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Mitbestimmung und Realität

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Mitte Februar traf ein illustrer Kreis von Vertretern der christlichen Soziallehre aus dem deutschen Sprachraum in der Katholischen sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach zu einem wissenschaftlichen Gespräch über die Mitbestimmung zusammen. Der Hintergrund gab stets die bundesdeutsche Problematik der umstrittenen Ausdehnung der paritätischen Mitbestimmung auf alle großen Aktiengesellschaften ab. Vorträge und Diskussionen dieser Tage sollen in Buchform erscheinen. Dem wissenschaftlichen Charakter des Gespräches wäre es daher abträglich, nun schon namentlich signierte Äußerungen oder gar Ergebnisse der Diskussion wiedergeben zu wollen. Daher sind die folgenden Gedanken unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Veranstaltung aus dem Erleben des Teilnehmers heraus verlaßt und haben das Merkmal persönlicher Reflexionen. Sie stellen mehr eine Aneinanderreihung von Bemerkungen dar, denn schon eine kritische Würdigung des ganzen Fragenkomplexes an Hand der Diskussion.

Von Gefühlen bestimmt

1. Die Befürworter der erweiterten Mitbestimmung sind stark sozial engagiert, um nicht zu sagen, von Gefühlen her bestimmt.

Die Bedeutung von Eigentum und Arbeit als Produktionsfaktoren und darum Ordnungsfaktoren der Wirtschaft wird von ihnen grundsätzlich anerkannt. Daß eine Partnerschaft der, Vertreter derselben in der wirtschaftlichen Kooperation auch eine gewisse Unabhängigkeit voneinander voraüssetzt, daß es echte notwendige Gegensätze der Interessen beider geben kann, die dann im Zusammen- spiel zu überwinden sinid, wird konzediert. Daß auch die Eigentumsfunktion von Menschen getragen wird, also auch Unternehmer Menschen sind, wird schließlich auch eingestanden. Dennoch folgt dann der letztlich nur im Irrationalen be- grünAbare Schluß: „aber die Arbeit erscheint uns doch als das menschliche bedeutsamere, wir wollen sozial sein und geben daher trotz allem der Arbeit (den Arbeitnehmern) den Vorrang und stellen uns auf ihre Seite.”

2. Wer die einseitige Betonung dieser sozialen Vorrangstellung der Arbeit nicht mitmacht, gerät in Gefahr, als „Verteidiger des Eigentums” abgestempelt zu werden. Durch eine gewisse einseitige Publicity gewinnen die Vertreter der erweiterten Mitbestimmung das Ansehen des fortschrittlichen Denkens, sie hätten Vorschläge, um im derzeitigen Trenid eines oportunistischen Progressismus, der weltweit immerhin mehr dem Sozialismus günstig sei und gegen den Kapitalismus laufe auch die katholische Soziallohre zeitnah zu entfalten.

Die „katholische Version der Sozialisierung”

3. Dahinter steht aus altem Resentiment gegen den „god damned capitalism” das Verlangen, die katholische Soziallehre wieder als eine Alternative dazu ins Gespräch zu bringen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Distanz zum Sozialismus dann zu gering würde, weil das Ärgere noch die Verdächtigung erschiene, dem Kapitalismus zugeneigt zu sein. Sozialisierung durch Verstaatlichung wird abgelehnt, hat inzwischen auch im demokratischen Sozialismus an Anhängern sehr verloren, so versucht man eine katholische Version der Sozialisierung durch Mitbestimmung als dritten Weg in der Wirtschaftsordnung einzuschlagen.

4. Ein wichtiges Motiv für die Erweiterung der Mitbestimmung ist die Demokratisierung von Betrieb und Wirtschaft. Auch diesem Ziel weht der Wind dm Zeitgefühl heute günstig. Man ist sich zwar der Grenzen einer betrieblichen Demokratie bewußt und sieht daher die praktische Durchführung der Demokratisierung des Betriebes durch die Mitbestimmung nur in der Wahrnehmung derselben von außen wieder her durch die Gewerkschaften als möglich an. Auch an der Situation der Beschäftigten in den Klein- und Mittelbetrieben würde sich kaum viel ändern, wird zugegeben, aber prinzipiell sei eben ein mehr an Demokratie erreicht. Bevor katholischerseits nichts getan würde, um die Gesellschaftsform in Richtung auf die Demokratie hin voranzutreiben, hätte man wenigstens den Versuch gemacht, durch legistisch verordnete Institutionen, also paritätisch besetzte Aufsichtsräte, der Demokratie in der Wirtschaft eine neue Bresche zu schlagen.

Das Ziel: partnerschaftliche Mitbestimmung

Wie sehr hier Mitbestimmungsideologie vertreten wird, dürfen die folgenden Gegenüberlegungen zu diesen Punkten angesichts der sozialökonomischen Realität zeigen.

