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Wirtschaftspolitik muß Vorrang haben

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Ab 24. November wird es ernst... es wird, ja es muß sich einiges ändern. Nur eine breite parlamentarische Basis wird imstande sein, die wirklichen Probleme dieses Landes zu lösen.

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Ab 24. November wird es ernst... es wird, ja es muß sich einiges ändern. Nur eine breite parlamentarische Basis wird imstande sein, die wirklichen Probleme dieses Landes zu lösen.

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Keine Frage. Österreich hat sich im internationalen Wettbewerb der westlichen Industriestaaten einigermaßen erfolgreich gehalten. Wer - wie dies manchmal geschieht - alles miesmacht, der liegt nicht richtig.

Aber umso wichtiger ist eine ehrliche Analyse der Schwachstellen. Denn wir könnten noch viel besser dastehen:

• Wenn der Traum von der glückseligmachenden Allmacht des Staates und der öffentlichen Hand endlich ausgeträumt wäre.

• Wenn die leistungswilligen und leistungsfähigen Österreicher das Gefühl hätten, daß sich Anstrengung wieder lohnt.

• Wenn wir wieder mehr auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit Wert legten, statt uns zum Vorreiter für Gruppenegoismen zu machen.

• Wenn wir zur Kenntnis nähmen, daß viele Bürger dieses Landes der gehässigen Auseinandersetzung

überdrüssig sind und auf eine konkrete Lösung der anstehenden Probleme warten.

Fromme Wünsche? Das muß nicht sein! Wir haben die Chance ...

Die Schwachstellen liegen wie blutende Wunden offen zutage.

• Die Arbeitslosigkeit ist nicht das Ergebnis einer Konsumsättigung, sondern in erster Linie durch unzureichende Qualifikation der Arbeitsuchenden bedingt.

Hunderte Unternehmen suchen Facharbeiter und finden sie nicht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Die Ausbildung hat sich an den Erfordernissen einer modernen Wirtschaft zu orientieren, nicht umgekehrt. Wer jungen Menschen anderes sagt, der nährt nur Illusionen.

• Der Staatshaushalt droht endgültig aus den Fugen zu geraten (siehe Kasten). Schon in absehbarer Zeit könnte die Netto-Neuverschuldung des Bundesbudgets ausschließlich für den Zinsendienst, also die Zinszahlungen für die Staatsschulden, gebraucht werden. Eine Schreckensvision.

Wir müssen das Budget konsolidieren. Tausende Betriebe mußten in der Rezession der siebziger Jahre ebenfalls die Kosten durchforsten, sie mußten „abspecken“, um überleben zu können. Bei Vater Staat fehlt dieser schmerzhafte Prozeß noch.

Die Folge davon ist ein Hochsteuerland, in dem viele versuchen, Steuerwiderstand zu leisten. Die Leistungswilligen resignieren immer häufiger: „Warum soll ich mich für den Finanzminister anstrengen?“. Das kann man Immer wieder zu hören bekommen.

Dieser Satz ist jedoch der Anfang vom Ende einer modernen Industriegesellschaft, in der Wohlstand und Einkommen nur erhalten werden können, wenn man sich im weltweiten Wettbewerb mit Leistung bewährt.

Österreich braucht eine industrielle Offensive. Es braucht Neugründungen, Menschen, die sich selbständig machen, heimische Betriebe, die Zweigwerke gründen, ausländische Investoren, die sich für den Standort Österreich entscheiden.

Das sagt sich leichter als es erreicht werden kann. Denn die Grundvoraussetzungen dafür sind:

1. Sozialer Friede und die Erhaltung der Sozialpartnerschaft;

2. Verzicht auf die Vorreiterrolle und Musterknabenfunktion bei Arbeitszeitverkürzung und weiteren Erhöhungen der Lohnnebenkosten.

Denn wir alle werden an den Weltmärkten gemessen, nicht an unseren mehr oder minder liebenswerten Eigenschaften des wirklichen oder vermeintlichen Nationalcharakters.

