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Randhemerkungen zur woche

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HAH BN UNSERE ABGEORDNETEN ORDEN ZU VERGEBEN, mit einstimmigem Beschluß würde einer dem Verfasser jenes Leitartikels im sozialistischen Zentralorgan zuteil werden, der in der Diskussion um die Kartenvergebung für die Opernpremiere als ein warmer Fürsprecher ihrer materiellen Interessen aufgetreten ist:

„Oesterreich ist eine demokratische Republik, das österreichische Volk regiert sich selbst durch seine gewählten Vertreter im Parlament; sie sind es auch, die die Steuern bewilligen, aus denen die Staatstheater erhalten werden. Will man die Oper ohne diese Repräsentanten des österreichischen Volkes eröffnen? Es wäre zweifellos sonderbar, eine Eröffnung ohne den Hausherrn zu feiern. Es wäre aber auch sonderbar, die Teilnahme an diesem Feiertag des österreichischen Volkes für jene, die es repräsentieren, davon abhängig zu machen, ob ihnen die Ausgabe mehrerer tausend Schillinge für Eintrittskarten möglich ist, wenn ihnen überhaupt welche zugeteilt werden ...“

Mit anderen Worten: „Freikarten für Nationalräte, bitte!“ Der Gedanke ist auch wirklich drückend, daß die Kunstsinnigen unter unseren Volksvertretern schon heute Schilling auf Schilling zur Seite legen müssen, um eine Karte für die Opernpremiere zu erwerben. Wenn sie dabei gar das vor kurzem bewilligte „Buropauschale“ antasten müßten? Unausdenkbar dieser Gedanke. Es ist verständlich, daß eine Arbeiter-Zeitung ihre Leser dafür auf die Barrikaden ruft.

EINE „FEJERTAGSFRAGE“ gibt es nicht nur in Oesterreich. Als in Württemberg-Baden dreizehn lohn-zahlungspflichtige Feiertage beschlossen wurden, reagierte der Presseausschuß der Handelskammern und Wirtschaftsverbände sauer. Er meinte unverblümt, es bleibe nach dieser Regelung „das fatale Gefühl, daß mit wenigen Ausnahmen unsere Völksvertreter in einem Zeitalter, dem Technik und Wirtschaft den Stempel des Fortschritts im Wohlstand aufprägen, wirtschaftlichen Erfordernissen nur allzuwenig Rechnung tragen“. Bekannte Worte. Wir hörten sie — wenn auch nicht so schroff — des öfteren auch hierzulande. Zuletzt bei der Diskussion um den 8. Dezember. Hören wir aber auch die Antwort, die die evangelische Zeitung „Christ und Welt“ einer solchen Bussines-Mentalität erteilte:

,Wir arbeiten und müssen arbeiten. Es wäre aber wirklich fatal, sollte hier das gefordert werden, was man uns zu unserem Erstaunen überall vorzuenthalten glauben kann, nämlich den Sinn des Lebens nur in der Arbeit zu sehen. Wir sollten wirklich froh sein, daß es in einer Zeit, die nahezu alles mechanisieren und rationalisieren will, noch eine wohltuende und besinnliche Abwechslung gibt. Im übrigen benötigt niemand der Ruhe und Entspannung mehr als die Unternehmer, Wirtschaftler und Geschäftsleute. Denn wie sollte es ihnen als Menschen sonst möglich sein, mit neuen Gedanken und besseren Plänen den Erfordernissen der Wirtschaft gerecht zu werden?“

Die österreichischen Katholiken werden sich dieser Argumente bald erinnern. Gilt es doch in diesem Jahr, endgültig dem Fest Maria Empfängnis auch die staatlicht Anerkennung zu verschaffen.