1. Nicht alles, was aufs erste sozial ausschaut, muß auf die Dauer vor einem allseitig verwirklichten Gemeinwohlziel bestehen können. Die ökonomische Realität lehrt uns doch, daß ein Höchstmaß an Produktivität, verbunden mit einem Höchstmaß an menschlicher Freiheitsentfaltung, weder in einer vom Kapital her noch von der Arbeit her einseitig organisierten und beherrschten Wirtschaft zu finden ist. Erst ein Höchstmaß an freier Konkurrenz sichert höchste wirtschaftliche Effektivität — siehe die Versuche, den Markt auch in den kommundstisdien Wirtschaften des Ostens einzubauen! Die Bändigung und Ordnung dieser Konkurrenz unter der politischen Leitungsgewalt des Staates setzt aber die Interessenlage, wie Interessenkooperation der Vertreter von Kapital und Arbeit voraus. Nicht die paritätische, sondern die partnerschaftliche Mitbestimmung kann daher das Ziel in der Ordnung der Wirtschaftsgesellschaft sein!

Die angesichts der weltweiten Gemeinwohlnot (Entwicklungsländer!) und der unverminderten Wünsche nach weiterer Steigerung des Lebensstandards in den entwik- kelten Staaten ungeheuren Erfordernisse an Investitionen bedürfen ein Höchstmaß an Kapitalbildung. Dieses kann nur entweder im freien Wettbewerb oder durch Zwangsmaßnahmen geschehen. Daher ist jede angeblich sozial motivierte Maßnahme zur Entfunktionalisierung des Eigentums und zur Begründung einer Übermacht der Arbeit wett- bewerbsfeinidlich und sozdalökono- misch in Wahrheit unsozial! Sie führt namens der Erzielung wenigstens eines politisch geforderten Produktivitätsminimums schließlich zur Zwangswirtschaft.

2. Von prominenten katholischen Vertretern der erweiterten Mitbestimmung wird zugegeben, ein Naturrecht auf Mitbestimmung seitens der Arbeit liege nicht vor, auch Sei sie nicht gesellschaftsnotwendig, wenn auch sehr wünschenswert. Es sei nun zu überlegen, warum gerade diese Idee öffentlich als progressiv so hochgespielt wird, wo sonst eher die katholische Soziallehre in ihrer konkreten Aussagefähigkeit von progressistischen Kreisen gering geschätzt wird. Ob hier nicht sehr stark Tendenzen eines Zeitopportunismus vorliegen? Und gerade sin solcher ist in Wahrheit auf die Dauer alles andere als dynamisch-fortschrittlich! Die christliche Soziallehre wird nicht anders können, als Wahrheiten auch dann zu vertreten, wenn sie gerade nicht anzukommen scheinen. Heute ist die Betonung der Sozialfunktion des Eigentums für die sozialökonomische Entwicklung in einer gesicherten und freien Zukunft beziehungsweise die Betonung der hohen realen ökonomischen Aufgabe und Verantwortung der organisierten Arbeit eher das Gebot der Stunde, als ein billiges Unterstützen der wirtschaftlichen Machtansprüche gewisser gewerkschaftlicher Kreise.

Lösung von einem Schlagwort

3. Interesse und Profit bedürfen der Kontrolle, um Ausschreitungen zu verhindern, sind aber an sich durchaus sittlich erlaubte Haltungen, in der Wirtschaft geradezu unentbehrlich. Wenn es nicht der Nutzen möglichst aller ist — einzeln sowohl als in ihrer Zuordnung auf das wirtschaftliche Gemeinwohl — dann bestimmt diesen Nutzen die Willkür einer Gruppe oder eines Systems! Wir müssen uns daher endlich vom Schlagwort des bösen Kapitalismus lösen, unter dem oft audi ein freies Wirtschaftssystem verurteilt wird, in dem nichts anderes erstrebt wird, als dem Eigentum seine ökonomische und soziale Funktion zu überlassen! Ebenso kann nicht Sozialismus heißen, was der Arbeit in der Wirtschaftsordnung ihren gleichberechtigten Platz als Ordnungsfaktor zuweist. Katholische Wirtschaftsethik sucht nicht einen dritten Weg, sondern den sozialökonomisch richtigen Weg jeweils zu weisen!

4. Schließlich stammt alle menschliche Kulturleistung aus der Arbeit diese ist Quelle jeglichen wirtschaftlichen Wertes. Das schließt aber nicht das Recht auf Eigentums- bildung aus und das Recht, durch den Arbeitsvertrag bestimmte Arbeitsleistungen für den vereinbarten gerechten Lohn, sofeme er der Würde der menschlichen Person in der Arbeit nicht widerspricht, zu verlangen. Die Argumentation in Fortsetzung der Marxsahen Arbeits- wertlehre (Ricardo!), daß jede Arbeit an fremden Eigentum über den Arbeitsvertrag hinaus bereits ein Mitbestimmungsrecht an dieser produktiven Eigentumssache beinhalte, würde, konsequent durchdacht, zu einem betrieblichen Räte- system führen, im Sinne von „Alle Macht den Räten”!

