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Gespräch in Permanenz

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FURCHE: Herr Doktor, Sie haben vor beinahe einem Dreivierteljahr den Vorsitz der Sozialistischen Partei übernommen. Präsentiert sich nach Ihrer Auffassung die Sozialistische Partei heute „anders“ als an dem Tag, an dem die Delegierten des Parteitages in die Stadthalle hineingegangen sind?

KREISKY: Das ist eine Frage, die eigentlich anderen zu stellen wäre als mar und die auch andere besser beantworten könnten. Ich kann nur über meine Absicht, über meine Intentionen reden. Wovon bin ich ausgegangen? Ich bin davon ausgegangen, daß ich eindeutige Klarheit darüber schaffen wollte, daß es zwischen der österreichischen Sozialdemokratie, das heißt, der Sozialistischen Partei Österreichs und der Kommunistischen Partei, keinerlei Beziehungen und Berührungspunkte gibt. Ich habe das nicht aus einer opportunistischen Grundhaltung heraus getan, sondern habe mich auf Grund der politischen Logik dazu entschlossen.

Die zweite große Aufgabe, die ich damals vor mir sah und dauernd vor mir sehe, ist die: Die Sozialistische Partei hat sich im Jahre 1958 ein gutes Programm gegeben. Es begann damit das, was ich den Reideologisierungsprozeß in der Politik nennen möchte und für den ich eintrete. Ich glaube nämlich, daß vor allem die jungen Menschen, wenn sie aufgerufen werden, eine politische Entscheidung zu treffen, die Möglichkeit haben sollen, zu prüfen, was die Parteien wollen. Die politische Frage, die junge Menschen stellen, die in zehn, fünfzehn Jahren unter Umständen entscheidende Funktionen ausüben, ist: Was kommt jenseits des Wohlfahrtsstaates? Darauf muß die Sozialistische Partei eine Antwort geben. Jetzt sind wir im Begriff, unter Aufbietung aller intellektueller Ressourcen, die wir haben, ein wirtschaftliches Strukturprogramm für Österreich auszuarbeiten. In Wirklichkeit wird dieses Strukturpro-grarnm das Wirtschaftsprogramm der Sozialistischen Partei Österreichs in dieser und für diese Zeit sein. Drittens, um nur die wichtigsten Fragen zu nennen, bin ich der Meinung, wenn es einen Dialog zwischen Kirche und Kommunismus geben soll, muß es auch eine Gesprächssituation mit dem Demokratischen Sozialismus geben.

Nicht ignoriert

FURCHE: Als Sie zum Parteivorsitzenden gewählt wurden, wurden gewisse innerparteiliche Gegensätze sichtbar: ein Gegensatz zwischen der “Wiener Parteiorganisation und den acht anderen Bundesländerorganisationen, ein gewisser ideologischer Rechts-Links-Gegensatz, eine bestimmte eigene Position der sozialistischen Fraktion im Gewerkschaftsbund. Wie haben sich diese innerparteilichen Gegensätze entwickelt?

KREISKY: Ich bin nicht der Meinung, daß ich jetzt Gegensätze, die es gegeben hat, nach dem Grundsat2 „Gar net ignorieren“ behandeln soll ich bin auch nicht der Meinung, dal: ich etwas zu beschönigen habe. Aber es ist wirklich für mich ein großes persönliches Erlebnis gewesen, mit welcher Wärme und mit welche: Sympathie ich anläßlich des Gewerkschaftskongresses von der Sozialistischen Fraktion, der weitaus größter dieses Kongresses, in ihrer interner Sitzung empfangen wurde. Darübe] hinaus kann ich nur noch sagen, dal sich mit dem Präsidenten Benya ii den letzten Monaten eine äußers positive sachliche Zusammenarbei ergeben hat; zum Beispiel sind ddi ökonomischen Versammlungen eii Beweis dafür, denn ohne Benya; Zustimmung hätte ich nie diesi große Zahl von Ökonomen zur Ver fügung gehabt, die ja alle von de Kammer und den Gewerkschaft«

oder zumindest zum größten Teil von dort kommen.

Was die Wiener Partei betrifft, so möchte ich sagen, daß ich gleich nach meiner Wahl von der Mehrheit der Wiener Partei erfahren habe, daß sie sich auf den Boden der

Tatsachen stellt und daß ich auch ihr Parteivorsitzender bin. Und seitdem gehe ich von Bezirk zu Bezirk, habe überall die angenehmsten und besten Erfahrungen gemacht und werde nächste Woche bei der großen Tagung der Wiener Partei das politische Referat halten. Was den Klub der Sozialistischen Abgeordneten betrifft: Hier wird ja auch immer wieder versucht, einen Gegensatz zwischen mir und Pittermann herauszuarbeiten (wobei ich natürlich nicht leugnen will, daß es zwischen uns oft Meinungsverschiedenheiten in der Vergangenheit gegeben hat, weniger in der Gegenwart). Der Klub hat, ohne das ich irgend etwas dazugetan hätte, es als selbstverständlich betrachtet, mich einzuladen, das politische Referat bei der Kluibtagung zu halten. Ich will nicht sagen, daß ich zufrieden bin, ich will hier nicht eine billige Zufriedenheit markieren, sondern ich will mehr als das sagen, daß ich sehr froh und glücklich darüber bin, daß es mir gelungen ist, in den Gremien der Partei ein sachliches Klima der Zusammenarbeit herzustellen und

diejenigen, die sich der Hoffnung hingeben, daß das nicht so wäre, werden eben eine herbe Enttäuschung erleben.