NACH EINER VIERTÄGIGEN REDESCHLACHT billigte der Bonner Bundestag die Pariser Verträge. Die erbitterten Auseinandersetzungen verwischten für den nicht sachkundigen Beobachter die harte Tatsache, daß sich Regierung und Opposition faktisch auf einem ganz engen Spielraum aneinander stießen. Die Regierungskoalition erklärte, daß sie nicht gegen Verhandlungen sei, die einer Wiedervereinigung der beiden Deutschland dienen könnten. Die Opposition erklärte, daß sie weder gegen eine Wiederbewaffnung sei noch auch gegen einen Anschluß an Bündnissysteme des Westens. Die große Uneinigkeit bestand also nur in der Frage, ob der Zeitpunkt für die Ratifizierung der Pariser Verträge zweckmäßig gewählt sei. In beiden Lagern wurde zugegeben, daß alle Argumente auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen beruhen. — Zudem wurde, wie auch demoskopische Untersuchungen deutlich werden ließen, sichtbar, daß in beiden Lagern eine beachtliche Minderheit bestand, die mehr den Argumenten des Gegners zuneigte: im Lager Dr. Adenauers, in der CDU und CSU, gibt es eine ansehnliche Gruppe von Politikern, die schwere Sorgen haben bezüglich der deutschen Aufrüstung und der raschen Eingliederung Westdeutschlands in das militärische Bündnissystem des Atlantikpaktes. Bei den deutschen Sozialdemokraten hingegen gibt es eine Gruppe von etwa 25 Prozent Abgeordneten, die mit Dr Adenauers Außenpolitik weit mehr einverstanden sind, als die Parteiführung gestatten will. — Warum dann diese Aufregung ersten Ranges? Warum hat man versucht, die Entscheidung über die Pariser Verträge nicht dem Parlament zu überlassen, sondern einem Volksentscheid — so forderten es ja Gewerkschaftsführer und die Unterzeichner des „Deutschen Manifests“ in der Frankfurter Paulskirche? Mit der Ratifizierung der Pariser Verträge sind möglicherweise weltgeschichtliche Entscheidungen eingeleitet worden; möglicherweise verbirgt sich in ihnen der Keim eines Weltkrieges; möglicherweise aber bilden sie auch das Fundament einer neuen Friedenszeit, durch eine Festigung des Westens. Heile und unheile Bezüge liegen heute, wie in allen großen Wendezeiten, nahe beieinander. Das deutsche Volk hat an Fernseh- und Funkgeräten den Kampf in Bonn vom 22. bis 26. Februar 1955 mit Bangen und Hoffnung, Sorge und Erwartung beobachtet. — Trotz des riesenhaften weltpolitischen Aspekts wurde in dieser Bonner Debatte eindringlich wie noch nie ein anderes sichtbar. Einer der besten westdeutschen Publizisten drückt das in folgendem Satz aus: „Das Gift kommt aus der Vernachlässigung der inneren Angelegenheite n.“ Dr. Adenauers Hauptkampf richtete sich in den letzten Tagen und Stunden des parlamentarischen Großeinsatzes nicht gegen Politiker der Opposition, sondern gegen Führer und Abgeordnete von Regierungsparteien! Die „Freie Deutsche Partei“ und der „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ wandten sich durch namhafte Sprecher entschieden gegen das Saarstatut. In ihren Ausführungen wurde eindrucksvoll bekundet: ein harter und enger deutscher Nationalismus hat mit Hilfe von Repräsentanten dieser Parteien sich Sitz, Stimme und Gewicht in der Regierung des Bonner Kanzlers erobert. Es ist möglich, daß an dieser Tatsache die Koalition scheitert; und daß, übermorgen vielleicht, sich Ansätze ergeben für eine große Koalition, „nach österreichischem Muste r“, wie einsichtige Fachleute, wirkliche Realpolitiker seit Jahr und Tag in Westdeutschland fordern. Die Bonner Debatte hat nämlich eindeutig gezeigt: die deutsche Sozialdemokratie sterilisiert sich in unfruchtbarer Opposition, da sie bisher gezwungen wurde, mangels einer Möglichkeit, Innenpolitik zu machen, sehr fragwürdige außenpolitische Konzeptionen zu entwickeln. Die bisherige Rcgicrungkoalition Dr. Adenauers wird, durch die nationalistischen und großkapitalistischen Kreise in den Partnern der CDU, schweren Spannungen und Versuchungen ausgesetzt, zumal, da auch die Rüstuugskosten eine erhebliche Belastung der breiten Massen mit sich bringen. Seit Monaten debattiert man bereits über die Verteilung dieser Lasten, und über die steigenden Preise. Die Schraube der Rüstungsindustrie und die großen außenpolitischen Anforderungen wird eine künftige Bonner Regierung nur überwinden können, wenn sie sich zwischen zwei Wege entscheidet: dem Weg nach außen oder dem Weg nach innen. Dieser aber führt zu einer Erschließung des echten inneren Potentials des deutschen Volkes, und ist ohne die Gewerkschaften und die Mitarbeit der Sozialdemokraten kaum gangbar. — Bonn steht also am Scheidewege. Das ist eine der Lehren des 27. Februar 19SS.

