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Gewerkschaftsstaat?

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Das Malheur mit den richtigen Prinzipien besteht darin, daß sie so leicht mit falschen Inhalten gefüllt werden können. Daran, daß die Mitbestimmung im Betrieb prinzipiell ein richtiges Postulat ist, kann kein Zweifel bestehen. Die Frage ist nur, wie sie schließlich in der Praxis aussieht.

Im Kampf der Parteien kommt es zumeist darauf an, wer schneller ein Konzept präsentiert und den Anspruch, der „wahre“ Anwalt der Mitbestimmung zu sein, zu monopolisieren versteht. Daß dabei nicht immer die optimale Lösung zum Zug kommt, liegt in der Natur der Sache: eine drastische Lösung ist meist rascher gefunden als eine sinnvolle, und sie ist auch spektakulärer und daher publikumswirksamer. Die drastischen Lösungen haben außerdem für die Aktivisten den ganz besonderen Vorteil, daß man in sie Dinge hineinverpacken kann, die sehr wenig mit echter Mitbestimmung, dafür aber um so mehr mit der politischen Macht für bestimmte Gruppen zu tun haben.

Wenn sich heute die sozialistische Gewerkschaftsfraktion zusammen mit der Regierung für eine Mitbestimmung in Form einer Drittelparität für Betriebsratsdelegierte im Aufsichtsrat stark macht, so ist der erste Eindruck gewiß, daß es sich hier eigentlich um eine sehr gemäßigte Forderung handelt und die parlamentarische Mehrheit nicht für radikale Lösungen überstrapaziert wird. Denn ein Verfassungsgesetz, das auch die Stimmen der Opposition notwendig hätte, ist für diese Maßnahme wahrscheinlich nicht erforderlich, so daß die Regierungspartei ungehindert ihr Konzept durchdrücken kann.

Eine Anfechtung der Drittelparitätsregelung beim Verfassungsgerichtshof, wie sie in verschiedenen Kreisen heute erwogen wird, hat zwar bei orthodoxer Interpretation der Verfassung und verschiedener, in früheren Jahrzehnten — allerdings in anderen Zusammenhängen — ergangener Erkenntnisse manches für sich, doch darf die gleichfalls seit Jahrzehnten betriebene systematische Aushöhlung des Eigentumsbegriffs, die vielfach zu einer Neuinterpretation diverser konstitutioneller Grundbegriffe führte, nicht übersehen werden. Der Erfolg einer Verfassungsklage wäre daher in diesem Fall sehr zweifelhaft.

Der sozialistische Vorschlag kann sich auf ausländische Beispiele berufen — so etwa auf das Biedenkopf-Gutachten in Deutschland, das von den CDU-Sozialausschüssen weitgehend übernommen wurde und daher politisch eigentlich auch für die österreichische Opposition unverdächtig sein müßte. Weiters gibt es bereits seit Jahrzehnten in der deutschen Montanindustrie eine gesetzlich verankerte Mitbestimmung, die grosso modo viel weiter geht als die jetzt in Österreich geplante. Was kann da noch an dieser bedenklich erscheinen?

Also alles in allem kein Grund zur Aufregung? So wäre es, hätte der anscheinend so bescheidene österreichische Entwurf nicht einige beachtliche Schönheitsfehler. Ein sehr wichtiger steckt, nicht im Text selber, sondern in der zugrunde liegenden Intention: würden die Initiatoren des Entwurfs glaubhaft versichern, daß damit das Problem der Mitbestimmung ein für allemal vom Tisch wäre, so könnten sich wahrscheinlich weite Kreise damit befreunden. So aber ist er ein Wechsel auf eine ungewisse Zukunft; die Sozialisten sprechen ganz unverhohlen nur von einem „weiteren Schritt“ in Richtung einer „Demokratisierung“ der Wirtschaft. Nachdem der erste Schritt schon knapp nach dem Krieg mit der Delegierung zweier Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrät unternommen worden war — sei der neue Schritt schon längst überfällig gewesen; ihm würden bei passender Gelegenheit weitere folgen.

Das Ganze entspricht weitgehend der schwedischen Idee einer „funktionalen Sozialisierung“, die den Unternehmern graduell die Verfügungsgewalt nimmt, ihnen aber möglichst lang die Verantwortung und das Risiko beläßt; sie wird heute von modernen Sozialisten vielfach der etwas plumpen und gefährlichen Methode der direkten Enteignung vorgezogen. In Wirklichkeit geht es dabei nicht darum, daß Aktionärsvertreter und „betriebspatriotische“ Arbeitnehmerdelegierte unpolitisch, und nur auf das Wohl des Unternehmens bedacht, zusammenarbeiten, sondern darum, die gesamte Wirtschaft auf mehr oder minder kaltem Wege „in den Griff“ zu bekommen, sei es ganz offen durch die sozialistische Partei selbst oder durch die sozialistisch dominierten überparteilichen Gewerkschaften.

Die in Österreich geplante Betriebsrat-Gesetznovelle ist also eine sehr folgenschwere Weichenstellung mit dem Ziel einer Umstrukturierung der Gesellschaft und in weiterer Folge des ganzen Staates. Sie läuft letzten Endes auf nichts anderes als auf eine Umwandlung der Demokratie in eine Syndikokratie, einen Gewerkschaftsstaat hinaus, in dem die letzten Entscheidungen nicht mehr in den Parlamenten, sondern in den Gewerkschaftszentralen fallen. Der Einfluß, den die Gewerkschaften heute mit Recht im demokratischen Kräftespiel besitzen und damit auf die politische Willensbildung haben, müßte aber durch eine solche Entwicklung zu einer einseitigen Überbetonung der gewerkschaftlichen Position und letzten Endes zu einer Blockierung der konstitutionellen Organe der politischen Willensbildung führen.

Die Gewerkschaftsführung selbst könnte, auch wenn sie wollte, einer solchen Tendenz spätestens nach Einführung der paritätischen Mitbestimmung nicht mehr Einhalt gebieten, da die auf diese Weise freigesetzten Kräfte ihre Eigendynamik entwickeln würden. Sie könnte es um so weniger als die parteipolitischen Verflechtungen der Gewerkschaften viel zu stark sind.

Wären die Gewerkschaften und mit ihnen die Betriebsräte echt überparteilich, hielten sie demnach eine wirkliche Äquidistanz zu allen Parteien, dann würde die Stärkung ihrer Machtposition weit weniger folgenschwer für die repräsentative Demokratie sein. So aber muß sie notgedrungen in eine verkappte, oder mit der Zeit wahrscheinlich sogar offen deklarierte Herrschaft einer Partei münden.

Gewiß weisen heute die Sozialisten derartige Reflexionen entschieden zurück, sind eifrig bemüht, die ganze Sache herunterzuspielen und

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