Anpassen müssen!

FURCHE: Sie haben von dem notwendigen Reideologisierungsprozeß gesprochen, der mit dem Programm 1958 eingesetzt hat. Muß sich dieser Reideologisierungsprozeß nicht auch in einer Neuorganisation der Bü-dungsarbeit niederschlagen? Können sich diese Initiativen, die Sie hier genannt haben, nur auf die intellektuelle Elite der Partei beschränken, muß das nicht auch in die Apparate hinunterdringen? Und sehen Sie da nicht eine Notwendigkeit, neue Strukturformen zu finden?

KREISKY: Ich bin sehr dankbar, daß Sie das sagen, weil Sie damit eine Überlegung anstellen, die ich

Dann bitte ich Sie aber zu verstehen, iaß man gerade in organisatorischen fragen — es sagt sich so leicht: der Apparat, aber der Apparat, das sind :ben Menschen, die in Wirklichkeit mter großen persönlichen Opfern ier Bewegung seit Jahren, oder als

junge Menschen seit kurzem, mit großer Begeisterung dienen — nicht einfach die, Leute hin und her schieben kann, man muß behutsam umgehen. Aber Sie haben recht, die Partei wird natürlich sich auch in ihren Arbeitsformen diesen neuen Aufgaben anpassen müssen. Wir haben es bei der Presse begonnen, wir werden es in den zentralen Apparaten sicher fortsetzen.

Ich glaube, daß die Art der Öffentlichkeitsarbeit der Soziaiistischen Partei sich ändern muß. Dann wird man auch die wichtigste Aufgabe, oder das, was ich als die wichtigste betrachte, nämlich die der politischen Erziehung der Menschen, auch die Art, wie man die Menschen konfrontiert mit der politischen Realität, wie man ihnen die eigenen Absichten näherbringt, modernisiert werden. Es ist ja grotesk, daß wir heute überall in der Welt ganz neue Formen der Bildungsarbeit haben — man spricht heute von der lernenden Gesellschaft —, und wir als eine moderne Partei bedienen uns altmodischer Methoden. Darüber werden wir uns natürlich den Kopf gründlich zerbrechen. Aber es ist viel, das alles auf einmal machen zu wollen, besonders schwierig in diesem Herbst, in dem eine Million Menschen in Österreich zur Wahl gehen.

Keine übertünchten Wände

FURCHE: Sie haben bereits das Gespräch zwischen der Sozialistischen Partei Österreichs und der Kirche erwähnt. Zu welchem Zwischenergebnis hat dieses Gespräch bisher geführt und welches sind die nächsten Etappen, die Sie ansteuern?

KREISKY: Als erstes bin ich der Meinung, daß wir uns noch gar nicht um substantielle Ergebnisse bemühen sollten, sondern das wichtigste ist eine Gesprächssituation zu schaffen — und zwar keine, bei der man versucht, dem andern nach dem Mund zu reden. Ich glaube also, daß, wenn es Mißverständnisse gegeben hat, sie nicht übertüncht werden sollen, sondern daß man sie festzustellen hat, damit sie beseitigt werden könn-.n. Mit dem Übertünchen ist das so wie mit einer feuchten Hausmauer. Man malt sie schön an, und nach ein paar Tagen kommen die schmutzigen, feuchten Flecke wieder hervor. Viel besser ist, man saniert das auf eine andere Art. Die Gesprächssituation soll geschaffen werden, sie soll klar, sie soll eindeutig sein, sie soll hart sein und sie

soll vor allem von jungen Menschen geschaffen werden, weil dann die emotionelle Belastung etwas kleiner ist, die ein Gespräch oft stört.

Schließlich soll man in der Gesprächssituation auch Bilanz darüber ablegen, wie weit wir uns entwickelt haben. Das ist ein unglaublicher Prozeß, der da vor sich geht, allein in der sozialistischen Bewegung. Es kann da und dort noch Schwierigkeiten geben, aber daß diese Gleichberechtigung aller Sozia-

listen als Programmpunkt gilt, scheint mir eine wichtige Voraussetzung zu sein.

Und drittens hätten wir dann darüber zu reden, wie wir dann dort, wo wir aufgerufen sind, jeder für uns zu handeln, zur Koordinierung kommen könnten. Ich möchte ein Beispiel anführen, das mir sehr wichtig in der Zeit von heute scheint, nämlich die weitgehende Übereinstimmung zwischen der letzten Sozialenzyklika und den sozialdemokratischen Programmen zum Beispiel über den Grundsatz der Gleichheit, der ja in immer steigendem Maße zu einem tragenden Leitmotiv der modernen Politik wird. In der Innenpolitik ist das ziemlich deutlich sichtbar.

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