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Digital In Arbeit

Rechnung ohne den Wirt

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Eine Wiener Zeitung schließt ihren Bericht über die Tagung der sozialistischen Parlamentsabgeordneten, die kürzlich in Wels stattfand, mit folgendem Satz: „Pittermann hat am frühen Freitagnachmittag gut gelaunt Wels verlassen.“

Dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Österreichs, wie jedem Mitmenschen, sei die gute Laune herzlich gegönnt. Besser wäre es, wenn man sich ihm anschließen, wenn man seinen Optimismus mit gutem Gewissen feilen könnte. Das kann man aber nicht, auch wenn man nicht unbedingt zu jenen „Rechtsextremisten“ gehört, die dieser wendige, sich in allen Windungen und Krümmungen der Tagespolitik und der politischen Taktik heimisch fühlende Politiker gerade überjisten will, wie er schon Unzählige vor ihnen, von der gegnerischen wie von der eigenen Partei, überlistet hat. Nein, man braucht kein „Rechtsextremist“ zu sein, um sich als Bürger dieses Staates, schlicht und einfach als Österreicher, betroffen zu fühlen und Sorgen zu machen wegen der eingeschlagenen Marschroute, die Pittermann und seine Propagandisten auf diese einfache Formel bringen: „Rückkehr zur Arbeit — so oder so". Denn sieht diese „Rückkehr žtfr Arbeit“ in Wirklichkeit aus?

Über die Affäre Habsburg spricht heute kein Mensch mehr. Es sei trotzdem gestattet, daran zu erinnern, daß die Kontroverse über den Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes, zusammen mit den daran geknüpften gänzlich unbewiesen gebliebenen Mutmaßungen im Frühsommer dieses Jahres, der Gruppe Pittermann als gerade gut genug erschien, diesen Meinungsstreit, den man mit einigem guten Willen gewiß unschwer hätte beilegen können, so zu dramatisieren, daß er zum Ausgangspunkt einer der schlimmsten innenpolitischen Krisen der Nachkriegszeit wurde. Schon hier wurde es deutlich: Politiker, die so handeln, beweisen nicht nur, daß sie ihrer selbst nicht ganz sicher sind und ihre verschiedenen Komplexe, die, historisch und auch rein menschlich gesehen, berechtigt oder unberechtigt sein können, auf ihre Umwelt projizieren, sondern sie zeigen damit auch, daß ihnen die wirklich aktuellen Sorgen und Probleme, welche die Gesamtheit der Staatsbürger betreffen, wie Tauschobjekte erscheinen, mit denen man Vorteile, wenn es geht, einhandelt, die man aber auch eine Weile ruhig liegen läßt. Dringend ist nur, was man gerade haben will. Alles andere ist Nebensache.

Nach einer Pause, die durch die Urlaube bedingt war, wiederholte sich das Ganze mit nur zum Teil veränderter Rollenbesetzung. Diesmal kamen die „Rechtsextremisten“ der ÖVP an die Reihe. Wer waren sie, wer sind sie? Schon seit den Wahlen im vergangenen November wetterleuchtete es am sozialistischen Firmament, wenn gewisse Namen genannt wurden. Interessanterweise waren es immer nur Andeutungen ganz allgemeiner Art sowie rein subjektive und auch als solche kaum seriös zu nennende Werturteile, die man im Zuammenhang mit dieser neuen Blickrichtung der SPÖ-Propa- ganda hören konnte. Man hörte erstmalig die seither sattsam bekannte Theorie von der „Abwanderung der Rechtsextremisten“ von dem rechten Flügel der FPÖ zum rechten Flügel der ÖVP und ähnliches mehr. Wer ist aber im gegebenen Fall ein Rechtsextremist? Derjenige, der eine Koalitionsregierung anstrebt, in der die Sozialisten nicht vertreten sind? Die Definition ist falsch, denn eine solche Politik wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen gewiß höchst unklug, ja gefährlich, aber „rechtsextremistisch“ müßte sie noch nicht unbedingt sein. Es gibt noch achtbare Demokratien, wo die Sozialisten nicht am Ruder sind. Man hätte also den Begriff „Rechts- fKttetffiftfftK“ tttit Hirte der Hffwtische Parallelen der letzten vierzig Jahre genauer definieren müssen. Das geschah aber nie, im Gegenteil. Gerade diejenigen, die bereit waren, den Behauptungen nachzugehen und ihren eigenen Standpunkt, wenn es sich als notwendig erweisen sollte, darnach zu revidieren, mußten immer wieder feststellen, daß sie von den lautesten Rufern, wenn es um die Beweise ging, im Stich gelassen wurden. Der Rechtsextremist erwies sich als ein Mensch aus der Retorte, der Monarchist, Austrofaschist und zugleich ein glühender Anhänger Hitlers sein konnte. Jedermann weiß, daß es das alles und noch viel mehr im einzelnen gibt. Nur alles das zusammen gibt es kaum oder zumindest höchst selten.

