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Die Stimmung ist schlechter als die Lage

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Zu Jahreswechsel 1987/88 präsentiert sich Österreich in einer eigenartigen Mischstimmung: Die Vorfreude auf das Weihnachtsfest bzw. auf das kommende Jahr ist durchsetzt mit Komponenten einer kritischen, pessimistischen, ja teilweise resignativen Grundhaltung. Vor allem in der sogenannten veröffentlichten Meinung, also in den Medien, kann man nahezu Tag für Tag bissige, zynische, ironische, alles in Frage stellende und eigentlich von Lebensangst geprägte Kommentare und Leitartikel lesen.

Das zu Ende gehende Jahr war von einer Fülle von Hiobsbotschaften gekennzeichnet. Daß es beispielsweise der Verstaatlichten Industrie dieses Landes nicht gut geht, war hinlänglich bekannt. Wie dramatisch die Malaise allerdings bereits ist, das hat sich erst in den letzten Monaten herausgestellt und versetzt den Steuerzahler deshalb in Angst und Schrecken, weil er der Hauptleidtragende dieser Entwicklung mit Dutzenden von Milliarden Schillingen an Subventionen im Staatshaushalt ist.

Dazu kommt die Diskussion über die Finanzierbarkeit - oder, besser gesagt, Unflnanzierbarkeit - unseres sozialstaatlichen Gefüges. Die Pensionen sind ins Gerede geraten, und das ist bekanntlich in einem Staatsge-füge, in dem sich bereits mehrere Generationen im Hinblick auf ihren Lebensabend auf die gesetzliche Altersvorsorge verlassen haben, eine schlimme Entwicklung. Dazu kommen eher triviale Themen wie die Frage, ob es hierzulande überhaupt noch gelingt, 24 Flugzeuge für die Luftraumüberwachung in Österreich zu stationleren.

Auch von einer geplanten Steuerreform Ist Immer wieder die Rede, wobei frühzeitige Äußerungen diverser Politiker dazu führen, daß der Diskussionsprozeß eher zur Verunsicherung des Bürgers als zur Vorfreude auf ein modernes Steuerreformwerk führt.

Es Ist wahrscheinlich primär die von den Medien nicht unwesentlich unterstützte „Geschwätzigkeit“, also der Drang vieler Politiker und Verantwortlicher aus anderen Institutionen, um jeden Preis „in der Zeitung zu stehen“, die uns den Überblick über die tatsächlichen Entwicklungen in unserem Lande so schwermacht.

Dennoch sollten wir den Mut haben, festzustellen, daß die Stimmung in Österreich interessanterweise derzeit wesentlich schlechter ist als die tatsächliche Lage. Gerade wir in der Industrie können - mit Ausnahme großer Teile der Verstaatlichten Industrie - überwiegend auf ein sehr erfolgreiches Jahr hinweisen. Nun heißt das keineswegs, daß ein durchschnittlicher österreichischer Industriebetrieb im ausgehenden Jahr 1987 keine Probleme hätte. Der internationale Wettbewerb prüft uns alle täglich. Nur wer rechtzeitig mit einer nachhaltigen Modernisierung der Produktion beginnt, nur wer rechtzeitig überlegt, welche Produkte von morgen die Märkte übermorgen verlangen werden, der hat langfristig eine Überlebenschance. Aber wir können auf das Erreichte in der österreichischen Privatindustrie durchaus stolz sein. Nach wie vor halten wir bei den wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen mit bedeutenden Industriestaaten des Westens mit.

Was uns allerdings etwas besorgt macht, das ist die Tatsache, daß wir in der Industrie sehr oft allein gelassen werden. Übermäßige Bürokratien, verkrustete Gesetzesbestimmungen, unflexible Politiker sowie viele andere Hemmnisse behindern eine dynamische Entwicklung Tausender österreichischer Industriebetriebe in Richtung Europareife. Und Österreichs Ankoppelung an die Dynamik der EG ist überfällig.

