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Unternehmen Osterreich

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Probleme lassen sich vor allem nur durch harte und unspektakuläre Arbeit lösen. Das ist in der Wirtschaft so wie es im Staat sein sollte. Daher plädiert der Autor, wie in einer guten Firma auch im Staat betriebswirtschaftlich vorzugehen: das Unternehmen Österreich.

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Probleme lassen sich vor allem nur durch harte und unspektakuläre Arbeit lösen. Das ist in der Wirtschaft so wie es im Staat sein sollte. Daher plädiert der Autor, wie in einer guten Firma auch im Staat betriebswirtschaftlich vorzugehen: das Unternehmen Österreich.

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Sind unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unsere Politik auf dem richtigen Weg? Wir sind alle aufgefordert, das zu überdenken, vor allem aber zu überlegen, was von unseren Wertmaßstäben auch in Zukunft Bestand haben wird. Dabei werden Maßstäbe, die sich an der bestehenden Ordnung orientieren, jedoch nicht versuchen, der Zukunft gerecht zu werden, einer Verbesserung der Situation im Wege stehen.

Es gilt, eine paradoxe Situation klar herauszustellen: In unseren theoretischen Überlegungen empfinden wir ein Unbehagen, verändern jedoch unser Verhalten nicht entsprechend. Auf Unternehmensebene wird in solchen kritischen Situationen eine neue Positionierung formuliert und realisiert. Der Erfolg dieses Ansatzes legt es nahe, diese Vorgangsweise analog auf den Staat als Ganzes zu übertragen.

Kann man aber einen Staat als Unternehmen ansehen? Stellen Sie sich einmal zu mir und betrachten Sie Osterreich unter diesem Blickwinkel. Es werden sich überraschende Perspektiven ergeben.

Ich bin davon überzeugt, daß diese Betrachtungsweise viel zu leisten vermag und vor allem einen unschätzbaren Vorteil hat: Sie kann in die Praxis umgesetzt werden, wobei man Methoden, die sich unzählige Male bewährt haben, verwenden kann.

Diese Betrachtungsweise ist den meisten Menschen von ihrem täglichen Handeln her vertraut, sie vermeidet den Hang zum Spekulativen und Unbeweisbaren. Wert- und Zielvorstellungen müssen instrumental gemacht werden. Wir wären also etwa gezwungen, darauf zu antworten, was uns die Erhaltung der Umbal-f alle wert ist oder die persönliche Freiheit, keinen Sicherheitsgurt anlegen zu müssen.

Begriffe wie Rationalisierung, Konkurrenz oder Arbeitsplatzsicherung dürfen dann nicht als verabsolutierte Werte mißbraucht werden. Sie müssen sich an der konkreten Problemstellung messen lassen. Die derzeitige Praxis führt nämlich zu Strukturversteinerungen und zur Verzögerung und Verteuerung von Sanierungsmaßnahmen, wie viele Beispiele aus jüngster Vergangenheit zeigen.

Schließlich wäre ein „Unternehmen Osterreich” eine geistige und moralische Herausforderung

— auch zu Ehrlichkeit trotz kommender Wahlen.

- Zunächst einmal müßte — wie für jedes andere Unternehmen auch - Klarheit über die Ziele des Unternehmens Österreich erzielt werden: Gibt es eine zentrale österreichische Firmenidee, die als Kristallisationspunkt für Identifikation dienen kann? Hier wäre festzustellen, was uns als Österreicher eigentlich an Grundanliegen verbindet.

Und weiters: Mit welchen Produkten wollen wir diese Ziele erreichen?

Um dies festlegen zu können, müßten folgende Fragen beantwortet werden:

Wo liegen unsere Stärken und wo unsere Schwächen? So werden etwa Anpassungsfähigkeit und Improvisationstalent des Österreichers auf dem Beratungs- und Engineeringsektor besonders nützlich sein, aber auch bei kundengerechten Kleinserien mit hoher Wertschöpfung und auf dem Wartungssektor.

Aus diesen Einsichten läßt sich ableiten, welche menschlichen Kapazitäten wir in den nächsten Jahren benötigen und welche Qualität.

Oder die Frage: Ist die Aufbau-und Ablauforganisation des Unternehmens Österreich bestmöglich zur Erfüllung der Ziele geeignet? Wo ist etwa die föderative

Peter Goldscheider (Foto Archiv)

Struktur sinnvoll und wo ist sie nur Ausrede für Verwaltungshypertrophien? Die gleiche Problematik besteht auf dem Gebiet der Sozialversicherung.

Der Behandlung dieses Fragenkomplexes sollen umfassende Untersuchungen gewidmet sein. Dabei soll durchaus nicht eine rosarote Harmonisierung oder Konfliktverdrängung betrieben werden. Die Dialektik der Machtstrukturen und der Argumente muß sich entfalten können. Konflikte müssen ausgetragen werden und die getroffenen Entscheid düngen dienen dann als Fixpunkte einer kontinuierlichen Planung.

Alle Änderungsvorschläge müssen auch die damit verbundenen Kosten enthalten. Es ist sehr leicht, moralisch zu sein, wenn jemand anderer die Kosten trägt. Sind wir etwa bereit, die Kosten aus dem Verzicht auf Waffenexport gemeinsam zu tragen?

