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Was der ÖVP nottut.
Bevor ich versuche, eine Antwort auf die im Titel zum Ausdruck kommenden Frage zu geben, scheint es mir vor allem notwendig zu sein, zwei Feststellungen zu treffen, bei denen es sich eigentlich gar nicht so sehr um Feststellungen als vielmehr um Erkenntnisse handelt, die an und für sich ein ganz selbstverständlicher Bestandteil des Denkens und Handelns jedes Funktionärs der ÖVP sein müßten:
Bevor ich versuche, eine Antwort auf die im Titel zum Ausdruck kommenden Frage zu geben, scheint es mir vor allem notwendig zu sein, zwei Feststellungen zu treffen, bei denen es sich eigentlich gar nicht so sehr um Feststellungen als vielmehr um Erkenntnisse handelt, die an und für sich ein ganz selbstverständlicher Bestandteil des Denkens und Handelns jedes Funktionärs der ÖVP sein müßten:
Da ist zuerst einmal die Erkenntnis, daß eine Legislaturperiode in der Dauer von vier Jahren keineswegs ein besonders langer Zeitraum ist, der womöglich die Ausrede rechtfertigen würde, man könne sich Zeit lassen, man habe ja noch vier lange Jahre vor sich. Jeder, der je an verantwortlicher Stelle in der Politik tätig war, weiß nur zu genau, daß die vier Jahre einer Legislaturperiode wie im Fluge vergehen und daß sich von diesen vier Jahren sowieso nur die beiden ersten Jahre für eine wirklich fruchtbare Arbeit eignen, da die zweite Hälfte erfahrungsgemäß bereits durch die kommenden Wahlen überschattet wird.
Es soll daher — um es noch einmal mit aller Deutlichkeit auszudrücken, niemand kommen und sagen, die ÖVP und ihre Führung könnten sich durchaus Zeit lassen, da sie ja noch fast vier Jahre vor sich hätten. Davon kann keine Rede sein, und wer so argumentiert, lügt sich nicht nur selbst in den Sack, sondern er gefährdet damit eine systematische und konsequente Arbeit der Partei und ihrer Führung in ganz gefährlicher Weise.
Die Arbeit von Partei und Führung wird nur dann von Erfolg begleitet sein, wenn sie unmittelbar nach den letzten Wahlen beginnt und wenn sie nicht erst im Angesicht des nächsten Nationalratswahltermines einsetzt.
Die zweite Erkenntnis, die der ersten an Bedeutung keineswegs nachsteht und die nach meiner Meinung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, ist die folgende:
Ich hoffe sehr, daß sich alle maßgeblichen Funktionäre der ÖVP darüber im klaren sind, daß den Wahlen des Jahres 1979 eine Bedeutung zukommen wird, wie dies bisher noch niemals bei Nationalratswahlen — ich nehme hier nur die Schicksalswahlen vom 25. November 1945 aus — der Fall war.
Entweder werden die Wahlen im Jahre 1979 die große Wende bringen, oder die sozialistische Herrschaft in Österreich wird für weitere zehn Jahre oder für einen noch größeren Zeitraum verlängert werden. Jeder Österreicher muß sich darüber im klaren sein, daß bei den Wahlen im Jahre 1979 darüber entschieden wird, ob das Tor zum schwedischen Weg Österreichs endgültig und dann für lange Zeit unwiderruflich aufgesto-
ßen und damit den österreichischen Sozialisten die Möglichkeit gegeben wird, diesen Weg mit letzter Konsequenz bis zum bitteren Ende zu gehen.
Wieder Führungsdiskussion?