Dabei würden wir gerade jetzt den frischen Wind der Internationalisie-rung dringend brauchen. Nicht nur bei uns in den Betrieben, sondern vor allem in der Verwaltung sowie in den sogenannten geschützten Sektoren, in den staatlichen Monopolen, in jenen Bereichen also, wo keineswegs jener Wettbewerb herrscht, wie wir ihn aus dem industriellen Alltag täglich gewohnt sind.

Die gegenwärtig regierende Große Koalition hat sich sicherlich ein großes Reformwerk vorgenommen, und dieses ist auch dringend notwendig, denn das von Ihr vorgefundene wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische Erbe in diesem Lande war keineswegs ermutigend. Eine Regierung auf breiter Basis - was kann also noch passieren?

In einer pluralistischen Demokratie kann man sich auf das Zusammenzählen von hohen Stimmenprozenten nicht mehr verlassen. Viele kleinere politische Gruppierungen auf den beiden Rändern des politischen Spektrums versuchen jetzt Ihr Süppchen mit der Welle der Unzufriedenheit und der Resignation zu kochen. Sie versprechen, daß im Falle ihrer Wahl unpopuläre Maßnahmen nicht getroffen werden. Sie versprechen die Sicherheit von Pensionen, obwohl sie genau wissen, daß dieses Land um eine grundlegende Pensionsreform aus rein finanziellen Gründen im Staatshaushalt nicht mehr herumkommt. Wer jetzt noch verspricht, dem sollte man mit Vorsicht begegnen.

Es Ist zu Jahreswechsel üblich, an die Sensibilität, die Spendierfreudigkeit, den Familiensinn und vor allem aber an den Optimismus zu appellieren. Vielfach bleiben diese Appelle, manchmal gedankenlos dahergesagt, leere Worthülsen. Wir in der Gemeinschaft des Betriebes sollten den Jahreswechsel als eine Zäsur bewußt in unser Denken miteinbeziehen. Es ist kein Zufall, daß sehr viele Unternehmen parallel zum Kalenderjahr Bilanz ziehen. Sie geben sich und ihrer Umgebung Rechenschaft über das, was Unternehmensleitung und Mitarbeiter in einem Jahr zustande gebracht haben, was sie an Problemen lösen konnten, aber auch darüber, wo sie -aus welchen Gründen immer - gescheitert sind. Ähnlich geht es der Politik und dem Staatsganzen. Auch dort wird in regelmäßigen Abständen Bilanz gezogen, und auch dort muß festgestellt werden, daß vieles nicht gelungen ist. Das Nichtgelingen ist menschlich, es sollte uns allerdings beflügeln, Im kommenden Jahr dem Gelingen näherzukommen. Keiner von uns Jedoch würde es verstehen, wenn ein von uns gemachter Fehler oder ein nicht erzielter Erfolg dazu führten, daß man uns als Person fallen läßt und den Glauben an uns verliert.

Just diesen Anspruch auf Vertrauensvorschuß hat aber auch unser gesamtes Gemeinwesen. Auch dort kann eine negative Bilanz nicht dazu führen, daß man sich vom System des Gemeinwesens, also von einer parlamentarischen Demokratie, angewidert verabschiedet.

Über all diese Zusammenhänge sollten wir gerade zu diesem Jahreswechsel besonders Intensiv nachdenken, weil uns ja 1988 ein sogenanntes und in den Medien vielzitiertes „Gedenkjahr“ bevorsteht. In wenigen Monaten werden wir Gelegenheit haben, anhand der Geschichte der letzten fünf Jahrzehnte nachzuvollziehen, was es heißt, wenn ein Gemeinwesen, wenn eine Volkswirtschaft, ja wenn ein ganzes Volk den Glauben an sich selbst aufgeben und Spielball anderer werden. In innerer Zerstrittenheit kann man keine Probleme lösen. Deshalb sollte man so wie im Privatleben und Im Umgang innerhalb des Unternehmens auch als politischer Bürger darauf achten, daß der Hang zur Polarisierung zurückgenommen und daß wieder der Dialog im Lande möglich wird. Die Problemliste für Diskussionen und Lösungsversuche Im kommenden Jahr ist länger als genug. Zynische Resignation ist schon angesichts des bisher Erreichten unangebracht. Jetzt heißt es einmal mehr: Wir gehen es auch Im kommenden Jahr wieder anl

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