Durch diese grobschlächtige Propaganda wurde in höchst unkluger oder aber in zynischer Weise eine ganze Wertskala durcheinandergeworfen: die Wertskala jener, die Politik und Moral voneinander nicht trennen können und wollen, auch dann nicht, wenn es um neue Definitionen geht, die hinter der gegnerischen Front Zwietracht säen sollen. Um den Preis der Moral, des politischen Anstandes, sollte das niemand versuchen, dem die Sache der rechtsstaatlichen Demokratie nicht nur ein Lippenbekenntnis ist.

Dasselbe gilt, sogar noch in höherem Maß, für die Anbringung von Namensschildern auf dem Watschenmann, „Rechtsextremist". Viele Bürger dieses Staates diesseits und jenseits der Parteigrenzen wären brennend interessiert gewesen, zu erfahren, womit dieser oder jener Politiker es verdient haben sollte, Rechtsextremist genannt zu werden. Welches Gericht hat ihn verurteilt,' in welcher Nachbarschaft gilt er als verfemt, als übel beleumdet, wo hegt man Groll gegen ihn, weil er sich in gewissen Zeiten für die Opportunität des Tages entschied? Niemand soll sich einbilden, daß er sich in solchen Angelegenheiten so leicht auf den Richterstuhl hinaufschwingen kann. Aber vielleicht gibt es offensichtliche, . allgemein schon als solche angenommene Kriterien in diesem oder jenem Fall, die die Bezeichnung „Rechtsextremist“ als berechtigt erscheinen ließen. Bis heute konnte man von solchen Begründungen kein Wort hören, nicht einmal andeutungsweise.

Mit dieser diskreten Behandlung der soeben noch in der Öffentlichkeit pauschal gröbstens Verunglimpften hat man sich selbst und seine Methoden in Mißkredit gebracht. Und damit zugleich auch die Methoden der demokratischen Diskussion überhaupt, die Möglichkeit des politischen Ideenwett bewerbes, die Chancen der Toleranz in der Demokratie. Mit einem Wort: das leichtfertige Hantieren mit dem Wort „Rechtsextremist" könnte am Ende noch Rechtsextremisten schaffen, und das wollen wir doch alle nicht.

Man kann aber hier vielleicht einwenden, daß der Erfolg manche Entgleisung des politischen Stils, der Methode, rechtfertigen kann. Hat aber der neue Stil der SPÖ bereits Anfangserfolge aufzuweisen? Für die über alles gestellte Taktik keineswegs, denn man hat den am meisten gefürchteten Gegnern, mit denen man sich nicht einmal gern an einen Tisch setzen will, sicher zum Erfolg verhelfen, und heute ist man drauf und dran, die etwas locker gewordene Einheit der gegnerischen Führungsspitze mit wuchtigen Hammerschlägen wieder zusammenzuschweißen. Die deutliche Absage Hartmanns an die Spekulanten über eine grün-rote Koalition, der offene Brief Raabs an Pittermann und schließlich, aber nicht zuletzt, der offen ausgebrochene Krieg auf niederösterreichischem Boden zwischen Olah und Figl sprechen da eine deutliche Sprache.

Man hat aber dafür, könnte man wieder entgegnen, die FPÖ sicher in der Tasche. Der Leser der „Neuen Front", des offiziellen Organs dieser

Partei, wird daran nicht zweifeln. Die Anbiederung an den Pittermannschen Kurs ist da zuweilen recht penetrant. Inzwischen hat man den Klubobmann und Sprecher in Europafragen dieser Partei aus dem Parlament entfernt — er war kein besonderer Freund des neuen Kurses hüben wie drüben — und als Botschafter nach Straßburg geschickt. Wer die jüngsten Äußerungen de? sozialistischen Sprechers in Integrationsfragen Czernetz und die oft genug geäußerte Meinung Dr. Gredlers über denselben Themenkreis kennt, wird sich mit einiger Verwunderung fragen, wie denn einmal die Kleine Koalition eine Koordinierung dieser Ansichten zustande bringen soll. Nicht viel anders scheint es in manchen anderen Fragen zu stehen, die bei ihrer Welser Tagung die sozialistischen Sprecher aufgezählt haben und die angeblich als Ultimatum an die Adresse der ÖVP gelten. Eine „rasche“ Einigung in Fragen der europäischen Integra on. der Wirtschaftsprogrammierung und des Budgets sei unter anderem der Prüfstein der Worte, mit denen sich die führenden Politiker der Volkspartei zur Fortsetzung der Zusammenarbeit in der Koalition bekennen. Werden die neuen Koalitionspartner in spe, die Freiheitlichen, ihrerseits schon vorher das Papier unterschreiben müssen, über das man mit ihnen dann anschließend „verhandeln“ will? Für den „Gewinn“ einer Partnerschaft, die unter solchen Voraussetzungen entstehen soll, muß man keinen der Partner beneiden.