DER „VIERTE MANN“, dem es gelungen ist, Frankreich wieder eine Regierung zu geben, heißt Edgar F a u r e. Die französische Regierungskrise ist zu Ende, weil das Parlament nach drei Wochen plötzlich den Wunsch gehabt hat, mit der Krise ein Ende zu machen, und weil, nachdem die Versuche, eine Mehrheit mit Linkstendenz oder mit Reckis-tendenz zustande zu bringen, gleicherweise gescheitert sind, nichts anderes mehr übrigblieb, als eine Mehrheit der Mitte zu zimmern. Dieser Versuch gelang, da sich ein Mann des „juste milieu“ fand; der bereits in zwei Regierungen mit so verschiedenem, Charakter, wie dies die Regierungen Laniel und Men-des-France waren, ein und dasselbe Ressort, das der Finanzen betreute. In seiner Regierung findet man die Namen des Gaullisten und „Europagegners“ Gaston Palewski, des in Fragen der Außenpolitik sich bisher stets äußerst zurückhaltend zeigenden Antoine Pinay als Außenminister, den streitbaren General Koenig als Verteidigungsminister und schließlich die Säulen des MRP: Robert Schuman als Justizminister, Pierre Pßimlin als Finanzminister, Pariser Pressestimmen nennen diese Konstellation, nicht ohne einen spöttischen Unterton, „klassisch“. Sie verheimlichen nicht, daß sie dieser Entwicklung der Dinge „ohne Rührung“ zusehen. Wie die Regierung, so ihr Programm: man nennt es „ausgeglichen“ und „diskret“. Kein Programm eines „starken Mannes“, vielmehr das jener „Mitte rechts“ stehenden, aber hauptsächlich unorganischen und desorientierten Wählerschaft, die alles in allem eine Politik der „Fortbewegung“ wünscht, ohne das „Wohin?“ präzise beantworten zu können. Könnten das aber die Politiker selbst? Man konnte z. B. beobachten, daß es bei den Radikalsozialisten ungefähr so viel Meinungen, als Köpfe gibt. Man schließt daraus, daß die eingestandenermaßen starken Einflüsse der Freimaurerei auf diese Partei ebenfalls nicht ohne innere Widersprüche sein dürften. Noch klarer sichtbar ist der innere Widerspruch in der Politik des MRP. Diese Partei hat, in Belangen der Innenpolitik, einen starken linken Flügel, einen der großen Hoffnungen jener Kreise, die die neue (nichtmarxistische) Linke zustande bringen wollen. In der Außenpolitik hat sich aber die MRP seit jeher schon auf die Europa-Linie festgelegt, und diese Einstellung zwingt sie, gegen den eigentlichen Willen ihrer dominierenden Köpfe, einen Rechtskurs mitzumachen. Dieser Widerspruch ist kein Zufall. Der Katholizismus ist an sich eine revolutionäre Kraft, schreibt der berühmte „Le-Moude“-Kommentator Maurice Duverger, und der Europa-Gedanke auch. Wie kommt es, daß beide — nicht nur in Frankreich — von den konservativen Kräften getragen werden? Hie das „Europa“ der Rüstungskartelle, dort der Bolschewismus: an diesem Entweder-Oder krankt nicht nur die katholische Volkspartet Frankreichs, sondern, alles in allem, auch der französische Parlamentarismus. Daher die Furcht vor Entscheidungen und das immer wieder zutagttretende „schlechte Gewissen“.

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