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Digital In Arbeit

Das „natürliche Recht“

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Gewiß denken nicht alle Befürworter der paritätischen wirtschaft- ichen Mitbestimmung genau wie üefeller und Brenner. Sein Modell nit Kontrolle, Abberufung, Bestel- ung der Führungskräfte auf Zeit nüßte dem Einsatz ’der Persönlich- seit im Wege stehen, ohne die eine lochqualiflzierte U nter nehmerf unk- tion nicht denkbar ist. Es ist ja kein Geheimnis, daß hochqualifizierte Unternehmerfunktion schon längst »ine Mangelware ist. Die Unterschätzung der Unternehmerfunktion seitens der Befürworter der paritätischen wirtschaftlichen Mitbestimmung legt die Vermutung nahe, laß sie eine Vorstellung von Unter- nehmensführung haben, nach der diese sozusagen nach einer vorberechneten Automatik abläuft, wie etwa eine auf festen Geleisen dahin fahrenden Straßenbahn gesteuert wird.

Noch ein letzter Einwand von Vogt: Falsch sei auch, schreibt er, wenn ich behaupte, „die paritätische Mitbestimmung würde als ein .natürliches Recht bezeichnet“. Überraschenderweise beeilt sich aber Vogt, sogleich anzufügen, „natürliches Recht“ sei „die Mitbestimmung im allgemeinen Sinne des Wortes“; „diese reicht aber von Informationsrechten über Mitsprache- und Mitwirkungsrechte bis zur qualifizierten und paritätischen Mitbestimmung“. Also spricht gerade er doch von einem natürlichen Recht auf paritätische Mitbestimmung.

Mein Argument zielt auf die Frage der geforderten gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung und auf die Frage der naturwchtlichen Grund-lagen einer solchen Regelung ab. Darum sagte ich: Wenn die paritätische . Mitbestimmung „wie ein natürliches Recht des Arbeitnehmers gefordert wird, so ist vergessen, daß alle natürlichen Rechte ohne Ausnahme auf sittliche Verpflichtungen lm Sinne konkreter Gewissensverantwortung zurückgehen. Eine solche Grundlage für das angeblich natürliche Recht (und nur als solches könnte es, weil in die Gemeinwohlverantwortung des Staates fallend, Gegenstand der Gesetzgebung sein) ist bisher nicht bewiesen worden“.

Die vier Hauptforderungen

Erstrangiges Ziel der Wirtschaftspolitik ist die Beschäftigungs- und Einkommenssicherung für die Arbeitnehmerschaft — zum Unterschied von der beherrschenden Stellung der Gewinnchancen des Kapitals in der individualistisch- liberalistischen Wirtschaft.

Infolge der Ranghöhe der Arbeit als Ordnungsprinzip muß sich ihre Ordnungsfunktion auf die gesamte Arbeitnehmerschaft erstrecken. Deren Mitverantwortung und Mitbestimmung muß daher die Steuerung des Gesamtwirtschaftsprozesses betreffen.

Der Vorrang des Ordnungsprinzips der Arbeit hat keine Abwertung anderer gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien zur Folge, vor allem nicht des Gemeinwohlprinzips. In ihm ist das Eigentumsprinzip und die Sozialfunktion des Eigentums begründet. Bei der überbetrieblichen Mitbestimmung ist die Sozialfunktion des Eigentums voll gewahrt. Anderseits ergibt sich für die Stellung der Arbeit bei dieser überbetrieblichen Mitbestimmung die volle Gleichberechtigung mit dem Eigentum. Zugleich bleibt der Vorrang der Arbeit als Ordnungsprinzip gewährleistet, weil der an die Eigentumsinstitution gebundene geordnete Wettbewerb für die Verwirklichung der Sozialfunktion des Eigentums und damit für die untergeordnete, zum Dienste am Wohl aller bestimmte Stellung des Eigentums sorgt.

Zu dieser überbetrieblichen kommt die innerbetriebliche Mitbestimmung. Sie ist gefordert durch die Personwürde des Arbeitnehmers und ist für seine unmittelbare Per- sönlichkeitserfüllung in seiner Berufsarbeit ausschlaggebend. Diese Mitbestimmung ist zu verwirklichen in der echten betrieblichen Sozialpartnerschaft.