Es geht aber hier gar nicht um Erfolg oder Mißerfolg, Gewinn oder Verlust in materiellem Sinn. Die Große Koalition ist gewiß nicht sakrosankt, sie soll auch nicht für alle Zeiten bestehen. Es wäre um eine Partei übel bestellt, wenn sie die Rolle der Opposition nicht übernehmen könnte, ohne Gefahr zu laufen, daß damit ihre letzte Zukunftschance verwirkt ist. Einer in der parlamentarischen Opposition stehenden Partei können sogar in ganz beträchtlichem Maß neue Kräfte zuwachsen, und niemand kann im voraus sagen, ob das nicht gerade im vor uns liegenden Fall leicht eintreten könnte.

Die eigentliche Kritik am neuen Kurs der SPÖ, deren Führungsspitze sich ja in Wels dem Willen des „Führers“ lückenlos unterordnete, meint da etwas ganz anderes. Besorgniserregend und befremdend ist einzig und allein die Art und Weise, mit der sich hier Spitzenpolitiker und langjährige Regierungsmitglieder über die öffentliche Meinung ihres Landes, die sie zu verachten scheinen, hinwegsetzen. Sie lassen Leitartikel schreiben, die in geradezu aufreizender Weise dem am Vortage noch Behaupteten widersprechen. Sie rechnen offenbar mit der Dummheit und Vergeßlichkeit der Bürger, die bei den nächsten Wahlen dann schön brav gemäß der letzten Lautstärke der Wahlpropaganda wählen werden. Kann ein Politiker in der Demokratie gegen einen Großteil der öffentlichen Meinung regieren? Täte er das, dann machte er die Rechnung ohne den Wirt, denn selbst wenn ihm der äußere Erfolg nicht versagt bliebe, müßte man ihm vorwerfen, daß er diesen Erfolg zu teuer erkauft habe. Das Vertrauen der Staatsbürger, auch das unausgesprochene, uneingestandene Vertrauen der politischen Gegner, ist für einen auf der politischen Bühne der Demokratie Agierenden unentbehrlich. Es lehrt ihn, seine eigenen Grenzen und Möglichkeiten zu-erkennen, seine Politik, die selbstverständlich eine Politik vor allem seiner Partei sein muß, den Ilmweltsverhältnissen anzupassen — was keineswegs Kompromiß- lertum und Grundsatzlosigkeit bedeuten soll. Ein Politiker, der zum Beispiel mit der Exekutive des Landes zu tun hat, muß wissen, daß die Öffentlichkeit auf alles, was aus jener Richtung kommt, und sei es eine kleine Änderung an der Uniform, ein Streik oder eine plötzliche Amtsenthebung, äußerst empfindlich reagiert. Die dreißiger Jahre sind noch vielen in guter Erinnerung. Man hat damals genug „kleine administrative Maßnahmen" und „organisatorische Umgruppierungen im internen Bereich“ erlebt, um zu wissen, daß manchmal aus solchen Bagatellen das große Übel erwuchs — manchmal, selbstverständlich. Aber die Nervosität ist da, auch wenn sie mit Vernunftgründen nicht ganz zu rechtfertigen wäre. Man ist nicht froh darüber, daß manches gerade im Bereich der Polizei zu abrupt geschieht und die Rechtfertigung in der Öffentlichkeit erst versucht wird, nachdem die Scherben schon herumliegen. Umgekehrt und nach dem guten alten Brauch der — zumindest versuchten — Verständigung über den Zaun wäre es besser gewesen.

Wird Österreich ein Obrigkeitsstaat? Das fragen jetzt manche. Ein Staat, in dem das Recht zwar vom Volke kommt, wo aber die Politiker die Fähigkeiten dieses Volkes, mitzureden und mit zu beurteilen, in fataler Weise zu gering einschätzen? Die Frage ist berechtigt, sie täglich zu stellen ist Recht eines freien Staatsbürgers, der sich darin vom Untertan einer Tyrannei unterscheidet. Achten wir auf seine Stimme, auf sein Wohlbehagen, auf seine manchmal vielleicht nur unbewußten Ängste! Nicht der, der den Teufel — im anderen — an die Wand malt, erwirbt Verdienste um die Freiheit und die Demokratie, sondern derjenige, der den Autokraten, den Menschenfeind; die Versuchungen der Macht auch in den kleinsten Anfängen bei sich selbst bekämpft. Er muß das nicht allein tun, man hilft ihm dabei. Er sollte nur im offenen Wort den Beweis des Vertrauens sehen, das man ihm — noch immer — gerne entgegenbringt

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