Das sind Gretchenfragen, die sehr schnell klarmachen, ob die Identifikation mit dem Unternehmen Österreich bei der eigenen Brieftasche haltmacht.

Wir beklagen heute die Auflösung jedes Zusammenhalts, die Sinnentleerung, die Auf schauke-lung jedes Sachproblems zum Po-litikum, den Verlust von Leitvorstellungen und ethischen Grundwerten, die Arroganz der Mächtigen, aber auch das sinnlose Opponieren.

Das alles ergibt sich aber zwangsläufig, wenn wir ein Menschenbild forcieren, das total aus dem Gleichgewicht geraten ist. Verstand, Gefühl und Willen sollten in einer vernünftigen Balance sein, um den Aufgaben gerecht zu werden. Hier wäre ein Appell zum Umdenken an die Massenmedien zu richten. Die heute betriebene

Idolatrie führt zu stumpfsinniger Nachahmung falscher Leitbilder.

Diese Leitbilder weisen stets eine Hypertrophie eines Bereiches auf Kosten der beiden anderen auf: nichts gegen Sport, aber alles gegen die Sporthysterie und den Starkult; nichts gegen die Kunst, aber alles gegen eine Kunstbetrachtung, die beim Künstler jedes Maß verloren hat; nichts gegen eine sinnvolle Bewertung von Politikern und Managern in den Medien, aber alles gegen eine Schwarz-Weiß-Zeichnung, die die Rolle des einzelnen maßlos überschätzt.

Dies sei am Beispiel des Managers erläutert. Auch hier gilt das Gauß'sche Gesetz: Es gibt sehr wenige Genies und sehr wenige

Versager, aber einen sehr breiten Mittelbereich. Hoffnung auf Geniestreiche haben daher fast immer einen Anflug von Hysterie an sich. Denn Probleme lassen sich vor allem durch harte und unspektakuläre Arbeit lösen.

Somit mögen einfache Patentrezepte zur Lösung aller Probleme vielleicht kurzfristig falsche Hoffnungen wecken, sie müssen aber sehr bald an der Komplexität der Realität scheitern.

Damit möchte ich aber auch nicht der „Diktatur des Sachzwangs” das Wort reden. Wie im Einzelunternehmen brauchen wir auch im Unternehmen Österreich schöpferische Phantasie und kühne Utopien. Wie im Einzelunternehmen sind Einstellung wie „Das haben wir immer so gemacht” oder „Das kann nicht gehen” Feind jeder Innovation. Wie im Einzelunternehmen bedarf es der dialektischen Auseinandersetzung von Kreativität und Pragmatismus.

Natürlich gibt es unzählige Einwände gegen den Ansatz, Österreich als Unternehmen zu betrachten: Die Entfremdungsprozesse in einem modernen Staat seien noch wesentlich größer als in einem Großunternehmen. Der Zusammenhalt sei nicht einmal mehr in kleinen Einheiten (Familie, Gemeinde) herzustellen. Wie könne das dann in einem Staat funktionieren?

Es werde an gutem Willen fehlen. Die Interessen der politischen Parteien liefen gerade konträr, weil sie ein fast artgleiches Produkt so unterscheidbar wie möglich verkaufen wollten. Das führe doch zwangsläufig zur Polarisierung.

Weiters sei Österreich doch von den Einflüssen der Weltwirtschaft abhängig, die drängenden Probleme lägen doch nicht in der Einzelwirtschaft eines Landes (das wäre doch nur ein neuer Egoismus), sondern in Fragen der Nord-Süd-Problematik...

Es gibt sicher noch eine Fülle von Argumenten, die zweifellos Gewicht hätten. Sie alle aber lassen sich in zwei Gruppen einteilen: in Glaubensargumente und Sacheinwände.

Die Glaubensargumente, von denen ich weiter oben einige angeführt habe, können wir getrost vergessen. Es handelt sich dabei um die klassische Situation, die sich bei der Einführung jedes neuen Produkts unternehmensintern ergibt. Manche (vor allem die, die mitgearbeitet haben)' glauben an den Erfolg, andere halten ihn für unmöglich. Dann wird das Projekt in einer Auseinandersetzung beschlossen oder verworfen.

Wieviel in diesem Zusammenhang Glaubensfrage ist und bleibt, mag man daraus ersehen, daß oft Jahre später keine Einigkeit darüber besteht, ob die Entscheidung sich bewährt hat oder nicht.

Von den Sacheinwänden scheint mir ein einziges wesentlich zu sein, nämlich der Vorwurf der Kirchturmpolitik. Ich glaube auch, daß sich die hier vorgestellten Überlegungen auf die weltweite Situation übertragen lassen, ja übertragen werden müssen.

Was ich hier jedoch vor allem vorschlage, ist eine Einstellungsänderung. Und die sollte man erst bei sich selbst vollziehen, bevor man auf die Straße predigen geht.

Zur Entwicklung zukunftsträchtiger Konzepte gehört der Wille zur Konfliktbewältigung. Dieser entsteht, wenn jeder seine Rolle spielt, aber akzeptiert, daß das ganze Stück nicht aus einer einzigen Rolle besteht. Wenn das Unternehmen Österreich florieren soll, dann muß man sich dieser Aufgabe stellen. Ab jetzt und dann ständig.

Dr. Peter Goldscheider ist Vorstandsdirektor der Zürich-Kosmos-Versicherung.

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