Ich bin durchaus zuversichtlich, daß es möglich sein wird, Österreich diesen Weg zu ersparen, wenn die ÖVP — denn nur sie ist befähigt, den sozialistischen Vormarsch aufzuhalten — drei Voraussetzungen erfüllt:
Die erste und fürs erste wahrscheinlich auch die vordringlichste Voraussetzung ist, daß es keine wie immer geartete Führungsdiskussion geben darf. Ich habe es am eigenen Leib zu spüren bekommen, was es bedeutet, wenn vom ersten Tag an Zweifel an der Fähigkeit der neuen Führung angemeldet werden, wenn es etwa heißt, es handle sich ja doch nur um ein Provisorium und keineswegs um einen definitiven Zustand. Es soll mir niemand kommen und sagen, das hätten nur mehr oder weniger gut gesinnte Journalisten erfunden! Jeder auch nur halbwegs erfahrene Politiker weiß nur zu genau, aus welchen Quellen die Journalisten schöpfen. Das, was mir 1970 widerfuhr, blieb auch meinem Nachfolger in der Funktion des Bundes-parteiobmannes, Karl Schleinzer, nicht erspart. Ich warne dringend davor, das gleiche Spiel jetzt womöglich wieder von neuem zu beginnen.
Josef Taus wurde auf dem a. o. Bundesparteitag vom 31. Juli 1975 mit überwältigender Mehrheit und mit großer Begeisterung zum Bundesparteiobmann gewählt. Wir alle, die wir Taus am 31. Juli 1975 unsere Stimme gaben, haben damit nicht nur unser Vertrauen zum Ausdruck gebracht, sondern wir haben durch diese Stimmabgabe auch zugleich unsere Bereitschaft zu treuer Gefolgschaft in guten und in bösen Tagen erklärt.
Daß die Euphorie der ersten Wochen verflogen ist und daß mittlerweile wieder der graue, nüchterne Alltag in die Kärntnerstraße eingezogen ist, hat verschiedene, uns allen nicht unbekannte Ursachen.
Hatten wir wirklich ernstlich annehmen können, daß die erste Euphorie, die durchaus verständlich, wenn auch keineswegs ohne weiteres erklärbar war, dauernd anhalten werde und daß die eben erst gewählte neue junge Führung der ÖVP einen alten, mit allen Wassern gewaschenen Routinier wie Bruno Kreisky beim ersten Sturmangriff einfach von heute auf morgen aus dem Sattel heben werde? Es war noch immer so, daß dann, wenn die Erwartungen übermäßig hoch waren, auch die Enttäuschung entsprechend groß sein mußte.
Jetzt befinden wir uns alle nach den Tagen und Wochen der Euphorie des August 1975 wieder auf dem Boden der nüchternen Tatsachen. Wir werden dieser Tatsachen um so eher Herr werden, wenn wir Josef Taus und Erhard Busek jene Gefolgschaft zuteil werden lassen, die ihnen versprochen wurde und wenn wir ihnen Zeit zur Bewährung lassen. Die Geduld mit den eigenen führenden Funktionären war leider nie eine besonders ausgeprägte Eigenschaft im Funktionärskorps der ÖVP.
Ein Mann, dem in seiner beruflichen Laufbahn aber schon gar nichts geschenkt wurde und der es aus kleinsten Anfängen heraus infolge seiner Tüchtigkeit zum Generaldirektor der zweitgrößten Bank Österreichs gebracht hat, hat damit wohl auch den besten Befähigungsnachweis für eine Betätigung im
öffentlichen Leben und in der Politik erbracht.
Die zweite Voraussetzung: Der ÖVP wurde am 5. Oktober 1975 vom Wähler für weitere vier Jahre die Rolle der Oppositionspartei zugewiesen. Es liegt im Interesse der parlamentarischen Demokratie, daß die ÖVP diese Rolle in optimaler Weise wahrnimmt.
Die vor den Wahlen bekundete Bereitschaft zur Zusammenarbeit nach den Wahlen ist durch die Wahlentscheidung vom 5. Oktober 1975 hinfällig geworden.
Was die zwei Millionen Wähler der ÖVP heute von ihrer Partei mit Recht erwarten, ist eine entschiedene und, wenn es sein muß, auch eine harte Oppositionspolitik.
