl zu ihrer Auslösung die sich damals immer mehr verschärfende ideologische Diskussion zwischen „Revisionisten” und „Sektierern" innerhalb der Kommunistischen Parteien entscheidend beitrug, aufterhalb des Blickfeldes von Lehr- bücherp,. und Schulunßskursen statt. Und sie haben auch seither noch nicht ihre endgültige Wertung gefunden — man rnuft allerdings hinzufügen: auch in der westlichen Literatur zur Zeitgeschichte nicht. Das hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund liegt zweifellos darin, daft der Aufstand von Budapest — und der ihm vorausgegangene polnische Aufstand — zu einem groften Teil Symptome einer Entwicklung waren, die innerhalb des kommunistischen Staatenblocks vielleicht schon zu Lebzeiten Stalins einsetzte und — der dramatische Verlauf des Parteikongresses von Moskau beweist es — auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Der Freiheitskampf von Budapest weist indessen auf eine alles überragende Tatsache hin: daft der Mensch seine Versklavung nicht immer und unbegrenzt hinnimmt und daft Freiheit manchmal viel mehr als Lippenbekenntnis bedeuten kann — auch wenn die Tyrannen es anders wissen wollen.

WER IST DER WESTEN In diesen Tagen, in denen Ost und West in und um Berlin so heftig aufeinander- stoften, hat der indische Vizepräsident Sarvapali Radhakrishnan in Frankfurt in der Paulskirche, dem ehrwürdigsten Ort der deutschen Demokratie, den diesjährigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten. Radhakrishnan hat als Professor in Oxford, als Verfasser bedeutender, auch ins Deutsche übersetzter Werke über Indiens Philosophie, als Botschafter Indiens in Moskau und als guter Geist im Parlament in Neu-Delhi oft die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hier und heute interessiert uns jedoch besonders ein Faktum, das Anlaft zu einer westlichen und zu einer europäischen Gewissenserforschung bieten sollte: Der soeben von den Staatsmännern, Politikern und geistigen Persönlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland so hoch geehrte indische Gelehrte und Staatsmann hat zeit seines Lebens kein Hehl aus seiner Überzeugung gemacht, die er mit vielen anderen Asiaten und Nichteuropäern teilt: für ihn gehört zum Westen nicht nur „unser Westen", sondern auch: der Kommunismus, die Russen, die Sowjetunion. Halten wir inne, für einen Moment der Besinnung: bittere Ansichten und Perspektiven, wie diese, gehen nicht leicht ins Ohr. Eben deshalb sollten wir sie uns von Persönlichkeiten vom Range eines Radhakrishnan sagen lassen. Sicher: seine Ansicht umfaftt nicht alles; einen bitteren Kern Wahrheit enthält sie doch

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