Die betriebliche Sozialpartnerschaft

Zunächst ein Hinweis zum letzten Gedanken, daß der Ort der Mitbestimmung nicht an der Unternehmensspitze, sondern im Betrieb selbst liegt, wo der Arbeitnehmer sich voll als Mitarbeiter gewertet wissen und dadurch die Sinnerfüllung seiner Berufsarbeit und zugleich damit Persönlichkeitserfüllung Anden muß.

Das ist auch die Ansicht eines Fachmanns in Fragen der industriellen Arbeitswelt vom Range eines Emst Michel. In sein Buch „Sozdal- geschichte der industriellen Arbeitswelt“ (3. Auflage 1953) nahm er einen Beitrag von Giselher Wirsing auf, zu dem er gerade hinsichtlich der Frage der Mitbestimmung seine vorbehaltlose Zustimmung erklärte.

Wirsing weist in seiner Arbeit „Mitbestimmung — falsch und richtig" auf die Grundergebnisse der Sozialforschung im Bereich der industriellen Arbeitswelt hin, zu denen Rosenstock, Michel, Goetz Briefs und Eliasberg in Deutschland, Dubreuil, Rimailhi und Dubais in Frankreich, die Nachfolger der Fabier in England und schließlich Mayo und Drucker und andere in den USA gelangt seien. Alle diese Forscher gehen vom Betrieb als Kernraum aus, in dem vor allem das Sozialproblem zu lösen sei; nicht die Unternehmensspitze, sondern der Betrieb selber sei der Ort, wo der Klassenkampf überwunden werden müsse; das könne nicht durch einen organisatorischen Überbau im Sinne der paritätischen Mitbestimmung geschehen.

Wer also für die betriebliche Sozialpartnerschaft im Sinne echten Mitarbeiterverhältnisses im Gegensatz zur paritätischen wirtschaftlichen Mitbestimmung bei der Bestellung der Unternehmensleitung eintritt, darf sich in Übereinstimmung mit der progressiven Sozialforschung wissen.

Zur überbetrieblichen Mitbestimmung

Zum Gedanken, daß der Arbeit ihr Vorrang als Ordnungsprinzip der Sozialwirtschaft die Gleichberechtigung bei der Steuerung der Sozial

Wirtschaft mit dem Ziele der Be- sch&ftigungs- und E Inkomm enssiche- rung für die Gesamtarbeitnehmerschaft zuweist, sed noch einmal einem Sozialisten von internationalem Ruf das Wort gegeben. Der niederländische Sozialist Alfred Mozer (EWG- Behörde, Brüssel) sieht nach einem Überblick über die Entwicklung des Sozialismus in Europa dessen heutige Einstellung „als ein Bekenntnis zur Arbeit in dieser unserer gemeinsamen Gesellschaft westlicher Prägung“, also der Gesellschaft mit der Eigentumsinstitution in ihrer heutigen Form, und fährt unter Hinweis auf das vieldeutige Wort „Wirtschaftsdemokratie“ fort:

„Verzeihen Sie die Konkretisierung an einem niederländischen Beispiel:

Die Tatsache, daß sich dort seit beinahe 20 Jahren, völlig auf freiwilliger Basis, die Spitzenorgane der Untemehmerorganisationen und der Gewerkschaften aller Richtungen regelmäßig wöchentlich treffen, halte ich für einen wertvollen Schritt. Daß man in diesem Land industriezweigweise und — in einem überkoppelnden Organ, dem sozialwirtschaftlichen Rat — Unternehmer, Gewerkschafter und durch die Regierung ernannte Sachverständige veranlaßt, in gemeinsamen Beratungen Fragen der Wirtschaftspolitik zu behandeln und den politischen Organen des Parlaments und der Regierung Auffassungen vorzulegen, die die Vertreter von Kapital und Arbeit unter Mitarbeit wissenschaftlicher Sach verständiger erarbeitet haben, kann ein Weg der Gestaltung zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklung sein, die der Rechtsgleichheit und der Rechtssicherheit auch lm Wirtschaftsleben dienlich ist“ (Albrecht Beckel [Herausgeber], Freiheitlicher Sozialismus in Europa, Osnabrück 1964, Seite 31).

Man beachte: Die Eigentumsinstitution und die Unternehmensleitung bleibt dabei unangetastet; vielmehr wirken beide Sozialpartner gleichberechtigt an der Steuerung des gesamtwirtschaftlichen Prozesses mit im Interesse des volkswirtschaftlichen Gemeinwohls und damit der sozialen Sicherheit, der Vollbeschäftigung und des Einkommenswachstums der Arbeitnehmerschaft.

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