In den ersten Monaten unmittelbar nach den Wahlen vom 5. Oktober 1975 glaubten weite Kreise der ÖVP-Wähler und -funktionäre, daß die Partei und vor allem der Parlamentsklub der ÖVP der erwarteten Rolle nicht gerecht geworden seien. Ich schließe mich dieser Meinung an.
Um so dringlicher ist die Forderung zu erheben, daß die ÖVP die Sozialisten, die von der Macht, die sie nunmehr seit sechs Jahren innehaben, sehr bewußt Gebrauch machen, dann und dort gebührend in die Schranken weist, wo dies im Interesse der parlamentarischen Demokratie geboten erscheint. Eine bei selbstverständlicher Wahrung
der Grundsätze der Fairness harte Opposition und Kritik der immer überheblicher werdenden Sozialisten ist ein Gebot der Stunde.
Kein schwedischer Weg!
Die dritte Voraussetzung: Es kann gar nicht früh genug damit begonnen werden, eine echte Alternative gegenüber den Sozialisten aufzuzeigen. Dem Volk muß in einer Sprache, die der Universitätsprofessor genauso versteht wie der Arbeiter und der Bauer, vor Augen geführt werden, wohin der Weg der Sozialisten und wohin jener der ÖVP führt. Es darf der Bevölkerung nicht verschwiegen werden, daß der schwedische Weg, den unsere Sozialisten zum Teil schon heute gehen und den sie erst recht mit eiserner und letzter Konsequenz gehen würden, wenn ihnen der Wähler dazu noch einmal im Jahre 1979 die Möglichkeit böte, unweigerlich zu einer immer größeren Einschränkung des Freiheitsraumes des Menschen und zu einer immer stärkeren Kollektivisierung führen müßte.
Demgegenüber hat die ÖVP aufzuzeigen, daß auch sie selbstverständlich für einen Staat eintritt, der für eine weitere Mehrung des Wohlstandes und der Sicherheit der Bevölkerung besorgt ist. Eine Partei, die womöglich diesen Grundsatz vernachlässigte, bat nicht die geringste Chance, vom Wähler jenes Maß an Vertrauen zu bekommen, das sie in-
standsetzt, Regierungsverantwortung zu tragen.
Ich rede aber nicht nur von dieser ausgesprochenen Selbstverständlichkeit, sondern davon, daß die ÖVP zusätzlich dazu die Eigenverantwortlichkeit des Menschen nicht in Frage stellt, daß sie nicht versucht, dem Menschen das Denken und das Handeln abzunehmen und ihn in allem und jedem zu bevormunden; und daß sie sich auch nicht scheut, klar und deutlich auszusprechen, daß die Leistung noch immer die unumgängliche und durch nichts zu ersetzende Voraussetzung für den Wohlstand und auch für das Wohlbefinden des Menschen ist und daß sich daran nichts ändern wird.
Je früher die ÖVP darüber Klarheit schafft, daß es ihr mit den vorstehend aufgezählten Voraussetzungen ernst ist und je eher sie keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß die Führung die ungeteilte Zustimmung und die volle Unterstützung der ganzen Partei findet, wenn es darum geht, eine harte Oppositionspolitik zu betreiben und zugleich mit Blickrichtung Nationalratswahlen 1979 eine echte Alternative aufzuzeigen, dann wird nach der Euphorie der ersten Wochen nach der Wahl der neuen Parteiführung und der dieser Euphorie folgenden Ernüchterung jene Stimmung in der Partei einkehren, die die solide Grundlage für jene ruhige und systematische Arbeit ist, die einzig und allein der Garant dafür sein wird, daß im Jahre 1979 jene Wende herbeigeführt werden kann, die die unumgängliche Voraussetzung dafür ist, daß die sozialistischen Bäume nicht in den Himmel wachsen und daß die Fortentwicklung einer wirklich freiheitlichen parlamentarischen Demokratie in Österreich für alle Zukunft gesichert ist.
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