Es gibt nun Funktionen im gesellschaftlichen Leben, die sich nicht demokratisieren lassen, und dazu gehört wesentlich die unternehmerische Funktion selbst. Es ist auch bezeichnend, daß Wünsche nach einer so gestalteten wirtschaftlichen Demokratie immer von außen in die Arbeiterschaft getragen wurden und gar nicht ihrer sozialer Interessenlage in Realität entsprechen. In erster Linie wünscht der Arbeitnehmer als Mitarbeiter geachtet zu werden, neben der gerechten Behandlung vor allem den gerechten Lohn zu erhalten, Mitsprache in allen Dingen des Arbeitslebens selbst zu besitzen. Die Zeit, die er im Betrieb verbringt, die Abhängigkeit auch von einem bestimmten Betrieb nimmt immer mehr ab. Es trifft auch nicht zu, daß die Masse der Arbeitnehmer in Großbetrieben beschäftigt ist, die ja allein einer paritätischen Mitbestimmung über die Aufsichtsräte zugänglich sind.

Nicht auf ein Nebengleis!

Was ist angesichts dieser ideologisch bestimmten Situation der Diskussion zu tun?

Die ganze Diskussion scheint durch ihre starke Ideologisierung auf ein Nebengeleise zu führen. Wichtige Potenzen der katholischen Soziallehre sind in diese Diskussion so verstrickt, daß viel wichtigere und realistischere Fragen gesellschaftlicher Reform zu kurz kommen und der Eindruck entsteht, alles hänge von der verstärkten Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb, nämlich an seiner unternehmerischen Leitung ab. Dabei sind die wirtchaftlichen Erfordernisse angesichts ler gegenwärtigen Lage solchen Experimenten heute alles andere lenn günstig. Es müßte daher die iskussion sowohl betriebswirt- ;chaftlich wie volkswirtschaftlich tiel sachlicher geführt werden.

In erster Linie aus sogenannten lozialen Aspekten genommene Argunente können vor der sozialökono- nischen Realität nicht hinwegäuschen. Auch sollte man sich nicht ler Täuschung hingeben, daß das ?chte Problem der Kontrolle wirtschaftlicher Macht beim heutigen Stand der wirtschaftlichen Entwicklung sowohl national wie international ein viel größeres Instrumentarium an gesellschaftlichen und staatlichen wie überstaatlichen Kontrollen verlangt. Darüber ausführlich su diskutieren, wäre für die katholische Soziallehre besonders ver dienstvoll.

Nicht ins nachbarliche Schlepptau geraten!

Der Diskussion hinderlich wäre auf jeden Fall die Identifikation der sozialreformerischen Gedanken einer katholischen Soziallehre mit einem bestimmten, in legistischer Vorbereitung befindlichen gewerkschaftlichen Modell der Mitbestimmung in Deutschland. In Österreich sollten wir aus der Verenigung der Horizonte angesichts dieser Diskussion dort beizeiten lernen und die wahren Anliegen der wirtschaftlichen demokratischen Entwicklung angesichts der ökonomischen Realitäten und bei Erhaltung der wirtschaftlichen Ordnungsfunktionen ernstlich prüfen und in ein Gesamtkonzept partnerschaftlicher Wirtschaftsordnung ein- ordnen. Wir sollten aber vermeiden, in das Schlepptau der bundesdeutschen Mitbestimmungsdi’skussion zu geraten. Dabei kann uns die viel realistischere Sicht dieser Probleme im angelsächsischen Raum nur nützlich sein.

Wenn, abgesehen von der erweiterten Mitbestimmung über die Besetzung der Aufsichtsräte, in der Diskussion von einem Höchstmaß an betrieblicher Mitbestimmung seitens der Arbeitnehmer und der Erhaltung der unternehmerischen Funktionen gesprochen wird, dann anerkennen die Vertreter der erweiterten Mitbestimmung das sofort, sind aber von ihrer speziellen Idee so fixiert, daß sie die weiten Möglichkeiten sozialer Mitbestimmung in den Betrieben selbst kaum erörtern. Hier müßte nun von der Gestaltung der Betriebsverfassungen her unsererseits eingesetzt werden. Es gäbe einen so weiten Bereich, die Anteilnahme der Arbeitnehmer am betrieblichen Geschehen von der Information bis zur sozialen Mitgestaltung der Arbeitsverhältnisse im Betrieb, bis zum Mittragen an pro- duktivitäts- und daher auch lohnorientierten Maßnahmen zu erörtern, daß eine umfassende Diskussion darüber sowohl auf seiten der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber anzustreben wäre.

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