Die politische und wirtschaftliche Realität der vergangenen 16 Jahre hat uns wahrlich „Schulbeispiele“ ins Haus geliefert.

• Das Märchen von der „übergeordneten“, Arbeitsplatz sichernden Funktion der vielzitierten Gemeinwirtschaft hat sich prompt als solches erwiesen.

• Arbeitsplätze gingen dennoch verloren.

• Der Staatshaushalt kann diese Zusatzbelastungen nicht mehr verkraften.

• Ganze Regionen drohen der Entin-dustrialisierung zum Opfer zu fallen, weil jetzt die betriebswirtschaftlich notwendigen Konsequenzen gezogen werden müssen.

Die vernünftigen Politiker in den sogenannten traditionellen Parteien wissen natürlich Bescheid. Unter Fachleuten gibt es kaum noch Meinungsverschiedenheiten über die dringend notwendigen Lösungsansätze.

Aber wie reagiert der Wähler? Diese Frage wird naturgemäß in diesen Tagen besonders häufig gestellt. Die Österreicher haben schon vielfach bewiesen, daß sie sich - allen Versprechungen und Augenauswische-reien der letzten Jahrzehnte zum Trotz - einen gesunden, natürlichen ökonomischen Hausverstand bewahrt haben.

Nicht zuletzt die jüngste Bundespräsidentenwahl war ein Beweis dafür, daß taktisch-politische Versprechungen bei der überwiegenden Mehrzahl der Bürger nur mehr auf verständnisloses Kopfschütteln stoßen.

Wird die Vernunft siegen?

Wird dem Wähler endlich reiner Wein eingeschenkt?

Die Chance ist da, wenn wir als Wähler auch anderen die Chance geben. Es muß sich vieles äridern in diesem Österreich. Das spüren die Menschen. „Neokonservatismus“ heißt der Gegenvorwurf jener, die für die bisherige Entwicklung verantwortlich zeichnen. So einfach darf man es sich allerdings nicht machen.

Die Österreicher wußten schon immer, daß man nicht versprechen soll, was man nicht halten kann. Dazu bedurfte es keiner Plakate auf Dreieckständern.

Ändern muß sich etwas. Im Rahmen einer vernünftigen Politik, auf breiter Basis. Mag die Unzufriedenheit mit den „etablierten Parteien“ noch so groß sein, von den Grünen, wer immer dann dort nach einem Mandat strebt, ist kein Ausweg zu erwarten.

Die abtretende Koalition hat ebenfalls keine Meisterstücke geliefert, dazu war auch die parlamentarische Basis zu schmal.

Die Politik Österreichs in den kommenden Jahren wird teilweise recht unpopulär sein müssen. Aber der Bürger hat begriffen, daß es so wie bisher nicht weitergeht.

Wer daher jetzt für eine breite Zusammenarbeit eintritt, der muß noch kein „Packelei-Freund“ sein.

Oder wissen Sie einen Weg, wie man mit hauchdünner Mehrheit die

vielen erwähnten Schwachstellen beseitigt?

Man darf sich die Zusammenarbeit nicht verteufeln lassen. Österreich ist mit diesem Rezept schon einmal, in schweren Zeiten, sehr gut gefahren. Jedenfalls beginnt ab dem 24. November 1986 der Ernst des politischen und wirtschaftlichen Lebens.

Wer am Tag zuvor zu Hause bleibt, überläßt anderen die Entscheidung. Wer sich politisch für die Randgruppen entscheidet, der verzichtet auf die dringend notwendige Lösung.

Wir haben die Wahl.

Die Programme sind da. Der gute Wille könnte sich durchsetzen, wenn wir die Weichen stellen. Für eine Wende, ein Umdenken ...

Sich wenden, das heißt „abwenden“ vom bisherigen Weg der gehegten Illusion.

Denn der rauhe Wettbewerbswind bläst uns ins Gesicht.

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